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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Schafe.
Amerika. Die meisten Arten kommen in der alten Welt vor. Jede Gebirgsgruppe besitzt eigen-
thümliche Arten, wie Andere wissen wollen, Unterarten -- der Schafe, welche sich hauptsächlich durch
die Verschiedenheit der Hörner auszeichnen. Die Windung derselben ist maßgebend. Bei den einen
ist das rechte Horn von der Wurzel zur Spitze links und das linke rechts gewunden; dann treten
die Hornspitzen nach außen hin auseinander; bei den anderen ist das rechte Horn rechts und das linke
links gewunden: dann wenden sich die Hornspitzen nach hinten und erinnern an den Hornbau der
Ziegen.

Sämmtliche Schafe sind echte Gebirgskinder. Einige von ihnen scheinen sich nur in den bedeu-
tendsten Höhen wohl zu fühlen. Sie steigen selbst bis über die Schneegrenze, einzelne zu Höhen
von 18 bis 20,000 Fuß empor, wo sich außer ihnen nur noch einige Ziegen, ein Rind, das Moschus-
thier und verschiedene Vögel umhertreiben. Jn ebenen Gegenden leben blos zahme Schafe, und man
sieht es denen, welche in Gebirgsländern gezüchtet werden, recht deutlich an, wie wohl es ihnen thut,
eine so recht ihnen zusagende Heimat bewohnen zu dürfen. Grasreiche Triften oder lichte Wälder,
schroffe Felsen und wüste Halden, zwischen denen nur hier und da ein Pflänzchen sprießt, bilden die
Aufenthaltsorte der Wildschafe. Je nach der Jahreszeit wandern sie von der Höhe zur Tiefe oder umge-
kehrt: der Sommer lockt sie nach oben, der eisige Winter treibt sie in die wohnlichere Tiefe, weil er
ihnen in der Höhe ihre Nahrung bedeckt. Diese besteht aus frischen und saftigen Alpenkräutern im
Sommer und aus Mosen, Flechten und dürren Gräsern im Winter. Die Schafe sind lecker, wenn
sie reiche Auswahl haben, und genügsam im hohen Grade, wenn sich ihnen nur weniges bietet: dürre
Gräser, Schößlinge, Baumrinden und dergleichen sind im Winter oft ihre einzige Nahrung, und den-
noch merkt man ihnen kaum den Mangel an.

Mehr als bei anderen Hausthieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renthieres, sieht
man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf ist nur noch ein Schatten von
dem wilden. Die Ziege bewahrt sich, wie wir sahen, auch in der Gefangenschaft ihre Selbständig-
keit: das Schaf wird im Dienste des Menschen ein willenloser Knecht. Alle Lebhaftigkeit und Schnel-
ligkeit, das gewandte, behende Wesen, die Kletterkünste, das kluge Erkennen und Meiden oder
Abwehren der Gefahr, der Muth und die Kampflust, welche die wilden Schafe zeigen: alles Dies
geht bei den zahmen unter; sie sind eigentlich das gerade Gegentheil von ihren freilebenden Brüdern.
Es scheint, als ob ihr Verstand zu Gunsten des Felles untergegangen wäre. Die wildleben-
den Arten erinnern noch vielfach an die munteren, klugen, übermüthigen Ziegen. Sie stehen diesen
in den meisten Eigenschaften und Fertigkeiten gleich; sie haben denselben regen Geist, dasselbe lebhafte
Wesen: -- die zahmen können wahrhaftig nur den Landwirth begeistern, welcher aus dem werthvollen
Vließe guten Gewinn zieht; im übrigen sind sie unausstehliche Geschöpfe. Eine Charakterlosigkeit
ohne Gleichen spricht sich in ihrem ganzen Wesen aus. Der stärkste Widder weicht feig dem kleinsten
Hunde; ein unbedeutendes Thier kann eine ganze Herde erschrecken; blindlings folgt die Masse einem
Führer, gleichviel ob derselbe ein erwählter ist oder blos zufällig das Amt eines solchen bekleidet: sie
stürzt sich ihm nach in augenscheinliche Gefahr, sie springt hinter ihm in die tobenden Fluthen, obgleich
sie sieht, daß alle, welche den Satz wagten, zu Grunde gehen müssen. Kein Thier läßt sich leichter
hüten, leichter bemeistern, als das gahme Schaf; es scheint sich zu freuen, wenn ein anderes
Geschöpf ihm die Last abnimmt, für das eigene Beste sorgen zu müssen. Daß solche Geschöpfe gut-
müthig, sanft, friedlich, harmlos, frei von jeder Leidenschaft sind, darf uns nicht wundern; in der
Dummheit begründet sich ihr geistiges Wesen, und gerade deshalb ist das Lamm eben kein glücklich
gewähltes Sinnbild. Jn den südlichen Ländern, wo die Schafe sich mehr überlassen sind, als bei uns,
bilden sich die geistigen Fähigkeiten ganz anders aus. Sie sind dort selbständiger, kühner und muthi-
ger als hier zu Lande; sie kämpfen sogar mit anderen Geschöpfen.

Die Vermehrung der Schafe ist ziemlich bedeutend. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit
von 20 bis 25 Wochen ein oder zwei, seltener drei oder vier Junge zur Welt, welche bald nach ihrer
Geburt im Stande sind, der Alten nachzufolgen. Die wilden Mütter vertheidigen ihre Jungen mit

Die Schafe.
Amerika. Die meiſten Arten kommen in der alten Welt vor. Jede Gebirgsgruppe beſitzt eigen-
thümliche Arten, wie Andere wiſſen wollen, Unterarten — der Schafe, welche ſich hauptſächlich durch
die Verſchiedenheit der Hörner auszeichnen. Die Windung derſelben iſt maßgebend. Bei den einen
iſt das rechte Horn von der Wurzel zur Spitze links und das linke rechts gewunden; dann treten
die Hornſpitzen nach außen hin auseinander; bei den anderen iſt das rechte Horn rechts und das linke
links gewunden: dann wenden ſich die Hornſpitzen nach hinten und erinnern an den Hornbau der
Ziegen.

Sämmtliche Schafe ſind echte Gebirgskinder. Einige von ihnen ſcheinen ſich nur in den bedeu-
tendſten Höhen wohl zu fühlen. Sie ſteigen ſelbſt bis über die Schneegrenze, einzelne zu Höhen
von 18 bis 20,000 Fuß empor, wo ſich außer ihnen nur noch einige Ziegen, ein Rind, das Moſchus-
thier und verſchiedene Vögel umhertreiben. Jn ebenen Gegenden leben blos zahme Schafe, und man
ſieht es denen, welche in Gebirgsländern gezüchtet werden, recht deutlich an, wie wohl es ihnen thut,
eine ſo recht ihnen zuſagende Heimat bewohnen zu dürfen. Grasreiche Triften oder lichte Wälder,
ſchroffe Felſen und wüſte Halden, zwiſchen denen nur hier und da ein Pflänzchen ſprießt, bilden die
Aufenthaltsorte der Wildſchafe. Je nach der Jahreszeit wandern ſie von der Höhe zur Tiefe oder umge-
kehrt: der Sommer lockt ſie nach oben, der eiſige Winter treibt ſie in die wohnlichere Tiefe, weil er
ihnen in der Höhe ihre Nahrung bedeckt. Dieſe beſteht aus friſchen und ſaftigen Alpenkräutern im
Sommer und aus Moſen, Flechten und dürren Gräſern im Winter. Die Schafe ſind lecker, wenn
ſie reiche Auswahl haben, und genügſam im hohen Grade, wenn ſich ihnen nur weniges bietet: dürre
Gräſer, Schößlinge, Baumrinden und dergleichen ſind im Winter oft ihre einzige Nahrung, und den-
noch merkt man ihnen kaum den Mangel an.

Mehr als bei anderen Hausthieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renthieres, ſieht
man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf iſt nur noch ein Schatten von
dem wilden. Die Ziege bewahrt ſich, wie wir ſahen, auch in der Gefangenſchaft ihre Selbſtändig-
keit: das Schaf wird im Dienſte des Menſchen ein willenloſer Knecht. Alle Lebhaftigkeit und Schnel-
ligkeit, das gewandte, behende Weſen, die Kletterkünſte, das kluge Erkennen und Meiden oder
Abwehren der Gefahr, der Muth und die Kampfluſt, welche die wilden Schafe zeigen: alles Dies
geht bei den zahmen unter; ſie ſind eigentlich das gerade Gegentheil von ihren freilebenden Brüdern.
Es ſcheint, als ob ihr Verſtand zu Gunſten des Felles untergegangen wäre. Die wildleben-
den Arten erinnern noch vielfach an die munteren, klugen, übermüthigen Ziegen. Sie ſtehen dieſen
in den meiſten Eigenſchaften und Fertigkeiten gleich; ſie haben denſelben regen Geiſt, daſſelbe lebhafte
Weſen: — die zahmen können wahrhaftig nur den Landwirth begeiſtern, welcher aus dem werthvollen
Vließe guten Gewinn zieht; im übrigen ſind ſie unausſtehliche Geſchöpfe. Eine Charakterloſigkeit
ohne Gleichen ſpricht ſich in ihrem ganzen Weſen aus. Der ſtärkſte Widder weicht feig dem kleinſten
Hunde; ein unbedeutendes Thier kann eine ganze Herde erſchrecken; blindlings folgt die Maſſe einem
Führer, gleichviel ob derſelbe ein erwählter iſt oder blos zufällig das Amt eines ſolchen bekleidet: ſie
ſtürzt ſich ihm nach in augenſcheinliche Gefahr, ſie ſpringt hinter ihm in die tobenden Fluthen, obgleich
ſie ſieht, daß alle, welche den Satz wagten, zu Grunde gehen müſſen. Kein Thier läßt ſich leichter
hüten, leichter bemeiſtern, als das gahme Schaf; es ſcheint ſich zu freuen, wenn ein anderes
Geſchöpf ihm die Laſt abnimmt, für das eigene Beſte ſorgen zu müſſen. Daß ſolche Geſchöpfe gut-
müthig, ſanft, friedlich, harmlos, frei von jeder Leidenſchaft ſind, darf uns nicht wundern; in der
Dummheit begründet ſich ihr geiſtiges Weſen, und gerade deshalb iſt das Lamm eben kein glücklich
gewähltes Sinnbild. Jn den ſüdlichen Ländern, wo die Schafe ſich mehr überlaſſen ſind, als bei uns,
bilden ſich die geiſtigen Fähigkeiten ganz anders aus. Sie ſind dort ſelbſtändiger, kühner und muthi-
ger als hier zu Lande; ſie kämpfen ſogar mit anderen Geſchöpfen.

Die Vermehrung der Schafe iſt ziemlich bedeutend. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit
von 20 bis 25 Wochen ein oder zwei, ſeltener drei oder vier Junge zur Welt, welche bald nach ihrer
Geburt im Stande ſind, der Alten nachzufolgen. Die wilden Mütter vertheidigen ihre Jungen mit

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[596/0626] Die Schafe. Amerika. Die meiſten Arten kommen in der alten Welt vor. Jede Gebirgsgruppe beſitzt eigen- thümliche Arten, wie Andere wiſſen wollen, Unterarten — der Schafe, welche ſich hauptſächlich durch die Verſchiedenheit der Hörner auszeichnen. Die Windung derſelben iſt maßgebend. Bei den einen iſt das rechte Horn von der Wurzel zur Spitze links und das linke rechts gewunden; dann treten die Hornſpitzen nach außen hin auseinander; bei den anderen iſt das rechte Horn rechts und das linke links gewunden: dann wenden ſich die Hornſpitzen nach hinten und erinnern an den Hornbau der Ziegen. Sämmtliche Schafe ſind echte Gebirgskinder. Einige von ihnen ſcheinen ſich nur in den bedeu- tendſten Höhen wohl zu fühlen. Sie ſteigen ſelbſt bis über die Schneegrenze, einzelne zu Höhen von 18 bis 20,000 Fuß empor, wo ſich außer ihnen nur noch einige Ziegen, ein Rind, das Moſchus- thier und verſchiedene Vögel umhertreiben. Jn ebenen Gegenden leben blos zahme Schafe, und man ſieht es denen, welche in Gebirgsländern gezüchtet werden, recht deutlich an, wie wohl es ihnen thut, eine ſo recht ihnen zuſagende Heimat bewohnen zu dürfen. Grasreiche Triften oder lichte Wälder, ſchroffe Felſen und wüſte Halden, zwiſchen denen nur hier und da ein Pflänzchen ſprießt, bilden die Aufenthaltsorte der Wildſchafe. Je nach der Jahreszeit wandern ſie von der Höhe zur Tiefe oder umge- kehrt: der Sommer lockt ſie nach oben, der eiſige Winter treibt ſie in die wohnlichere Tiefe, weil er ihnen in der Höhe ihre Nahrung bedeckt. Dieſe beſteht aus friſchen und ſaftigen Alpenkräutern im Sommer und aus Moſen, Flechten und dürren Gräſern im Winter. Die Schafe ſind lecker, wenn ſie reiche Auswahl haben, und genügſam im hohen Grade, wenn ſich ihnen nur weniges bietet: dürre Gräſer, Schößlinge, Baumrinden und dergleichen ſind im Winter oft ihre einzige Nahrung, und den- noch merkt man ihnen kaum den Mangel an. Mehr als bei anderen Hausthieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renthieres, ſieht man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf iſt nur noch ein Schatten von dem wilden. Die Ziege bewahrt ſich, wie wir ſahen, auch in der Gefangenſchaft ihre Selbſtändig- keit: das Schaf wird im Dienſte des Menſchen ein willenloſer Knecht. Alle Lebhaftigkeit und Schnel- ligkeit, das gewandte, behende Weſen, die Kletterkünſte, das kluge Erkennen und Meiden oder Abwehren der Gefahr, der Muth und die Kampfluſt, welche die wilden Schafe zeigen: alles Dies geht bei den zahmen unter; ſie ſind eigentlich das gerade Gegentheil von ihren freilebenden Brüdern. Es ſcheint, als ob ihr Verſtand zu Gunſten des Felles untergegangen wäre. Die wildleben- den Arten erinnern noch vielfach an die munteren, klugen, übermüthigen Ziegen. Sie ſtehen dieſen in den meiſten Eigenſchaften und Fertigkeiten gleich; ſie haben denſelben regen Geiſt, daſſelbe lebhafte Weſen: — die zahmen können wahrhaftig nur den Landwirth begeiſtern, welcher aus dem werthvollen Vließe guten Gewinn zieht; im übrigen ſind ſie unausſtehliche Geſchöpfe. Eine Charakterloſigkeit ohne Gleichen ſpricht ſich in ihrem ganzen Weſen aus. Der ſtärkſte Widder weicht feig dem kleinſten Hunde; ein unbedeutendes Thier kann eine ganze Herde erſchrecken; blindlings folgt die Maſſe einem Führer, gleichviel ob derſelbe ein erwählter iſt oder blos zufällig das Amt eines ſolchen bekleidet: ſie ſtürzt ſich ihm nach in augenſcheinliche Gefahr, ſie ſpringt hinter ihm in die tobenden Fluthen, obgleich ſie ſieht, daß alle, welche den Satz wagten, zu Grunde gehen müſſen. Kein Thier läßt ſich leichter hüten, leichter bemeiſtern, als das gahme Schaf; es ſcheint ſich zu freuen, wenn ein anderes Geſchöpf ihm die Laſt abnimmt, für das eigene Beſte ſorgen zu müſſen. Daß ſolche Geſchöpfe gut- müthig, ſanft, friedlich, harmlos, frei von jeder Leidenſchaft ſind, darf uns nicht wundern; in der Dummheit begründet ſich ihr geiſtiges Weſen, und gerade deshalb iſt das Lamm eben kein glücklich gewähltes Sinnbild. Jn den ſüdlichen Ländern, wo die Schafe ſich mehr überlaſſen ſind, als bei uns, bilden ſich die geiſtigen Fähigkeiten ganz anders aus. Sie ſind dort ſelbſtändiger, kühner und muthi- ger als hier zu Lande; ſie kämpfen ſogar mit anderen Geſchöpfen. Die Vermehrung der Schafe iſt ziemlich bedeutend. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit von 20 bis 25 Wochen ein oder zwei, ſeltener drei oder vier Junge zur Welt, welche bald nach ihrer Geburt im Stande ſind, der Alten nachzufolgen. Die wilden Mütter vertheidigen ihre Jungen mit

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/626>, abgerufen am 16.07.2024.