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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Wisent.

Gegen ihre Feinde wissen sich die gewaltigen Thiere vortrefflich zu vertheidigen. Bären und
Wölfe können nur den Kälbern gefährlich werden, und auch blos dann, wenn die Mutter durch
irgend welchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeschützt ist. Bei sehr tiefem Schnee
soll es übrigens wirklich vorkommen, daß die hungrigen Wölfe sich auf einen erwachsenen verein-
zelten Wisent stürzen, mit vereinten Kräften ihn anfallen, durch Umhertreiben ermatten und schließ-
lich, wenn auch erst nach harten Verlusten, erlegen. Einige Berichterstatter wollen sogar behaupten,
daß schon drei Wölfe genügten, um einen Wisent zu überwältigen, und begründen ihre Ansicht mit
der Angabe, daß der eine der Wölfe das angefallene Thier durch sein beständiges Hin- und Her-
springen beschäftigt und seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen trachtet, während die beiden anderen
von hinten an ihn schleichen und ihm eine Wunde in den Bauch zu versetzen suchen. Jch meines-
theils zweifle sehr an derartigen Erzählungen, denn jeder Wisentstier würde einen Wolf, der sich an
ihm festgebissen hätte, mit einem einzigen Schlage seiner Läufe zerschmettern oder durch sein Gewicht
erdrücken, noch ehe derselbe ihm eine gefährliche Wunde in den Leib gerissen hätte.

Von Zeit zu Zeit hält der Schutzherr der Wisents eine größere Jagd ab, gewöhnlich mit sehr
viel Gepränge. Die hohen Herrschaften, welche zu solchen Jagden geladen werden, brauchen freilich
nicht soviel Muth und Kühnheit zu besitzen, als die alten Deutschen haben mußten, welche zum
Zweikampfe dem Wisent und Auer gegenübertraten. Julius Cäsar berichtet, daß Derjenige sich
großen Ruhm erwarb, welcher einen Ur oder einen Wisent erlegte, und alle alten Lieder preisen
solche Helden, sicherlich mit vollstem Rechte. Noch im Mittelalter kämpften die Ritter mannhaft mit
Auer und Wisent; jetzt wird dieser einfach gemeuchelt, wie das übrige Wild. Die Herrscher nahen
sich mit großem Gefolge, bieten alle Beamten des Waldes auf, zwingen die umwohnenden Bauern
zu Treiberdiensten und bewegen somit eine Mannschaft von zwei-bis dreitausend Köpfen, welche
ihnen die Wisents nach den Orten treiben muß, wo sie auf sicheren Kanzeln sich angestellt haben. Von
einer der glänzendsten Jagden, welche König August III. im Jahr 1752 abhielt, berichtet heute
noch eine 18 Fuß hohe Spitzsäule aus weißem Sandstein in deutscher und polnischer Sprache. Sie
zählt alle die kühnen Helden auf, welche an der Jagd theilnahmen, und gibt auch das Wild an. An
dem einen Tage wurden 42 Wisents, 13 Elenthiere und 2 Rehe erlegt. Die Königin allein schoß
zwanzig Wisents nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen, und hatte dabei noch immer Zeit
zum Lesen eines Romans. Es wurde viel Blut vergossen, freilich nur das des Wildes. Die
Schützen waren den Thieren, welche niedergemeuchelt wurden, unerreichbar, sonst würden wir wohl auch
von deren Heldenthaten Etwas erfahren haben. Um einen Begriff von der Großartigkeit der dama-
ligen Jagd zu geben, will ich blos noch anführen, daß auf des Königs Befehl schon Monate vor der
Jagd viele Tausende von Leibeigenen aufgeboten, zu Deutsch gepreßt wurden, um das Wild von
allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach der zur Jagd bestimmten Abthei-
lung hinzutreiben. Dort wurden die scheuen Thiere eingelappt und zuerst durch acht Fuß hohe
Netze, später durch ein noch höheres Holzgatter umfriedigt. Dicht neben dem Gatter war ein Söller
errichtet worden, auf welchem der König mit den Vornehmsten seiner Gäste Platz nahm. Etwa
zwanzig Schritte von diesem Söller entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelassen, durch
welche alles hier eingeschlossene Wild getrieben wurde. Sobald ein Wisent stürzte, bliesen die Jagd-
gehilfen auf ihren Halbhörnern. Nach der Jagd besichtigte der Hof unter Hörnerklang die gefallenen
Stücke, deren Wildpret unter die umwohnenden Bauern vertheilt wurde. Dann ließ der König das
erwähnte Denkmal setzen, zum ewigen Gedächtniß seiner ritterlichen Thaten.

Am achtzehnten und neunzehnten Oktober 1860 stellte der Kaiser von Rußland eine Jagd an.
Der Kaiser selbst schoß sechs Wisentstiere und ein Kalb, zwei Elen-, sechs Damhirsche, drei Rehe, vier
Wölfe, einen Dachs, einen Fuchs und einen Hasen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen
Karl und Albrecht von Preußen erlegten noch acht Wisents mehr. Ueber die Art und Weise der Jagd
fehlen die ausführlicheren Berichte, jedenfalls aber ging's dies Mal waidmännischer her.

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Der Wiſent.

Gegen ihre Feinde wiſſen ſich die gewaltigen Thiere vortrefflich zu vertheidigen. Bären und
Wölfe können nur den Kälbern gefährlich werden, und auch blos dann, wenn die Mutter durch
irgend welchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeſchützt iſt. Bei ſehr tiefem Schnee
ſoll es übrigens wirklich vorkommen, daß die hungrigen Wölfe ſich auf einen erwachſenen verein-
zelten Wiſent ſtürzen, mit vereinten Kräften ihn anfallen, durch Umhertreiben ermatten und ſchließ-
lich, wenn auch erſt nach harten Verluſten, erlegen. Einige Berichterſtatter wollen ſogar behaupten,
daß ſchon drei Wölfe genügten, um einen Wiſent zu überwältigen, und begründen ihre Anſicht mit
der Angabe, daß der eine der Wölfe das angefallene Thier durch ſein beſtändiges Hin- und Her-
ſpringen beſchäftigt und ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen trachtet, während die beiden anderen
von hinten an ihn ſchleichen und ihm eine Wunde in den Bauch zu verſetzen ſuchen. Jch meines-
theils zweifle ſehr an derartigen Erzählungen, denn jeder Wiſentſtier würde einen Wolf, der ſich an
ihm feſtgebiſſen hätte, mit einem einzigen Schlage ſeiner Läufe zerſchmettern oder durch ſein Gewicht
erdrücken, noch ehe derſelbe ihm eine gefährliche Wunde in den Leib geriſſen hätte.

Von Zeit zu Zeit hält der Schutzherr der Wiſents eine größere Jagd ab, gewöhnlich mit ſehr
viel Gepränge. Die hohen Herrſchaften, welche zu ſolchen Jagden geladen werden, brauchen freilich
nicht ſoviel Muth und Kühnheit zu beſitzen, als die alten Deutſchen haben mußten, welche zum
Zweikampfe dem Wiſent und Auer gegenübertraten. Julius Cäſar berichtet, daß Derjenige ſich
großen Ruhm erwarb, welcher einen Ur oder einen Wiſent erlegte, und alle alten Lieder preiſen
ſolche Helden, ſicherlich mit vollſtem Rechte. Noch im Mittelalter kämpften die Ritter mannhaft mit
Auer und Wiſent; jetzt wird dieſer einfach gemeuchelt, wie das übrige Wild. Die Herrſcher nahen
ſich mit großem Gefolge, bieten alle Beamten des Waldes auf, zwingen die umwohnenden Bauern
zu Treiberdienſten und bewegen ſomit eine Mannſchaft von zwei-bis dreitauſend Köpfen, welche
ihnen die Wiſents nach den Orten treiben muß, wo ſie auf ſicheren Kanzeln ſich angeſtellt haben. Von
einer der glänzendſten Jagden, welche König Auguſt III. im Jahr 1752 abhielt, berichtet heute
noch eine 18 Fuß hohe Spitzſäule aus weißem Sandſtein in deutſcher und polniſcher Sprache. Sie
zählt alle die kühnen Helden auf, welche an der Jagd theilnahmen, und gibt auch das Wild an. An
dem einen Tage wurden 42 Wiſents, 13 Elenthiere und 2 Rehe erlegt. Die Königin allein ſchoß
zwanzig Wiſents nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen, und hatte dabei noch immer Zeit
zum Leſen eines Romans. Es wurde viel Blut vergoſſen, freilich nur das des Wildes. Die
Schützen waren den Thieren, welche niedergemeuchelt wurden, unerreichbar, ſonſt würden wir wohl auch
von deren Heldenthaten Etwas erfahren haben. Um einen Begriff von der Großartigkeit der dama-
ligen Jagd zu geben, will ich blos noch anführen, daß auf des Königs Befehl ſchon Monate vor der
Jagd viele Tauſende von Leibeigenen aufgeboten, zu Deutſch gepreßt wurden, um das Wild von
allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach der zur Jagd beſtimmten Abthei-
lung hinzutreiben. Dort wurden die ſcheuen Thiere eingelappt und zuerſt durch acht Fuß hohe
Netze, ſpäter durch ein noch höheres Holzgatter umfriedigt. Dicht neben dem Gatter war ein Söller
errichtet worden, auf welchem der König mit den Vornehmſten ſeiner Gäſte Platz nahm. Etwa
zwanzig Schritte von dieſem Söller entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelaſſen, durch
welche alles hier eingeſchloſſene Wild getrieben wurde. Sobald ein Wiſent ſtürzte, blieſen die Jagd-
gehilfen auf ihren Halbhörnern. Nach der Jagd beſichtigte der Hof unter Hörnerklang die gefallenen
Stücke, deren Wildpret unter die umwohnenden Bauern vertheilt wurde. Dann ließ der König das
erwähnte Denkmal ſetzen, zum ewigen Gedächtniß ſeiner ritterlichen Thaten.

Am achtzehnten und neunzehnten Oktober 1860 ſtellte der Kaiſer von Rußland eine Jagd an.
Der Kaiſer ſelbſt ſchoß ſechs Wiſentſtiere und ein Kalb, zwei Elen-, ſechs Damhirſche, drei Rehe, vier
Wölfe, einen Dachs, einen Fuchs und einen Haſen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen
Karl und Albrecht von Preußen erlegten noch acht Wiſents mehr. Ueber die Art und Weiſe der Jagd
fehlen die ausführlicheren Berichte, jedenfalls aber ging’s dies Mal waidmänniſcher her.

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[643/0677] Der Wiſent. Gegen ihre Feinde wiſſen ſich die gewaltigen Thiere vortrefflich zu vertheidigen. Bären und Wölfe können nur den Kälbern gefährlich werden, und auch blos dann, wenn die Mutter durch irgend welchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeſchützt iſt. Bei ſehr tiefem Schnee ſoll es übrigens wirklich vorkommen, daß die hungrigen Wölfe ſich auf einen erwachſenen verein- zelten Wiſent ſtürzen, mit vereinten Kräften ihn anfallen, durch Umhertreiben ermatten und ſchließ- lich, wenn auch erſt nach harten Verluſten, erlegen. Einige Berichterſtatter wollen ſogar behaupten, daß ſchon drei Wölfe genügten, um einen Wiſent zu überwältigen, und begründen ihre Anſicht mit der Angabe, daß der eine der Wölfe das angefallene Thier durch ſein beſtändiges Hin- und Her- ſpringen beſchäftigt und ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen trachtet, während die beiden anderen von hinten an ihn ſchleichen und ihm eine Wunde in den Bauch zu verſetzen ſuchen. Jch meines- theils zweifle ſehr an derartigen Erzählungen, denn jeder Wiſentſtier würde einen Wolf, der ſich an ihm feſtgebiſſen hätte, mit einem einzigen Schlage ſeiner Läufe zerſchmettern oder durch ſein Gewicht erdrücken, noch ehe derſelbe ihm eine gefährliche Wunde in den Leib geriſſen hätte. Von Zeit zu Zeit hält der Schutzherr der Wiſents eine größere Jagd ab, gewöhnlich mit ſehr viel Gepränge. Die hohen Herrſchaften, welche zu ſolchen Jagden geladen werden, brauchen freilich nicht ſoviel Muth und Kühnheit zu beſitzen, als die alten Deutſchen haben mußten, welche zum Zweikampfe dem Wiſent und Auer gegenübertraten. Julius Cäſar berichtet, daß Derjenige ſich großen Ruhm erwarb, welcher einen Ur oder einen Wiſent erlegte, und alle alten Lieder preiſen ſolche Helden, ſicherlich mit vollſtem Rechte. Noch im Mittelalter kämpften die Ritter mannhaft mit Auer und Wiſent; jetzt wird dieſer einfach gemeuchelt, wie das übrige Wild. Die Herrſcher nahen ſich mit großem Gefolge, bieten alle Beamten des Waldes auf, zwingen die umwohnenden Bauern zu Treiberdienſten und bewegen ſomit eine Mannſchaft von zwei-bis dreitauſend Köpfen, welche ihnen die Wiſents nach den Orten treiben muß, wo ſie auf ſicheren Kanzeln ſich angeſtellt haben. Von einer der glänzendſten Jagden, welche König Auguſt III. im Jahr 1752 abhielt, berichtet heute noch eine 18 Fuß hohe Spitzſäule aus weißem Sandſtein in deutſcher und polniſcher Sprache. Sie zählt alle die kühnen Helden auf, welche an der Jagd theilnahmen, und gibt auch das Wild an. An dem einen Tage wurden 42 Wiſents, 13 Elenthiere und 2 Rehe erlegt. Die Königin allein ſchoß zwanzig Wiſents nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen, und hatte dabei noch immer Zeit zum Leſen eines Romans. Es wurde viel Blut vergoſſen, freilich nur das des Wildes. Die Schützen waren den Thieren, welche niedergemeuchelt wurden, unerreichbar, ſonſt würden wir wohl auch von deren Heldenthaten Etwas erfahren haben. Um einen Begriff von der Großartigkeit der dama- ligen Jagd zu geben, will ich blos noch anführen, daß auf des Königs Befehl ſchon Monate vor der Jagd viele Tauſende von Leibeigenen aufgeboten, zu Deutſch gepreßt wurden, um das Wild von allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach der zur Jagd beſtimmten Abthei- lung hinzutreiben. Dort wurden die ſcheuen Thiere eingelappt und zuerſt durch acht Fuß hohe Netze, ſpäter durch ein noch höheres Holzgatter umfriedigt. Dicht neben dem Gatter war ein Söller errichtet worden, auf welchem der König mit den Vornehmſten ſeiner Gäſte Platz nahm. Etwa zwanzig Schritte von dieſem Söller entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelaſſen, durch welche alles hier eingeſchloſſene Wild getrieben wurde. Sobald ein Wiſent ſtürzte, blieſen die Jagd- gehilfen auf ihren Halbhörnern. Nach der Jagd beſichtigte der Hof unter Hörnerklang die gefallenen Stücke, deren Wildpret unter die umwohnenden Bauern vertheilt wurde. Dann ließ der König das erwähnte Denkmal ſetzen, zum ewigen Gedächtniß ſeiner ritterlichen Thaten. Am achtzehnten und neunzehnten Oktober 1860 ſtellte der Kaiſer von Rußland eine Jagd an. Der Kaiſer ſelbſt ſchoß ſechs Wiſentſtiere und ein Kalb, zwei Elen-, ſechs Damhirſche, drei Rehe, vier Wölfe, einen Dachs, einen Fuchs und einen Haſen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen erlegten noch acht Wiſents mehr. Ueber die Art und Weiſe der Jagd fehlen die ausführlicheren Berichte, jedenfalls aber ging’s dies Mal waidmänniſcher her. 41 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/677>, abgerufen am 03.06.2024.