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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das schottische Rind.

"Das Vieh hat alle bezeichnenden Eigenschaften echt wilder Thiere. Es verbirgt seine Jungen,
weidet des Nachts und schläft und sonnt sich des Tages. Grimmig ist es nur, wenn es in die Enge
getrieben wird; sonst zeigt es sich sehr scheu und zieht sich vor Jedermann schon aus großer Entfernung
zurück. Je nach der Jahreszeit und nach der Art, wie man sich ihm naht, beträgt es sich verschieden.
Jm Sommer habe ich mich wochenlang vergeblich bemüht, ein Stück zu Gesicht zu bekommen; denn
um diese Zeit ziehen sich die Thiere, sobald sie irgend Jemand spüren, in ihren heiligen Wald zurück,
welcher von Niemand betreten wird; im Winter dagegen kommen sie an die Futterplätze, und weil sie
sich dort an den Menschen gewöhnen, kann man, zumal beritten, fast mitten unter die Herde gelangen.
Man bemerkt an ihnen viel Eigenthümliches. Mitunter ergreift sie, wenn sie ruhig grasen und man
über dem Wind in ihrer Nähe erscheint, ein lächerlicher Schrecken, und sie galoppiren bis in ihr Aller-
heiligstes. Wenn sie in den unteren Theil des Parks herunterkommen, was zu bestimmten Stunden
geschieht, gehen sie wie ein Reiterregiment in einfachen Reihen; dabei bilden die Bullen den Vortrab,
während sie beim Rückmarsch als Nachtrab dienen. Jhre Gestalt ist ungemein schön. Die Beine sind
kurz, der Rücken ist gerade, die Hörner sind feinkörnig, die Haut ist dünn. Jhre Stimme gleicht eher
der eines reißenden Thieres, als der eines zahmen Rindes."

"Rücksichtlich ihres zähen Lebens will ich folgendes Beispiel auführen. Es sollte ein alter Bulle
getödtet werden, und einer der Parkwärter suchte ihn von der Herde abzuschneiden. Der Bulle machte
vergebliche Versuche, sich wieder mit der Herde zu vereinigen, und stürzte endlich wüthend auf den sich
unvorsichtig der Gefahr aussetzenden Mann los, warf ihn zu Boden, dann drei Mal in die Luft und
kniete endlich auf ihm nieder, wobei er ihm drei Rippen zerbrach. Niemand war in der Nähe, als ein
Knabe, welcher einen starken Schweißhund auf den Bullen losließ. Dieser griff augenblicklich den
wüthenden Stier an, biß ihn in die Fersen und bewirlte, daß er von dem Mann abließ; doch ging er
nicht ganz von ihm weg, sondern beobachtete ihn fortwährend und kehrte mehrere Male zu ihm zurück,
ihn jedes Mal in die Luft werfend. Während nun der Hund den Bullen so viel als möglich beschäf-
tigte, wurde die Sache im Schlosse ruchbar, und Alles machte sich mit Büchsen auf, um das gefährliche
Thier zu erlegen. Ein guter Schütz schlich sich hinter einen Zaun und feuerte von da aus auf eine
Entfernung von nur dreißig Schritten nach dem Thiere, dieses fiel aber doch erst, als es sechs Kugeln
in den Kopf erhalten hatte und zwar nur, nachdem eine durch das Auge in das Hirn gedrungen war.
Vorher rührte es sich nicht von der Stelle, sondern schüttelte blos mit dem Kopfe, so oft es von einer
Kugel getroffen wurde. Aehnliche Fälle, wo Leute durch die Bullen in große Lebensgefahr geriethen,
ließen sich viele anführen."

Der genannte Parkwärter, welcher über dreißig Jahre in Chartly lebte, fügte obigen Bemer-
kungen seine Beobachtungen hinzu.

"Die Herde," sagt er, "besteht gegenwärtig (1830) aus etwa 80 Stücken oder ungefähr 25
Bullen, 40 Kühen und 15 Stück Jungvieh. Jhre reinweiße Farbe und die schönen halbmondförmi-
gen Hörner geben den Thieren, zumal wenn sie sich in Masse bewegen, ein herrliches Ansehen: Nichts
an ihnen ist schwarz, als die Augen, die Wimpern und die Spitzen der Hörner; der Nasenspiegel ist
braun, das Jnnere der Ohren roth oder braun und der ganze übrige Körper weiß. Die Bullen käm-
pfen um die Oberherrschaft, bis einige der stärksten die übrigen ganz unterjocht haben. Später treten
sie die Obergewalt anderen ab, welche inzwischen stärker geworden sind, als sie selbst. Die Kühe kalben
erst, nachdem sie drei Jahre alt sind, und bleiben nur wenige Jahre fruchtbar. Sie verbergen ihr
Kalb die ersten vier bis zehn Tage lang und kommen während dieser Zeit täglich zwei bis drei Mal zu
ihnen, um sie zu säugen. Rähert sich Jemand dem Orte, wo sich ein solches Kalb befindet, so legt
dieses den Kopf fest auf den Boden und drückt sich, wie ein Hase im Lager. Neun Monate lang be-
saugen die Kälber ihre Mütter; dann schlagen diese sie ab."

"Die Parkstiere vertragen den Winter sehr gut, doch werden sie bei strenger Kälte mit Heu ge-
füttert. Man läßt sie selten über 8 bis 9 Jahre alt werden, weil sie später im Gewicht zurückgehen.
Die Stiere tödtet man gewöhnlich im sechsten Jahre ihres Alters; dann wiegen sie etwa funfzehn

Das ſchottiſche Rind.

„Das Vieh hat alle bezeichnenden Eigenſchaften echt wilder Thiere. Es verbirgt ſeine Jungen,
weidet des Nachts und ſchläft und ſonnt ſich des Tages. Grimmig iſt es nur, wenn es in die Enge
getrieben wird; ſonſt zeigt es ſich ſehr ſcheu und zieht ſich vor Jedermann ſchon aus großer Entfernung
zurück. Je nach der Jahreszeit und nach der Art, wie man ſich ihm naht, beträgt es ſich verſchieden.
Jm Sommer habe ich mich wochenlang vergeblich bemüht, ein Stück zu Geſicht zu bekommen; denn
um dieſe Zeit ziehen ſich die Thiere, ſobald ſie irgend Jemand ſpüren, in ihren heiligen Wald zurück,
welcher von Niemand betreten wird; im Winter dagegen kommen ſie an die Futterplätze, und weil ſie
ſich dort an den Menſchen gewöhnen, kann man, zumal beritten, faſt mitten unter die Herde gelangen.
Man bemerkt an ihnen viel Eigenthümliches. Mitunter ergreift ſie, wenn ſie ruhig graſen und man
über dem Wind in ihrer Nähe erſcheint, ein lächerlicher Schrecken, und ſie galoppiren bis in ihr Aller-
heiligſtes. Wenn ſie in den unteren Theil des Parks herunterkommen, was zu beſtimmten Stunden
geſchieht, gehen ſie wie ein Reiterregiment in einfachen Reihen; dabei bilden die Bullen den Vortrab,
während ſie beim Rückmarſch als Nachtrab dienen. Jhre Geſtalt iſt ungemein ſchön. Die Beine ſind
kurz, der Rücken iſt gerade, die Hörner ſind feinkörnig, die Haut iſt dünn. Jhre Stimme gleicht eher
der eines reißenden Thieres, als der eines zahmen Rindes.‟

„Rückſichtlich ihres zähen Lebens will ich folgendes Beiſpiel auführen. Es ſollte ein alter Bulle
getödtet werden, und einer der Parkwärter ſuchte ihn von der Herde abzuſchneiden. Der Bulle machte
vergebliche Verſuche, ſich wieder mit der Herde zu vereinigen, und ſtürzte endlich wüthend auf den ſich
unvorſichtig der Gefahr ausſetzenden Mann los, warf ihn zu Boden, dann drei Mal in die Luft und
kniete endlich auf ihm nieder, wobei er ihm drei Rippen zerbrach. Niemand war in der Nähe, als ein
Knabe, welcher einen ſtarken Schweißhund auf den Bullen losließ. Dieſer griff augenblicklich den
wüthenden Stier an, biß ihn in die Ferſen und bewirlte, daß er von dem Mann abließ; doch ging er
nicht ganz von ihm weg, ſondern beobachtete ihn fortwährend und kehrte mehrere Male zu ihm zurück,
ihn jedes Mal in die Luft werfend. Während nun der Hund den Bullen ſo viel als möglich beſchäf-
tigte, wurde die Sache im Schloſſe ruchbar, und Alles machte ſich mit Büchſen auf, um das gefährliche
Thier zu erlegen. Ein guter Schütz ſchlich ſich hinter einen Zaun und feuerte von da aus auf eine
Entfernung von nur dreißig Schritten nach dem Thiere, dieſes fiel aber doch erſt, als es ſechs Kugeln
in den Kopf erhalten hatte und zwar nur, nachdem eine durch das Auge in das Hirn gedrungen war.
Vorher rührte es ſich nicht von der Stelle, ſondern ſchüttelte blos mit dem Kopfe, ſo oft es von einer
Kugel getroffen wurde. Aehnliche Fälle, wo Leute durch die Bullen in große Lebensgefahr geriethen,
ließen ſich viele anführen.‟

Der genannte Parkwärter, welcher über dreißig Jahre in Chartly lebte, fügte obigen Bemer-
kungen ſeine Beobachtungen hinzu.

„Die Herde,‟ ſagt er, „beſteht gegenwärtig (1830) aus etwa 80 Stücken oder ungefähr 25
Bullen, 40 Kühen und 15 Stück Jungvieh. Jhre reinweiße Farbe und die ſchönen halbmondförmi-
gen Hörner geben den Thieren, zumal wenn ſie ſich in Maſſe bewegen, ein herrliches Anſehen: Nichts
an ihnen iſt ſchwarz, als die Augen, die Wimpern und die Spitzen der Hörner; der Naſenſpiegel iſt
braun, das Jnnere der Ohren roth oder braun und der ganze übrige Körper weiß. Die Bullen käm-
pfen um die Oberherrſchaft, bis einige der ſtärkſten die übrigen ganz unterjocht haben. Später treten
ſie die Obergewalt anderen ab, welche inzwiſchen ſtärker geworden ſind, als ſie ſelbſt. Die Kühe kalben
erſt, nachdem ſie drei Jahre alt ſind, und bleiben nur wenige Jahre fruchtbar. Sie verbergen ihr
Kalb die erſten vier bis zehn Tage lang und kommen während dieſer Zeit täglich zwei bis drei Mal zu
ihnen, um ſie zu ſäugen. Rähert ſich Jemand dem Orte, wo ſich ein ſolches Kalb befindet, ſo legt
dieſes den Kopf feſt auf den Boden und drückt ſich, wie ein Haſe im Lager. Neun Monate lang be-
ſaugen die Kälber ihre Mütter; dann ſchlagen dieſe ſie ab.‟

„Die Parkſtiere vertragen den Winter ſehr gut, doch werden ſie bei ſtrenger Kälte mit Heu ge-
füttert. Man läßt ſie ſelten über 8 bis 9 Jahre alt werden, weil ſie ſpäter im Gewicht zurückgehen.
Die Stiere tödtet man gewöhnlich im ſechſten Jahre ihres Alters; dann wiegen ſie etwa funfzehn

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[667/0701] Das ſchottiſche Rind. „Das Vieh hat alle bezeichnenden Eigenſchaften echt wilder Thiere. Es verbirgt ſeine Jungen, weidet des Nachts und ſchläft und ſonnt ſich des Tages. Grimmig iſt es nur, wenn es in die Enge getrieben wird; ſonſt zeigt es ſich ſehr ſcheu und zieht ſich vor Jedermann ſchon aus großer Entfernung zurück. Je nach der Jahreszeit und nach der Art, wie man ſich ihm naht, beträgt es ſich verſchieden. Jm Sommer habe ich mich wochenlang vergeblich bemüht, ein Stück zu Geſicht zu bekommen; denn um dieſe Zeit ziehen ſich die Thiere, ſobald ſie irgend Jemand ſpüren, in ihren heiligen Wald zurück, welcher von Niemand betreten wird; im Winter dagegen kommen ſie an die Futterplätze, und weil ſie ſich dort an den Menſchen gewöhnen, kann man, zumal beritten, faſt mitten unter die Herde gelangen. Man bemerkt an ihnen viel Eigenthümliches. Mitunter ergreift ſie, wenn ſie ruhig graſen und man über dem Wind in ihrer Nähe erſcheint, ein lächerlicher Schrecken, und ſie galoppiren bis in ihr Aller- heiligſtes. Wenn ſie in den unteren Theil des Parks herunterkommen, was zu beſtimmten Stunden geſchieht, gehen ſie wie ein Reiterregiment in einfachen Reihen; dabei bilden die Bullen den Vortrab, während ſie beim Rückmarſch als Nachtrab dienen. Jhre Geſtalt iſt ungemein ſchön. Die Beine ſind kurz, der Rücken iſt gerade, die Hörner ſind feinkörnig, die Haut iſt dünn. Jhre Stimme gleicht eher der eines reißenden Thieres, als der eines zahmen Rindes.‟ „Rückſichtlich ihres zähen Lebens will ich folgendes Beiſpiel auführen. Es ſollte ein alter Bulle getödtet werden, und einer der Parkwärter ſuchte ihn von der Herde abzuſchneiden. Der Bulle machte vergebliche Verſuche, ſich wieder mit der Herde zu vereinigen, und ſtürzte endlich wüthend auf den ſich unvorſichtig der Gefahr ausſetzenden Mann los, warf ihn zu Boden, dann drei Mal in die Luft und kniete endlich auf ihm nieder, wobei er ihm drei Rippen zerbrach. Niemand war in der Nähe, als ein Knabe, welcher einen ſtarken Schweißhund auf den Bullen losließ. Dieſer griff augenblicklich den wüthenden Stier an, biß ihn in die Ferſen und bewirlte, daß er von dem Mann abließ; doch ging er nicht ganz von ihm weg, ſondern beobachtete ihn fortwährend und kehrte mehrere Male zu ihm zurück, ihn jedes Mal in die Luft werfend. Während nun der Hund den Bullen ſo viel als möglich beſchäf- tigte, wurde die Sache im Schloſſe ruchbar, und Alles machte ſich mit Büchſen auf, um das gefährliche Thier zu erlegen. Ein guter Schütz ſchlich ſich hinter einen Zaun und feuerte von da aus auf eine Entfernung von nur dreißig Schritten nach dem Thiere, dieſes fiel aber doch erſt, als es ſechs Kugeln in den Kopf erhalten hatte und zwar nur, nachdem eine durch das Auge in das Hirn gedrungen war. Vorher rührte es ſich nicht von der Stelle, ſondern ſchüttelte blos mit dem Kopfe, ſo oft es von einer Kugel getroffen wurde. Aehnliche Fälle, wo Leute durch die Bullen in große Lebensgefahr geriethen, ließen ſich viele anführen.‟ Der genannte Parkwärter, welcher über dreißig Jahre in Chartly lebte, fügte obigen Bemer- kungen ſeine Beobachtungen hinzu. „Die Herde,‟ ſagt er, „beſteht gegenwärtig (1830) aus etwa 80 Stücken oder ungefähr 25 Bullen, 40 Kühen und 15 Stück Jungvieh. Jhre reinweiße Farbe und die ſchönen halbmondförmi- gen Hörner geben den Thieren, zumal wenn ſie ſich in Maſſe bewegen, ein herrliches Anſehen: Nichts an ihnen iſt ſchwarz, als die Augen, die Wimpern und die Spitzen der Hörner; der Naſenſpiegel iſt braun, das Jnnere der Ohren roth oder braun und der ganze übrige Körper weiß. Die Bullen käm- pfen um die Oberherrſchaft, bis einige der ſtärkſten die übrigen ganz unterjocht haben. Später treten ſie die Obergewalt anderen ab, welche inzwiſchen ſtärker geworden ſind, als ſie ſelbſt. Die Kühe kalben erſt, nachdem ſie drei Jahre alt ſind, und bleiben nur wenige Jahre fruchtbar. Sie verbergen ihr Kalb die erſten vier bis zehn Tage lang und kommen während dieſer Zeit täglich zwei bis drei Mal zu ihnen, um ſie zu ſäugen. Rähert ſich Jemand dem Orte, wo ſich ein ſolches Kalb befindet, ſo legt dieſes den Kopf feſt auf den Boden und drückt ſich, wie ein Haſe im Lager. Neun Monate lang be- ſaugen die Kälber ihre Mütter; dann ſchlagen dieſe ſie ab.‟ „Die Parkſtiere vertragen den Winter ſehr gut, doch werden ſie bei ſtrenger Kälte mit Heu ge- füttert. Man läßt ſie ſelten über 8 bis 9 Jahre alt werden, weil ſie ſpäter im Gewicht zurückgehen. Die Stiere tödtet man gewöhnlich im ſechſten Jahre ihres Alters; dann wiegen ſie etwa funfzehn

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/701>, abgerufen am 23.11.2024.