sitzt auf einem kurzen, dicken Halse; die Augen sind groß und treten gewöhnlich stark hervor; die Lippen sind fleischig, mit Schnurren besetzt, sehr beweglich und vorn gespalten; die Vorderfüße, welche zuweilen hinter den Hinterfüßen zurücktreten, haben in der Regel vier, die hinteren fünf Zehen, und diese Zehen sind mit mehr oder weniger starken Krallen und Nägeln bewaffnet, auch zu- weilen durch Schwimmhäute verbunden. Das Haarkleid ist fast immer von gleicher Länge und höchstens an den Ohrspitzen pinselartig verlängert oder am Schwanze buschig geworden. Jedenfalls aber sind die Verschiedenheiten innerhalb der Ordnung so große, daß man billig Anstand nehmen würde, die Nager zu einem Ganzen zu vereinigen, wenn nicht eben alle hierhergehörigen Thiere ein unverkennbares gemeinschaftliches Kennzeichen in ihren Nagezähnen hätten. Diese zeichnen das Gebiß noch weit mehr aus, als die Reißzähne das Gebiß der Raubthiere.
Die Nagezähne sind bedeutend größer, als alle übrigen Zähne des ganzen Gebisses, bogenförmig gekrümmt, die oberen immer stärker, als die unteren, an der Schneide breit oder spitzmeiselartig, an der Wurzel drei- oder vierkantig, bald flach, bald gewölbt, glatt oder gefurcht, weiß oder gelblich und roth gefärbt. Jhre äußere oder vordere Fläche ist mit stahlhartem Schmelz belegt, und dieser bildet auch die scharfe Spitze oder den breiten, schneidenden Meiselrand. Der übrige Zahn besteht aus der gewöhnlichen Zahnmasse. Bei der ausgedehnten Benutzung dieser Hauptzähne würden sie sich in kurzer Zeit abstumpfen oder abnutzen, hätte die Natur hier nicht in sehr eigenthümlicher Weise für ihre Unterhaltung gesorgt. Die Nagezähne haben nämlich einen großen Vorzug vor allen übrigen Zähnen des Säugethiergebisses: sie sind nicht nur weit fester als diese, sondern ihr Wachs- thum ist auch unbeschränkt. Die Zahnwurzel liegt in einer Alveole oder Zahnhöhle, welche sich weit in dem Kiefer einbohrt, und enthält an dem hinteren, offenen Ende in einer trichterförmigen Einbuchtung einen bleibenden Keim, welcher ununterbrochen den Zahn in demselben Grade ergänzt, wie er sich vorn abnutzt. Die feine Schärfe der Schneide wird durch gegenseitiges Aufeinander- reiben und dadurch bewirktes Abschleifen der Zähne erhalten; beide Kiefern können auch blos senkrecht von vorn nach hinten wirken. So vereinigen diese Zähne alles Erforderliche, um dem ungeheuren Kraftaufwande, welchen das Nagen beansprucht, gewachsen zu sein. Von dem beständigen Wachs- thume der Nagezähne überzeugt man sich leicht, wenn man einem Nager, einem Kaninchen z. B., einen seiner Nagezähne gewaltsam abbricht. Dann wächst der gegenständige, weil er nun nicht mehr abge- nutzt wird, rasch weiter, tritt in einem engen Bogen aus dem Maule hervor und rollt sich gehörn- artig ein, hierdurch das ganze Gebiß verstümmelnd und die Ernährung des Thieres im höchsten Grade erschwerend.
Die Lippen der Nager sind mit Schnurren besetzt und meist sehr beweglich. Bei vielen öffnen sich an der Jnnenseite Backentaschen, welche sich bis an die Schultergegend ausdehnen und bei der Einsammlung der Nahrung als Vorrathssäcke dienen. Ein besonderer Muskel zieht diese Taschen zurück, wenn sie gefüllt werden sollen. Die Ausleerung derselben geschieht durch den Druck der Vorderpfoten.
Von den inneren Theilen sind die Speicheldrüsen gewöhnlich sehr stark entwickelt. Der Magen ist einfach, doch bisweilen durch Einschnürung in zwei Abschnitte getheilt. Die Länge des Darm- schlauches beträgt die fünf- bis siebzehnfache Leibeslänge. Die Eileiter der Weibchen gehen jeder für sich in einen Fruchthalter von darmförmiger Gestalt über, welcher dann in der langen Scheide mündet. Das Gehirn deutet auf geringe geistige Fähigkeiten. Die Halbkugeln des großen Gehirnes sind klein und die Windungen schwach; dagegen sind die Sinneswerkzeuge gleichmäßig und ziemlich vollkommen entwickelt.
Die Nager erschienen mit dem Anfange der tertiären Schöpfungszeit einzeln und während der Diluvialzeit bereits in Menge auf unserer Erde. Gegenwärtig sind sie über alle Erdtheile verbreitet. Sie finden sich in allen Klimaten der Breite und Höhe, soweit die Pflanzenwelt reicht. "Mitten in ewigem Schnee und Eise," sagt Blasius, "wo stellenweise noch ein warmer Sonnenstrahl nur auf wenige Wochen ein kurzes und kümmerliches Pflanzenleben hervorlockt, auf den stillen, einsamen
Die Nager.
ſitzt auf einem kurzen, dicken Halſe; die Augen ſind groß und treten gewöhnlich ſtark hervor; die Lippen ſind fleiſchig, mit Schnurren beſetzt, ſehr beweglich und vorn geſpalten; die Vorderfüße, welche zuweilen hinter den Hinterfüßen zurücktreten, haben in der Regel vier, die hinteren fünf Zehen, und dieſe Zehen ſind mit mehr oder weniger ſtarken Krallen und Nägeln bewaffnet, auch zu- weilen durch Schwimmhäute verbunden. Das Haarkleid iſt faſt immer von gleicher Länge und höchſtens an den Ohrſpitzen pinſelartig verlängert oder am Schwanze buſchig geworden. Jedenfalls aber ſind die Verſchiedenheiten innerhalb der Ordnung ſo große, daß man billig Anſtand nehmen würde, die Nager zu einem Ganzen zu vereinigen, wenn nicht eben alle hierhergehörigen Thiere ein unverkennbares gemeinſchaftliches Kennzeichen in ihren Nagezähnen hätten. Dieſe zeichnen das Gebiß noch weit mehr aus, als die Reißzähne das Gebiß der Raubthiere.
Die Nagezähne ſind bedeutend größer, als alle übrigen Zähne des ganzen Gebiſſes, bogenförmig gekrümmt, die oberen immer ſtärker, als die unteren, an der Schneide breit oder ſpitzmeiſelartig, an der Wurzel drei- oder vierkantig, bald flach, bald gewölbt, glatt oder gefurcht, weiß oder gelblich und roth gefärbt. Jhre äußere oder vordere Fläche iſt mit ſtahlhartem Schmelz belegt, und dieſer bildet auch die ſcharfe Spitze oder den breiten, ſchneidenden Meiſelrand. Der übrige Zahn beſteht aus der gewöhnlichen Zahnmaſſe. Bei der ausgedehnten Benutzung dieſer Hauptzähne würden ſie ſich in kurzer Zeit abſtumpfen oder abnutzen, hätte die Natur hier nicht in ſehr eigenthümlicher Weiſe für ihre Unterhaltung geſorgt. Die Nagezähne haben nämlich einen großen Vorzug vor allen übrigen Zähnen des Säugethiergebiſſes: ſie ſind nicht nur weit feſter als dieſe, ſondern ihr Wachs- thum iſt auch unbeſchränkt. Die Zahnwurzel liegt in einer Alveole oder Zahnhöhle, welche ſich weit in dem Kiefer einbohrt, und enthält an dem hinteren, offenen Ende in einer trichterförmigen Einbuchtung einen bleibenden Keim, welcher ununterbrochen den Zahn in demſelben Grade ergänzt, wie er ſich vorn abnutzt. Die feine Schärfe der Schneide wird durch gegenſeitiges Aufeinander- reiben und dadurch bewirktes Abſchleifen der Zähne erhalten; beide Kiefern können auch blos ſenkrecht von vorn nach hinten wirken. So vereinigen dieſe Zähne alles Erforderliche, um dem ungeheuren Kraftaufwande, welchen das Nagen beanſprucht, gewachſen zu ſein. Von dem beſtändigen Wachs- thume der Nagezähne überzeugt man ſich leicht, wenn man einem Nager, einem Kaninchen z. B., einen ſeiner Nagezähne gewaltſam abbricht. Dann wächſt der gegenſtändige, weil er nun nicht mehr abge- nutzt wird, raſch weiter, tritt in einem engen Bogen aus dem Maule hervor und rollt ſich gehörn- artig ein, hierdurch das ganze Gebiß verſtümmelnd und die Ernährung des Thieres im höchſten Grade erſchwerend.
Die Lippen der Nager ſind mit Schnurren beſetzt und meiſt ſehr beweglich. Bei vielen öffnen ſich an der Jnnenſeite Backentaſchen, welche ſich bis an die Schultergegend ausdehnen und bei der Einſammlung der Nahrung als Vorrathsſäcke dienen. Ein beſonderer Muskel zieht dieſe Taſchen zurück, wenn ſie gefüllt werden ſollen. Die Ausleerung derſelben geſchieht durch den Druck der Vorderpfoten.
Von den inneren Theilen ſind die Speicheldrüſen gewöhnlich ſehr ſtark entwickelt. Der Magen iſt einfach, doch bisweilen durch Einſchnürung in zwei Abſchnitte getheilt. Die Länge des Darm- ſchlauches beträgt die fünf- bis ſiebzehnfache Leibeslänge. Die Eileiter der Weibchen gehen jeder für ſich in einen Fruchthalter von darmförmiger Geſtalt über, welcher dann in der langen Scheide mündet. Das Gehirn deutet auf geringe geiſtige Fähigkeiten. Die Halbkugeln des großen Gehirnes ſind klein und die Windungen ſchwach; dagegen ſind die Sinneswerkzeuge gleichmäßig und ziemlich vollkommen entwickelt.
Die Nager erſchienen mit dem Anfange der tertiären Schöpfungszeit einzeln und während der Diluvialzeit bereits in Menge auf unſerer Erde. Gegenwärtig ſind ſie über alle Erdtheile verbreitet. Sie finden ſich in allen Klimaten der Breite und Höhe, ſoweit die Pflanzenwelt reicht. „Mitten in ewigem Schnee und Eiſe,‟ ſagt Blaſius, „wo ſtellenweiſe noch ein warmer Sonnenſtrahl nur auf wenige Wochen ein kurzes und kümmerliches Pflanzenleben hervorlockt, auf den ſtillen, einſamen
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[60/0074]
Die Nager.
ſitzt auf einem kurzen, dicken Halſe; die Augen ſind groß und treten gewöhnlich ſtark hervor; die
Lippen ſind fleiſchig, mit Schnurren beſetzt, ſehr beweglich und vorn geſpalten; die Vorderfüße,
welche zuweilen hinter den Hinterfüßen zurücktreten, haben in der Regel vier, die hinteren fünf
Zehen, und dieſe Zehen ſind mit mehr oder weniger ſtarken Krallen und Nägeln bewaffnet, auch zu-
weilen durch Schwimmhäute verbunden. Das Haarkleid iſt faſt immer von gleicher Länge und
höchſtens an den Ohrſpitzen pinſelartig verlängert oder am Schwanze buſchig geworden. Jedenfalls
aber ſind die Verſchiedenheiten innerhalb der Ordnung ſo große, daß man billig Anſtand nehmen
würde, die Nager zu einem Ganzen zu vereinigen, wenn nicht eben alle hierhergehörigen Thiere ein
unverkennbares gemeinſchaftliches Kennzeichen in ihren Nagezähnen hätten. Dieſe zeichnen das Gebiß
noch weit mehr aus, als die Reißzähne das Gebiß der Raubthiere.
Die Nagezähne ſind bedeutend größer, als alle übrigen Zähne des ganzen Gebiſſes, bogenförmig
gekrümmt, die oberen immer ſtärker, als die unteren, an der Schneide breit oder ſpitzmeiſelartig,
an der Wurzel drei- oder vierkantig, bald flach, bald gewölbt, glatt oder gefurcht, weiß oder
gelblich und roth gefärbt. Jhre äußere oder vordere Fläche iſt mit ſtahlhartem Schmelz belegt, und
dieſer bildet auch die ſcharfe Spitze oder den breiten, ſchneidenden Meiſelrand. Der übrige Zahn
beſteht aus der gewöhnlichen Zahnmaſſe. Bei der ausgedehnten Benutzung dieſer Hauptzähne würden
ſie ſich in kurzer Zeit abſtumpfen oder abnutzen, hätte die Natur hier nicht in ſehr eigenthümlicher
Weiſe für ihre Unterhaltung geſorgt. Die Nagezähne haben nämlich einen großen Vorzug vor allen
übrigen Zähnen des Säugethiergebiſſes: ſie ſind nicht nur weit feſter als dieſe, ſondern ihr Wachs-
thum iſt auch unbeſchränkt. Die Zahnwurzel liegt in einer Alveole oder Zahnhöhle, welche ſich
weit in dem Kiefer einbohrt, und enthält an dem hinteren, offenen Ende in einer trichterförmigen
Einbuchtung einen bleibenden Keim, welcher ununterbrochen den Zahn in demſelben Grade ergänzt,
wie er ſich vorn abnutzt. Die feine Schärfe der Schneide wird durch gegenſeitiges Aufeinander-
reiben und dadurch bewirktes Abſchleifen der Zähne erhalten; beide Kiefern können auch blos ſenkrecht
von vorn nach hinten wirken. So vereinigen dieſe Zähne alles Erforderliche, um dem ungeheuren
Kraftaufwande, welchen das Nagen beanſprucht, gewachſen zu ſein. Von dem beſtändigen Wachs-
thume der Nagezähne überzeugt man ſich leicht, wenn man einem Nager, einem Kaninchen z. B., einen
ſeiner Nagezähne gewaltſam abbricht. Dann wächſt der gegenſtändige, weil er nun nicht mehr abge-
nutzt wird, raſch weiter, tritt in einem engen Bogen aus dem Maule hervor und rollt ſich gehörn-
artig ein, hierdurch das ganze Gebiß verſtümmelnd und die Ernährung des Thieres im höchſten
Grade erſchwerend.
Die Lippen der Nager ſind mit Schnurren beſetzt und meiſt ſehr beweglich. Bei vielen öffnen
ſich an der Jnnenſeite Backentaſchen, welche ſich bis an die Schultergegend ausdehnen und bei der
Einſammlung der Nahrung als Vorrathsſäcke dienen. Ein beſonderer Muskel zieht dieſe Taſchen
zurück, wenn ſie gefüllt werden ſollen. Die Ausleerung derſelben geſchieht durch den Druck der
Vorderpfoten.
Von den inneren Theilen ſind die Speicheldrüſen gewöhnlich ſehr ſtark entwickelt. Der Magen
iſt einfach, doch bisweilen durch Einſchnürung in zwei Abſchnitte getheilt. Die Länge des Darm-
ſchlauches beträgt die fünf- bis ſiebzehnfache Leibeslänge. Die Eileiter der Weibchen gehen jeder
für ſich in einen Fruchthalter von darmförmiger Geſtalt über, welcher dann in der langen Scheide
mündet. Das Gehirn deutet auf geringe geiſtige Fähigkeiten. Die Halbkugeln des großen Gehirnes
ſind klein und die Windungen ſchwach; dagegen ſind die Sinneswerkzeuge gleichmäßig und ziemlich
vollkommen entwickelt.
Die Nager erſchienen mit dem Anfange der tertiären Schöpfungszeit einzeln und während der
Diluvialzeit bereits in Menge auf unſerer Erde. Gegenwärtig ſind ſie über alle Erdtheile verbreitet.
Sie finden ſich in allen Klimaten der Breite und Höhe, ſoweit die Pflanzenwelt reicht. „Mitten in
ewigem Schnee und Eiſe,‟ ſagt Blaſius, „wo ſtellenweiſe noch ein warmer Sonnenſtrahl nur
auf wenige Wochen ein kurzes und kümmerliches Pflanzenleben hervorlockt, auf den ſtillen, einſamen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/74>, abgerufen am 27.11.2024.
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