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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Seehunde.
wenigstens berichten die Reisenden. Jhre eigentliche Wohnstätte ist und bleibt das Wasser. Auf
dem Lande sind sie sehr unbehilfliche Thiere, im Wasser bewegen sie sich mit der größten Leichtigkeit.
Mühsam klimmen sie vom Strande aus an den Klippen oder an den schwimmenden Eisbergen empor
und strecken sich dort behaglich auf den festen Boden, um sich zu sonnen; bei Gefahr flüchten sie so
rasch als möglich wieder in die ihnen so freundliche Tiefe des Meeres. Sie schwimmen und tau-
chen mit größter Meisterschaft. Es ist ihnen gleich, ob ihr Leib mit der Oberseite nach oben oder
nach unten liegt; sie bewegen sich sogar, wie ich nach eigenen Beobachtungen verbürgen kann, rück-
wärts.
Jede Wendung und Drehung, jede Ortsveränderung überhaupt führen sie im Wasser mit
größter Schnelligkeit und Sicherheit aus: auf dem Lande dagegen haben sie sämmtlich nur eine Art,
sich fortzuschaffen. Es geschieht in derselben Weise, wie manche Raupenarten sich bewegen. Die
Beine werden zum Gange so gut als nicht gebraucht. Der Seehund, welcher auf dem Lande von
einer Stelle zur anderen kommen will, wirft sich fest auf die Brust, krümmt den Leib in einen
Katzenbuckel nach oben, stemmt sich dann auf den Hintertheil, also etwa auf die Weichen, und streckt
nun rasch den Leib, wodurch er das Vordertheil desselben wieder vorwärts wirft. So kommt
das Thier durch wechselseitiges Aufstemmen des Vorder- und Hinterleibes, durch Krümmen und
Strecken des ganzen Körpers verhältnißmäßig rasch von der Stelle. Die Beine leisten dabei
eigentlich gar keine Dienste; sie werden nur in Anspruch genommen, wenn der Seehund bergauf
klimmt. Auf ebenem Boden stemmt er sie zwar manchmal mit auf, immer aber so leicht, daß die
Hilfe, welche sie leisten, eigentlich mehr eine scheinbare, als wirkliche ist. Jch habe die Spuren
der Seehunde sehr genau untersucht und gefunden, daß man auf große Strecken hin in dem reinen
und weichen Sande gar keine Eindrücke der Vorderhände findet, was doch der Fall sein müßte,
wenn das Thier wirklich auf seinen Vorderfüßen ginge. Manchmal legt der Seehund seine beiden
Ruder an den Leib und humpelt eben so rasch vorwärts, als wenn er sie mit gebrauchen wollte:
kurz, zum Gehen sind seine Flossenbeine nicht eingerichtet. Dagegen benutzt er sie, und zwar in sehr
geschickter Weise, wie die Affen oder Katzen, um sich zu putzen, zu kratzen, zu glätten, ja, um
Etwas mit ihnen festzuhalten, z. B. das Junge an die Brust zu drücken.

Alle Seehunde sind im hohen Grade gesellig. Einzelne sieht man fast nie. Je einsamer die
Gegend, um so zahlreicher sind die Herden oder Familien; je weniger der Mensch mit ihnen zusam-
menkommt, um so behäbiger, ich möchte sagen gemüthlicher, zeigen sich die in bewohnten Gegenden
überaus scheuen Geschöpfe. Der Mensch ist offenbar der furchtbarste und blutdürstigste Feind der
Wehrlosen: alle übrigen Raubthiere, welche ihnen gefährlich werden könnten, zeigen sich ihnen
gegenüber viel -- "menschlicher", als der Beherrscher der Erde, und daher kommt's denn auch,
daß man unsere Thiere nur da wirklich beobachten kann, wo sie fern von dem Erzfeinde der Schöpfung
sich aufhalten.

Nicht alle Seehunde bewohnen jahraus jahrein dieselbe Gegend. Manche unternehmen weite
Wanderungen. Während dieser Züge sind sie Tag und Nacht in Bewegung, ruhen aber auf günstig
gelegenen Jnseln tage- und wochenlang aus, ehe sie die Reise fortsetzen.

Die Lebensweise der Robben ist eine nächtliche. Den Tag bringen sie am liebsten auf dem
Lande zu, schlafend und sich sonnend. Hier sind sie in jeder Hinsicht das gerade Gegentheil von
Dem, was sie im Wasser waren. Von der Behendigkeit und Schnelligkeit, welche sie in ihrem
eigentlichen Elemente zeigen, bemerkt man am Lande keine Spur; sie erscheinen uns vielmehr als
das vollendetste Bild der Faulheit. Jede Störung aus ihrer bequemen Lage ist ihnen höchst ver-
haßt: manche Arten sind kaum zur Flucht zu bewegen. Mit größter Wonne dehnen und recken sie
sich auf ihrem Lager und bieten bald den Rücken, bald die Seite, bald den Unterleib den freund-
lichen Strahlen der Sonne dar, kneifen die Augen zu, gähnen und zeigen sich überhaupt mehr todten
Fleischmassen, als lebenden Geschöpfen gleich; nur die regelmäßig sich öffnenden und schließenden
Nasenlöcher geben Kunde ihres Lebens. Wenn sie sich recht wohl befinden, vergessen sie oft tage-
und wochenlang Fressen und Saufen, und manche halten einen theilweisen Winterschlaf. Endlich

Die Seehunde.
wenigſtens berichten die Reiſenden. Jhre eigentliche Wohnſtätte iſt und bleibt das Waſſer. Auf
dem Lande ſind ſie ſehr unbehilfliche Thiere, im Waſſer bewegen ſie ſich mit der größten Leichtigkeit.
Mühſam klimmen ſie vom Strande aus an den Klippen oder an den ſchwimmenden Eisbergen empor
und ſtrecken ſich dort behaglich auf den feſten Boden, um ſich zu ſonnen; bei Gefahr flüchten ſie ſo
raſch als möglich wieder in die ihnen ſo freundliche Tiefe des Meeres. Sie ſchwimmen und tau-
chen mit größter Meiſterſchaft. Es iſt ihnen gleich, ob ihr Leib mit der Oberſeite nach oben oder
nach unten liegt; ſie bewegen ſich ſogar, wie ich nach eigenen Beobachtungen verbürgen kann, rück-
wärts.
Jede Wendung und Drehung, jede Ortsveränderung überhaupt führen ſie im Waſſer mit
größter Schnelligkeit und Sicherheit aus: auf dem Lande dagegen haben ſie ſämmtlich nur eine Art,
ſich fortzuſchaffen. Es geſchieht in derſelben Weiſe, wie manche Raupenarten ſich bewegen. Die
Beine werden zum Gange ſo gut als nicht gebraucht. Der Seehund, welcher auf dem Lande von
einer Stelle zur anderen kommen will, wirft ſich feſt auf die Bruſt, krümmt den Leib in einen
Katzenbuckel nach oben, ſtemmt ſich dann auf den Hintertheil, alſo etwa auf die Weichen, und ſtreckt
nun raſch den Leib, wodurch er das Vordertheil deſſelben wieder vorwärts wirft. So kommt
das Thier durch wechſelſeitiges Aufſtemmen des Vorder- und Hinterleibes, durch Krümmen und
Strecken des ganzen Körpers verhältnißmäßig raſch von der Stelle. Die Beine leiſten dabei
eigentlich gar keine Dienſte; ſie werden nur in Anſpruch genommen, wenn der Seehund bergauf
klimmt. Auf ebenem Boden ſtemmt er ſie zwar manchmal mit auf, immer aber ſo leicht, daß die
Hilfe, welche ſie leiſten, eigentlich mehr eine ſcheinbare, als wirkliche iſt. Jch habe die Spuren
der Seehunde ſehr genau unterſucht und gefunden, daß man auf große Strecken hin in dem reinen
und weichen Sande gar keine Eindrücke der Vorderhände findet, was doch der Fall ſein müßte,
wenn das Thier wirklich auf ſeinen Vorderfüßen ginge. Manchmal legt der Seehund ſeine beiden
Ruder an den Leib und humpelt eben ſo raſch vorwärts, als wenn er ſie mit gebrauchen wollte:
kurz, zum Gehen ſind ſeine Floſſenbeine nicht eingerichtet. Dagegen benutzt er ſie, und zwar in ſehr
geſchickter Weiſe, wie die Affen oder Katzen, um ſich zu putzen, zu kratzen, zu glätten, ja, um
Etwas mit ihnen feſtzuhalten, z. B. das Junge an die Bruſt zu drücken.

Alle Seehunde ſind im hohen Grade geſellig. Einzelne ſieht man faſt nie. Je einſamer die
Gegend, um ſo zahlreicher ſind die Herden oder Familien; je weniger der Menſch mit ihnen zuſam-
menkommt, um ſo behäbiger, ich möchte ſagen gemüthlicher, zeigen ſich die in bewohnten Gegenden
überaus ſcheuen Geſchöpfe. Der Menſch iſt offenbar der furchtbarſte und blutdürſtigſte Feind der
Wehrloſen: alle übrigen Raubthiere, welche ihnen gefährlich werden könnten, zeigen ſich ihnen
gegenüber viel — „menſchlicher‟, als der Beherrſcher der Erde, und daher kommt’s denn auch,
daß man unſere Thiere nur da wirklich beobachten kann, wo ſie fern von dem Erzfeinde der Schöpfung
ſich aufhalten.

Nicht alle Seehunde bewohnen jahraus jahrein dieſelbe Gegend. Manche unternehmen weite
Wanderungen. Während dieſer Züge ſind ſie Tag und Nacht in Bewegung, ruhen aber auf günſtig
gelegenen Jnſeln tage- und wochenlang aus, ehe ſie die Reiſe fortſetzen.

Die Lebensweiſe der Robben iſt eine nächtliche. Den Tag bringen ſie am liebſten auf dem
Lande zu, ſchlafend und ſich ſonnend. Hier ſind ſie in jeder Hinſicht das gerade Gegentheil von
Dem, was ſie im Waſſer waren. Von der Behendigkeit und Schnelligkeit, welche ſie in ihrem
eigentlichen Elemente zeigen, bemerkt man am Lande keine Spur; ſie erſcheinen uns vielmehr als
das vollendetſte Bild der Faulheit. Jede Störung aus ihrer bequemen Lage iſt ihnen höchſt ver-
haßt: manche Arten ſind kaum zur Flucht zu bewegen. Mit größter Wonne dehnen und recken ſie
ſich auf ihrem Lager und bieten bald den Rücken, bald die Seite, bald den Unterleib den freund-
lichen Strahlen der Sonne dar, kneifen die Augen zu, gähnen und zeigen ſich überhaupt mehr todten
Fleiſchmaſſen, als lebenden Geſchöpfen gleich; nur die regelmäßig ſich öffnenden und ſchließenden
Naſenlöcher geben Kunde ihres Lebens. Wenn ſie ſich recht wohl befinden, vergeſſen ſie oft tage-
und wochenlang Freſſen und Saufen, und manche halten einen theilweiſen Winterſchlaf. Endlich

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[781/0829] Die Seehunde. wenigſtens berichten die Reiſenden. Jhre eigentliche Wohnſtätte iſt und bleibt das Waſſer. Auf dem Lande ſind ſie ſehr unbehilfliche Thiere, im Waſſer bewegen ſie ſich mit der größten Leichtigkeit. Mühſam klimmen ſie vom Strande aus an den Klippen oder an den ſchwimmenden Eisbergen empor und ſtrecken ſich dort behaglich auf den feſten Boden, um ſich zu ſonnen; bei Gefahr flüchten ſie ſo raſch als möglich wieder in die ihnen ſo freundliche Tiefe des Meeres. Sie ſchwimmen und tau- chen mit größter Meiſterſchaft. Es iſt ihnen gleich, ob ihr Leib mit der Oberſeite nach oben oder nach unten liegt; ſie bewegen ſich ſogar, wie ich nach eigenen Beobachtungen verbürgen kann, rück- wärts. Jede Wendung und Drehung, jede Ortsveränderung überhaupt führen ſie im Waſſer mit größter Schnelligkeit und Sicherheit aus: auf dem Lande dagegen haben ſie ſämmtlich nur eine Art, ſich fortzuſchaffen. Es geſchieht in derſelben Weiſe, wie manche Raupenarten ſich bewegen. Die Beine werden zum Gange ſo gut als nicht gebraucht. Der Seehund, welcher auf dem Lande von einer Stelle zur anderen kommen will, wirft ſich feſt auf die Bruſt, krümmt den Leib in einen Katzenbuckel nach oben, ſtemmt ſich dann auf den Hintertheil, alſo etwa auf die Weichen, und ſtreckt nun raſch den Leib, wodurch er das Vordertheil deſſelben wieder vorwärts wirft. So kommt das Thier durch wechſelſeitiges Aufſtemmen des Vorder- und Hinterleibes, durch Krümmen und Strecken des ganzen Körpers verhältnißmäßig raſch von der Stelle. Die Beine leiſten dabei eigentlich gar keine Dienſte; ſie werden nur in Anſpruch genommen, wenn der Seehund bergauf klimmt. Auf ebenem Boden ſtemmt er ſie zwar manchmal mit auf, immer aber ſo leicht, daß die Hilfe, welche ſie leiſten, eigentlich mehr eine ſcheinbare, als wirkliche iſt. Jch habe die Spuren der Seehunde ſehr genau unterſucht und gefunden, daß man auf große Strecken hin in dem reinen und weichen Sande gar keine Eindrücke der Vorderhände findet, was doch der Fall ſein müßte, wenn das Thier wirklich auf ſeinen Vorderfüßen ginge. Manchmal legt der Seehund ſeine beiden Ruder an den Leib und humpelt eben ſo raſch vorwärts, als wenn er ſie mit gebrauchen wollte: kurz, zum Gehen ſind ſeine Floſſenbeine nicht eingerichtet. Dagegen benutzt er ſie, und zwar in ſehr geſchickter Weiſe, wie die Affen oder Katzen, um ſich zu putzen, zu kratzen, zu glätten, ja, um Etwas mit ihnen feſtzuhalten, z. B. das Junge an die Bruſt zu drücken. Alle Seehunde ſind im hohen Grade geſellig. Einzelne ſieht man faſt nie. Je einſamer die Gegend, um ſo zahlreicher ſind die Herden oder Familien; je weniger der Menſch mit ihnen zuſam- menkommt, um ſo behäbiger, ich möchte ſagen gemüthlicher, zeigen ſich die in bewohnten Gegenden überaus ſcheuen Geſchöpfe. Der Menſch iſt offenbar der furchtbarſte und blutdürſtigſte Feind der Wehrloſen: alle übrigen Raubthiere, welche ihnen gefährlich werden könnten, zeigen ſich ihnen gegenüber viel — „menſchlicher‟, als der Beherrſcher der Erde, und daher kommt’s denn auch, daß man unſere Thiere nur da wirklich beobachten kann, wo ſie fern von dem Erzfeinde der Schöpfung ſich aufhalten. Nicht alle Seehunde bewohnen jahraus jahrein dieſelbe Gegend. Manche unternehmen weite Wanderungen. Während dieſer Züge ſind ſie Tag und Nacht in Bewegung, ruhen aber auf günſtig gelegenen Jnſeln tage- und wochenlang aus, ehe ſie die Reiſe fortſetzen. Die Lebensweiſe der Robben iſt eine nächtliche. Den Tag bringen ſie am liebſten auf dem Lande zu, ſchlafend und ſich ſonnend. Hier ſind ſie in jeder Hinſicht das gerade Gegentheil von Dem, was ſie im Waſſer waren. Von der Behendigkeit und Schnelligkeit, welche ſie in ihrem eigentlichen Elemente zeigen, bemerkt man am Lande keine Spur; ſie erſcheinen uns vielmehr als das vollendetſte Bild der Faulheit. Jede Störung aus ihrer bequemen Lage iſt ihnen höchſt ver- haßt: manche Arten ſind kaum zur Flucht zu bewegen. Mit größter Wonne dehnen und recken ſie ſich auf ihrem Lager und bieten bald den Rücken, bald die Seite, bald den Unterleib den freund- lichen Strahlen der Sonne dar, kneifen die Augen zu, gähnen und zeigen ſich überhaupt mehr todten Fleiſchmaſſen, als lebenden Geſchöpfen gleich; nur die regelmäßig ſich öffnenden und ſchließenden Naſenlöcher geben Kunde ihres Lebens. Wenn ſie ſich recht wohl befinden, vergeſſen ſie oft tage- und wochenlang Freſſen und Saufen, und manche halten einen theilweiſen Winterſchlaf. Endlich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 781. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/829>, abgerufen am 23.11.2024.