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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Seeelefant oder die große Rüsselrobbe.
fen ruhig auf die Wellen, lassen sich treiben, jagen eifrig und geschickt ihrer Nahrung, haupt-
sächlich Sepien und Fischen nach, und wissen selbst Wasservögel, z. B. Pinguine, schwimmend zu
erreichen. Eigenthümlich ist, daß sie auch eine Menge von Tangen und oft Steine verschlingen.
So fand Förster in einem Magen zwölf runde Steine, jeden zwei Fäuste groß, welche so schwer
wogen, daß er kaum begreifen konnte, wie die Wände des Magens die Last auszuhalten ver-
mochten.

Jhre Sinnesfähigkeiten sollen sehr gering sein. Auf dem Lande sehen sie deutlich nur in
der Nähe; das Gehör ist sehr schlecht; das Gefühl wird durch die dicke Fettlage auf dem Kör-
per abgestumpft, und der Geruch soll auch nicht besonders entwickelt sein. Sie sind im höchsten
Grade geistesstumpfe Thiere, welche nur selten aus ihrer faulen Ruhe sich aufstören lassen. Man
nennt sie sanft und verträglich, weil man nie gesehen hat, daß sie auf einen Menschen losgegan-
gen wären, welcher sie nicht lange vorher gereizt hatte. Man kann zwischen ihnen baden, und kleine
Robben einer anderen Gattung schwimmen sicher unter ihnen herum. Pernetty versichert, daß
seine Matrosen auf den Seeelefanten wie auf Pferden geritten wären, und dieselben, wenn sie zu
langsam gingen, durch Messerstiche zu einem hurtigeren Gange angetrieben hätten; er erzählt auch,
daß ein englischer Fischer eins der Thiere liebgewonnen und vor den Nachstellungen seiner Kame-
raden geschützt habe. Es lebte lange friedlich und verschont, während die anderen in seiner Nähe
nach und nach getödtet wurden. Der Fischer näherte sich ihm täglich, um es zu liebkosen, und
in wenig Monaten hatte er es so zahm gemacht, daß er es zu sich rufen, ihm auf den Rücken
streichen und den Arm ins Maul stecken konnte. Zum Unglück bekam der Fischer einmal Streit
mit seinen Genossen, und diese waren niederträchtig genug, das Lieblingsthier ihres Feindes aus
Rache zu tödten.

Die Brunstzeit fällt zwischen die Monate September und Januar. Sie bringt etwas Leben
unter die Herde. Wüthend kämpfen die Männchen um die Weibchen, obgleich diese in größerer
Anzahl vorhanden sind, als jene. Unter eigenthümlichem Grunzen und gurgelnden Lauten rücken
die Kämpfer auf einander los. Der Rüssel wird lang aufgeblasen, das Maul weit geöffnet, und
nunmehr geht das gegenseitige Beißen an. Dabei zeigen sie sich im höchsten Grade unempfind-
lich, denn sie streiten, auch wenn sie ein Auge verloren oder andere Verletzungen erlitten haben
sollten, bis zur äußersten Erschöpfung mit einander fort. Die Wunden heilen übrigens mit un-
glaublicher Schnelligkeit; daher kommt es auch, daß nur selten einer der Streiter seinen Zweikämpfen
unterliegt. Alte Männchen sind über und über mit Narben bedeckt, und unter Tausenden findet man
kaum eins, dessen Fell nicht durch Bisse zerrissen wäre. Die Weibchen schauen scheinbar theil-
nahmslos, aber doch erfreut den Kämpfen zu, und folgen dem Sieger dann ohne Widerstreben in
das Meer hinab, wo er durch Liebkosungen sich vollends die Gunst seines Harems erwirbt. Zehn
Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Juli und August, und in Patagonien Anfangs No-
vember, etwa einen Monat nach der Ankunft auf den Eilanden, erfolgt der Wurf der
Jungen. Diese sind große, schon 4 bis 5 Fuß lange und 70 Pfund schwere Geschöpfe, welche
nun acht Wochen lang von der Mutter gesäugt und sorgfältig gehütet werden. Während dieser
ganzen acht Wochen bleibt die Familie auf dem Lande, ohne irgend Etwas zu fressen. Schon nach
acht Tagen ist der Säugling um 4 Schuh länger und um die Hälfte schwerer; nach vierzehn Tagen
wachsen die ersten Zähne; nach vier Monaten ist das Gebiß vollständig. Je stärker das Junge
wird, um so mehr magert die Alte ab, welche nur von ihrem Fette zehrt. Jn der sechsten oder sieben-
ten Woche seines Alters wird das Junge in das Meer geführt. Der ganze Haufen entfernt sich
langsam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter in das Meer hinaus. Hier verweilt er
bis zur nächsten Paarung, und dann beginnt eine neue Reise. Die Jungen folgen der Hauptmasse
auf allen diesen Wanderungen, werden aber schon nach wenigen Monaten von der Alten verstoßen.
Jm dritten Jahre erscheint beim Männchen der Rüssel; von da an wächst es nur wenig in die

Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe.
fen ruhig auf die Wellen, laſſen ſich treiben, jagen eifrig und geſchickt ihrer Nahrung, haupt-
ſächlich Sepien und Fiſchen nach, und wiſſen ſelbſt Waſſervögel, z. B. Pinguine, ſchwimmend zu
erreichen. Eigenthümlich iſt, daß ſie auch eine Menge von Tangen und oft Steine verſchlingen.
So fand Förſter in einem Magen zwölf runde Steine, jeden zwei Fäuſte groß, welche ſo ſchwer
wogen, daß er kaum begreifen konnte, wie die Wände des Magens die Laſt auszuhalten ver-
mochten.

Jhre Sinnesfähigkeiten ſollen ſehr gering ſein. Auf dem Lande ſehen ſie deutlich nur in
der Nähe; das Gehör iſt ſehr ſchlecht; das Gefühl wird durch die dicke Fettlage auf dem Kör-
per abgeſtumpft, und der Geruch ſoll auch nicht beſonders entwickelt ſein. Sie ſind im höchſten
Grade geiſtesſtumpfe Thiere, welche nur ſelten aus ihrer faulen Ruhe ſich aufſtören laſſen. Man
nennt ſie ſanft und verträglich, weil man nie geſehen hat, daß ſie auf einen Menſchen losgegan-
gen wären, welcher ſie nicht lange vorher gereizt hatte. Man kann zwiſchen ihnen baden, und kleine
Robben einer anderen Gattung ſchwimmen ſicher unter ihnen herum. Pernetty verſichert, daß
ſeine Matroſen auf den Seeelefanten wie auf Pferden geritten wären, und dieſelben, wenn ſie zu
langſam gingen, durch Meſſerſtiche zu einem hurtigeren Gange angetrieben hätten; er erzählt auch,
daß ein engliſcher Fiſcher eins der Thiere liebgewonnen und vor den Nachſtellungen ſeiner Kame-
raden geſchützt habe. Es lebte lange friedlich und verſchont, während die anderen in ſeiner Nähe
nach und nach getödtet wurden. Der Fiſcher näherte ſich ihm täglich, um es zu liebkoſen, und
in wenig Monaten hatte er es ſo zahm gemacht, daß er es zu ſich rufen, ihm auf den Rücken
ſtreichen und den Arm ins Maul ſtecken konnte. Zum Unglück bekam der Fiſcher einmal Streit
mit ſeinen Genoſſen, und dieſe waren niederträchtig genug, das Lieblingsthier ihres Feindes aus
Rache zu tödten.

Die Brunſtzeit fällt zwiſchen die Monate September und Januar. Sie bringt etwas Leben
unter die Herde. Wüthend kämpfen die Männchen um die Weibchen, obgleich dieſe in größerer
Anzahl vorhanden ſind, als jene. Unter eigenthümlichem Grunzen und gurgelnden Lauten rücken
die Kämpfer auf einander los. Der Rüſſel wird lang aufgeblaſen, das Maul weit geöffnet, und
nunmehr geht das gegenſeitige Beißen an. Dabei zeigen ſie ſich im höchſten Grade unempfind-
lich, denn ſie ſtreiten, auch wenn ſie ein Auge verloren oder andere Verletzungen erlitten haben
ſollten, bis zur äußerſten Erſchöpfung mit einander fort. Die Wunden heilen übrigens mit un-
glaublicher Schnelligkeit; daher kommt es auch, daß nur ſelten einer der Streiter ſeinen Zweikämpfen
unterliegt. Alte Männchen ſind über und über mit Narben bedeckt, und unter Tauſenden findet man
kaum eins, deſſen Fell nicht durch Biſſe zerriſſen wäre. Die Weibchen ſchauen ſcheinbar theil-
nahmslos, aber doch erfreut den Kämpfen zu, und folgen dem Sieger dann ohne Widerſtreben in
das Meer hinab, wo er durch Liebkoſungen ſich vollends die Gunſt ſeines Harems erwirbt. Zehn
Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Juli und Auguſt, und in Patagonien Anfangs No-
vember, etwa einen Monat nach der Ankunft auf den Eilanden, erfolgt der Wurf der
Jungen. Dieſe ſind große, ſchon 4 bis 5 Fuß lange und 70 Pfund ſchwere Geſchöpfe, welche
nun acht Wochen lang von der Mutter geſäugt und ſorgfältig gehütet werden. Während dieſer
ganzen acht Wochen bleibt die Familie auf dem Lande, ohne irgend Etwas zu freſſen. Schon nach
acht Tagen iſt der Säugling um 4 Schuh länger und um die Hälfte ſchwerer; nach vierzehn Tagen
wachſen die erſten Zähne; nach vier Monaten iſt das Gebiß vollſtändig. Je ſtärker das Junge
wird, um ſo mehr magert die Alte ab, welche nur von ihrem Fette zehrt. Jn der ſechſten oder ſieben-
ten Woche ſeines Alters wird das Junge in das Meer geführt. Der ganze Haufen entfernt ſich
langſam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter in das Meer hinaus. Hier verweilt er
bis zur nächſten Paarung, und dann beginnt eine neue Reiſe. Die Jungen folgen der Hauptmaſſe
auf allen dieſen Wanderungen, werden aber ſchon nach wenigen Monaten von der Alten verſtoßen.
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[805/0853] Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe. fen ruhig auf die Wellen, laſſen ſich treiben, jagen eifrig und geſchickt ihrer Nahrung, haupt- ſächlich Sepien und Fiſchen nach, und wiſſen ſelbſt Waſſervögel, z. B. Pinguine, ſchwimmend zu erreichen. Eigenthümlich iſt, daß ſie auch eine Menge von Tangen und oft Steine verſchlingen. So fand Förſter in einem Magen zwölf runde Steine, jeden zwei Fäuſte groß, welche ſo ſchwer wogen, daß er kaum begreifen konnte, wie die Wände des Magens die Laſt auszuhalten ver- mochten. Jhre Sinnesfähigkeiten ſollen ſehr gering ſein. Auf dem Lande ſehen ſie deutlich nur in der Nähe; das Gehör iſt ſehr ſchlecht; das Gefühl wird durch die dicke Fettlage auf dem Kör- per abgeſtumpft, und der Geruch ſoll auch nicht beſonders entwickelt ſein. Sie ſind im höchſten Grade geiſtesſtumpfe Thiere, welche nur ſelten aus ihrer faulen Ruhe ſich aufſtören laſſen. Man nennt ſie ſanft und verträglich, weil man nie geſehen hat, daß ſie auf einen Menſchen losgegan- gen wären, welcher ſie nicht lange vorher gereizt hatte. Man kann zwiſchen ihnen baden, und kleine Robben einer anderen Gattung ſchwimmen ſicher unter ihnen herum. Pernetty verſichert, daß ſeine Matroſen auf den Seeelefanten wie auf Pferden geritten wären, und dieſelben, wenn ſie zu langſam gingen, durch Meſſerſtiche zu einem hurtigeren Gange angetrieben hätten; er erzählt auch, daß ein engliſcher Fiſcher eins der Thiere liebgewonnen und vor den Nachſtellungen ſeiner Kame- raden geſchützt habe. Es lebte lange friedlich und verſchont, während die anderen in ſeiner Nähe nach und nach getödtet wurden. Der Fiſcher näherte ſich ihm täglich, um es zu liebkoſen, und in wenig Monaten hatte er es ſo zahm gemacht, daß er es zu ſich rufen, ihm auf den Rücken ſtreichen und den Arm ins Maul ſtecken konnte. Zum Unglück bekam der Fiſcher einmal Streit mit ſeinen Genoſſen, und dieſe waren niederträchtig genug, das Lieblingsthier ihres Feindes aus Rache zu tödten. Die Brunſtzeit fällt zwiſchen die Monate September und Januar. Sie bringt etwas Leben unter die Herde. Wüthend kämpfen die Männchen um die Weibchen, obgleich dieſe in größerer Anzahl vorhanden ſind, als jene. Unter eigenthümlichem Grunzen und gurgelnden Lauten rücken die Kämpfer auf einander los. Der Rüſſel wird lang aufgeblaſen, das Maul weit geöffnet, und nunmehr geht das gegenſeitige Beißen an. Dabei zeigen ſie ſich im höchſten Grade unempfind- lich, denn ſie ſtreiten, auch wenn ſie ein Auge verloren oder andere Verletzungen erlitten haben ſollten, bis zur äußerſten Erſchöpfung mit einander fort. Die Wunden heilen übrigens mit un- glaublicher Schnelligkeit; daher kommt es auch, daß nur ſelten einer der Streiter ſeinen Zweikämpfen unterliegt. Alte Männchen ſind über und über mit Narben bedeckt, und unter Tauſenden findet man kaum eins, deſſen Fell nicht durch Biſſe zerriſſen wäre. Die Weibchen ſchauen ſcheinbar theil- nahmslos, aber doch erfreut den Kämpfen zu, und folgen dem Sieger dann ohne Widerſtreben in das Meer hinab, wo er durch Liebkoſungen ſich vollends die Gunſt ſeines Harems erwirbt. Zehn Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Juli und Auguſt, und in Patagonien Anfangs No- vember, etwa einen Monat nach der Ankunft auf den Eilanden, erfolgt der Wurf der Jungen. Dieſe ſind große, ſchon 4 bis 5 Fuß lange und 70 Pfund ſchwere Geſchöpfe, welche nun acht Wochen lang von der Mutter geſäugt und ſorgfältig gehütet werden. Während dieſer ganzen acht Wochen bleibt die Familie auf dem Lande, ohne irgend Etwas zu freſſen. Schon nach acht Tagen iſt der Säugling um 4 Schuh länger und um die Hälfte ſchwerer; nach vierzehn Tagen wachſen die erſten Zähne; nach vier Monaten iſt das Gebiß vollſtändig. Je ſtärker das Junge wird, um ſo mehr magert die Alte ab, welche nur von ihrem Fette zehrt. Jn der ſechſten oder ſieben- ten Woche ſeines Alters wird das Junge in das Meer geführt. Der ganze Haufen entfernt ſich langſam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter in das Meer hinaus. Hier verweilt er bis zur nächſten Paarung, und dann beginnt eine neue Reiſe. Die Jungen folgen der Hauptmaſſe auf allen dieſen Wanderungen, werden aber ſchon nach wenigen Monaten von der Alten verſtoßen. Jm dritten Jahre erſcheint beim Männchen der Rüſſel; von da an wächſt es nur wenig in die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/853>, abgerufen am 23.11.2024.