zuwerfen. Die beste Vertheidigung in solcher Gefahr ist Seesand, welchen man den wüthenden Thieren in die Augen wirft; er nöthigt sie gewiß, sich zu entfernen, während man die Büchse oft vergeblich gebraucht. Mein Vater erlegte einmal ein Walroß mit einer Lanze, auf welches er vorher mit der Büchse geschossen hatte. Nachdem er den Kopf, den die Kugel getroffen hatte, unter- suchte, fand er, daß sie bis auf den Schädel gedrungen war, sich aber hier platt geschlagen hatte."
Schon der alte Martens weiß von dem Muthe der Walrosse zu erzählen und sagt, daß sie einander bis in den Tod beistehen. "Wird eins gefangen, so will jedes vor dem anderen an der Schaluppe sein, um es zu retten; dabei geht es an ein Beißen, Klappern und schreckliches Brüllen. Sie weichen auch nicht, solange es lebt, und folgen der Schaluppe, bis man sie endlich aus dem Gesicht verliert; denn wegen ihrer Menge hindern sie einander, beißen sich auch wohl und bleiben zurück."
Die Seefahrer versichern, daß jedes Männchen mit einem bestimmten Weibchen verbunden wäre und dieses treu begleite. Jm Juni und Juli findet auf dem Lande die Paarung statt. Die Männ- chen bestehen heftige Kämpfe unter einander und reißen sich mit ihren Zähnen gegenseitig tiefe Schrammen in das Fell, woher es kommt, daß man selten eins ohne die Narben solcher Wunden findet. Solange sie liebeserregt sind, brüllen und toben sie beständig. Jm Mai, oft schon im April, also nach etwa neunmonatlicher Tragzeit, wirft das Weibchen ein Junges; wenigstens be- merkten die neueren Beobachter niemals deren zwei oder gar drei bei einer Mutter, wie die älteren angegeben. Alle Seefahrer sind darin einstimmig, daß die Mutter ihr Junges aufs äußerste und mit Gefahr ihres eigenen Lebens vertheidigt, im Wasser sowohl, wie auf dem Eise. Sobald sich Gefahr zeigt, stürzt die besorgte Alte mit ihrem Jungen in die offene See. Sie packt das Kleine mit der Vorderflosse oder trägt es auf dem Rücken. Erlegt man die Mutter, so ergibt sich das Junge widerstandslos seinen Feinden; erlegt man aber das Junge zuerst, so hat man noch harte Kämpfe zu bestehen. Selbst wenn die Herde flüchten sollte, tauchen die Alten von Zeit zu Zeit unter fürchterlichem Gebrüll aus der Tiefe auf, schwimmen nach ihren erschossenen und auf dem Wasser treibenden Jungen hin, erfassen sie und tauchen mit ihnen wieder in die Tiefe nieder; sie nehmen solche Leichname sogar den Matrosen weg, in dem Augenblick, wo diese beschäf- tigt sind, sie in das Bot zu ziehen. Ein dem Jäger einmal entrissenes junges Walroß ist ver- loren, wenn die Mutter nicht auch getödtet wird; denn diese schleppt es meilenweit fort, auch über das Eis. Schwerverwundete werden von gesunden geleitet und fortgeschafft; letztere bewei- sen dabei großen Verstand, indem sie ihre unzurechnungsfähigen Gefährten abwechselnd zum Athem- holen aus dem Wasser emporheben und wieder in der sicheren Tiefe versenken.
Ungeachtet aller Gefahren, welche die Walroßjagd im Gefolge hat, verringert der Mensch die Herden von Jahr zu Jahr; denn der Nutzen des erlegten Thieres ist sehr bedeutend. Aus den Hauzähnen, welche hart, weiß und so dicht wie Elfenbein sind, schneidet man falsche Zähne, welche ihrer Güte halber hoch geschätzt sind. Die Haut wird als Ueberzug bei den Segelstangen und den Tauen der Schiffe angewandt oder in Riemen geschnitten und zu Seilen geflochten. Jn älteren Zeiten wurden fast alle Taue auf den Schiffen der nördlichen Länder nur aus dieser Haut gefertigt. Durch Gerben läßt sie sich in ein weiches, lockeres Leder verwandeln, welches zuweilen über einen Zoll dick, jedoch bei weitem nicht so nützlich und dauerhaft, als die Rohhaut ist. Die Koräken fertigen, wie Steller berichtet, Walfischnetze aus der Haut, die Tschuktschen gebrauchen sie zur Bedeckung ihrer Sommerwohnungen oder zur Bekleidung ihrer Kähne, welche sonst nur noch aus dem Holzgerüst bestehen. Auch das Fleisch wird gegessen, wenn auch nur von Denen, welche erst den Ekel vor dessen schwarzer Farbe überwunden haben; dagegen sind Herz und Leber wirklich schmackhaft. Der Speck kann zur Fettigung von Speisen verwendet oder in Lampen ge- brannt werden. Aus den Sehnen machen die Grönländer sich Faden zum Nähen u. s. w. Die bei- den Hauzähne sind aber immer das Werthvollste: man gewinnt aus ihrem Verkauf ebensoviel, als durch Verwerthung des Speckes und der Haut zusammen.
Das Walroß.
zuwerfen. Die beſte Vertheidigung in ſolcher Gefahr iſt Seeſand, welchen man den wüthenden Thieren in die Augen wirft; er nöthigt ſie gewiß, ſich zu entfernen, während man die Büchſe oft vergeblich gebraucht. Mein Vater erlegte einmal ein Walroß mit einer Lanze, auf welches er vorher mit der Büchſe geſchoſſen hatte. Nachdem er den Kopf, den die Kugel getroffen hatte, unter- ſuchte, fand er, daß ſie bis auf den Schädel gedrungen war, ſich aber hier platt geſchlagen hatte.‟
Schon der alte Martens weiß von dem Muthe der Walroſſe zu erzählen und ſagt, daß ſie einander bis in den Tod beiſtehen. „Wird eins gefangen, ſo will jedes vor dem anderen an der Schaluppe ſein, um es zu retten; dabei geht es an ein Beißen, Klappern und ſchreckliches Brüllen. Sie weichen auch nicht, ſolange es lebt, und folgen der Schaluppe, bis man ſie endlich aus dem Geſicht verliert; denn wegen ihrer Menge hindern ſie einander, beißen ſich auch wohl und bleiben zurück.‟
Die Seefahrer verſichern, daß jedes Männchen mit einem beſtimmten Weibchen verbunden wäre und dieſes treu begleite. Jm Juni und Juli findet auf dem Lande die Paarung ſtatt. Die Männ- chen beſtehen heftige Kämpfe unter einander und reißen ſich mit ihren Zähnen gegenſeitig tiefe Schrammen in das Fell, woher es kommt, daß man ſelten eins ohne die Narben ſolcher Wunden findet. Solange ſie liebeserregt ſind, brüllen und toben ſie beſtändig. Jm Mai, oft ſchon im April, alſo nach etwa neunmonatlicher Tragzeit, wirft das Weibchen ein Junges; wenigſtens be- merkten die neueren Beobachter niemals deren zwei oder gar drei bei einer Mutter, wie die älteren angegeben. Alle Seefahrer ſind darin einſtimmig, daß die Mutter ihr Junges aufs äußerſte und mit Gefahr ihres eigenen Lebens vertheidigt, im Waſſer ſowohl, wie auf dem Eiſe. Sobald ſich Gefahr zeigt, ſtürzt die beſorgte Alte mit ihrem Jungen in die offene See. Sie packt das Kleine mit der Vorderfloſſe oder trägt es auf dem Rücken. Erlegt man die Mutter, ſo ergibt ſich das Junge widerſtandslos ſeinen Feinden; erlegt man aber das Junge zuerſt, ſo hat man noch harte Kämpfe zu beſtehen. Selbſt wenn die Herde flüchten ſollte, tauchen die Alten von Zeit zu Zeit unter fürchterlichem Gebrüll aus der Tiefe auf, ſchwimmen nach ihren erſchoſſenen und auf dem Waſſer treibenden Jungen hin, erfaſſen ſie und tauchen mit ihnen wieder in die Tiefe nieder; ſie nehmen ſolche Leichname ſogar den Matroſen weg, in dem Augenblick, wo dieſe beſchäf- tigt ſind, ſie in das Bot zu ziehen. Ein dem Jäger einmal entriſſenes junges Walroß iſt ver- loren, wenn die Mutter nicht auch getödtet wird; denn dieſe ſchleppt es meilenweit fort, auch über das Eis. Schwerverwundete werden von geſunden geleitet und fortgeſchafft; letztere bewei- ſen dabei großen Verſtand, indem ſie ihre unzurechnungsfähigen Gefährten abwechſelnd zum Athem- holen aus dem Waſſer emporheben und wieder in der ſicheren Tiefe verſenken.
Ungeachtet aller Gefahren, welche die Walroßjagd im Gefolge hat, verringert der Menſch die Herden von Jahr zu Jahr; denn der Nutzen des erlegten Thieres iſt ſehr bedeutend. Aus den Hauzähnen, welche hart, weiß und ſo dicht wie Elfenbein ſind, ſchneidet man falſche Zähne, welche ihrer Güte halber hoch geſchätzt ſind. Die Haut wird als Ueberzug bei den Segelſtangen und den Tauen der Schiffe angewandt oder in Riemen geſchnitten und zu Seilen geflochten. Jn älteren Zeiten wurden faſt alle Taue auf den Schiffen der nördlichen Länder nur aus dieſer Haut gefertigt. Durch Gerben läßt ſie ſich in ein weiches, lockeres Leder verwandeln, welches zuweilen über einen Zoll dick, jedoch bei weitem nicht ſo nützlich und dauerhaft, als die Rohhaut iſt. Die Koräken fertigen, wie Steller berichtet, Walfiſchnetze aus der Haut, die Tſchuktſchen gebrauchen ſie zur Bedeckung ihrer Sommerwohnungen oder zur Bekleidung ihrer Kähne, welche ſonſt nur noch aus dem Holzgerüſt beſtehen. Auch das Fleiſch wird gegeſſen, wenn auch nur von Denen, welche erſt den Ekel vor deſſen ſchwarzer Farbe überwunden haben; dagegen ſind Herz und Leber wirklich ſchmackhaft. Der Speck kann zur Fettigung von Speiſen verwendet oder in Lampen ge- brannt werden. Aus den Sehnen machen die Grönländer ſich Faden zum Nähen u. ſ. w. Die bei- den Hauzähne ſind aber immer das Werthvollſte: man gewinnt aus ihrem Verkauf ebenſoviel, als durch Verwerthung des Speckes und der Haut zuſammen.
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[811/0859]
Das Walroß.
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Thieren in die Augen wirft; er nöthigt ſie gewiß, ſich zu entfernen, während man die Büchſe oft
vergeblich gebraucht. Mein Vater erlegte einmal ein Walroß mit einer Lanze, auf welches er vorher
mit der Büchſe geſchoſſen hatte. Nachdem er den Kopf, den die Kugel getroffen hatte, unter-
ſuchte, fand er, daß ſie bis auf den Schädel gedrungen war, ſich aber hier platt geſchlagen hatte.‟
Schon der alte Martens weiß von dem Muthe der Walroſſe zu erzählen und ſagt, daß
ſie einander bis in den Tod beiſtehen. „Wird eins gefangen, ſo will jedes vor dem anderen an
der Schaluppe ſein, um es zu retten; dabei geht es an ein Beißen, Klappern und ſchreckliches
Brüllen. Sie weichen auch nicht, ſolange es lebt, und folgen der Schaluppe, bis man ſie endlich
aus dem Geſicht verliert; denn wegen ihrer Menge hindern ſie einander, beißen ſich auch wohl und
bleiben zurück.‟
Die Seefahrer verſichern, daß jedes Männchen mit einem beſtimmten Weibchen verbunden wäre
und dieſes treu begleite. Jm Juni und Juli findet auf dem Lande die Paarung ſtatt. Die Männ-
chen beſtehen heftige Kämpfe unter einander und reißen ſich mit ihren Zähnen gegenſeitig tiefe
Schrammen in das Fell, woher es kommt, daß man ſelten eins ohne die Narben ſolcher Wunden
findet. Solange ſie liebeserregt ſind, brüllen und toben ſie beſtändig. Jm Mai, oft ſchon im
April, alſo nach etwa neunmonatlicher Tragzeit, wirft das Weibchen ein Junges; wenigſtens be-
merkten die neueren Beobachter niemals deren zwei oder gar drei bei einer Mutter, wie die älteren
angegeben. Alle Seefahrer ſind darin einſtimmig, daß die Mutter ihr Junges aufs äußerſte und
mit Gefahr ihres eigenen Lebens vertheidigt, im Waſſer ſowohl, wie auf dem Eiſe. Sobald ſich
Gefahr zeigt, ſtürzt die beſorgte Alte mit ihrem Jungen in die offene See. Sie packt das Kleine
mit der Vorderfloſſe oder trägt es auf dem Rücken. Erlegt man die Mutter, ſo ergibt ſich das
Junge widerſtandslos ſeinen Feinden; erlegt man aber das Junge zuerſt, ſo hat man noch harte
Kämpfe zu beſtehen. Selbſt wenn die Herde flüchten ſollte, tauchen die Alten von Zeit zu Zeit
unter fürchterlichem Gebrüll aus der Tiefe auf, ſchwimmen nach ihren erſchoſſenen und auf dem
Waſſer treibenden Jungen hin, erfaſſen ſie und tauchen mit ihnen wieder in die Tiefe nieder;
ſie nehmen ſolche Leichname ſogar den Matroſen weg, in dem Augenblick, wo dieſe beſchäf-
tigt ſind, ſie in das Bot zu ziehen. Ein dem Jäger einmal entriſſenes junges Walroß iſt ver-
loren, wenn die Mutter nicht auch getödtet wird; denn dieſe ſchleppt es meilenweit fort, auch
über das Eis. Schwerverwundete werden von geſunden geleitet und fortgeſchafft; letztere bewei-
ſen dabei großen Verſtand, indem ſie ihre unzurechnungsfähigen Gefährten abwechſelnd zum Athem-
holen aus dem Waſſer emporheben und wieder in der ſicheren Tiefe verſenken.
Ungeachtet aller Gefahren, welche die Walroßjagd im Gefolge hat, verringert der Menſch
die Herden von Jahr zu Jahr; denn der Nutzen des erlegten Thieres iſt ſehr bedeutend. Aus
den Hauzähnen, welche hart, weiß und ſo dicht wie Elfenbein ſind, ſchneidet man falſche Zähne,
welche ihrer Güte halber hoch geſchätzt ſind. Die Haut wird als Ueberzug bei den Segelſtangen
und den Tauen der Schiffe angewandt oder in Riemen geſchnitten und zu Seilen geflochten. Jn
älteren Zeiten wurden faſt alle Taue auf den Schiffen der nördlichen Länder nur aus dieſer Haut
gefertigt. Durch Gerben läßt ſie ſich in ein weiches, lockeres Leder verwandeln, welches zuweilen
über einen Zoll dick, jedoch bei weitem nicht ſo nützlich und dauerhaft, als die Rohhaut iſt. Die
Koräken fertigen, wie Steller berichtet, Walfiſchnetze aus der Haut, die Tſchuktſchen gebrauchen
ſie zur Bedeckung ihrer Sommerwohnungen oder zur Bekleidung ihrer Kähne, welche ſonſt nur
noch aus dem Holzgerüſt beſtehen. Auch das Fleiſch wird gegeſſen, wenn auch nur von Denen,
welche erſt den Ekel vor deſſen ſchwarzer Farbe überwunden haben; dagegen ſind Herz und Leber
wirklich ſchmackhaft. Der Speck kann zur Fettigung von Speiſen verwendet oder in Lampen ge-
brannt werden. Aus den Sehnen machen die Grönländer ſich Faden zum Nähen u. ſ. w. Die bei-
den Hauzähne ſind aber immer das Werthvollſte: man gewinnt aus ihrem Verkauf ebenſoviel, als
durch Verwerthung des Speckes und der Haut zuſammen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 811. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/859>, abgerufen am 23.11.2024.
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