eigentlich nichts Anderes, als ein zelliger Oelschlauch. Unter der verhältnißmäßig dünnen, zähen Haut liegt eine mächtige, d. h. 8 bis 20 Zoll dicke Specklage, welche den ganzen Leib umgibt; dann erst folgt das bei jungen Thieren rothe und zarte, bei älteren fast schwarze, grobe, faserige Fleisch. Auf der äußeren Seite ist die Haut fett, wie ölgetränktes Leder, und weich wie Sammt. Der Rücken und die Seiten bis gegen den Bauch hin, die beiden Brustfinnen und die Schwanzfinne sind gewöhnlich tiefschwarz, die Lippen, der Unterkiefer und der größte Theil des Bauches weiß, schwach gelblich überflogen. Der hintere Theil des Leibes vor der Schwanzfinne, ein Theil der Gelenkhöhlen unter den Brustfinnen und die Augenlider sind grau; doch gibt es Wale, welche oben ganz schwarz, unten reinweiß sind; es gibt gescheckte, gefleckte und vollkommen weiße. Nur am Vorderende der beiden Lippen stehen einige kurze Borstenhaare; im übrigen ist die ganze Ober- haut vollkommen nackt.
Die Heimat des Walfisches ist auf die hochnordischen Meere beschränkt. Er findet sich nach dem Pole zu soweit das Meer eisfrei ist, nach Süden hin etwa bis zum 60. Grad nördl. Breite. Wie es scheint, zieht er zwischen den Nordküsten Europas, Asiens und Amerikas hin und her und geht zuwei- len durch die Behringsstraße in das kamtschatkische Meer über. Jn den grönländischen Gewässern, in der Davisstraße und Behringsbay ist er noch am häufigsten, an den asiatischen Küsten dagegen sehr selten. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte sind die sogenannten Walfischgründe, jene Stellen des Meeres, in denen die letzten Wirkungen des Golfstromes verspürt werden und die, Dank der eben durch den Golfstrom gespendeten Wärme, verhältnißmäßig reich an den kleinen Meerthieren sind, welche die ausschließliche Nahrung des riesigen Säugethieres ausmachen. Besonders nahrungsreiche Stellen im Eise vereinigen manchmal große Gesellschaften von Walfischen; doch kann man nicht be- haupten, daß der Walfisch gesellschaftsweise lebt. Es scheint, daß es mehr Männchen, als Weibchen gibt; es fehlen jedoch hierüber zur Zeit noch genauere Berichte.
Ungeachtet seiner gewaltigen Größe ist der Wal doch ein sehr behendes Thier. Seine un- geheure Kraft siegt über die Schwere des Leibes. Der Schwanz ist das eigentliche Bewegungs- werkzeug; denn die wagrecht ausgestreckten Brustflossen dienen nur dazu, den Leib im Gleichgewicht zu halten und eine Wendung oder Drehung zu erleichtern. Jhre Wirksamkeit sieht man deutlich beim Tode des Wales; denn mit dem letzten Seufzer fällt er auf die Seite oder auf den Rücken. Von der ungeheuren Kraft des Schwanzes kann man sich ungefähr einen Begriff machen, wenn man be- denkt, wie ein Bewegungswerkzeug, welches ebensoviel Oberfläche hat als die Schraube eines mittel- mäßigen Dampfers, auf das Wasser wirken muß.
"So plump der Leib des Wales auch ist," sagt Scoresby, "so rasch und geschickt sind seine Bewegungen. Ein Walfisch, welcher, ohne sich zu rühren, auf der Oberfläche ruht, kann in fünf oder sechs Sekunden außer dem Bereich seiner Verfolger sein. Doch hält so große Schnelligkeit nur wenig Minuten an. Bisweilen fährt er mit solcher Heftigkeit gegen die Oberfläche des Wassers, daß er ganz über dieselbe herausspringt; bisweilen stellt er sich mit dem Kopfe gerade niederwärts, hebt den Schwanz in die Luft und schlägt auf das Wasser mit furchtbarer Gewalt. Das Getöse, welches dabei entsteht, wird bei stillem Wetter bei großer Entfernung gehört, und die Kreise verbreiten sich auf eine ansehn- liche Weite. Von einer Harpune getroffen, schießt er, wenn auch nur wenige Minuten lang, wie ein Pfeil fort, mit einer Geschwindigkeit, daß er sich bisweilen die Kinnladen durch das Aufstoßen auf den Boden zerbricht." Schon bei gewöhnlichem Schwimmen auf der Oberfläche vermag der Wal neun englische Meilen in der Stunde zurückzulegen; verwundete zwölf bis sechszehn Meilen, eine Schnelligkeit, welche die jedes Dampfers noch übertrifft. "Besäßen die Wale," sagt Pöppig, "einen ihrer Kraft und Größe angemessenen Verstand, so würde nicht nur kein Bot, sondern auch keins der größten Schiffe ihren Stößen widerstehen können und sie die einzigen und wahren Beherrscher des Weltmeeres sein."
Aber die Bartenwale sind ebenso stumpfsinnige als geistesarme und zudem auch feige Geschöpfe. Unter ihren Sinnen scheinen blos Gesicht und Gefühl ziemlich ausgebildet zu sein. Jm klaren Wasser
Der Walfiſch.
eigentlich nichts Anderes, als ein zelliger Oelſchlauch. Unter der verhältnißmäßig dünnen, zähen Haut liegt eine mächtige, d. h. 8 bis 20 Zoll dicke Specklage, welche den ganzen Leib umgibt; dann erſt folgt das bei jungen Thieren rothe und zarte, bei älteren faſt ſchwarze, grobe, faſerige Fleiſch. Auf der äußeren Seite iſt die Haut fett, wie ölgetränktes Leder, und weich wie Sammt. Der Rücken und die Seiten bis gegen den Bauch hin, die beiden Bruſtfinnen und die Schwanzfinne ſind gewöhnlich tiefſchwarz, die Lippen, der Unterkiefer und der größte Theil des Bauches weiß, ſchwach gelblich überflogen. Der hintere Theil des Leibes vor der Schwanzfinne, ein Theil der Gelenkhöhlen unter den Bruſtfinnen und die Augenlider ſind grau; doch gibt es Wale, welche oben ganz ſchwarz, unten reinweiß ſind; es gibt geſcheckte, gefleckte und vollkommen weiße. Nur am Vorderende der beiden Lippen ſtehen einige kurze Borſtenhaare; im übrigen iſt die ganze Ober- haut vollkommen nackt.
Die Heimat des Walfiſches iſt auf die hochnordiſchen Meere beſchränkt. Er findet ſich nach dem Pole zu ſoweit das Meer eisfrei iſt, nach Süden hin etwa bis zum 60. Grad nördl. Breite. Wie es ſcheint, zieht er zwiſchen den Nordküſten Europas, Aſiens und Amerikas hin und her und geht zuwei- len durch die Behringsſtraße in das kamtſchatkiſche Meer über. Jn den grönländiſchen Gewäſſern, in der Davisſtraße und Behringsbay iſt er noch am häufigſten, an den aſiatiſchen Küſten dagegen ſehr ſelten. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte ſind die ſogenannten Walfiſchgründe, jene Stellen des Meeres, in denen die letzten Wirkungen des Golfſtromes verſpürt werden und die, Dank der eben durch den Golfſtrom geſpendeten Wärme, verhältnißmäßig reich an den kleinen Meerthieren ſind, welche die ausſchließliche Nahrung des rieſigen Säugethieres ausmachen. Beſonders nahrungsreiche Stellen im Eiſe vereinigen manchmal große Geſellſchaften von Walfiſchen; doch kann man nicht be- haupten, daß der Walfiſch geſellſchaftsweiſe lebt. Es ſcheint, daß es mehr Männchen, als Weibchen gibt; es fehlen jedoch hierüber zur Zeit noch genauere Berichte.
Ungeachtet ſeiner gewaltigen Größe iſt der Wal doch ein ſehr behendes Thier. Seine un- geheure Kraft ſiegt über die Schwere des Leibes. Der Schwanz iſt das eigentliche Bewegungs- werkzeug; denn die wagrecht ausgeſtreckten Bruſtfloſſen dienen nur dazu, den Leib im Gleichgewicht zu halten und eine Wendung oder Drehung zu erleichtern. Jhre Wirkſamkeit ſieht man deutlich beim Tode des Wales; denn mit dem letzten Seufzer fällt er auf die Seite oder auf den Rücken. Von der ungeheuren Kraft des Schwanzes kann man ſich ungefähr einen Begriff machen, wenn man be- denkt, wie ein Bewegungswerkzeug, welches ebenſoviel Oberfläche hat als die Schraube eines mittel- mäßigen Dampfers, auf das Waſſer wirken muß.
„So plump der Leib des Wales auch iſt,‟ ſagt Scoresby, „ſo raſch und geſchickt ſind ſeine Bewegungen. Ein Walfiſch, welcher, ohne ſich zu rühren, auf der Oberfläche ruht, kann in fünf oder ſechs Sekunden außer dem Bereich ſeiner Verfolger ſein. Doch hält ſo große Schnelligkeit nur wenig Minuten an. Bisweilen fährt er mit ſolcher Heftigkeit gegen die Oberfläche des Waſſers, daß er ganz über dieſelbe herausſpringt; bisweilen ſtellt er ſich mit dem Kopfe gerade niederwärts, hebt den Schwanz in die Luft und ſchlägt auf das Waſſer mit furchtbarer Gewalt. Das Getöſe, welches dabei entſteht, wird bei ſtillem Wetter bei großer Entfernung gehört, und die Kreiſe verbreiten ſich auf eine anſehn- liche Weite. Von einer Harpune getroffen, ſchießt er, wenn auch nur wenige Minuten lang, wie ein Pfeil fort, mit einer Geſchwindigkeit, daß er ſich bisweilen die Kinnladen durch das Aufſtoßen auf den Boden zerbricht.‟ Schon bei gewöhnlichem Schwimmen auf der Oberfläche vermag der Wal neun engliſche Meilen in der Stunde zurückzulegen; verwundete zwölf bis ſechszehn Meilen, eine Schnelligkeit, welche die jedes Dampfers noch übertrifft. „Beſäßen die Wale,‟ ſagt Pöppig, „einen ihrer Kraft und Größe angemeſſenen Verſtand, ſo würde nicht nur kein Bot, ſondern auch keins der größten Schiffe ihren Stößen widerſtehen können und ſie die einzigen und wahren Beherrſcher des Weltmeeres ſein.‟
Aber die Bartenwale ſind ebenſo ſtumpfſinnige als geiſtesarme und zudem auch feige Geſchöpfe. Unter ihren Sinnen ſcheinen blos Geſicht und Gefühl ziemlich ausgebildet zu ſein. Jm klaren Waſſer
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[869/0919]
Der Walfiſch.
eigentlich nichts Anderes, als ein zelliger Oelſchlauch. Unter der verhältnißmäßig dünnen, zähen
Haut liegt eine mächtige, d. h. 8 bis 20 Zoll dicke Specklage, welche den ganzen Leib umgibt;
dann erſt folgt das bei jungen Thieren rothe und zarte, bei älteren faſt ſchwarze, grobe, faſerige
Fleiſch. Auf der äußeren Seite iſt die Haut fett, wie ölgetränktes Leder, und weich wie Sammt.
Der Rücken und die Seiten bis gegen den Bauch hin, die beiden Bruſtfinnen und die Schwanzfinne
ſind gewöhnlich tiefſchwarz, die Lippen, der Unterkiefer und der größte Theil des Bauches weiß,
ſchwach gelblich überflogen. Der hintere Theil des Leibes vor der Schwanzfinne, ein Theil der
Gelenkhöhlen unter den Bruſtfinnen und die Augenlider ſind grau; doch gibt es Wale, welche
oben ganz ſchwarz, unten reinweiß ſind; es gibt geſcheckte, gefleckte und vollkommen weiße. Nur
am Vorderende der beiden Lippen ſtehen einige kurze Borſtenhaare; im übrigen iſt die ganze Ober-
haut vollkommen nackt.
Die Heimat des Walfiſches iſt auf die hochnordiſchen Meere beſchränkt. Er findet ſich nach dem
Pole zu ſoweit das Meer eisfrei iſt, nach Süden hin etwa bis zum 60. Grad nördl. Breite. Wie es
ſcheint, zieht er zwiſchen den Nordküſten Europas, Aſiens und Amerikas hin und her und geht zuwei-
len durch die Behringsſtraße in das kamtſchatkiſche Meer über. Jn den grönländiſchen Gewäſſern, in
der Davisſtraße und Behringsbay iſt er noch am häufigſten, an den aſiatiſchen Küſten dagegen ſehr
ſelten. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte ſind die ſogenannten Walfiſchgründe, jene Stellen des
Meeres, in denen die letzten Wirkungen des Golfſtromes verſpürt werden und die, Dank der eben
durch den Golfſtrom geſpendeten Wärme, verhältnißmäßig reich an den kleinen Meerthieren ſind,
welche die ausſchließliche Nahrung des rieſigen Säugethieres ausmachen. Beſonders nahrungsreiche
Stellen im Eiſe vereinigen manchmal große Geſellſchaften von Walfiſchen; doch kann man nicht be-
haupten, daß der Walfiſch geſellſchaftsweiſe lebt. Es ſcheint, daß es mehr Männchen, als Weibchen
gibt; es fehlen jedoch hierüber zur Zeit noch genauere Berichte.
Ungeachtet ſeiner gewaltigen Größe iſt der Wal doch ein ſehr behendes Thier. Seine un-
geheure Kraft ſiegt über die Schwere des Leibes. Der Schwanz iſt das eigentliche Bewegungs-
werkzeug; denn die wagrecht ausgeſtreckten Bruſtfloſſen dienen nur dazu, den Leib im Gleichgewicht
zu halten und eine Wendung oder Drehung zu erleichtern. Jhre Wirkſamkeit ſieht man deutlich
beim Tode des Wales; denn mit dem letzten Seufzer fällt er auf die Seite oder auf den Rücken. Von
der ungeheuren Kraft des Schwanzes kann man ſich ungefähr einen Begriff machen, wenn man be-
denkt, wie ein Bewegungswerkzeug, welches ebenſoviel Oberfläche hat als die Schraube eines mittel-
mäßigen Dampfers, auf das Waſſer wirken muß.
„So plump der Leib des Wales auch iſt,‟ ſagt Scoresby, „ſo raſch und geſchickt ſind ſeine
Bewegungen. Ein Walfiſch, welcher, ohne ſich zu rühren, auf der Oberfläche ruht, kann in fünf oder
ſechs Sekunden außer dem Bereich ſeiner Verfolger ſein. Doch hält ſo große Schnelligkeit nur wenig
Minuten an. Bisweilen fährt er mit ſolcher Heftigkeit gegen die Oberfläche des Waſſers, daß er ganz
über dieſelbe herausſpringt; bisweilen ſtellt er ſich mit dem Kopfe gerade niederwärts, hebt den Schwanz
in die Luft und ſchlägt auf das Waſſer mit furchtbarer Gewalt. Das Getöſe, welches dabei entſteht,
wird bei ſtillem Wetter bei großer Entfernung gehört, und die Kreiſe verbreiten ſich auf eine anſehn-
liche Weite. Von einer Harpune getroffen, ſchießt er, wenn auch nur wenige Minuten lang, wie
ein Pfeil fort, mit einer Geſchwindigkeit, daß er ſich bisweilen die Kinnladen durch das Aufſtoßen
auf den Boden zerbricht.‟ Schon bei gewöhnlichem Schwimmen auf der Oberfläche vermag der
Wal neun engliſche Meilen in der Stunde zurückzulegen; verwundete zwölf bis ſechszehn Meilen,
eine Schnelligkeit, welche die jedes Dampfers noch übertrifft. „Beſäßen die Wale,‟ ſagt Pöppig,
„einen ihrer Kraft und Größe angemeſſenen Verſtand, ſo würde nicht nur kein Bot, ſondern auch
keins der größten Schiffe ihren Stößen widerſtehen können und ſie die einzigen und wahren Beherrſcher
des Weltmeeres ſein.‟
Aber die Bartenwale ſind ebenſo ſtumpfſinnige als geiſtesarme und zudem auch feige Geſchöpfe.
Unter ihren Sinnen ſcheinen blos Geſicht und Gefühl ziemlich ausgebildet zu ſein. Jm klaren Waſſer
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 869. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/919>, abgerufen am 23.11.2024.
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