dichtem Laub umgeben sein wird, ein abgestutzter Weidenkopf oder selbst, obwohl nur selten, das Strohdach eines Hauses.
Das Nest selbst gehört zu den schönsten und kunstreichsten von allen Bauten, welche die bei uns heimischen Vögel überhaupt ausführen. Es ist fast kugelrund, nur oben abgeschnitten. Die dicken Außenwände werden aus grünem Erdmos, zarten Würzelchen und Hälmchen zusammengesetzt, nach außen hin aber mit den Flechten desselben Baumes, auf dem es steht, überzogen und diese durch Kerbthiergespinnste mit einander verbunden, sodaß die Außenwände die täuschendste Aehnlichkeit mit dem Aste und namentlich mit einem alten Knorren desselben erhalten. Das Jnnere ist tief napfförmig und sehr weich mit Haaren und Federn, mit Pflanzen- und Thierwolle ausgepolstert. Auch der Kundige hat Mühe, ein solches Nest aufzufinden; der Unkundige entdeckt es nur durch Zufall.
Solange der Nestbau währt, und auch dann, wenn das Weibchen brütet, schlägt der Fink fast ohne Unterbrechung während des ganzen Tages, und jedes andere Männchen in der Nähe erwiedert den Schlag seines Nachbars mit mehr als gewöhnlichem Eifer; denn nicht blos Eifersucht, sondern auch Ehrgeiz kommt hierbei zur Geltung. Der Edelfink kämpft wie die meisten übrigen Singvögel zunächst mit der Waffe des Liedes; aber bei dem Wettsingen bleibt es nicht, denn die Nebenbuhler im Liede erhitzen sich gar bald gegenseitig in so hohem Grade, daß ihnen jene Waffe nicht mehr genügt. Dann beginnt ein tolles Jagen durch das Gezweig, bis der eine den andern im buchstäblichen Sinne des Worts beim Kragen gepackt hat und beide nun, unfähig, noch zu fliegen, wirbelnd zum Boden herabstürzen. Bei solchen Kämpfen setzen die erbitterten Vögel ihre Sicherheit oft rücksichtslos aufs Spiel, sie sind blind und taub gegen jede Gefahr. Endet der Kampf mit Schnabel und Klau, so be- ginnt das Schlagen von neuem, wird immer heftiger, immer leidenschaftlicher, -- und wiederum stürmen die beiden gegen einander an, nochmals wird mit blanken Waffen gefochten. So ist die Brut- zeit des Edelfinken Nichts als ein ununterbrochener Kampf; denn jedes Männchen in der Nähe und jeder vielleicht noch unbeweibte Wanderer gibt dem eifersüchtigen Eheherrn genug Veranlassung dazu.
Das Weibchen legt 5 bis 6 kleine zartschalige Eier, welche auf blaßblaugrünlichem Grunde mit bleichröthlichbraunen, schwach gewellten und mit schwarzbraunen Punkten verschiedener Größe besetzt zu sein pflegen, in Form und Zeichnung aber vielfach abändern. Die Zeit der Bebrütung währt vierzehn Tage; das Weibchen brütet hauptsächlich, das Männchen aber löst es ab, so lange es, Nah- rung suchend, das Nest verlassen muß. Die Jungen werden von beiden Eltern groß gefüttert und zwar ausschließlich mit Kerbthieren. Sie verlangen auch nach dem Ausfliegen noch eine Zeitlang der elterlichen Fürsorge, gewöhnen sich aber bald daran, sich ihre Nahrung selbst zu erwerben; damit werden und fühlen sie sich selbständig. Als unmündige Kinder ließen sie ein sonderbar klingendes "schilkendes" Geschrei vernehmen; als Erwachsene bedienen sie sich des Locktons der Alten.
Diese schreiten schon wenige Tage, nachdem die Erziehung ihrer Jungen beendet, zu einer zwei- ten Brut. Das Männchen geräth noch ein Mal in die volle Aufregung, welche Liebe und Eifersucht in ihm hervorrufen, sucht mit seinem Weibchen einen zweiten günstigen Platz zum Neste, erbaut sich die- ses gewöhnlich mit etwas weniger Sorgfalt, und das Weibchen legt nun abermals seine Eier, jedoch weniger, als das erste Mal, selten mehr, als vier, gewöhnlich nur ihrer drei. Dann wird auch die zweite Brut groß gefüttert, und die Erziehungssorgen haben für dieses Jahr ihr Ende erreicht.
Beide Eltern lieben ihre Brut ungemein. Sie schreien kläglich, wenn ein Feind dem Neste sich naht und geben ihrer Angst durch die verständlichsten Geberden Ausdruck. Naumann ver- sichert, daß das Männchen mehr um die Eier, das Weibchen aber mehr um die Jungen besorgt sein solle; ich habe diesen Unterschied in der Liebe zu der Brut noch nicht wahrgenommen. Ungeachtet der Anhänglichkeit und Zärtlichkeit gegen die Jungen weicht das Edelfinkenpaar in gewisser Hinsicht von andern Finken nicht unwesentlich ab. Wenn man junge Hänflinge aus dem Neste nimmt und in ein Gebauer steckt, darf man sicher sein, daß die Alten sich auch dann noch in der Fütterung ihrer Kinder nicht stören lassen; die Edelfinken dagegen lassen unter gleichen Umständen ihre Jungen ver- hungern. "Dies hat", sagt Naumann, "mancher unerfahrene Finkenfreund, der sich durch die
Edelfink.
dichtem Laub umgeben ſein wird, ein abgeſtutzter Weidenkopf oder ſelbſt, obwohl nur ſelten, das Strohdach eines Hauſes.
Das Neſt ſelbſt gehört zu den ſchönſten und kunſtreichſten von allen Bauten, welche die bei uns heimiſchen Vögel überhaupt ausführen. Es iſt faſt kugelrund, nur oben abgeſchnitten. Die dicken Außenwände werden aus grünem Erdmos, zarten Würzelchen und Hälmchen zuſammengeſetzt, nach außen hin aber mit den Flechten deſſelben Baumes, auf dem es ſteht, überzogen und dieſe durch Kerbthiergeſpinnſte mit einander verbunden, ſodaß die Außenwände die täuſchendſte Aehnlichkeit mit dem Aſte und namentlich mit einem alten Knorren deſſelben erhalten. Das Jnnere iſt tief napfförmig und ſehr weich mit Haaren und Federn, mit Pflanzen- und Thierwolle ausgepolſtert. Auch der Kundige hat Mühe, ein ſolches Neſt aufzufinden; der Unkundige entdeckt es nur durch Zufall.
Solange der Neſtbau währt, und auch dann, wenn das Weibchen brütet, ſchlägt der Fink faſt ohne Unterbrechung während des ganzen Tages, und jedes andere Männchen in der Nähe erwiedert den Schlag ſeines Nachbars mit mehr als gewöhnlichem Eifer; denn nicht blos Eiferſucht, ſondern auch Ehrgeiz kommt hierbei zur Geltung. Der Edelfink kämpft wie die meiſten übrigen Singvögel zunächſt mit der Waffe des Liedes; aber bei dem Wettſingen bleibt es nicht, denn die Nebenbuhler im Liede erhitzen ſich gar bald gegenſeitig in ſo hohem Grade, daß ihnen jene Waffe nicht mehr genügt. Dann beginnt ein tolles Jagen durch das Gezweig, bis der eine den andern im buchſtäblichen Sinne des Worts beim Kragen gepackt hat und beide nun, unfähig, noch zu fliegen, wirbelnd zum Boden herabſtürzen. Bei ſolchen Kämpfen ſetzen die erbitterten Vögel ihre Sicherheit oft rückſichtslos aufs Spiel, ſie ſind blind und taub gegen jede Gefahr. Endet der Kampf mit Schnabel und Klau, ſo be- ginnt das Schlagen von neuem, wird immer heftiger, immer leidenſchaftlicher, — und wiederum ſtürmen die beiden gegen einander an, nochmals wird mit blanken Waffen gefochten. So iſt die Brut- zeit des Edelfinken Nichts als ein ununterbrochener Kampf; denn jedes Männchen in der Nähe und jeder vielleicht noch unbeweibte Wanderer gibt dem eiferſüchtigen Eheherrn genug Veranlaſſung dazu.
Das Weibchen legt 5 bis 6 kleine zartſchalige Eier, welche auf blaßblaugrünlichem Grunde mit bleichröthlichbraunen, ſchwach gewellten und mit ſchwarzbraunen Punkten verſchiedener Größe beſetzt zu ſein pflegen, in Form und Zeichnung aber vielfach abändern. Die Zeit der Bebrütung währt vierzehn Tage; das Weibchen brütet hauptſächlich, das Männchen aber löſt es ab, ſo lange es, Nah- rung ſuchend, das Neſt verlaſſen muß. Die Jungen werden von beiden Eltern groß gefüttert und zwar ausſchließlich mit Kerbthieren. Sie verlangen auch nach dem Ausfliegen noch eine Zeitlang der elterlichen Fürſorge, gewöhnen ſich aber bald daran, ſich ihre Nahrung ſelbſt zu erwerben; damit werden und fühlen ſie ſich ſelbſtändig. Als unmündige Kinder ließen ſie ein ſonderbar klingendes „ſchilkendes‟ Geſchrei vernehmen; als Erwachſene bedienen ſie ſich des Locktons der Alten.
Dieſe ſchreiten ſchon wenige Tage, nachdem die Erziehung ihrer Jungen beendet, zu einer zwei- ten Brut. Das Männchen geräth noch ein Mal in die volle Aufregung, welche Liebe und Eiferſucht in ihm hervorrufen, ſucht mit ſeinem Weibchen einen zweiten günſtigen Platz zum Neſte, erbaut ſich die- ſes gewöhnlich mit etwas weniger Sorgfalt, und das Weibchen legt nun abermals ſeine Eier, jedoch weniger, als das erſte Mal, ſelten mehr, als vier, gewöhnlich nur ihrer drei. Dann wird auch die zweite Brut groß gefüttert, und die Erziehungsſorgen haben für dieſes Jahr ihr Ende erreicht.
Beide Eltern lieben ihre Brut ungemein. Sie ſchreien kläglich, wenn ein Feind dem Neſte ſich naht und geben ihrer Angſt durch die verſtändlichſten Geberden Ausdruck. Naumann ver- ſichert, daß das Männchen mehr um die Eier, das Weibchen aber mehr um die Jungen beſorgt ſein ſolle; ich habe dieſen Unterſchied in der Liebe zu der Brut noch nicht wahrgenommen. Ungeachtet der Anhänglichkeit und Zärtlichkeit gegen die Jungen weicht das Edelfinkenpaar in gewiſſer Hinſicht von andern Finken nicht unweſentlich ab. Wenn man junge Hänflinge aus dem Neſte nimmt und in ein Gebauer ſteckt, darf man ſicher ſein, daß die Alten ſich auch dann noch in der Fütterung ihrer Kinder nicht ſtören laſſen; die Edelfinken dagegen laſſen unter gleichen Umſtänden ihre Jungen ver- hungern. „Dies hat‟, ſagt Naumann, „mancher unerfahrene Finkenfreund, der ſich durch die
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[133/0151]
Edelfink.
dichtem Laub umgeben ſein wird, ein abgeſtutzter Weidenkopf oder ſelbſt, obwohl nur ſelten, das
Strohdach eines Hauſes.
Das Neſt ſelbſt gehört zu den ſchönſten und kunſtreichſten von allen Bauten, welche die bei uns
heimiſchen Vögel überhaupt ausführen. Es iſt faſt kugelrund, nur oben abgeſchnitten. Die dicken
Außenwände werden aus grünem Erdmos, zarten Würzelchen und Hälmchen zuſammengeſetzt, nach
außen hin aber mit den Flechten deſſelben Baumes, auf dem es ſteht, überzogen und dieſe durch
Kerbthiergeſpinnſte mit einander verbunden, ſodaß die Außenwände die täuſchendſte Aehnlichkeit mit
dem Aſte und namentlich mit einem alten Knorren deſſelben erhalten. Das Jnnere iſt tief napfförmig
und ſehr weich mit Haaren und Federn, mit Pflanzen- und Thierwolle ausgepolſtert. Auch der
Kundige hat Mühe, ein ſolches Neſt aufzufinden; der Unkundige entdeckt es nur durch Zufall.
Solange der Neſtbau währt, und auch dann, wenn das Weibchen brütet, ſchlägt der Fink faſt
ohne Unterbrechung während des ganzen Tages, und jedes andere Männchen in der Nähe erwiedert
den Schlag ſeines Nachbars mit mehr als gewöhnlichem Eifer; denn nicht blos Eiferſucht, ſondern
auch Ehrgeiz kommt hierbei zur Geltung. Der Edelfink kämpft wie die meiſten übrigen Singvögel
zunächſt mit der Waffe des Liedes; aber bei dem Wettſingen bleibt es nicht, denn die Nebenbuhler im
Liede erhitzen ſich gar bald gegenſeitig in ſo hohem Grade, daß ihnen jene Waffe nicht mehr genügt.
Dann beginnt ein tolles Jagen durch das Gezweig, bis der eine den andern im buchſtäblichen Sinne
des Worts beim Kragen gepackt hat und beide nun, unfähig, noch zu fliegen, wirbelnd zum Boden
herabſtürzen. Bei ſolchen Kämpfen ſetzen die erbitterten Vögel ihre Sicherheit oft rückſichtslos aufs
Spiel, ſie ſind blind und taub gegen jede Gefahr. Endet der Kampf mit Schnabel und Klau, ſo be-
ginnt das Schlagen von neuem, wird immer heftiger, immer leidenſchaftlicher, — und wiederum
ſtürmen die beiden gegen einander an, nochmals wird mit blanken Waffen gefochten. So iſt die Brut-
zeit des Edelfinken Nichts als ein ununterbrochener Kampf; denn jedes Männchen in der Nähe und
jeder vielleicht noch unbeweibte Wanderer gibt dem eiferſüchtigen Eheherrn genug Veranlaſſung dazu.
Das Weibchen legt 5 bis 6 kleine zartſchalige Eier, welche auf blaßblaugrünlichem Grunde mit
bleichröthlichbraunen, ſchwach gewellten und mit ſchwarzbraunen Punkten verſchiedener Größe beſetzt
zu ſein pflegen, in Form und Zeichnung aber vielfach abändern. Die Zeit der Bebrütung währt
vierzehn Tage; das Weibchen brütet hauptſächlich, das Männchen aber löſt es ab, ſo lange es, Nah-
rung ſuchend, das Neſt verlaſſen muß. Die Jungen werden von beiden Eltern groß gefüttert und
zwar ausſchließlich mit Kerbthieren. Sie verlangen auch nach dem Ausfliegen noch eine Zeitlang der
elterlichen Fürſorge, gewöhnen ſich aber bald daran, ſich ihre Nahrung ſelbſt zu erwerben; damit werden
und fühlen ſie ſich ſelbſtändig. Als unmündige Kinder ließen ſie ein ſonderbar klingendes „ſchilkendes‟
Geſchrei vernehmen; als Erwachſene bedienen ſie ſich des Locktons der Alten.
Dieſe ſchreiten ſchon wenige Tage, nachdem die Erziehung ihrer Jungen beendet, zu einer zwei-
ten Brut. Das Männchen geräth noch ein Mal in die volle Aufregung, welche Liebe und Eiferſucht in
ihm hervorrufen, ſucht mit ſeinem Weibchen einen zweiten günſtigen Platz zum Neſte, erbaut ſich die-
ſes gewöhnlich mit etwas weniger Sorgfalt, und das Weibchen legt nun abermals ſeine Eier, jedoch
weniger, als das erſte Mal, ſelten mehr, als vier, gewöhnlich nur ihrer drei. Dann wird auch
die zweite Brut groß gefüttert, und die Erziehungsſorgen haben für dieſes Jahr ihr Ende erreicht.
Beide Eltern lieben ihre Brut ungemein. Sie ſchreien kläglich, wenn ein Feind dem Neſte
ſich naht und geben ihrer Angſt durch die verſtändlichſten Geberden Ausdruck. Naumann ver-
ſichert, daß das Männchen mehr um die Eier, das Weibchen aber mehr um die Jungen beſorgt ſein
ſolle; ich habe dieſen Unterſchied in der Liebe zu der Brut noch nicht wahrgenommen. Ungeachtet der
Anhänglichkeit und Zärtlichkeit gegen die Jungen weicht das Edelfinkenpaar in gewiſſer Hinſicht von
andern Finken nicht unweſentlich ab. Wenn man junge Hänflinge aus dem Neſte nimmt und in
ein Gebauer ſteckt, darf man ſicher ſein, daß die Alten ſich auch dann noch in der Fütterung ihrer
Kinder nicht ſtören laſſen; die Edelfinken dagegen laſſen unter gleichen Umſtänden ihre Jungen ver-
hungern. „Dies hat‟, ſagt Naumann, „mancher unerfahrene Finkenfreund, der ſich durch die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/151>, abgerufen am 24.11.2024.
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