nicht selten in Gesellschaft von Rebhühnern, wilden Truthühnern und auch wohl von Eich- hörnchen, welche mit ihm demselben Futter nachgehen. Wenn aber Schnee gefallen ist und seine Futter- plätze bedeckt sind, erscheint er im Gehöft des Bauern, längs der öffentlichen Wege und schließlich auch in den Straßen der Stadt, begibt sich vertrauensvoll unter den Schutz des Menschen und wird, wie zu er- warten, tagtäglich grausam getäuscht d. h. zu Hunderten weggefangen. Doch hat er immerhin mehr Freunde, als Feinde: viele Amerikaner haben ihn ebenso lieb, als wir unser Rothkehlchen. Auch er wird von Gutherzigen gefüttert und unterstützt und vergißt darüber das Mißtrauen, welches ihm die Tücke des Fängers sonst wohl einflößen möchte. Er läßt den Fußgänger und Reiter nahe an sich vor- überziehen und fliegt höchstens dann auf, wenn er fürchtet, von dem Vorbeigehenden verletzt zu werden. Dieses Zutrauen währt jedoch nur, solange der strenge Winter seine Herrschaft führt; denn mit begin- nendem Frühling verläßt er Städte und Dörfer, um seinen lieben Bergen oder seinem heimatlichen Norden zuzufliegen. Wilson, der genaue Thierkenner, wundert sich, daß der Winterfink während der schönen Monate des Jahres nicht im Süden bleiben mag, obgleich dieser reich sei an verschiedenem Futter, wie der Vogel es liebt: er vergißt, daß den Fremdling eben nur die Noth zum Wandern treibt, und daß auch er die Zeit ersehnt, welche ihm die Heimat wieder wohnlich macht.
Mit Vögeln seines Gelichters vereinigt sich der Winterfink selten. Höchstens in den Dörfern schlägt er sich mit dem sogenannten Singsperling und andern Verwandten, im Gehöft auch mit Haus- hühnern, in Flüge zusammen; aber auch dann noch hält er sich gesondert von dem großen Haufen. Die Nacht verbringt er auf Bäumen sitzend oder aber nach Art der Sperlinge in Höhlungen, welche er zufällig findet oder in den Getreidehaufen selbst sich anlegt. Audubon versichert, daß eine gewisse Förmlichkeit unter ihnen herrsche, und daß keiner zu große Vertraulichkeit leiden möge. Augenblicklich sind die kleinen Schnäbel geöffnet und die Flügel ausgebreitet, wenn ein Fremder zu nahe kommt; die Augen funkeln, und ein abweisender Ton wird ausgestoßen, um den Störenfried zu bedeuten. Jn seinen Bewegungen ähnelt der Winterfink unserm Sperling. Er hüpft leicht über den Boden dahin, fliegt schnell und zeigt bei eifersüchtigen Kämpfen mit seines Gleichen eine große Geschicklichkeit.
Bald nach seiner Ankunft in der eigentlichen Heimat schreitet der Winterfink zur Fortpflanzung. Die Männchen kämpfen heftig unter einander, jagen sich, fliegend, hin und her, breiten dabei Schwin- gen und Schwanz weit aus und entfalten so eine eigenthümliche und überraschende Pracht. Zu gleicher Zeit geben sie ihren einfachen, aber angenehmen Gefang zum Besten, in welchem einige volle, langgezogene Töne die Hauptsache sind; Gerhardt nennt ihn ein Gezwitscher, wie das junger Kauarienvögel. Die Paare suchen sich sodann einen geeigneten Nistplatz aus, am liebsten eine Berg- wand, welche dicht mit Buschwerk bestanden ist, und bauen sich hier, immer auf dem Boden, aus Rin- denschalen und Gras ihr Nest, dessen innere Wandung mit feinem Mos, mit Pferde- und anderen Haaren ausgekleidet wird. Die vier Eier sind etwa 3/4 Zoll lang und an der dicksten Stelle 5/8 Zoll breit und auf gilblich weißem Grunde dicht mit kleinen röthlichbraunen Flecken gezeichnet. Ueber den Antheil, welchen das Männchen am Brutgeschäfte nimmt, finde ich keine Angabe; dagegen erwähnen die gedachten Schriftsteller, daß beide Eltern ihre ausgeflogenen Jungen noch längere Zeit führen, sorgsam bewachen und bei Gefahr durch einen eigenthümlichen Laut warnen.
Unter den zahlreichen Feinden des Winterfinken soll der Sperlingsfalk (Rhynehodon spar- verius) der schlimmste sein. Jhn sah Wilson stets in der Nähe unserer Vögel, auf eine günstige Gelegen- heit wartend. Jm geeigneten Augenblick schoß er dann unter den auffliegenden Haufen, ergriff Einen aus der Menge und verzehrte ihn auf dem nächsten besten Baume. Nächst dem Falken mögen wohl auch die Wiesel und andere kleine Raubthiere den Winterfinken eifrig nachstellen.
Jn der Gefangenschaft wird der Vogel nicht gehalten. Man hat es versucht, aber gefunden, daß er still und langweilig ist, auch, wie es scheint, von der Hitze viel zu leiden hat. Nach Europa ist er meines Wissens bis jetzt noch nicht lebend gekommen; doch will Dies nicht viel sagen, da auffallender Weise von Nordamerika äußerst wenig Vögel in den Handel gelangen.
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
nicht ſelten in Geſellſchaft von Rebhühnern, wilden Truthühnern und auch wohl von Eich- hörnchen, welche mit ihm demſelben Futter nachgehen. Wenn aber Schnee gefallen iſt und ſeine Futter- plätze bedeckt ſind, erſcheint er im Gehöft des Bauern, längs der öffentlichen Wege und ſchließlich auch in den Straßen der Stadt, begibt ſich vertrauensvoll unter den Schutz des Menſchen und wird, wie zu er- warten, tagtäglich grauſam getäuſcht d. h. zu Hunderten weggefangen. Doch hat er immerhin mehr Freunde, als Feinde: viele Amerikaner haben ihn ebenſo lieb, als wir unſer Rothkehlchen. Auch er wird von Gutherzigen gefüttert und unterſtützt und vergißt darüber das Mißtrauen, welches ihm die Tücke des Fängers ſonſt wohl einflößen möchte. Er läßt den Fußgänger und Reiter nahe an ſich vor- überziehen und fliegt höchſtens dann auf, wenn er fürchtet, von dem Vorbeigehenden verletzt zu werden. Dieſes Zutrauen währt jedoch nur, ſolange der ſtrenge Winter ſeine Herrſchaft führt; denn mit begin- nendem Frühling verläßt er Städte und Dörfer, um ſeinen lieben Bergen oder ſeinem heimatlichen Norden zuzufliegen. Wilſon, der genaue Thierkenner, wundert ſich, daß der Winterfink während der ſchönen Monate des Jahres nicht im Süden bleiben mag, obgleich dieſer reich ſei an verſchiedenem Futter, wie der Vogel es liebt: er vergißt, daß den Fremdling eben nur die Noth zum Wandern treibt, und daß auch er die Zeit erſehnt, welche ihm die Heimat wieder wohnlich macht.
Mit Vögeln ſeines Gelichters vereinigt ſich der Winterfink ſelten. Höchſtens in den Dörfern ſchlägt er ſich mit dem ſogenannten Singſperling und andern Verwandten, im Gehöft auch mit Haus- hühnern, in Flüge zuſammen; aber auch dann noch hält er ſich geſondert von dem großen Haufen. Die Nacht verbringt er auf Bäumen ſitzend oder aber nach Art der Sperlinge in Höhlungen, welche er zufällig findet oder in den Getreidehaufen ſelbſt ſich anlegt. Audubon verſichert, daß eine gewiſſe Förmlichkeit unter ihnen herrſche, und daß keiner zu große Vertraulichkeit leiden möge. Augenblicklich ſind die kleinen Schnäbel geöffnet und die Flügel ausgebreitet, wenn ein Fremder zu nahe kommt; die Augen funkeln, und ein abweiſender Ton wird ausgeſtoßen, um den Störenfried zu bedeuten. Jn ſeinen Bewegungen ähnelt der Winterfink unſerm Sperling. Er hüpft leicht über den Boden dahin, fliegt ſchnell und zeigt bei eiferſüchtigen Kämpfen mit ſeines Gleichen eine große Geſchicklichkeit.
Bald nach ſeiner Ankunft in der eigentlichen Heimat ſchreitet der Winterfink zur Fortpflanzung. Die Männchen kämpfen heftig unter einander, jagen ſich, fliegend, hin und her, breiten dabei Schwin- gen und Schwanz weit aus und entfalten ſo eine eigenthümliche und überraſchende Pracht. Zu gleicher Zeit geben ſie ihren einfachen, aber angenehmen Gefang zum Beſten, in welchem einige volle, langgezogene Töne die Hauptſache ſind; Gerhardt nennt ihn ein Gezwitſcher, wie das junger Kauarienvögel. Die Paare ſuchen ſich ſodann einen geeigneten Niſtplatz aus, am liebſten eine Berg- wand, welche dicht mit Buſchwerk beſtanden iſt, und bauen ſich hier, immer auf dem Boden, aus Rin- denſchalen und Gras ihr Neſt, deſſen innere Wandung mit feinem Mos, mit Pferde- und anderen Haaren ausgekleidet wird. Die vier Eier ſind etwa ¾ Zoll lang und an der dickſten Stelle ⅝ Zoll breit und auf gilblich weißem Grunde dicht mit kleinen röthlichbraunen Flecken gezeichnet. Ueber den Antheil, welchen das Männchen am Brutgeſchäfte nimmt, finde ich keine Angabe; dagegen erwähnen die gedachten Schriftſteller, daß beide Eltern ihre ausgeflogenen Jungen noch längere Zeit führen, ſorgſam bewachen und bei Gefahr durch einen eigenthümlichen Laut warnen.
Unter den zahlreichen Feinden des Winterfinken ſoll der Sperlingsfalk (Rhynehodon spar- verius) der ſchlimmſte ſein. Jhn ſah Wilſon ſtets in der Nähe unſerer Vögel, auf eine günſtige Gelegen- heit wartend. Jm geeigneten Augenblick ſchoß er dann unter den auffliegenden Haufen, ergriff Einen aus der Menge und verzehrte ihn auf dem nächſten beſten Baume. Nächſt dem Falken mögen wohl auch die Wieſel und andere kleine Raubthiere den Winterfinken eifrig nachſtellen.
Jn der Gefangenſchaft wird der Vogel nicht gehalten. Man hat es verſucht, aber gefunden, daß er ſtill und langweilig iſt, auch, wie es ſcheint, von der Hitze viel zu leiden hat. Nach Europa iſt er meines Wiſſens bis jetzt noch nicht lebend gekommen; doch will Dies nicht viel ſagen, da auffallender Weiſe von Nordamerika äußerſt wenig Vögel in den Handel gelangen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="140"/><fwplace="top"type="header">Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.</fw><lb/>
nicht ſelten in Geſellſchaft von <hirendition="#g">Rebhühnern,</hi> wilden <hirendition="#g">Truthühnern</hi> und auch wohl von <hirendition="#g">Eich-<lb/>
hörnchen,</hi> welche mit ihm demſelben Futter nachgehen. Wenn aber Schnee gefallen iſt und ſeine Futter-<lb/>
plätze bedeckt ſind, erſcheint er im Gehöft des Bauern, längs der öffentlichen Wege und ſchließlich auch in<lb/>
den Straßen der Stadt, begibt ſich vertrauensvoll unter den Schutz des Menſchen und wird, wie zu er-<lb/>
warten, tagtäglich grauſam getäuſcht d. h. zu Hunderten weggefangen. Doch hat er immerhin mehr<lb/>
Freunde, als Feinde: viele Amerikaner haben ihn ebenſo lieb, als wir unſer <hirendition="#g">Rothkehlchen.</hi> Auch<lb/>
er wird von Gutherzigen gefüttert und unterſtützt und vergißt darüber das Mißtrauen, welches ihm die<lb/>
Tücke des Fängers ſonſt wohl einflößen möchte. Er läßt den Fußgänger und Reiter nahe an ſich vor-<lb/>
überziehen und fliegt höchſtens dann auf, wenn er fürchtet, von dem Vorbeigehenden verletzt zu werden.<lb/>
Dieſes Zutrauen währt jedoch nur, ſolange der ſtrenge Winter ſeine Herrſchaft führt; denn mit begin-<lb/>
nendem Frühling verläßt er Städte und Dörfer, um ſeinen lieben Bergen oder ſeinem heimatlichen<lb/>
Norden zuzufliegen. <hirendition="#g">Wilſon,</hi> der genaue Thierkenner, wundert ſich, daß der Winterfink während<lb/>
der ſchönen Monate des Jahres nicht im Süden bleiben mag, obgleich dieſer reich ſei an verſchiedenem<lb/>
Futter, wie der Vogel es liebt: er vergißt, daß den Fremdling eben nur die Noth zum Wandern treibt,<lb/>
und daß auch er die Zeit erſehnt, welche ihm die Heimat wieder wohnlich macht.</p><lb/><p>Mit Vögeln ſeines Gelichters vereinigt ſich der Winterfink ſelten. Höchſtens in den Dörfern ſchlägt<lb/>
er ſich mit dem ſogenannten <hirendition="#g">Singſperling</hi> und andern Verwandten, im Gehöft auch mit Haus-<lb/>
hühnern, in Flüge zuſammen; aber auch dann noch hält er ſich geſondert von dem großen Haufen.<lb/>
Die Nacht verbringt er auf Bäumen ſitzend oder aber nach Art der Sperlinge in Höhlungen, welche<lb/>
er zufällig findet oder in den Getreidehaufen ſelbſt ſich anlegt. <hirendition="#g">Audubon</hi> verſichert, daß eine gewiſſe<lb/>
Förmlichkeit unter ihnen herrſche, und daß keiner zu große Vertraulichkeit leiden möge. Augenblicklich<lb/>ſind die kleinen Schnäbel geöffnet und die Flügel ausgebreitet, wenn ein Fremder zu nahe kommt; die<lb/>
Augen funkeln, und ein abweiſender Ton wird ausgeſtoßen, um den Störenfried zu bedeuten. Jn<lb/>ſeinen Bewegungen ähnelt der Winterfink unſerm <hirendition="#g">Sperling.</hi> Er hüpft leicht über den Boden dahin,<lb/>
fliegt ſchnell und zeigt bei eiferſüchtigen Kämpfen mit ſeines Gleichen eine große Geſchicklichkeit.</p><lb/><p>Bald nach ſeiner Ankunft in der eigentlichen Heimat ſchreitet der Winterfink zur Fortpflanzung.<lb/>
Die Männchen kämpfen heftig unter einander, jagen ſich, fliegend, hin und her, breiten dabei Schwin-<lb/>
gen und Schwanz weit aus und entfalten ſo eine eigenthümliche und überraſchende Pracht. Zu<lb/>
gleicher Zeit geben ſie ihren einfachen, aber angenehmen Gefang zum Beſten, in welchem einige<lb/>
volle, langgezogene Töne die Hauptſache ſind; <hirendition="#g">Gerhardt</hi> nennt ihn ein Gezwitſcher, wie das junger<lb/>
Kauarienvögel. Die Paare ſuchen ſich ſodann einen geeigneten Niſtplatz aus, am liebſten eine Berg-<lb/>
wand, welche dicht mit Buſchwerk beſtanden iſt, und bauen ſich hier, immer auf dem Boden, aus Rin-<lb/>
denſchalen und Gras ihr Neſt, deſſen innere Wandung mit feinem Mos, mit Pferde- und anderen<lb/>
Haaren ausgekleidet wird. Die vier Eier ſind etwa ¾ Zoll lang und an der dickſten Stelle ⅝ Zoll<lb/>
breit und auf gilblich weißem Grunde dicht mit kleinen röthlichbraunen Flecken gezeichnet. Ueber den<lb/>
Antheil, welchen das Männchen am Brutgeſchäfte nimmt, finde ich keine Angabe; dagegen erwähnen<lb/>
die gedachten Schriftſteller, daß beide Eltern ihre ausgeflogenen Jungen noch längere Zeit führen,<lb/>ſorgſam bewachen und bei Gefahr durch einen eigenthümlichen Laut warnen.</p><lb/><p>Unter den zahlreichen Feinden des Winterfinken ſoll der <hirendition="#g">Sperlingsfalk</hi> (<hirendition="#aq">Rhynehodon spar-<lb/>
verius</hi>) der ſchlimmſte ſein. Jhn ſah <hirendition="#g">Wilſon</hi>ſtets in der Nähe unſerer Vögel, auf eine günſtige Gelegen-<lb/>
heit wartend. Jm geeigneten Augenblick ſchoß er dann unter den auffliegenden Haufen, ergriff Einen<lb/>
aus der Menge und verzehrte ihn auf dem nächſten beſten Baume. Nächſt dem Falken mögen wohl<lb/>
auch die Wieſel und andere kleine Raubthiere den Winterfinken eifrig nachſtellen.</p><lb/><p>Jn der Gefangenſchaft wird der Vogel nicht gehalten. Man hat es verſucht, aber gefunden, daß<lb/>
er ſtill und langweilig iſt, auch, wie es ſcheint, von der Hitze viel zu leiden hat. Nach Europa iſt er<lb/>
meines Wiſſens bis jetzt noch nicht lebend gekommen; doch will Dies nicht viel ſagen, da auffallender<lb/>
Weiſe von Nordamerika äußerſt wenig Vögel in den Handel gelangen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></body></text></TEI>
[140/0158]
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
nicht ſelten in Geſellſchaft von Rebhühnern, wilden Truthühnern und auch wohl von Eich-
hörnchen, welche mit ihm demſelben Futter nachgehen. Wenn aber Schnee gefallen iſt und ſeine Futter-
plätze bedeckt ſind, erſcheint er im Gehöft des Bauern, längs der öffentlichen Wege und ſchließlich auch in
den Straßen der Stadt, begibt ſich vertrauensvoll unter den Schutz des Menſchen und wird, wie zu er-
warten, tagtäglich grauſam getäuſcht d. h. zu Hunderten weggefangen. Doch hat er immerhin mehr
Freunde, als Feinde: viele Amerikaner haben ihn ebenſo lieb, als wir unſer Rothkehlchen. Auch
er wird von Gutherzigen gefüttert und unterſtützt und vergißt darüber das Mißtrauen, welches ihm die
Tücke des Fängers ſonſt wohl einflößen möchte. Er läßt den Fußgänger und Reiter nahe an ſich vor-
überziehen und fliegt höchſtens dann auf, wenn er fürchtet, von dem Vorbeigehenden verletzt zu werden.
Dieſes Zutrauen währt jedoch nur, ſolange der ſtrenge Winter ſeine Herrſchaft führt; denn mit begin-
nendem Frühling verläßt er Städte und Dörfer, um ſeinen lieben Bergen oder ſeinem heimatlichen
Norden zuzufliegen. Wilſon, der genaue Thierkenner, wundert ſich, daß der Winterfink während
der ſchönen Monate des Jahres nicht im Süden bleiben mag, obgleich dieſer reich ſei an verſchiedenem
Futter, wie der Vogel es liebt: er vergißt, daß den Fremdling eben nur die Noth zum Wandern treibt,
und daß auch er die Zeit erſehnt, welche ihm die Heimat wieder wohnlich macht.
Mit Vögeln ſeines Gelichters vereinigt ſich der Winterfink ſelten. Höchſtens in den Dörfern ſchlägt
er ſich mit dem ſogenannten Singſperling und andern Verwandten, im Gehöft auch mit Haus-
hühnern, in Flüge zuſammen; aber auch dann noch hält er ſich geſondert von dem großen Haufen.
Die Nacht verbringt er auf Bäumen ſitzend oder aber nach Art der Sperlinge in Höhlungen, welche
er zufällig findet oder in den Getreidehaufen ſelbſt ſich anlegt. Audubon verſichert, daß eine gewiſſe
Förmlichkeit unter ihnen herrſche, und daß keiner zu große Vertraulichkeit leiden möge. Augenblicklich
ſind die kleinen Schnäbel geöffnet und die Flügel ausgebreitet, wenn ein Fremder zu nahe kommt; die
Augen funkeln, und ein abweiſender Ton wird ausgeſtoßen, um den Störenfried zu bedeuten. Jn
ſeinen Bewegungen ähnelt der Winterfink unſerm Sperling. Er hüpft leicht über den Boden dahin,
fliegt ſchnell und zeigt bei eiferſüchtigen Kämpfen mit ſeines Gleichen eine große Geſchicklichkeit.
Bald nach ſeiner Ankunft in der eigentlichen Heimat ſchreitet der Winterfink zur Fortpflanzung.
Die Männchen kämpfen heftig unter einander, jagen ſich, fliegend, hin und her, breiten dabei Schwin-
gen und Schwanz weit aus und entfalten ſo eine eigenthümliche und überraſchende Pracht. Zu
gleicher Zeit geben ſie ihren einfachen, aber angenehmen Gefang zum Beſten, in welchem einige
volle, langgezogene Töne die Hauptſache ſind; Gerhardt nennt ihn ein Gezwitſcher, wie das junger
Kauarienvögel. Die Paare ſuchen ſich ſodann einen geeigneten Niſtplatz aus, am liebſten eine Berg-
wand, welche dicht mit Buſchwerk beſtanden iſt, und bauen ſich hier, immer auf dem Boden, aus Rin-
denſchalen und Gras ihr Neſt, deſſen innere Wandung mit feinem Mos, mit Pferde- und anderen
Haaren ausgekleidet wird. Die vier Eier ſind etwa ¾ Zoll lang und an der dickſten Stelle ⅝ Zoll
breit und auf gilblich weißem Grunde dicht mit kleinen röthlichbraunen Flecken gezeichnet. Ueber den
Antheil, welchen das Männchen am Brutgeſchäfte nimmt, finde ich keine Angabe; dagegen erwähnen
die gedachten Schriftſteller, daß beide Eltern ihre ausgeflogenen Jungen noch längere Zeit führen,
ſorgſam bewachen und bei Gefahr durch einen eigenthümlichen Laut warnen.
Unter den zahlreichen Feinden des Winterfinken ſoll der Sperlingsfalk (Rhynehodon spar-
verius) der ſchlimmſte ſein. Jhn ſah Wilſon ſtets in der Nähe unſerer Vögel, auf eine günſtige Gelegen-
heit wartend. Jm geeigneten Augenblick ſchoß er dann unter den auffliegenden Haufen, ergriff Einen
aus der Menge und verzehrte ihn auf dem nächſten beſten Baume. Nächſt dem Falken mögen wohl
auch die Wieſel und andere kleine Raubthiere den Winterfinken eifrig nachſtellen.
Jn der Gefangenſchaft wird der Vogel nicht gehalten. Man hat es verſucht, aber gefunden, daß
er ſtill und langweilig iſt, auch, wie es ſcheint, von der Hitze viel zu leiden hat. Nach Europa iſt er
meines Wiſſens bis jetzt noch nicht lebend gekommen; doch will Dies nicht viel ſagen, da auffallender
Weiſe von Nordamerika äußerſt wenig Vögel in den Handel gelangen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/158>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.