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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer.

Es ist kein Wunder, daß der Mensch sich dieser ungebetenen Gäste nach Kräften zu entwehren
sucht und Schlinge und Leimruthe, Netz, Falle und Dohne, das Feuergewehr und andere Waffen
gegen sie in Anwendung bringt. Nächst ihm stellen die schnellen Falken den Alten, die Marder,
Heher und Raben den Jungen nach. Viele Feinde aber haben weder diese noch die Alten, Dank
ihrer Vorsicht und Scheu.

Jn der Gefangenschaft machen sich die Kernbeißer auch nicht liebenswürdig. Sie gehen zwar
ohne alle Mühe ans Futter, gewöhnen sich an Rübsaat, Hanf, Leinen, Hafer und dergleichen, knacken
artig Kirsch- und Pflaumenkerne auf, fressen Salat und dergleichen, verursachen also keine Mühe; sie
werden auch bald sehr zahm: aber sie sind bei alledem langweilige und ihren Mitgefangenen gegenüber
gefährliche Vögel. Jhre Zanklust stört das Leben in einem Gesellschaftsbauer unter allen Umständen,
selbst dann, wenn der Störenfried eine Zeit lang sich gut beträgt. "Jch hatte einen Kernbeißer",
erzählt Lenz, "welcher drei Jahre lang unter den andern Vögeln, namentlich heckenden Kanarien-
vögeln, herumflog, ohne irgend etwas Böses zu stiften. Jm vierten fiel es ihm ein, mitzuhelfen. Er
besah sich nun die Nester, fing an daran zu bauen und zu bessern, begann aber endlich, die Eier und
gar die Jungen zu fressen, so daß ich ihn zuletzt entfernen mußte."

Vor seinem Schnabel muß man sich stets in Acht nehmen; denn er beißt stets und tüchtig und
in Alles, was man ihm vorhält. Mein Vater sah einen Gefangenen im Besitz eines Studenten der
edeln Musenstadt Jena, welcher in Folge dieser Eigenschaft von den Freunden des Vogelliebhabers oft
betrunken gemacht wurde. Dies gelang sehr leicht. Die lustigen Gesellen füllten eine unten auf-
geschnittene Federspule mit Bier und hielten sie dem Kernbeißer vor. So oft dieser in den offenen
Theil der Spule gebissen hatte, richteten sie letztere aufrecht, so daß das Bier in den Schlund des
Kernbeißers lief. Dieses Verfahren brauchte man nur einige Male zu wiederholen, und der dickköpfige
Geselle war so betrunken, daß er beim Herumhüpfen hin und her taumelte.



Einer der schönsten Kernbeißer, vielleicht der prachtvollste von allen, bewohnt die noch wenig
durchforschten nördlichen Länder Amerikas. Man hat ihn den Abendkernbeißer genannt, weil
Cooper, sein Entdecker, behauptete, daß man nur in dem dämmernden Zwielicht jener hohen Breiten
"seinen auffallenden und traurigen Ton vom Walde her schallen höre, während der schwermüthige
Abendsänger selbst verborgen bleibe". Diese Angabe hat sich durch neuere Beobachtungen, welche
Audubon mitgetheilt, nicht bestätigt. Demungeachtet bleibt der Vogel einer allgemeinen Theil-
nahme werth.

Der Abendkernbeißer (Hesperiphona vespertina), welchen die Jndianer wegen seines pracht-
vollen Gefieders den Zuckervogel nennen, ist ungefähr 8 bis 81/2 Zoll lang, wovon auf den
Schwanz 3 Zoll zu rechnen sind. Der Flügel mißt vom Bug bis zur Schwingenspitze 43/4 Zoll.
Beim Männchen sind Oberkopf, Flügel und Schwanz tiefschwarz, eine Binde, die von der Stirn an
über die Augen verläuft, der mittlere Theil des Rückens und die ganze Unterseite aber, die unteren
Flügel und Schwanzdeckfedern hochgelb, der Nacken, die Kopfseiten, Vorder- und Hinterhals, der
Oberrücken und die Brust dunkelolivenbraun, die Schulterseiten gelb mit grünlichem Schimmer, die
letzten Schwingen endlich blendend weiß. Alle einzelnen Farben sind sehr rein, doch nicht bestimmt
von einander geschieden. Sie gehen allgemach in einander über und erhöhen dadurch die Schönheit
des Thieres. Dem Weibchen fehlt das gelbe Band am Vorderkopf und der weiße Flecken auf den
Hinterschwingen. Die übrigen Farben sind blässer, graulicher, die Schwungfedern theilweise weiß
zugespitzt.

Weder Wilson noch Audubon kennen den prächtigen Vogel aus eigener Anschauung;
Richardson hingegen erwähnt ihn als einen der häufigsten Bewohner der Ahornwälder in den

Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer.

Es iſt kein Wunder, daß der Menſch ſich dieſer ungebetenen Gäſte nach Kräften zu entwehren
ſucht und Schlinge und Leimruthe, Netz, Falle und Dohne, das Feuergewehr und andere Waffen
gegen ſie in Anwendung bringt. Nächſt ihm ſtellen die ſchnellen Falken den Alten, die Marder,
Heher und Raben den Jungen nach. Viele Feinde aber haben weder dieſe noch die Alten, Dank
ihrer Vorſicht und Scheu.

Jn der Gefangenſchaft machen ſich die Kernbeißer auch nicht liebenswürdig. Sie gehen zwar
ohne alle Mühe ans Futter, gewöhnen ſich an Rübſaat, Hanf, Leinen, Hafer und dergleichen, knacken
artig Kirſch- und Pflaumenkerne auf, freſſen Salat und dergleichen, verurſachen alſo keine Mühe; ſie
werden auch bald ſehr zahm: aber ſie ſind bei alledem langweilige und ihren Mitgefangenen gegenüber
gefährliche Vögel. Jhre Zankluſt ſtört das Leben in einem Geſellſchaftsbauer unter allen Umſtänden,
ſelbſt dann, wenn der Störenfried eine Zeit lang ſich gut beträgt. „Jch hatte einen Kernbeißer‟,
erzählt Lenz, „welcher drei Jahre lang unter den andern Vögeln, namentlich heckenden Kanarien-
vögeln, herumflog, ohne irgend etwas Böſes zu ſtiften. Jm vierten fiel es ihm ein, mitzuhelfen. Er
beſah ſich nun die Neſter, fing an daran zu bauen und zu beſſern, begann aber endlich, die Eier und
gar die Jungen zu freſſen, ſo daß ich ihn zuletzt entfernen mußte.‟

Vor ſeinem Schnabel muß man ſich ſtets in Acht nehmen; denn er beißt ſtets und tüchtig und
in Alles, was man ihm vorhält. Mein Vater ſah einen Gefangenen im Beſitz eines Studenten der
edeln Muſenſtadt Jena, welcher in Folge dieſer Eigenſchaft von den Freunden des Vogelliebhabers oft
betrunken gemacht wurde. Dies gelang ſehr leicht. Die luſtigen Geſellen füllten eine unten auf-
geſchnittene Federſpule mit Bier und hielten ſie dem Kernbeißer vor. So oft dieſer in den offenen
Theil der Spule gebiſſen hatte, richteten ſie letztere aufrecht, ſo daß das Bier in den Schlund des
Kernbeißers lief. Dieſes Verfahren brauchte man nur einige Male zu wiederholen, und der dickköpfige
Geſelle war ſo betrunken, daß er beim Herumhüpfen hin und her taumelte.



Einer der ſchönſten Kernbeißer, vielleicht der prachtvollſte von allen, bewohnt die noch wenig
durchforſchten nördlichen Länder Amerikas. Man hat ihn den Abendkernbeißer genannt, weil
Cooper, ſein Entdecker, behauptete, daß man nur in dem dämmernden Zwielicht jener hohen Breiten
„ſeinen auffallenden und traurigen Ton vom Walde her ſchallen höre, während der ſchwermüthige
Abendſänger ſelbſt verborgen bleibe‟. Dieſe Angabe hat ſich durch neuere Beobachtungen, welche
Audubon mitgetheilt, nicht beſtätigt. Demungeachtet bleibt der Vogel einer allgemeinen Theil-
nahme werth.

Der Abendkernbeißer (Hesperiphona vespertina), welchen die Jndianer wegen ſeines pracht-
vollen Gefieders den Zuckervogel nennen, iſt ungefähr 8 bis 8½ Zoll lang, wovon auf den
Schwanz 3 Zoll zu rechnen ſind. Der Flügel mißt vom Bug bis zur Schwingenſpitze 4¾ Zoll.
Beim Männchen ſind Oberkopf, Flügel und Schwanz tiefſchwarz, eine Binde, die von der Stirn an
über die Augen verläuft, der mittlere Theil des Rückens und die ganze Unterſeite aber, die unteren
Flügel und Schwanzdeckfedern hochgelb, der Nacken, die Kopfſeiten, Vorder- und Hinterhals, der
Oberrücken und die Bruſt dunkelolivenbraun, die Schulterſeiten gelb mit grünlichem Schimmer, die
letzten Schwingen endlich blendend weiß. Alle einzelnen Farben ſind ſehr rein, doch nicht beſtimmt
von einander geſchieden. Sie gehen allgemach in einander über und erhöhen dadurch die Schönheit
des Thieres. Dem Weibchen fehlt das gelbe Band am Vorderkopf und der weiße Flecken auf den
Hinterſchwingen. Die übrigen Farben ſind bläſſer, graulicher, die Schwungfedern theilweiſe weiß
zugeſpitzt.

Weder Wilſon noch Audubon kennen den prächtigen Vogel aus eigener Anſchauung;
Richardſon hingegen erwähnt ihn als einen der häufigſten Bewohner der Ahornwälder in den

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[176/0196] Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer. Es iſt kein Wunder, daß der Menſch ſich dieſer ungebetenen Gäſte nach Kräften zu entwehren ſucht und Schlinge und Leimruthe, Netz, Falle und Dohne, das Feuergewehr und andere Waffen gegen ſie in Anwendung bringt. Nächſt ihm ſtellen die ſchnellen Falken den Alten, die Marder, Heher und Raben den Jungen nach. Viele Feinde aber haben weder dieſe noch die Alten, Dank ihrer Vorſicht und Scheu. Jn der Gefangenſchaft machen ſich die Kernbeißer auch nicht liebenswürdig. Sie gehen zwar ohne alle Mühe ans Futter, gewöhnen ſich an Rübſaat, Hanf, Leinen, Hafer und dergleichen, knacken artig Kirſch- und Pflaumenkerne auf, freſſen Salat und dergleichen, verurſachen alſo keine Mühe; ſie werden auch bald ſehr zahm: aber ſie ſind bei alledem langweilige und ihren Mitgefangenen gegenüber gefährliche Vögel. Jhre Zankluſt ſtört das Leben in einem Geſellſchaftsbauer unter allen Umſtänden, ſelbſt dann, wenn der Störenfried eine Zeit lang ſich gut beträgt. „Jch hatte einen Kernbeißer‟, erzählt Lenz, „welcher drei Jahre lang unter den andern Vögeln, namentlich heckenden Kanarien- vögeln, herumflog, ohne irgend etwas Böſes zu ſtiften. Jm vierten fiel es ihm ein, mitzuhelfen. Er beſah ſich nun die Neſter, fing an daran zu bauen und zu beſſern, begann aber endlich, die Eier und gar die Jungen zu freſſen, ſo daß ich ihn zuletzt entfernen mußte.‟ Vor ſeinem Schnabel muß man ſich ſtets in Acht nehmen; denn er beißt ſtets und tüchtig und in Alles, was man ihm vorhält. Mein Vater ſah einen Gefangenen im Beſitz eines Studenten der edeln Muſenſtadt Jena, welcher in Folge dieſer Eigenſchaft von den Freunden des Vogelliebhabers oft betrunken gemacht wurde. Dies gelang ſehr leicht. Die luſtigen Geſellen füllten eine unten auf- geſchnittene Federſpule mit Bier und hielten ſie dem Kernbeißer vor. So oft dieſer in den offenen Theil der Spule gebiſſen hatte, richteten ſie letztere aufrecht, ſo daß das Bier in den Schlund des Kernbeißers lief. Dieſes Verfahren brauchte man nur einige Male zu wiederholen, und der dickköpfige Geſelle war ſo betrunken, daß er beim Herumhüpfen hin und her taumelte. Einer der ſchönſten Kernbeißer, vielleicht der prachtvollſte von allen, bewohnt die noch wenig durchforſchten nördlichen Länder Amerikas. Man hat ihn den Abendkernbeißer genannt, weil Cooper, ſein Entdecker, behauptete, daß man nur in dem dämmernden Zwielicht jener hohen Breiten „ſeinen auffallenden und traurigen Ton vom Walde her ſchallen höre, während der ſchwermüthige Abendſänger ſelbſt verborgen bleibe‟. Dieſe Angabe hat ſich durch neuere Beobachtungen, welche Audubon mitgetheilt, nicht beſtätigt. Demungeachtet bleibt der Vogel einer allgemeinen Theil- nahme werth. Der Abendkernbeißer (Hesperiphona vespertina), welchen die Jndianer wegen ſeines pracht- vollen Gefieders den Zuckervogel nennen, iſt ungefähr 8 bis 8½ Zoll lang, wovon auf den Schwanz 3 Zoll zu rechnen ſind. Der Flügel mißt vom Bug bis zur Schwingenſpitze 4¾ Zoll. Beim Männchen ſind Oberkopf, Flügel und Schwanz tiefſchwarz, eine Binde, die von der Stirn an über die Augen verläuft, der mittlere Theil des Rückens und die ganze Unterſeite aber, die unteren Flügel und Schwanzdeckfedern hochgelb, der Nacken, die Kopfſeiten, Vorder- und Hinterhals, der Oberrücken und die Bruſt dunkelolivenbraun, die Schulterſeiten gelb mit grünlichem Schimmer, die letzten Schwingen endlich blendend weiß. Alle einzelnen Farben ſind ſehr rein, doch nicht beſtimmt von einander geſchieden. Sie gehen allgemach in einander über und erhöhen dadurch die Schönheit des Thieres. Dem Weibchen fehlt das gelbe Band am Vorderkopf und der weiße Flecken auf den Hinterſchwingen. Die übrigen Farben ſind bläſſer, graulicher, die Schwungfedern theilweiſe weiß zugeſpitzt. Weder Wilſon noch Audubon kennen den prächtigen Vogel aus eigener Anſchauung; Richardſon hingegen erwähnt ihn als einen der häufigſten Bewohner der Ahornwälder in den

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/196>, abgerufen am 24.11.2024.