"Außer dem gewöhnlichen Futter (weißer ungeschälter Hirse und Kanariensamen, etwas Grünes nicht zu vergessen, besonders Salat und zwar am liebsten die Mittelrippen der Blätter) setzte ich vor- zugsweise den Alten obige Sämereien in Wasser gequellt, nebst in heißer Milch aufgebrühten Ameiseneiern (da sie zu dieser Jahreszeit nur gedörrt zu haben sind) zur Auffütterung der Jungen vor. Und beide weiche Speisen schienen die Alten auch wirklich zu bevorzugen. Während des Legens pflegte ich den Vögeln wöchentlich mehrmals ein wenig Butter zu geben, die sie nie verschmähten. Auch Eischale wird zu jeder Zeit von Jung und Alt geknabbert."
"Sechszehn Tage alt (15. November), verließen zwei der Jungen, auf kurze Zeit wenigstens, das Nest, jedoch noch sehr schüchtern und nicht, ohne von den Alten von hintenher geschoben und von vornher durch Lockspeise geködert zu werden. Die Jungen waren vollständig befiedert, hatten fast die Größe der Eltern und lernten nach mehreren Tagen, wenn auch noch ungeschickt, sich selbst am Futter- napf bedienen, obschon sie, wie alle jungen Vögel, noch sehr gern sich füttern ließen. Zunächst kauerten sie in einer Reihe dicht neben einander und nicht selten zwischen ihren Eltern, hier an den Vater, dort an die Mutter angeschmiegt. Gewöhnlich aber änderte sich das reizende Familienbild gar schnell, so- bald nämlich der Appetit sich regte, -- und dieser schien nie lange auf sich warten zu lassen. Plötzlich wurde das Stillleben durch einen kläglichen Ruf nach Speise unterbrochen. Damit war das Zeichen zu allgemeinem Lärmen gegeben, das nur wuchs, je unbeweglicher die Eltern dem ungestümen Ver- langen gegenüber sich verhielten. Und da jeder Einzelne sich der vorzugsweisen Gunst der Eltern zu erfreuen glaubte und sein Bitten für unwiderstehlicher hielt, als das der anderen, eben weil es Nichts zu fruchten schien, so stürmte er über die andern hinweg, dieser auf die Mutter, jener auf den Vater ein und ein Dritter wohl gar, von dem Gezweig (welches ich statt der Springstäbe im Käfig habe) herabhängend, ließ über den Kopf der Hartherzigen herein sein Klagelied immer eindringlicher ertönen. Die Jungen konnten, wie gesagt, bereits allein fressen, und den Alten schien es eine Maßregel der Er- ziehung, die Kinder durch Hunger zur Selbständigkeit zu zwingen. Suchte sich auch der gestrenge Herr Papa der immer zudringlicher werdenden Bettler durch eine Zurechtweisung mit dem Schnabel zu erwehren, oder flog er unwillig davon: das Mutterherz war nicht im Stande, den unge- stümen Klagen der Kinder auf die Dauer zu widerstehen. Und wenn auch nur, um dem Lärmen ein Ende zu machen und sich Ruhe zu verschaffen, entschloß sie sich endlich, Futter zu holen. Sehnsüchtig und unaufhörlich lärmend erwarteten sie deren Rückkehr und umringten die Zurückgekehrte oft von allen Seiten rechts und links, von oben herein und von unten hinauf, so daß sie nicht wußte wo an- fangen; denn der Hungrigste schien eben gerade Jeder."
"So lange die Jungen noch nicht ausreichend allein fressen konnten, waren die Eltern weniger unbarmherzig, und nie ließen sie die Kleinen so harte Proben bestehen. Auch war das Drängen und Schreien der Jungen nie so gewaltig. Sie saßen in einer Reihe da und warteten der fleißig füttern- den Eltern ungeduldig zwar, aber doch gesittlich. Während die Mutter ihr Kind, das gerade neben ihr saß, fütterte, sperrten die übrigen wohl auch die Schnäbelchen ihr entgegen; fast immer aber wurde Reihe und Glied gehalten, vielleicht auch darum, weil sie ihren Füßen und Flügeln noch nicht ganz vertrauen gelernt hatten. Jetzt kam das zweite Kind an die Reihe, und es sah sonderbar genug aus, wenn Frau Mutter ihrem Kindlein auf den Rücken hüpfte und vonhieraus in den ihr rückwärts zuge- wendeten Schnabel des Jungen hineinstopfte. Zuweilen erkühnte sich eins der Vögelchen, über seinen Nachbar hinweg der Mutter näher zu rücken, um ein Glied früher an die Reihe zu kommen. Nicht selten auch hing die Mutter an dem Gezweig über ihren Kindern und spendete freundlich lockend Lab- sal von oben herab."
"Am Futternapf und an dem Wassergefäß wurde förmlich Unterricht ertheilt. Wenn die Alten die Zeit gekommen glaubten, wo die Jungen sich selbst zu bedienen lernen sollten, setzten sie sich an den Futternapf und naschten, unbekümmert um das Lärmen und Rufen ihrer Kinder, bald von Dem, bald von Jenem. Endlich kletterten, flogen und purzelten die annoch unbeholfenen und ängstlichen Jungen auf den Boden des Käfigs. Hier verlangten sie mit gleichem Ungestüm, gefüttert zu werden,
Die Knacker. Sperlingsvögel. Prachtfinken.
„Außer dem gewöhnlichen Futter (weißer ungeſchälter Hirſe und Kanarienſamen, etwas Grünes nicht zu vergeſſen, beſonders Salat und zwar am liebſten die Mittelrippen der Blätter) ſetzte ich vor- zugsweiſe den Alten obige Sämereien in Waſſer gequellt, nebſt in heißer Milch aufgebrühten Ameiſeneiern (da ſie zu dieſer Jahreszeit nur gedörrt zu haben ſind) zur Auffütterung der Jungen vor. Und beide weiche Speiſen ſchienen die Alten auch wirklich zu bevorzugen. Während des Legens pflegte ich den Vögeln wöchentlich mehrmals ein wenig Butter zu geben, die ſie nie verſchmähten. Auch Eiſchale wird zu jeder Zeit von Jung und Alt geknabbert.‟
„Sechszehn Tage alt (15. November), verließen zwei der Jungen, auf kurze Zeit wenigſtens, das Neſt, jedoch noch ſehr ſchüchtern und nicht, ohne von den Alten von hintenher geſchoben und von vornher durch Lockſpeiſe geködert zu werden. Die Jungen waren vollſtändig befiedert, hatten faſt die Größe der Eltern und lernten nach mehreren Tagen, wenn auch noch ungeſchickt, ſich ſelbſt am Futter- napf bedienen, obſchon ſie, wie alle jungen Vögel, noch ſehr gern ſich füttern ließen. Zunächſt kauerten ſie in einer Reihe dicht neben einander und nicht ſelten zwiſchen ihren Eltern, hier an den Vater, dort an die Mutter angeſchmiegt. Gewöhnlich aber änderte ſich das reizende Familienbild gar ſchnell, ſo- bald nämlich der Appetit ſich regte, — und dieſer ſchien nie lange auf ſich warten zu laſſen. Plötzlich wurde das Stillleben durch einen kläglichen Ruf nach Speiſe unterbrochen. Damit war das Zeichen zu allgemeinem Lärmen gegeben, das nur wuchs, je unbeweglicher die Eltern dem ungeſtümen Ver- langen gegenüber ſich verhielten. Und da jeder Einzelne ſich der vorzugsweiſen Gunſt der Eltern zu erfreuen glaubte und ſein Bitten für unwiderſtehlicher hielt, als das der anderen, eben weil es Nichts zu fruchten ſchien, ſo ſtürmte er über die andern hinweg, dieſer auf die Mutter, jener auf den Vater ein und ein Dritter wohl gar, von dem Gezweig (welches ich ſtatt der Springſtäbe im Käfig habe) herabhängend, ließ über den Kopf der Hartherzigen herein ſein Klagelied immer eindringlicher ertönen. Die Jungen konnten, wie geſagt, bereits allein freſſen, und den Alten ſchien es eine Maßregel der Er- ziehung, die Kinder durch Hunger zur Selbſtändigkeit zu zwingen. Suchte ſich auch der geſtrenge Herr Papa der immer zudringlicher werdenden Bettler durch eine Zurechtweiſung mit dem Schnabel zu erwehren, oder flog er unwillig davon: das Mutterherz war nicht im Stande, den unge- ſtümen Klagen der Kinder auf die Dauer zu widerſtehen. Und wenn auch nur, um dem Lärmen ein Ende zu machen und ſich Ruhe zu verſchaffen, entſchloß ſie ſich endlich, Futter zu holen. Sehnſüchtig und unaufhörlich lärmend erwarteten ſie deren Rückkehr und umringten die Zurückgekehrte oft von allen Seiten rechts und links, von oben herein und von unten hinauf, ſo daß ſie nicht wußte wo an- fangen; denn der Hungrigſte ſchien eben gerade Jeder.‟
„So lange die Jungen noch nicht ausreichend allein freſſen konnten, waren die Eltern weniger unbarmherzig, und nie ließen ſie die Kleinen ſo harte Proben beſtehen. Auch war das Drängen und Schreien der Jungen nie ſo gewaltig. Sie ſaßen in einer Reihe da und warteten der fleißig füttern- den Eltern ungeduldig zwar, aber doch geſittlich. Während die Mutter ihr Kind, das gerade neben ihr ſaß, fütterte, ſperrten die übrigen wohl auch die Schnäbelchen ihr entgegen; faſt immer aber wurde Reihe und Glied gehalten, vielleicht auch darum, weil ſie ihren Füßen und Flügeln noch nicht ganz vertrauen gelernt hatten. Jetzt kam das zweite Kind an die Reihe, und es ſah ſonderbar genug aus, wenn Frau Mutter ihrem Kindlein auf den Rücken hüpfte und vonhieraus in den ihr rückwärts zuge- wendeten Schnabel des Jungen hineinſtopfte. Zuweilen erkühnte ſich eins der Vögelchen, über ſeinen Nachbar hinweg der Mutter näher zu rücken, um ein Glied früher an die Reihe zu kommen. Nicht ſelten auch hing die Mutter an dem Gezweig über ihren Kindern und ſpendete freundlich lockend Lab- ſal von oben herab.‟
„Am Futternapf und an dem Waſſergefäß wurde förmlich Unterricht ertheilt. Wenn die Alten die Zeit gekommen glaubten, wo die Jungen ſich ſelbſt zu bedienen lernen ſollten, ſetzten ſie ſich an den Futternapf und naſchten, unbekümmert um das Lärmen und Rufen ihrer Kinder, bald von Dem, bald von Jenem. Endlich kletterten, flogen und purzelten die annoch unbeholfenen und ängſtlichen Jungen auf den Boden des Käfigs. Hier verlangten ſie mit gleichem Ungeſtüm, gefüttert zu werden,
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„Außer dem gewöhnlichen Futter (weißer ungeſchälter Hirſe und Kanarienſamen, etwas Grünes
nicht zu vergeſſen, beſonders Salat und zwar am liebſten die Mittelrippen der Blätter) ſetzte ich vor-
zugsweiſe den Alten obige Sämereien in Waſſer gequellt, nebſt in heißer Milch aufgebrühten
Ameiſeneiern (da ſie zu dieſer Jahreszeit nur gedörrt zu haben ſind) zur Auffütterung der Jungen
vor. Und beide weiche Speiſen ſchienen die Alten auch wirklich zu bevorzugen. Während des Legens
pflegte ich den Vögeln wöchentlich mehrmals ein wenig Butter zu geben, die ſie nie verſchmähten.
Auch Eiſchale wird zu jeder Zeit von Jung und Alt geknabbert.‟
„Sechszehn Tage alt (15. November), verließen zwei der Jungen, auf kurze Zeit wenigſtens, das
Neſt, jedoch noch ſehr ſchüchtern und nicht, ohne von den Alten von hintenher geſchoben und von
vornher durch Lockſpeiſe geködert zu werden. Die Jungen waren vollſtändig befiedert, hatten faſt die
Größe der Eltern und lernten nach mehreren Tagen, wenn auch noch ungeſchickt, ſich ſelbſt am Futter-
napf bedienen, obſchon ſie, wie alle jungen Vögel, noch ſehr gern ſich füttern ließen. Zunächſt kauerten
ſie in einer Reihe dicht neben einander und nicht ſelten zwiſchen ihren Eltern, hier an den Vater, dort
an die Mutter angeſchmiegt. Gewöhnlich aber änderte ſich das reizende Familienbild gar ſchnell, ſo-
bald nämlich der Appetit ſich regte, — und dieſer ſchien nie lange auf ſich warten zu laſſen. Plötzlich
wurde das Stillleben durch einen kläglichen Ruf nach Speiſe unterbrochen. Damit war das Zeichen
zu allgemeinem Lärmen gegeben, das nur wuchs, je unbeweglicher die Eltern dem ungeſtümen Ver-
langen gegenüber ſich verhielten. Und da jeder Einzelne ſich der vorzugsweiſen Gunſt der Eltern zu
erfreuen glaubte und ſein Bitten für unwiderſtehlicher hielt, als das der anderen, eben weil es Nichts
zu fruchten ſchien, ſo ſtürmte er über die andern hinweg, dieſer auf die Mutter, jener auf den Vater
ein und ein Dritter wohl gar, von dem Gezweig (welches ich ſtatt der Springſtäbe im Käfig habe)
herabhängend, ließ über den Kopf der Hartherzigen herein ſein Klagelied immer eindringlicher ertönen.
Die Jungen konnten, wie geſagt, bereits allein freſſen, und den Alten ſchien es eine Maßregel der Er-
ziehung, die Kinder durch Hunger zur Selbſtändigkeit zu zwingen. Suchte ſich auch der
geſtrenge Herr Papa der immer zudringlicher werdenden Bettler durch eine Zurechtweiſung mit dem
Schnabel zu erwehren, oder flog er unwillig davon: das Mutterherz war nicht im Stande, den unge-
ſtümen Klagen der Kinder auf die Dauer zu widerſtehen. Und wenn auch nur, um dem Lärmen ein
Ende zu machen und ſich Ruhe zu verſchaffen, entſchloß ſie ſich endlich, Futter zu holen. Sehnſüchtig
und unaufhörlich lärmend erwarteten ſie deren Rückkehr und umringten die Zurückgekehrte oft von
allen Seiten rechts und links, von oben herein und von unten hinauf, ſo daß ſie nicht wußte wo an-
fangen; denn der Hungrigſte ſchien eben gerade Jeder.‟
„So lange die Jungen noch nicht ausreichend allein freſſen konnten, waren die Eltern weniger
unbarmherzig, und nie ließen ſie die Kleinen ſo harte Proben beſtehen. Auch war das Drängen und
Schreien der Jungen nie ſo gewaltig. Sie ſaßen in einer Reihe da und warteten der fleißig füttern-
den Eltern ungeduldig zwar, aber doch geſittlich. Während die Mutter ihr Kind, das gerade neben
ihr ſaß, fütterte, ſperrten die übrigen wohl auch die Schnäbelchen ihr entgegen; faſt immer aber wurde
Reihe und Glied gehalten, vielleicht auch darum, weil ſie ihren Füßen und Flügeln noch nicht ganz
vertrauen gelernt hatten. Jetzt kam das zweite Kind an die Reihe, und es ſah ſonderbar genug aus,
wenn Frau Mutter ihrem Kindlein auf den Rücken hüpfte und vonhieraus in den ihr rückwärts zuge-
wendeten Schnabel des Jungen hineinſtopfte. Zuweilen erkühnte ſich eins der Vögelchen, über ſeinen
Nachbar hinweg der Mutter näher zu rücken, um ein Glied früher an die Reihe zu kommen. Nicht
ſelten auch hing die Mutter an dem Gezweig über ihren Kindern und ſpendete freundlich lockend Lab-
ſal von oben herab.‟
„Am Futternapf und an dem Waſſergefäß wurde förmlich Unterricht ertheilt. Wenn die Alten
die Zeit gekommen glaubten, wo die Jungen ſich ſelbſt zu bedienen lernen ſollten, ſetzten ſie ſich an
den Futternapf und naſchten, unbekümmert um das Lärmen und Rufen ihrer Kinder, bald von Dem,
bald von Jenem. Endlich kletterten, flogen und purzelten die annoch unbeholfenen und ängſtlichen
Jungen auf den Boden des Käfigs. Hier verlangten ſie mit gleichem Ungeſtüm, gefüttert zu werden,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/222>, abgerufen am 23.11.2024.
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