Der Kuhvogel ist ebenfalls über einen großen Theil Nordamerikas verbreitet und wenigstens in einzelnen Gegenden sehr häufig. Auch er lebt hauptsächlich auf sumpfigen Strecken, gern aber neben- bei auf Weiden zwischen Rindern und Pferden. Seine Schlafplätze wählt er sich im Gebüsch oder Röhricht an Flußufern. Jm Norden der vereinigten Staaten erscheint er zu Ende März oder Anfangs April in kleinen Flügen. Erst gegen den Abend hin schart er sich zu großen Massen, oft mit den Schwärmen des Rothflügels vereinigt. Ende September verläßt er das Land wieder, gewöhnlich in Gesellschaft mit andern Vögeln. Seine Nahrung ist wesentlich dieselbe, welche seine Verwandten verzehren. Unsern Staaren ähnelt er darin, daß auch er oft von dem Rücken des Viehs die Schma- rotzer abliest, welche sich dort festgesetzt haben.
Dies Alles würde nach dem Vorhergegangenen eine besondere Erwähnung kaum nöthig erschei- nen lassen; der Kuhvogel zeichnet sich aber anderweitig so wesentlich aus, daß er unserm Buche nicht fehlen darf. Er brütet nämlich nicht selbst, sondern legt, wie unser Kuckuck, seine Eier in anderer Vögel Nester. Noch mehr: er lebt nicht einmal in Paaren. Unter den Kuhvögeln herrscht nicht blos Vielweiberei, sondern auch Vielmännerei. Jedes beliebige Weibchen läßt sich vom ersten besten Männ- chen, welches ihm gefällt, begatten, und umgekehrt nimmt jedes Männchen das erste beste Weibchen an, welches ihm aufstößt. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß bei unserm Kuckuck ganz dasselbe Verhältniß stattfindet; uns wird es aber bei diesem Vogel nicht so leicht, darüber Gewißheit zu erlan- gen, während eine derartige Beobachtung bei dem häufig und gesellig lebenden Kuhvogel keine Schwie- rigkeiten darbietet. Man sieht diesen während der Fortpflanzungszeit ebenso gut in Gesellschaften, als sonst; man sieht ihn in geraden und ungeraden Zahlen bei einander, bei dem einen Fluge mehr Weibchen, bei dem andern mehr Männchen. "Trennt sich ein Weibchen von der Gesellschaft", sagt Potter, "so wird sein Weggang kaum oder nicht berücksichtigt. Kein artiger Gefährte begleitet es oder verräth Kummer über seine Abwesenheit, kein zärtlicher oder liebevoller Ton begrüßt es bei seiner Rückkehr. Jn der That sind solche Ausdrücke der Zärtlichkeit oder wechselseitigen Zuneigung bei dem Kuhvogel durchaus überflüssig; die größte Ungebundenheit ist die Regel: Jeder thut was er will. Beobachtet man eine Anzahl dieser Vögel während der Brütezeit, so kann man sehen, wie das Weib- chen seine Gefährten verläßt, sich unruhig umhertreibt und schließlich an einem geeigneten Orte niederläßt, von wo aus es das Thun und Treiben der andern Vögel wahrnehmen kann. Als ich ein- mal ein Weibchen in dieser Weise suchen sah, beschloß ich womöglich das Ergebniß zu erfahren, stieg zu Pferde und ritt ihm langsam nach. Jch verlor es zuweilen aus dem Gesicht, bekam es jedoch immer bald wieder zu sehen. Es flog in jedes dichte Gebüsch, durchspähete mit der größten Sorgfalt alle Stellen, wo die kleineren Vögel gewöhnlich bauen, schoß zuletzt pfeilschnell in ein dichtes Gebüsch von Erlen und Dornsträuchern, verweilte hier fünf bis sechs Minuten und kehrte dann zu seiner Ge- sellschaft auf dem Felde zurück. Jm Dickicht fand ich das Nest eines Gelbkehlchens (Sylvia marylandica) und in ihm ein Ei des Kuhvogels neben einem andern der rechtmäßigen Besitzer. Als der Kuhvogel längs der einen Seite der Landzunge dahinflog, begab er sich in das dichte Laubwerk einer kleinen Ceder und kehrte zu wiederholten Malen zurück, ehe er es über sich vermochte, den Ort zu verlassen. Bei genauerer Untersuchung fand ich einen Sperling auf dem Neste sitzen: in dieses würde der Kuhvogel sich eingestohlen haben, wäre der Besitzer abwesend gewesen. Es scheint mir ziemlich sicher zu sein, daß der Schmarotzer mit Gewalt in ein Nest dringt, in dem er andere Vögel anfällt und aus ihrem rechtmäßigen Besitze vertreibt. Jm Nothfall vollendet er aber auch auf Schleichwegen, was er nicht durch Gewalt erlangen kann. Jenes Gelbkehlchen kehrte, als ich mich noch in der Nähe der angegebenen Stelle befand, zurück und flog pfeilschnell in sein Nest, verließ es aber sogleich wieder, verschwand und kam wenige Minuten später in Gesellschaft des Männchens zurück. Beide zwitscherten mit großer Lebhaftigkeit und Unruhe eine halbe Stunde lang, als wollten sie die erlittene Beleidigung besprechen."
Das Ei ist, wie bei dem Kuckuck, kleiner, als man, von der Größe des Vogels schließend, ver- muthen möchte. Jn der Färbung scheint es wenig abzuändern. Es ist auf blaßblaugrauem Grunde
Rothflügel. Kuhſtaar.
Der Kuhvogel iſt ebenfalls über einen großen Theil Nordamerikas verbreitet und wenigſtens in einzelnen Gegenden ſehr häufig. Auch er lebt hauptſächlich auf ſumpfigen Strecken, gern aber neben- bei auf Weiden zwiſchen Rindern und Pferden. Seine Schlafplätze wählt er ſich im Gebüſch oder Röhricht an Flußufern. Jm Norden der vereinigten Staaten erſcheint er zu Ende März oder Anfangs April in kleinen Flügen. Erſt gegen den Abend hin ſchart er ſich zu großen Maſſen, oft mit den Schwärmen des Rothflügels vereinigt. Ende September verläßt er das Land wieder, gewöhnlich in Geſellſchaft mit andern Vögeln. Seine Nahrung iſt weſentlich dieſelbe, welche ſeine Verwandten verzehren. Unſern Staaren ähnelt er darin, daß auch er oft von dem Rücken des Viehs die Schma- rotzer ablieſt, welche ſich dort feſtgeſetzt haben.
Dies Alles würde nach dem Vorhergegangenen eine beſondere Erwähnung kaum nöthig erſchei- nen laſſen; der Kuhvogel zeichnet ſich aber anderweitig ſo weſentlich aus, daß er unſerm Buche nicht fehlen darf. Er brütet nämlich nicht ſelbſt, ſondern legt, wie unſer Kuckuck, ſeine Eier in anderer Vögel Neſter. Noch mehr: er lebt nicht einmal in Paaren. Unter den Kuhvögeln herrſcht nicht blos Vielweiberei, ſondern auch Vielmännerei. Jedes beliebige Weibchen läßt ſich vom erſten beſten Männ- chen, welches ihm gefällt, begatten, und umgekehrt nimmt jedes Männchen das erſte beſte Weibchen an, welches ihm aufſtößt. Es iſt durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß bei unſerm Kuckuck ganz daſſelbe Verhältniß ſtattfindet; uns wird es aber bei dieſem Vogel nicht ſo leicht, darüber Gewißheit zu erlan- gen, während eine derartige Beobachtung bei dem häufig und geſellig lebenden Kuhvogel keine Schwie- rigkeiten darbietet. Man ſieht dieſen während der Fortpflanzungszeit ebenſo gut in Geſellſchaften, als ſonſt; man ſieht ihn in geraden und ungeraden Zahlen bei einander, bei dem einen Fluge mehr Weibchen, bei dem andern mehr Männchen. „Trennt ſich ein Weibchen von der Geſellſchaft‟, ſagt Potter, „ſo wird ſein Weggang kaum oder nicht berückſichtigt. Kein artiger Gefährte begleitet es oder verräth Kummer über ſeine Abweſenheit, kein zärtlicher oder liebevoller Ton begrüßt es bei ſeiner Rückkehr. Jn der That ſind ſolche Ausdrücke der Zärtlichkeit oder wechſelſeitigen Zuneigung bei dem Kuhvogel durchaus überflüſſig; die größte Ungebundenheit iſt die Regel: Jeder thut was er will. Beobachtet man eine Anzahl dieſer Vögel während der Brütezeit, ſo kann man ſehen, wie das Weib- chen ſeine Gefährten verläßt, ſich unruhig umhertreibt und ſchließlich an einem geeigneten Orte niederläßt, von wo aus es das Thun und Treiben der andern Vögel wahrnehmen kann. Als ich ein- mal ein Weibchen in dieſer Weiſe ſuchen ſah, beſchloß ich womöglich das Ergebniß zu erfahren, ſtieg zu Pferde und ritt ihm langſam nach. Jch verlor es zuweilen aus dem Geſicht, bekam es jedoch immer bald wieder zu ſehen. Es flog in jedes dichte Gebüſch, durchſpähete mit der größten Sorgfalt alle Stellen, wo die kleineren Vögel gewöhnlich bauen, ſchoß zuletzt pfeilſchnell in ein dichtes Gebüſch von Erlen und Dornſträuchern, verweilte hier fünf bis ſechs Minuten und kehrte dann zu ſeiner Ge- ſellſchaft auf dem Felde zurück. Jm Dickicht fand ich das Neſt eines Gelbkehlchens (Sylvia marylandica) und in ihm ein Ei des Kuhvogels neben einem andern der rechtmäßigen Beſitzer. Als der Kuhvogel längs der einen Seite der Landzunge dahinflog, begab er ſich in das dichte Laubwerk einer kleinen Ceder und kehrte zu wiederholten Malen zurück, ehe er es über ſich vermochte, den Ort zu verlaſſen. Bei genauerer Unterſuchung fand ich einen Sperling auf dem Neſte ſitzen: in dieſes würde der Kuhvogel ſich eingeſtohlen haben, wäre der Beſitzer abweſend geweſen. Es ſcheint mir ziemlich ſicher zu ſein, daß der Schmarotzer mit Gewalt in ein Neſt dringt, in dem er andere Vögel anfällt und aus ihrem rechtmäßigen Beſitze vertreibt. Jm Nothfall vollendet er aber auch auf Schleichwegen, was er nicht durch Gewalt erlangen kann. Jenes Gelbkehlchen kehrte, als ich mich noch in der Nähe der angegebenen Stelle befand, zurück und flog pfeilſchnell in ſein Neſt, verließ es aber ſogleich wieder, verſchwand und kam wenige Minuten ſpäter in Geſellſchaft des Männchens zurück. Beide zwitſcherten mit großer Lebhaftigkeit und Unruhe eine halbe Stunde lang, als wollten ſie die erlittene Beleidigung beſprechen.‟
Das Ei iſt, wie bei dem Kuckuck, kleiner, als man, von der Größe des Vogels ſchließend, ver- muthen möchte. Jn der Färbung ſcheint es wenig abzuändern. Es iſt auf blaßblaugrauem Grunde
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[285/0307]
Rothflügel. Kuhſtaar.
Der Kuhvogel iſt ebenfalls über einen großen Theil Nordamerikas verbreitet und wenigſtens in
einzelnen Gegenden ſehr häufig. Auch er lebt hauptſächlich auf ſumpfigen Strecken, gern aber neben-
bei auf Weiden zwiſchen Rindern und Pferden. Seine Schlafplätze wählt er ſich im Gebüſch oder
Röhricht an Flußufern. Jm Norden der vereinigten Staaten erſcheint er zu Ende März oder
Anfangs April in kleinen Flügen. Erſt gegen den Abend hin ſchart er ſich zu großen Maſſen, oft mit
den Schwärmen des Rothflügels vereinigt. Ende September verläßt er das Land wieder, gewöhnlich
in Geſellſchaft mit andern Vögeln. Seine Nahrung iſt weſentlich dieſelbe, welche ſeine Verwandten
verzehren. Unſern Staaren ähnelt er darin, daß auch er oft von dem Rücken des Viehs die Schma-
rotzer ablieſt, welche ſich dort feſtgeſetzt haben.
Dies Alles würde nach dem Vorhergegangenen eine beſondere Erwähnung kaum nöthig erſchei-
nen laſſen; der Kuhvogel zeichnet ſich aber anderweitig ſo weſentlich aus, daß er unſerm Buche nicht
fehlen darf. Er brütet nämlich nicht ſelbſt, ſondern legt, wie unſer Kuckuck, ſeine Eier in anderer
Vögel Neſter. Noch mehr: er lebt nicht einmal in Paaren. Unter den Kuhvögeln herrſcht nicht blos
Vielweiberei, ſondern auch Vielmännerei. Jedes beliebige Weibchen läßt ſich vom erſten beſten Männ-
chen, welches ihm gefällt, begatten, und umgekehrt nimmt jedes Männchen das erſte beſte Weibchen an,
welches ihm aufſtößt. Es iſt durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß bei unſerm Kuckuck ganz daſſelbe
Verhältniß ſtattfindet; uns wird es aber bei dieſem Vogel nicht ſo leicht, darüber Gewißheit zu erlan-
gen, während eine derartige Beobachtung bei dem häufig und geſellig lebenden Kuhvogel keine Schwie-
rigkeiten darbietet. Man ſieht dieſen während der Fortpflanzungszeit ebenſo gut in Geſellſchaften,
als ſonſt; man ſieht ihn in geraden und ungeraden Zahlen bei einander, bei dem einen Fluge mehr
Weibchen, bei dem andern mehr Männchen. „Trennt ſich ein Weibchen von der Geſellſchaft‟, ſagt
Potter, „ſo wird ſein Weggang kaum oder nicht berückſichtigt. Kein artiger Gefährte begleitet es
oder verräth Kummer über ſeine Abweſenheit, kein zärtlicher oder liebevoller Ton begrüßt es bei ſeiner
Rückkehr. Jn der That ſind ſolche Ausdrücke der Zärtlichkeit oder wechſelſeitigen Zuneigung bei dem
Kuhvogel durchaus überflüſſig; die größte Ungebundenheit iſt die Regel: Jeder thut was er will.
Beobachtet man eine Anzahl dieſer Vögel während der Brütezeit, ſo kann man ſehen, wie das Weib-
chen ſeine Gefährten verläßt, ſich unruhig umhertreibt und ſchließlich an einem geeigneten Orte
niederläßt, von wo aus es das Thun und Treiben der andern Vögel wahrnehmen kann. Als ich ein-
mal ein Weibchen in dieſer Weiſe ſuchen ſah, beſchloß ich womöglich das Ergebniß zu erfahren, ſtieg
zu Pferde und ritt ihm langſam nach. Jch verlor es zuweilen aus dem Geſicht, bekam es jedoch
immer bald wieder zu ſehen. Es flog in jedes dichte Gebüſch, durchſpähete mit der größten Sorgfalt
alle Stellen, wo die kleineren Vögel gewöhnlich bauen, ſchoß zuletzt pfeilſchnell in ein dichtes Gebüſch
von Erlen und Dornſträuchern, verweilte hier fünf bis ſechs Minuten und kehrte dann zu ſeiner Ge-
ſellſchaft auf dem Felde zurück. Jm Dickicht fand ich das Neſt eines Gelbkehlchens (Sylvia
marylandica) und in ihm ein Ei des Kuhvogels neben einem andern der rechtmäßigen Beſitzer. Als
der Kuhvogel längs der einen Seite der Landzunge dahinflog, begab er ſich in das dichte Laubwerk
einer kleinen Ceder und kehrte zu wiederholten Malen zurück, ehe er es über ſich vermochte, den Ort
zu verlaſſen. Bei genauerer Unterſuchung fand ich einen Sperling auf dem Neſte ſitzen: in dieſes
würde der Kuhvogel ſich eingeſtohlen haben, wäre der Beſitzer abweſend geweſen. Es ſcheint mir
ziemlich ſicher zu ſein, daß der Schmarotzer mit Gewalt in ein Neſt dringt, in dem er andere Vögel
anfällt und aus ihrem rechtmäßigen Beſitze vertreibt. Jm Nothfall vollendet er aber auch auf
Schleichwegen, was er nicht durch Gewalt erlangen kann. Jenes Gelbkehlchen kehrte, als ich mich
noch in der Nähe der angegebenen Stelle befand, zurück und flog pfeilſchnell in ſein Neſt, verließ es
aber ſogleich wieder, verſchwand und kam wenige Minuten ſpäter in Geſellſchaft des Männchens
zurück. Beide zwitſcherten mit großer Lebhaftigkeit und Unruhe eine halbe Stunde lang, als wollten
ſie die erlittene Beleidigung beſprechen.‟
Das Ei iſt, wie bei dem Kuckuck, kleiner, als man, von der Größe des Vogels ſchließend, ver-
muthen möchte. Jn der Färbung ſcheint es wenig abzuändern. Es iſt auf blaßblaugrauem Grunde
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/307>, abgerufen am 22.11.2024.
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