Brasilien und Guyana beherbergen recht häufig eins der schönsten Mitglieder der Familie, den Soffre, wie er von den Landeseingeborenen genannt wird (Icterus Jamacaii). Bei ihm sind Kopf, Kehle, Rücken und Schwanz schwarz, der Nacken, der Unterrücken, die Brust und der Bauch leb- haft orangegelb, ein Theil der hintern Armschwingen nach unten weiß gesäumt, die kleinen Deckfedern am Bug orangegelb, die Unterflügeldeckfedern dottergelb. Der Schnabel ist glänzend schwarz, ein Flecken am Unterkiefer aber bleigrau, der Fuß bläulich fleischfarben, der Augenring blaßgelb, eine nackte Stelle ums Auge grün. Das Weibchen ist heller gefärbt als das Männchen, der junge Vogel matter, sein Schnabel braun, sein Fuß blaßgelbbraun und sein Fittig durch breite grauliche Feder- säume gezeichnet. Die Länge beträgt 10 Zoll, die Breite 13 Zoll; der Fittig mißt 41/2 Zoll, der Schwanz ebensoviel.
Der Prinz von Wied, Schomburgk, Burmeister und andere Forscher berichten über das Freileben des Soffre. "Dieser schöne Vogel", sagt der Prinz, "ist eine der größten Zierden der dicht belaubten Baumkronen. Sein prachtvoll feuerfarbiges Gefieder glänzt wie eine Flamme im dun- kelen Laube. Man sieht ihn auf der Spitze eines mäßig hohen Baumes oder auf der Seite einer dicht belaubten Baumkrone, in welche er sogleich einschlüpft, sobald man sich ihm nähert, ohne jedoch beson- ders scheu zu sein. Seine Sitten sind angenehm. Er ist lebhaft, gewandt und in steter Bewegung. Seine Stimme ist höchst abwechselnd und manchfaltig; denn er ahmt anderer Vögel Lieder nach und mischt dabei allerlei eigenthümliche Strophen ein. Er ersetzt also unsern Pirol nicht blos durch die Schönheit des Gefieders, sondern auch durch seine laute, volltönende Stimme. Besonders gern hält er sich da auf, wo die dichten Waldungen an offene oder urbar gemachte Stellen grenzen. Hier begegnet man ihm während der Brutzeit paarweise, nach ihr in kleinen Gesellschaften oder Familien, welche dann vereint umherstreifen. Jn seinem Magen fand ich Ueberreste von Kerbthieren; er sucht aber auch alle Arten reifender Früchte auf, stellt vorzüglich den Orangen und Bananen nach und thut an diesen oft Schaden. Zur Zeit der Reife jener Früchte kommt er den menschlichen Wohnungen sehr nahe."
"Einer meiner Jäger fand das Nest eines Paares dieser Vögel. Es stand etwa acht bis neun Fuß hoch auf einigen wagerechten Baumzweigen, fast wie das Nest unseres europäischen Pirols, doch war es nicht aufgehängt, sondern zwischen die Zweige gewebt. Es bildete eine hohle Kugel von dür- ren Reischen, war oben verschlossen und hatte den Eingang an der einen Seite. Man fand es in der Mitte Februars eben vollendet, aber noch leer."
Schomburgk fügt diesen Angaben Folgendes hinzu: "Das dichte Gebüsch der Ufer ertönte jeden Morgen und Abend von dem lieblichen, aber klagenden Gesang des schönen Gilbvogels, welcher sich nur an den mit Gebüsch gesäumten Ufern der Steppenflüsse findet. Sein beutelförmiges Nest, welches aus den feinsten Grashälmchen erbaut ist, hängt er an baumartige Sträucher auf, welche an dem Saum der Steppe stehen. Jn den Ansiedelungen ist er wegen seines schönen Gesangs ungemein beliebt und wird eifrig von den Europäern gekauft -- freilich um bald zu sterben, indem er sich auf keine Weise an die Gefangenschaft im Käfig gewöhnen zu können scheint. So oft ich auch den Vogel auf meiner Reise in den Niederlassungen zahm fand, hatte er doch vollkommene Freiheit, dahin zu fliegen, wohin er wollte." Letztere Angabe des gewissenhaften Reisenden ist nicht ganz richtig. Der Soffre kommt, wenn auch nicht gerade häufig, so doch zuweilen lebend selbst nach Europa. Jch sah ihn in den Thiergärten zu London und Amsterdam und konnte selbst ein Männchen erwerben, welches nun- mehr schon über Jahresfrist im Käfig ausgehalten hat und sich bei gewöhnlichem Drosselfutter durch- aus wohl zu befinden scheint. Der Vogel erfreut durch seine Lebhaftigkeit und die Zierlichkeit seiner Bewegungen ebenso sehr, wie durch seine Schönheit und den wirklich vortrefflichen Gesang, welchen er jedoch nur gelegentlich hören läßt. Er beansprucht einen ziemlich großen Raum, darf aber leider im Gesellschaftsbauer nicht geduldet werden; denn kleinere Vögel fällt er mörderisch an, überwältigt sie nach kurzer Gegenwehr und verzehrt sie ohne Umstände. Nester plündert er unbarmherzig aus, gleich- viel, ob sie Eier oder Junge enthalten. Selbst gegen größere Vögel, Staare und Drosseln z. B., zeigt
Soffre.
Braſilien und Guyana beherbergen recht häufig eins der ſchönſten Mitglieder der Familie, den Soffre, wie er von den Landeseingeborenen genannt wird (Icterus Jamacaii). Bei ihm ſind Kopf, Kehle, Rücken und Schwanz ſchwarz, der Nacken, der Unterrücken, die Bruſt und der Bauch leb- haft orangegelb, ein Theil der hintern Armſchwingen nach unten weiß geſäumt, die kleinen Deckfedern am Bug orangegelb, die Unterflügeldeckfedern dottergelb. Der Schnabel iſt glänzend ſchwarz, ein Flecken am Unterkiefer aber bleigrau, der Fuß bläulich fleiſchfarben, der Augenring blaßgelb, eine nackte Stelle ums Auge grün. Das Weibchen iſt heller gefärbt als das Männchen, der junge Vogel matter, ſein Schnabel braun, ſein Fuß blaßgelbbraun und ſein Fittig durch breite grauliche Feder- ſäume gezeichnet. Die Länge beträgt 10 Zoll, die Breite 13 Zoll; der Fittig mißt 4½ Zoll, der Schwanz ebenſoviel.
Der Prinz von Wied, Schomburgk, Burmeiſter und andere Forſcher berichten über das Freileben des Soffre. „Dieſer ſchöne Vogel‟, ſagt der Prinz, „iſt eine der größten Zierden der dicht belaubten Baumkronen. Sein prachtvoll feuerfarbiges Gefieder glänzt wie eine Flamme im dun- kelen Laube. Man ſieht ihn auf der Spitze eines mäßig hohen Baumes oder auf der Seite einer dicht belaubten Baumkrone, in welche er ſogleich einſchlüpft, ſobald man ſich ihm nähert, ohne jedoch beſon- ders ſcheu zu ſein. Seine Sitten ſind angenehm. Er iſt lebhaft, gewandt und in ſteter Bewegung. Seine Stimme iſt höchſt abwechſelnd und manchfaltig; denn er ahmt anderer Vögel Lieder nach und miſcht dabei allerlei eigenthümliche Strophen ein. Er erſetzt alſo unſern Pirol nicht blos durch die Schönheit des Gefieders, ſondern auch durch ſeine laute, volltönende Stimme. Beſonders gern hält er ſich da auf, wo die dichten Waldungen an offene oder urbar gemachte Stellen grenzen. Hier begegnet man ihm während der Brutzeit paarweiſe, nach ihr in kleinen Geſellſchaften oder Familien, welche dann vereint umherſtreifen. Jn ſeinem Magen fand ich Ueberreſte von Kerbthieren; er ſucht aber auch alle Arten reifender Früchte auf, ſtellt vorzüglich den Orangen und Bananen nach und thut an dieſen oft Schaden. Zur Zeit der Reife jener Früchte kommt er den menſchlichen Wohnungen ſehr nahe.‟
„Einer meiner Jäger fand das Neſt eines Paares dieſer Vögel. Es ſtand etwa acht bis neun Fuß hoch auf einigen wagerechten Baumzweigen, faſt wie das Neſt unſeres europäiſchen Pirols, doch war es nicht aufgehängt, ſondern zwiſchen die Zweige gewebt. Es bildete eine hohle Kugel von dür- ren Reischen, war oben verſchloſſen und hatte den Eingang an der einen Seite. Man fand es in der Mitte Februars eben vollendet, aber noch leer.‟
Schomburgk fügt dieſen Angaben Folgendes hinzu: „Das dichte Gebüſch der Ufer ertönte jeden Morgen und Abend von dem lieblichen, aber klagenden Geſang des ſchönen Gilbvogels, welcher ſich nur an den mit Gebüſch geſäumten Ufern der Steppenflüſſe findet. Sein beutelförmiges Neſt, welches aus den feinſten Grashälmchen erbaut iſt, hängt er an baumartige Sträucher auf, welche an dem Saum der Steppe ſtehen. Jn den Anſiedelungen iſt er wegen ſeines ſchönen Geſangs ungemein beliebt und wird eifrig von den Europäern gekauft — freilich um bald zu ſterben, indem er ſich auf keine Weiſe an die Gefangenſchaft im Käfig gewöhnen zu können ſcheint. So oft ich auch den Vogel auf meiner Reiſe in den Niederlaſſungen zahm fand, hatte er doch vollkommene Freiheit, dahin zu fliegen, wohin er wollte.‟ Letztere Angabe des gewiſſenhaften Reiſenden iſt nicht ganz richtig. Der Soffre kommt, wenn auch nicht gerade häufig, ſo doch zuweilen lebend ſelbſt nach Europa. Jch ſah ihn in den Thiergärten zu London und Amſterdam und konnte ſelbſt ein Männchen erwerben, welches nun- mehr ſchon über Jahresfriſt im Käfig ausgehalten hat und ſich bei gewöhnlichem Droſſelfutter durch- aus wohl zu befinden ſcheint. Der Vogel erfreut durch ſeine Lebhaftigkeit und die Zierlichkeit ſeiner Bewegungen ebenſo ſehr, wie durch ſeine Schönheit und den wirklich vortrefflichen Geſang, welchen er jedoch nur gelegentlich hören läßt. Er beanſprucht einen ziemlich großen Raum, darf aber leider im Geſellſchaftsbauer nicht geduldet werden; denn kleinere Vögel fällt er mörderiſch an, überwältigt ſie nach kurzer Gegenwehr und verzehrt ſie ohne Umſtände. Neſter plündert er unbarmherzig aus, gleich- viel, ob ſie Eier oder Junge enthalten. Selbſt gegen größere Vögel, Staare und Droſſeln z. B., zeigt
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Soffre.
Braſilien und Guyana beherbergen recht häufig eins der ſchönſten Mitglieder der Familie, den
Soffre, wie er von den Landeseingeborenen genannt wird (Icterus Jamacaii). Bei ihm ſind
Kopf, Kehle, Rücken und Schwanz ſchwarz, der Nacken, der Unterrücken, die Bruſt und der Bauch leb-
haft orangegelb, ein Theil der hintern Armſchwingen nach unten weiß geſäumt, die kleinen Deckfedern
am Bug orangegelb, die Unterflügeldeckfedern dottergelb. Der Schnabel iſt glänzend ſchwarz, ein
Flecken am Unterkiefer aber bleigrau, der Fuß bläulich fleiſchfarben, der Augenring blaßgelb, eine
nackte Stelle ums Auge grün. Das Weibchen iſt heller gefärbt als das Männchen, der junge Vogel
matter, ſein Schnabel braun, ſein Fuß blaßgelbbraun und ſein Fittig durch breite grauliche Feder-
ſäume gezeichnet. Die Länge beträgt 10 Zoll, die Breite 13 Zoll; der Fittig mißt 4½ Zoll, der
Schwanz ebenſoviel.
Der Prinz von Wied, Schomburgk, Burmeiſter und andere Forſcher berichten über das
Freileben des Soffre. „Dieſer ſchöne Vogel‟, ſagt der Prinz, „iſt eine der größten Zierden der
dicht belaubten Baumkronen. Sein prachtvoll feuerfarbiges Gefieder glänzt wie eine Flamme im dun-
kelen Laube. Man ſieht ihn auf der Spitze eines mäßig hohen Baumes oder auf der Seite einer dicht
belaubten Baumkrone, in welche er ſogleich einſchlüpft, ſobald man ſich ihm nähert, ohne jedoch beſon-
ders ſcheu zu ſein. Seine Sitten ſind angenehm. Er iſt lebhaft, gewandt und in ſteter Bewegung.
Seine Stimme iſt höchſt abwechſelnd und manchfaltig; denn er ahmt anderer Vögel Lieder nach
und miſcht dabei allerlei eigenthümliche Strophen ein. Er erſetzt alſo unſern Pirol nicht blos durch
die Schönheit des Gefieders, ſondern auch durch ſeine laute, volltönende Stimme. Beſonders gern
hält er ſich da auf, wo die dichten Waldungen an offene oder urbar gemachte Stellen grenzen. Hier
begegnet man ihm während der Brutzeit paarweiſe, nach ihr in kleinen Geſellſchaften oder Familien,
welche dann vereint umherſtreifen. Jn ſeinem Magen fand ich Ueberreſte von Kerbthieren; er ſucht
aber auch alle Arten reifender Früchte auf, ſtellt vorzüglich den Orangen und Bananen nach und thut
an dieſen oft Schaden. Zur Zeit der Reife jener Früchte kommt er den menſchlichen Wohnungen
ſehr nahe.‟
„Einer meiner Jäger fand das Neſt eines Paares dieſer Vögel. Es ſtand etwa acht bis neun
Fuß hoch auf einigen wagerechten Baumzweigen, faſt wie das Neſt unſeres europäiſchen Pirols, doch
war es nicht aufgehängt, ſondern zwiſchen die Zweige gewebt. Es bildete eine hohle Kugel von dür-
ren Reischen, war oben verſchloſſen und hatte den Eingang an der einen Seite. Man fand es in der
Mitte Februars eben vollendet, aber noch leer.‟
Schomburgk fügt dieſen Angaben Folgendes hinzu: „Das dichte Gebüſch der Ufer ertönte jeden
Morgen und Abend von dem lieblichen, aber klagenden Geſang des ſchönen Gilbvogels, welcher ſich
nur an den mit Gebüſch geſäumten Ufern der Steppenflüſſe findet. Sein beutelförmiges Neſt, welches
aus den feinſten Grashälmchen erbaut iſt, hängt er an baumartige Sträucher auf, welche an dem
Saum der Steppe ſtehen. Jn den Anſiedelungen iſt er wegen ſeines ſchönen Geſangs ungemein
beliebt und wird eifrig von den Europäern gekauft — freilich um bald zu ſterben, indem er ſich auf
keine Weiſe an die Gefangenſchaft im Käfig gewöhnen zu können ſcheint. So oft ich auch den Vogel
auf meiner Reiſe in den Niederlaſſungen zahm fand, hatte er doch vollkommene Freiheit, dahin zu
fliegen, wohin er wollte.‟ Letztere Angabe des gewiſſenhaften Reiſenden iſt nicht ganz richtig. Der
Soffre kommt, wenn auch nicht gerade häufig, ſo doch zuweilen lebend ſelbſt nach Europa. Jch ſah ihn in
den Thiergärten zu London und Amſterdam und konnte ſelbſt ein Männchen erwerben, welches nun-
mehr ſchon über Jahresfriſt im Käfig ausgehalten hat und ſich bei gewöhnlichem Droſſelfutter durch-
aus wohl zu befinden ſcheint. Der Vogel erfreut durch ſeine Lebhaftigkeit und die Zierlichkeit ſeiner
Bewegungen ebenſo ſehr, wie durch ſeine Schönheit und den wirklich vortrefflichen Geſang, welchen er
jedoch nur gelegentlich hören läßt. Er beanſprucht einen ziemlich großen Raum, darf aber leider im
Geſellſchaftsbauer nicht geduldet werden; denn kleinere Vögel fällt er mörderiſch an, überwältigt ſie
nach kurzer Gegenwehr und verzehrt ſie ohne Umſtände. Neſter plündert er unbarmherzig aus, gleich-
viel, ob ſie Eier oder Junge enthalten. Selbſt gegen größere Vögel, Staare und Droſſeln z. B., zeigt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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