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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Rabenvögel. Raben.

"Mir und meinem Diener, welcher Chuqui zu pflegen hat, spendet dieser die größte Zärtlichkeit.
Sobald ich mich sehen lasse, werde ich durch fröhliches Geschrei begrüßt; wenige Augenblicke später sitzt
der liebenswürdige Vogel auf meiner Schulter und gibt sich nunmehr alle erdenkliche Mühe, um mich
zu bewegen, daß ich ihm schmeichele. Geliebkost zu werden, scheint ihn mit der größten Wonne zu
erfüllen. Erlauben mir meine Geschäfte nicht, ihn zu streicheln, so pickt er auffordernd an mein Ohr
oder nestelt mir in den Haaren und läuft mir nach, bis ich ihm gewährt. Viele Vögel habe ich
beobachtet und selbst besessen; aber niemals habe ich einen kennen gelernt, welcher zutraulicher gewesen
wäre, als mein Korallenschnabel. Er scheint eine wahre Hundeseele zu besitzen; denn dem Hunde
ähnelt er hinsichtlich seiner Anhänglichkeit an den Gebieter. War ich einige Tage abwesend, so weiß
er seiner Freude kaum Ausdruck zu geben, wenn er mich endlich wieder sieht: man merkt es ihm an,
daß er sich lebhaft gesehnt hat nach seinem Freunde."

"Chuqui liebt und haßt; er bekundet Zuneigung und Abneigung. Schlecht gekleidete Leute,
zumal Bettler, sind ihm zuwider; er fliegt weg, wenn er sie sieht oder verfolgt sie mit Geschrei. Meine
Hunde kennt er genau, fremde erregen seinen höchsten Zorn. Auf Katzen stößt er wie ein Raubvogel
hernieder, so kühn, daß mir oft Angst um ihn wird. Seinen hier zu Lande heimischen Verwandten
zeigt er Theilnahme. Vorüberziehende Saatkrähen verlocken ihn zu weiten Ausflügen, welche er
sonst nie unternimmt; es scheint mir beinahe, als ob er sich mit Liebesgedanken um sie trüge. Mit der
Rabenkrähe mag er Nichts zu schaffen haben: sie ist ihm zu grob. Anfangs wurde er oft von den
umwohnenden Krähen verfolgt; jetzt aber scheinen sie ihn zu kennen und eingesehen zu haben, daß sie
dem raschen Flieger doch nicht beikommen können: sie kümmern sich kaum mehr um ihn. Mit Elstern
hat sich Chuqui niemals eingelassen."

"Mein Gefangener ist neugierig, wie alle Rabenvögel. Alles Ungewohnte erregt ihn. Als ein
Paar Kängurus in das für sie bestimmte Gehege gebracht werden sollte, war Chuqui augenblicklich zur
Stelle. Der Versandkäfig erschien ihm verdächtig; er saß auf ihm, noch ehe er vom Wagen abgeladen
worden; dem Aufbrechen des Deckels sah er aufmerksam zu. Das Herausspringen der Kängurus
erschreckte ihn: er schrie ängstlich und verwundert laut auf. Die Neugierde überwog jedoch bald seine
Angst: dieser Käfig mußte untersucht werden. Kaum hatten ihn die Beutelthiere verlassen, so war er
ins Jnnere geschlüpft. Boshaft legte ich jetzt den losgebrochenen Deckel wieder auf. Ein herz-
brechendes, ohrenzerreißendes Jammergeschrei war Chuquis Antwort. Jch öffnete; der entsetzte
Alpenbewohner flog eiligst auf die höchste Spitze der nächsten Linde und sah vonhieraus schandernd
auf den verhängnißvollen Kasten herab. Seit dieser Zeit ist es unmöglich, ihn zu bewegen, wieder in
das Jnnere einer Kiste zu schlüpfen."

"Als ich ihm zum ersten Male einen Spiegel vorhielt, hackte er einige Male nach dem vermeint-
lichen Gefährten; bald aber lief er um den Spiegel herum, in der Absicht, ihn von hinten zu unter-
suchen, wie Affen wohl zu thun pflegen. Wenn ich ihm jetzt sein Spiegelbild zeige, geht er stolz
vorbei, ohne dasselbe auch nur zu würdigen."

"Auch die Alpenkrähe ist fähig, anderer Thiere Stimmen nachzuahmen. Chuqui hat den Ruf
des Kiebitz erlernt und gibt denselben mir gewöhnlich zur Antwort, wenn ich ihn rufe." --

"Bekanntlich sind auch diese Raben als Diebe verschrien worden. Falls die Angabe wirklich
auf Beobachtung beruht, macht Chuqui eine rühmenswerthe Ausnahme. Er untersucht zwar Alles,
verdirbt auch wohl Manches, Bücher namentlich, zeigt aber niemals eigentliche Diebsgelüste. Eben-
sowenig nimmt er glühende Kohlen auf, wie Alpendohlen thun sollen; er schreckt im Gegentheil zurück,
wenn man ihm eine brennende Cigarre vorhält."

"Manches noch könnte ich erzählen von diesem theilnahmswerthen Geschöpfe; doch glaube ich,
daß Vorstehendes genügt. Es beweist mindestens, daß die Alpenkrähe ihr eigentliches Wesen erst
dann bekundet, wenn man ihr soviel Freiheit gewährt, wie Chuqui sie genießt."

Jch zweifle nicht im geringsten, daß auch die Gefangenen des hamburger Thiergartens, ohne
Furcht, sie zu verlieren, frei gelassen werden könnten. Sie folgen jetzt nicht nur meinem Rufe, son-

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.

„Mir und meinem Diener, welcher Chuqui zu pflegen hat, ſpendet dieſer die größte Zärtlichkeit.
Sobald ich mich ſehen laſſe, werde ich durch fröhliches Geſchrei begrüßt; wenige Augenblicke ſpäter ſitzt
der liebenswürdige Vogel auf meiner Schulter und gibt ſich nunmehr alle erdenkliche Mühe, um mich
zu bewegen, daß ich ihm ſchmeichele. Geliebkoſt zu werden, ſcheint ihn mit der größten Wonne zu
erfüllen. Erlauben mir meine Geſchäfte nicht, ihn zu ſtreicheln, ſo pickt er auffordernd an mein Ohr
oder neſtelt mir in den Haaren und läuft mir nach, bis ich ihm gewährt. Viele Vögel habe ich
beobachtet und ſelbſt beſeſſen; aber niemals habe ich einen kennen gelernt, welcher zutraulicher geweſen
wäre, als mein Korallenſchnabel. Er ſcheint eine wahre Hundeſeele zu beſitzen; denn dem Hunde
ähnelt er hinſichtlich ſeiner Anhänglichkeit an den Gebieter. War ich einige Tage abweſend, ſo weiß
er ſeiner Freude kaum Ausdruck zu geben, wenn er mich endlich wieder ſieht: man merkt es ihm an,
daß er ſich lebhaft geſehnt hat nach ſeinem Freunde.‟

„Chuqui liebt und haßt; er bekundet Zuneigung und Abneigung. Schlecht gekleidete Leute,
zumal Bettler, ſind ihm zuwider; er fliegt weg, wenn er ſie ſieht oder verfolgt ſie mit Geſchrei. Meine
Hunde kennt er genau, fremde erregen ſeinen höchſten Zorn. Auf Katzen ſtößt er wie ein Raubvogel
hernieder, ſo kühn, daß mir oft Angſt um ihn wird. Seinen hier zu Lande heimiſchen Verwandten
zeigt er Theilnahme. Vorüberziehende Saatkrähen verlocken ihn zu weiten Ausflügen, welche er
ſonſt nie unternimmt; es ſcheint mir beinahe, als ob er ſich mit Liebesgedanken um ſie trüge. Mit der
Rabenkrähe mag er Nichts zu ſchaffen haben: ſie iſt ihm zu grob. Anfangs wurde er oft von den
umwohnenden Krähen verfolgt; jetzt aber ſcheinen ſie ihn zu kennen und eingeſehen zu haben, daß ſie
dem raſchen Flieger doch nicht beikommen können: ſie kümmern ſich kaum mehr um ihn. Mit Elſtern
hat ſich Chuqui niemals eingelaſſen.‟

„Mein Gefangener iſt neugierig, wie alle Rabenvögel. Alles Ungewohnte erregt ihn. Als ein
Paar Kängurus in das für ſie beſtimmte Gehege gebracht werden ſollte, war Chuqui augenblicklich zur
Stelle. Der Verſandkäfig erſchien ihm verdächtig; er ſaß auf ihm, noch ehe er vom Wagen abgeladen
worden; dem Aufbrechen des Deckels ſah er aufmerkſam zu. Das Herausſpringen der Kängurus
erſchreckte ihn: er ſchrie ängſtlich und verwundert laut auf. Die Neugierde überwog jedoch bald ſeine
Angſt: dieſer Käfig mußte unterſucht werden. Kaum hatten ihn die Beutelthiere verlaſſen, ſo war er
ins Jnnere geſchlüpft. Boshaft legte ich jetzt den losgebrochenen Deckel wieder auf. Ein herz-
brechendes, ohrenzerreißendes Jammergeſchrei war Chuquis Antwort. Jch öffnete; der entſetzte
Alpenbewohner flog eiligſt auf die höchſte Spitze der nächſten Linde und ſah vonhieraus ſchandernd
auf den verhängnißvollen Kaſten herab. Seit dieſer Zeit iſt es unmöglich, ihn zu bewegen, wieder in
das Jnnere einer Kiſte zu ſchlüpfen.‟

„Als ich ihm zum erſten Male einen Spiegel vorhielt, hackte er einige Male nach dem vermeint-
lichen Gefährten; bald aber lief er um den Spiegel herum, in der Abſicht, ihn von hinten zu unter-
ſuchen, wie Affen wohl zu thun pflegen. Wenn ich ihm jetzt ſein Spiegelbild zeige, geht er ſtolz
vorbei, ohne daſſelbe auch nur zu würdigen.‟

„Auch die Alpenkrähe iſt fähig, anderer Thiere Stimmen nachzuahmen. Chuqui hat den Ruf
des Kiebitz erlernt und gibt denſelben mir gewöhnlich zur Antwort, wenn ich ihn rufe.‟ —

„Bekanntlich ſind auch dieſe Raben als Diebe verſchrien worden. Falls die Angabe wirklich
auf Beobachtung beruht, macht Chuqui eine rühmenswerthe Ausnahme. Er unterſucht zwar Alles,
verdirbt auch wohl Manches, Bücher namentlich, zeigt aber niemals eigentliche Diebsgelüſte. Eben-
ſowenig nimmt er glühende Kohlen auf, wie Alpendohlen thun ſollen; er ſchreckt im Gegentheil zurück,
wenn man ihm eine brennende Cigarre vorhält.‟

„Manches noch könnte ich erzählen von dieſem theilnahmswerthen Geſchöpfe; doch glaube ich,
daß Vorſtehendes genügt. Es beweiſt mindeſtens, daß die Alpenkrähe ihr eigentliches Weſen erſt
dann bekundet, wenn man ihr ſoviel Freiheit gewährt, wie Chuqui ſie genießt.‟

Jch zweifle nicht im geringſten, daß auch die Gefangenen des hamburger Thiergartens, ohne
Furcht, ſie zu verlieren, frei gelaſſen werden könnten. Sie folgen jetzt nicht nur meinem Rufe, ſon-

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[340/0366] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. „Mir und meinem Diener, welcher Chuqui zu pflegen hat, ſpendet dieſer die größte Zärtlichkeit. Sobald ich mich ſehen laſſe, werde ich durch fröhliches Geſchrei begrüßt; wenige Augenblicke ſpäter ſitzt der liebenswürdige Vogel auf meiner Schulter und gibt ſich nunmehr alle erdenkliche Mühe, um mich zu bewegen, daß ich ihm ſchmeichele. Geliebkoſt zu werden, ſcheint ihn mit der größten Wonne zu erfüllen. Erlauben mir meine Geſchäfte nicht, ihn zu ſtreicheln, ſo pickt er auffordernd an mein Ohr oder neſtelt mir in den Haaren und läuft mir nach, bis ich ihm gewährt. Viele Vögel habe ich beobachtet und ſelbſt beſeſſen; aber niemals habe ich einen kennen gelernt, welcher zutraulicher geweſen wäre, als mein Korallenſchnabel. Er ſcheint eine wahre Hundeſeele zu beſitzen; denn dem Hunde ähnelt er hinſichtlich ſeiner Anhänglichkeit an den Gebieter. War ich einige Tage abweſend, ſo weiß er ſeiner Freude kaum Ausdruck zu geben, wenn er mich endlich wieder ſieht: man merkt es ihm an, daß er ſich lebhaft geſehnt hat nach ſeinem Freunde.‟ „Chuqui liebt und haßt; er bekundet Zuneigung und Abneigung. Schlecht gekleidete Leute, zumal Bettler, ſind ihm zuwider; er fliegt weg, wenn er ſie ſieht oder verfolgt ſie mit Geſchrei. Meine Hunde kennt er genau, fremde erregen ſeinen höchſten Zorn. Auf Katzen ſtößt er wie ein Raubvogel hernieder, ſo kühn, daß mir oft Angſt um ihn wird. Seinen hier zu Lande heimiſchen Verwandten zeigt er Theilnahme. Vorüberziehende Saatkrähen verlocken ihn zu weiten Ausflügen, welche er ſonſt nie unternimmt; es ſcheint mir beinahe, als ob er ſich mit Liebesgedanken um ſie trüge. Mit der Rabenkrähe mag er Nichts zu ſchaffen haben: ſie iſt ihm zu grob. Anfangs wurde er oft von den umwohnenden Krähen verfolgt; jetzt aber ſcheinen ſie ihn zu kennen und eingeſehen zu haben, daß ſie dem raſchen Flieger doch nicht beikommen können: ſie kümmern ſich kaum mehr um ihn. Mit Elſtern hat ſich Chuqui niemals eingelaſſen.‟ „Mein Gefangener iſt neugierig, wie alle Rabenvögel. Alles Ungewohnte erregt ihn. Als ein Paar Kängurus in das für ſie beſtimmte Gehege gebracht werden ſollte, war Chuqui augenblicklich zur Stelle. Der Verſandkäfig erſchien ihm verdächtig; er ſaß auf ihm, noch ehe er vom Wagen abgeladen worden; dem Aufbrechen des Deckels ſah er aufmerkſam zu. Das Herausſpringen der Kängurus erſchreckte ihn: er ſchrie ängſtlich und verwundert laut auf. Die Neugierde überwog jedoch bald ſeine Angſt: dieſer Käfig mußte unterſucht werden. Kaum hatten ihn die Beutelthiere verlaſſen, ſo war er ins Jnnere geſchlüpft. Boshaft legte ich jetzt den losgebrochenen Deckel wieder auf. Ein herz- brechendes, ohrenzerreißendes Jammergeſchrei war Chuquis Antwort. Jch öffnete; der entſetzte Alpenbewohner flog eiligſt auf die höchſte Spitze der nächſten Linde und ſah vonhieraus ſchandernd auf den verhängnißvollen Kaſten herab. Seit dieſer Zeit iſt es unmöglich, ihn zu bewegen, wieder in das Jnnere einer Kiſte zu ſchlüpfen.‟ „Als ich ihm zum erſten Male einen Spiegel vorhielt, hackte er einige Male nach dem vermeint- lichen Gefährten; bald aber lief er um den Spiegel herum, in der Abſicht, ihn von hinten zu unter- ſuchen, wie Affen wohl zu thun pflegen. Wenn ich ihm jetzt ſein Spiegelbild zeige, geht er ſtolz vorbei, ohne daſſelbe auch nur zu würdigen.‟ „Auch die Alpenkrähe iſt fähig, anderer Thiere Stimmen nachzuahmen. Chuqui hat den Ruf des Kiebitz erlernt und gibt denſelben mir gewöhnlich zur Antwort, wenn ich ihn rufe.‟ — „Bekanntlich ſind auch dieſe Raben als Diebe verſchrien worden. Falls die Angabe wirklich auf Beobachtung beruht, macht Chuqui eine rühmenswerthe Ausnahme. Er unterſucht zwar Alles, verdirbt auch wohl Manches, Bücher namentlich, zeigt aber niemals eigentliche Diebsgelüſte. Eben- ſowenig nimmt er glühende Kohlen auf, wie Alpendohlen thun ſollen; er ſchreckt im Gegentheil zurück, wenn man ihm eine brennende Cigarre vorhält.‟ „Manches noch könnte ich erzählen von dieſem theilnahmswerthen Geſchöpfe; doch glaube ich, daß Vorſtehendes genügt. Es beweiſt mindeſtens, daß die Alpenkrähe ihr eigentliches Weſen erſt dann bekundet, wenn man ihr ſoviel Freiheit gewährt, wie Chuqui ſie genießt.‟ Jch zweifle nicht im geringſten, daß auch die Gefangenen des hamburger Thiergartens, ohne Furcht, ſie zu verlieren, frei gelaſſen werden könnten. Sie folgen jetzt nicht nur meinem Rufe, ſon-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/366>, abgerufen am 24.11.2024.