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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Allgemeines.
Ausflüge, und gelegentlich dieser kommen sie oft genug in unmittelbare Nähe der Dorfschaften und
rauben hier, wenn sie sich nicht verfolgt sehen, zuweilen vor den Augen ihres gefährlichsten Gegners.
Die nordischen Arten sind größtentheils Wandervögel, alle wenigstens Strichvögel, welche außer der
Brutzeit im Lande umherschweifen.

Auch die Adler lieben Gesellschaften ihres Gleichen nicht; während des Sommers wenigstens
dulden sie in ihrem Gebiete kein zweites Paar. Vereinigungen kommen unter ihnen nur während
ihrer Winterreise oder auf wenige Minuten gelegentlich einer für Viele ausreichenden Mahlzeit vor:
auf dem Leichnam eines großen Thieres z. B. Der Verband, in welchem Adler zusammenleben, ist
selbst während der Winterreise ein lockerer. Die Thiere kommen an beutereichen Orten zufällig
zusammen, gehen hier denselben Geschäften nach und erscheinen deshalb oft als Gesellschaft, während
streng genommen jeder seinen eigenen Weg geht -- selbstverständlich mit Ausnahme des Gatten eines
Paares. Diese halten außerordentlich treu zusammen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß eine
unter Adlern geschlossene Ehe für die ganze Lebenszeit währt. Mit andern Vögeln gehen die Adler
ebenso wenig Verbindungen ein. Sie vereinigen sich zuweilen mit Geiern, Milanen und
Bussarden, freundschaftlich aber durchaus nicht. Der gleiche Nahrungserwerb führt sie zusammen;
ist ihm Genüge geleistet, so endigt die Vereinigung. Dagegen erlauben Einige kleinen Schmarotzern,
wie wir sie nennen wollen, Finkenarten z. B., sich in dem Unterbau ihres Horstes Wohnung zu
suchen. Aber auch diese Erlaubniß wird nicht freiwillig gegeben; von eigentlicher Duldung ist keine
Rede. Der Adler gestattet dem Sperlingsvogel in seiner unmittelbaren Nähe zu wohnen, weil er sich
unfähig fühlt, sich jenes zu bemächtigen. Die Gewandtheit des Zudringlings ist sein Schutzbrief vor
der bedrohlichen Klaue des Gewalthabers. Doch wollen wir nicht in Abrede stellen, daß einzelne
Adler zuweilen eine ähnliche Großmuth bekunden, wie sie der Löwe unter Umständen an den Tag legt.
Die edelsten unter ihnen kennen die Mordsucht des Habichts nicht. Sie sind Räuber, aber sie sind
stolze, edle Räuber: sie rauben, weil sie es müssen. Ganz das Gegentheil erfahren wir von den
unedleren. Einige von ihnen tragen nicht umsonst den Namen Habichtsadler: sie ähneln den
Habichten nicht blos in ihrer Gestalt, sondern auch in ihrem Wesen. Jm allgemeinen machen die
Adler ihrem Namen Ehre: sie sind wirklich edle Vögel. Unter den gefiederten Räubern gibt es
wenige, welche höher begabt sind, als sie; nur die Edelfalken dürfen ihnen vielleicht vorausgestellt
werden. Leibliche und geistige Begabungen sind ihnen in gleicher Weise zu Theil geworden. An
Bewegungsfähigkeit stehen sie allerdings den Edelfalken und Habichten nach, aber auch nur ihnen.
Jhr Flug ist ausgezeichnet schön; es fehlt ihm das Unruhige, welches der Flug des Edelfalken oder
Habichts zeigt. Die Flügel werden, wenn es sich darum handelt, vom Boden aufzusteigen, gewaltig,
aber verhältnißmäßig langsam bewegt; hat jedoch der Adler einmal eine gewisse Höhe gewonnen, so
schwebt er mit ausgebreiteten Flügeln ungemein rasch dahin. Man sieht von ihm oft minutenlang
nicht einen einzigen Flügelschlag, und dennoch entschwindet der geradeausziehende Vogel sehr bald dem
Auge. An dem kreisenden bemerkt man, wie er durch Drehen und Wenden, durch Heben und Senken
des Schwanzes sich steuert, wie er sich hebt, wenn er dem Winde entgegenschwebt und wie er sich senkt,
wenn das Gegentheil stattfindet. Beim Angriff auf lebende Beute stürzt der gewaltige Vogel mit
außerordentlicher Schnelle unter lautem hörbaren Rauschen hernieder, allerdings nicht schnell genug,
um einen gewandt fliegenden Vogel zu ergreifen, aber immer noch rasch genug, um eine fliegende
Taube einzuholen. Der Gang auf dem Boden ist ungeschickt; er besteht aus sonderbaren Sprung-
schritten, bei denen ein Bein um das andere bewegt wird, unter Zuhilfenahme der Flügel. Der
Adler erscheint in laufender Stellung am unedelsten. Viel schöner nimmt er sich aus, wenn er
aufgebäumt hat. Dann hält er sich senkrecht, wie ein sitzender Mann, und macht einen wirklich
erhabenen Eindruck auf den Beschauer. Die stolze Ruhe seines ganzen Wesens prägt sich am
deutlichsten im Sitzen aus.

Unter den Sinnen steht zweifelsohne das Gesicht obenau, wie schon das herrliche Auge bekundet.
Nächstdem dürfte das Gehör wohl am entwickeltsten sein. Der Adler vernimmt außerordentlich fein

Allgemeines.
Ausflüge, und gelegentlich dieſer kommen ſie oft genug in unmittelbare Nähe der Dorfſchaften und
rauben hier, wenn ſie ſich nicht verfolgt ſehen, zuweilen vor den Augen ihres gefährlichſten Gegners.
Die nordiſchen Arten ſind größtentheils Wandervögel, alle wenigſtens Strichvögel, welche außer der
Brutzeit im Lande umherſchweifen.

Auch die Adler lieben Geſellſchaften ihres Gleichen nicht; während des Sommers wenigſtens
dulden ſie in ihrem Gebiete kein zweites Paar. Vereinigungen kommen unter ihnen nur während
ihrer Winterreiſe oder auf wenige Minuten gelegentlich einer für Viele ausreichenden Mahlzeit vor:
auf dem Leichnam eines großen Thieres z. B. Der Verband, in welchem Adler zuſammenleben, iſt
ſelbſt während der Winterreiſe ein lockerer. Die Thiere kommen an beutereichen Orten zufällig
zuſammen, gehen hier denſelben Geſchäften nach und erſcheinen deshalb oft als Geſellſchaft, während
ſtreng genommen jeder ſeinen eigenen Weg geht — ſelbſtverſtändlich mit Ausnahme des Gatten eines
Paares. Dieſe halten außerordentlich treu zuſammen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß eine
unter Adlern geſchloſſene Ehe für die ganze Lebenszeit währt. Mit andern Vögeln gehen die Adler
ebenſo wenig Verbindungen ein. Sie vereinigen ſich zuweilen mit Geiern, Milanen und
Buſſarden, freundſchaftlich aber durchaus nicht. Der gleiche Nahrungserwerb führt ſie zuſammen;
iſt ihm Genüge geleiſtet, ſo endigt die Vereinigung. Dagegen erlauben Einige kleinen Schmarotzern,
wie wir ſie nennen wollen, Finkenarten z. B., ſich in dem Unterbau ihres Horſtes Wohnung zu
ſuchen. Aber auch dieſe Erlaubniß wird nicht freiwillig gegeben; von eigentlicher Duldung iſt keine
Rede. Der Adler geſtattet dem Sperlingsvogel in ſeiner unmittelbaren Nähe zu wohnen, weil er ſich
unfähig fühlt, ſich jenes zu bemächtigen. Die Gewandtheit des Zudringlings iſt ſein Schutzbrief vor
der bedrohlichen Klaue des Gewalthabers. Doch wollen wir nicht in Abrede ſtellen, daß einzelne
Adler zuweilen eine ähnliche Großmuth bekunden, wie ſie der Löwe unter Umſtänden an den Tag legt.
Die edelſten unter ihnen kennen die Mordſucht des Habichts nicht. Sie ſind Räuber, aber ſie ſind
ſtolze, edle Räuber: ſie rauben, weil ſie es müſſen. Ganz das Gegentheil erfahren wir von den
unedleren. Einige von ihnen tragen nicht umſonſt den Namen Habichtsadler: ſie ähneln den
Habichten nicht blos in ihrer Geſtalt, ſondern auch in ihrem Weſen. Jm allgemeinen machen die
Adler ihrem Namen Ehre: ſie ſind wirklich edle Vögel. Unter den gefiederten Räubern gibt es
wenige, welche höher begabt ſind, als ſie; nur die Edelfalken dürfen ihnen vielleicht vorausgeſtellt
werden. Leibliche und geiſtige Begabungen ſind ihnen in gleicher Weiſe zu Theil geworden. An
Bewegungsfähigkeit ſtehen ſie allerdings den Edelfalken und Habichten nach, aber auch nur ihnen.
Jhr Flug iſt ausgezeichnet ſchön; es fehlt ihm das Unruhige, welches der Flug des Edelfalken oder
Habichts zeigt. Die Flügel werden, wenn es ſich darum handelt, vom Boden aufzuſteigen, gewaltig,
aber verhältnißmäßig langſam bewegt; hat jedoch der Adler einmal eine gewiſſe Höhe gewonnen, ſo
ſchwebt er mit ausgebreiteten Flügeln ungemein raſch dahin. Man ſieht von ihm oft minutenlang
nicht einen einzigen Flügelſchlag, und dennoch entſchwindet der geradeausziehende Vogel ſehr bald dem
Auge. An dem kreiſenden bemerkt man, wie er durch Drehen und Wenden, durch Heben und Senken
des Schwanzes ſich ſteuert, wie er ſich hebt, wenn er dem Winde entgegenſchwebt und wie er ſich ſenkt,
wenn das Gegentheil ſtattfindet. Beim Angriff auf lebende Beute ſtürzt der gewaltige Vogel mit
außerordentlicher Schnelle unter lautem hörbaren Rauſchen hernieder, allerdings nicht ſchnell genug,
um einen gewandt fliegenden Vogel zu ergreifen, aber immer noch raſch genug, um eine fliegende
Taube einzuholen. Der Gang auf dem Boden iſt ungeſchickt; er beſteht aus ſonderbaren Sprung-
ſchritten, bei denen ein Bein um das andere bewegt wird, unter Zuhilfenahme der Flügel. Der
Adler erſcheint in laufender Stellung am unedelſten. Viel ſchöner nimmt er ſich aus, wenn er
aufgebäumt hat. Dann hält er ſich ſenkrecht, wie ein ſitzender Mann, und macht einen wirklich
erhabenen Eindruck auf den Beſchauer. Die ſtolze Ruhe ſeines ganzen Weſens prägt ſich am
deutlichſten im Sitzen aus.

Unter den Sinnen ſteht zweifelsohne das Geſicht obenau, wie ſchon das herrliche Auge bekundet.
Nächſtdem dürfte das Gehör wohl am entwickeltſten ſein. Der Adler vernimmt außerordentlich fein

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[445/0475] Allgemeines. Ausflüge, und gelegentlich dieſer kommen ſie oft genug in unmittelbare Nähe der Dorfſchaften und rauben hier, wenn ſie ſich nicht verfolgt ſehen, zuweilen vor den Augen ihres gefährlichſten Gegners. Die nordiſchen Arten ſind größtentheils Wandervögel, alle wenigſtens Strichvögel, welche außer der Brutzeit im Lande umherſchweifen. Auch die Adler lieben Geſellſchaften ihres Gleichen nicht; während des Sommers wenigſtens dulden ſie in ihrem Gebiete kein zweites Paar. Vereinigungen kommen unter ihnen nur während ihrer Winterreiſe oder auf wenige Minuten gelegentlich einer für Viele ausreichenden Mahlzeit vor: auf dem Leichnam eines großen Thieres z. B. Der Verband, in welchem Adler zuſammenleben, iſt ſelbſt während der Winterreiſe ein lockerer. Die Thiere kommen an beutereichen Orten zufällig zuſammen, gehen hier denſelben Geſchäften nach und erſcheinen deshalb oft als Geſellſchaft, während ſtreng genommen jeder ſeinen eigenen Weg geht — ſelbſtverſtändlich mit Ausnahme des Gatten eines Paares. Dieſe halten außerordentlich treu zuſammen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß eine unter Adlern geſchloſſene Ehe für die ganze Lebenszeit währt. Mit andern Vögeln gehen die Adler ebenſo wenig Verbindungen ein. Sie vereinigen ſich zuweilen mit Geiern, Milanen und Buſſarden, freundſchaftlich aber durchaus nicht. Der gleiche Nahrungserwerb führt ſie zuſammen; iſt ihm Genüge geleiſtet, ſo endigt die Vereinigung. Dagegen erlauben Einige kleinen Schmarotzern, wie wir ſie nennen wollen, Finkenarten z. B., ſich in dem Unterbau ihres Horſtes Wohnung zu ſuchen. Aber auch dieſe Erlaubniß wird nicht freiwillig gegeben; von eigentlicher Duldung iſt keine Rede. Der Adler geſtattet dem Sperlingsvogel in ſeiner unmittelbaren Nähe zu wohnen, weil er ſich unfähig fühlt, ſich jenes zu bemächtigen. Die Gewandtheit des Zudringlings iſt ſein Schutzbrief vor der bedrohlichen Klaue des Gewalthabers. Doch wollen wir nicht in Abrede ſtellen, daß einzelne Adler zuweilen eine ähnliche Großmuth bekunden, wie ſie der Löwe unter Umſtänden an den Tag legt. Die edelſten unter ihnen kennen die Mordſucht des Habichts nicht. Sie ſind Räuber, aber ſie ſind ſtolze, edle Räuber: ſie rauben, weil ſie es müſſen. Ganz das Gegentheil erfahren wir von den unedleren. Einige von ihnen tragen nicht umſonſt den Namen Habichtsadler: ſie ähneln den Habichten nicht blos in ihrer Geſtalt, ſondern auch in ihrem Weſen. Jm allgemeinen machen die Adler ihrem Namen Ehre: ſie ſind wirklich edle Vögel. Unter den gefiederten Räubern gibt es wenige, welche höher begabt ſind, als ſie; nur die Edelfalken dürfen ihnen vielleicht vorausgeſtellt werden. Leibliche und geiſtige Begabungen ſind ihnen in gleicher Weiſe zu Theil geworden. An Bewegungsfähigkeit ſtehen ſie allerdings den Edelfalken und Habichten nach, aber auch nur ihnen. Jhr Flug iſt ausgezeichnet ſchön; es fehlt ihm das Unruhige, welches der Flug des Edelfalken oder Habichts zeigt. Die Flügel werden, wenn es ſich darum handelt, vom Boden aufzuſteigen, gewaltig, aber verhältnißmäßig langſam bewegt; hat jedoch der Adler einmal eine gewiſſe Höhe gewonnen, ſo ſchwebt er mit ausgebreiteten Flügeln ungemein raſch dahin. Man ſieht von ihm oft minutenlang nicht einen einzigen Flügelſchlag, und dennoch entſchwindet der geradeausziehende Vogel ſehr bald dem Auge. An dem kreiſenden bemerkt man, wie er durch Drehen und Wenden, durch Heben und Senken des Schwanzes ſich ſteuert, wie er ſich hebt, wenn er dem Winde entgegenſchwebt und wie er ſich ſenkt, wenn das Gegentheil ſtattfindet. Beim Angriff auf lebende Beute ſtürzt der gewaltige Vogel mit außerordentlicher Schnelle unter lautem hörbaren Rauſchen hernieder, allerdings nicht ſchnell genug, um einen gewandt fliegenden Vogel zu ergreifen, aber immer noch raſch genug, um eine fliegende Taube einzuholen. Der Gang auf dem Boden iſt ungeſchickt; er beſteht aus ſonderbaren Sprung- ſchritten, bei denen ein Bein um das andere bewegt wird, unter Zuhilfenahme der Flügel. Der Adler erſcheint in laufender Stellung am unedelſten. Viel ſchöner nimmt er ſich aus, wenn er aufgebäumt hat. Dann hält er ſich ſenkrecht, wie ein ſitzender Mann, und macht einen wirklich erhabenen Eindruck auf den Beſchauer. Die ſtolze Ruhe ſeines ganzen Weſens prägt ſich am deutlichſten im Sitzen aus. Unter den Sinnen ſteht zweifelsohne das Geſicht obenau, wie ſchon das herrliche Auge bekundet. Nächſtdem dürfte das Gehör wohl am entwickeltſten ſein. Der Adler vernimmt außerordentlich fein

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/475>, abgerufen am 22.11.2024.