Osten hin gelegenen Länder bis zur Mongolei. Nach Süden hin erstreckt sich sein Verbreitungskreis bis Jndien; hier hat Jerdon ihn als Brutvogel beobachtet.
Stein- und Goldadler sind Strichvögel; der Königsadler hingegen tritt jeden Winter eine Reise nach südlichen Ländern an. Gelegentlich dieser Wand erung erscheint er sehr regel- mäßig in Griechenland und ebenso in Egypten oder von Nordasien aus in Jndien. Jene sind Vögel des Gebirges, dieser bevorzugt die Ebene; deshalb begegnet man ihm häufig auch in baumlosen Steppen, welche die andern höchstens auf ihren Streifer eien besuchen; wenigstens dürfen wir bis jetzt noch annehmen, daß sie hier niemals sich ansiedeln. Zum eigentlichen Wohnsitz erwählt der Steinadler, wie es scheint, unter allen Umständen eine Felswand im Gebirge; denn wahrscheinlich ist es der Gold- adler, und nicht jener, dessen Horst man auf den Bäumen großer Waldungen gefunden hat. Der Königsadler horstet entweder auf Bäumen, nach Eversmann gar nicht selten in der Nähe von Dorf- schaften auf hohen Pappeln, Espen und Weidenbäumen, im Nothfall aber selbst auf dem flachen Boden, so unglaublich Dies auch klingen mag. Jn der Angabe dieses Aufenthaltes dürften die Hauptunterschiede begründet sein, welche das Leben und Betragen der drei Adler bekundet. Falls man festhält, daß der Steinadler der stärkste, der Goldadler der gewandteste und der Kaiseradler der schwächste von den dreien ist, wird man ein ziemlich richtiges Lebensbild von allen gewinnen, wenn man das über sie Bekannte zusammenstellt.
Der Adler, wie ich der Kürze halber fortan sagen will, hält mit großer Zähigkeit an dem einmal gewählten Gebiete fest. Dasselbe ist immer ein sehr ausgedehntes, wie es der bedeutende Nahrungs- bedarf des Vogels erfordert. Von dem Nistorte aus unternimmt das Paar tagtäglich Streifzüge, häufig in derselben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erst längere Zeit nach Sonnenauf- gang und streicht nun in ziemlich bedeutender Höhe kreisend durch das Gebiet. Bergzüge werden in gewissem Sinne zur Straße; über ihnen pflegt der Adler verhältnißmäßig niedrig dahinzustreichen, wenn die Berge hoch sind, oft in kaum Flintenschußnähe über dem Boden. Beide Gatten pflegen gemeinschaftlich zu jagen und sich im Nothfall zu unterstützen; bei der Mahlzeit geht es jedoch keines- wegs immer sehr friedlich her: eine leckere Beute kann selbst unter den zärtlichsten Adlergatten Streit hervorrufen. Die Jagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horstes zurück oder wählt sich einen andern sichern Punkt, um auszurnhen. Regelmäßig geschieht Dies, wenn er im Fang glücklich war. Er sitzt dann mit gefülltem Kropf und lässig getragenem Gefieder längere Zeit auf einer und derselben Stelle und gibt sich der Ruhe der Verdauung hin, ohne jedoch auch jetzt seine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem diese Ruhe vorüber, fliegt der Adler, wie ich in Afrika wiederholt beobachtet habe, regelmäßig zur Tränke. Es ist behauptet worden, daß ihm das Blut seiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweist das Gegentheil. Er trinkt viel und bedarf des Wassers noch außerdem, um sich zu baden. Bei warmem Wetter geht selten ein Tag hin, an welchem er letzteres nicht thut. Nachdem er getrunken und sich gereinigt, tritt er einen nochmaligen Raubzug an; gegen Abend pflegt er sich in der Luft zu vergnügen; mit Einbruch der Dämmerung erscheint er vorsichtig und ohne jedes Geschrei auf dem Schlafplatze, welcher stets mit größter Vorsicht gewählt wird. Dies ist, mit kurzen Worten geschildert, das tägliche Leben des Vogels.
Beim Fang verfährt er, je nach den Umständen, sehr verschieden. Der in der Luft kreisende Adler, welcher eine Beute erspäht, senkt sich in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenstand genauer ins Auge zu fassen, legt, wenn Dies geschehen, plötzlich seine Flügel an und stürzt mit weit vorgestreckten, geöffneten Fängen sausend schief zum Boden herab, gerade auf das betreffende Thier los und schlägt ihm hier beide Fänge in den Leib. Mein Vater hat den Angriff an seinem gefangeuen Gold- adler oft gesehen und ausgezeichnet beschrieben. Seine Schilderung will ich hier, wenn auch nur im Auszuge, wiedergeben. "Beim Ergreifen der Beute", sagt er, "schlägt er die Nägel so heftig ein, daß man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zusammengezogen aussehen. Katzen schlägt er den einen Fang um den Hals, benimmt ihnen so alle Luft und frißt sie an, ehe sie noch todt sind. Gewöhn- lich greift er so, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einschließen. Bei einer Katze, welche ich
Die Fänger. Raubvögel. Adler.
Oſten hin gelegenen Länder bis zur Mongolei. Nach Süden hin erſtreckt ſich ſein Verbreitungskreis bis Jndien; hier hat Jerdon ihn als Brutvogel beobachtet.
Stein- und Goldadler ſind Strichvögel; der Königsadler hingegen tritt jeden Winter eine Reiſe nach ſüdlichen Ländern an. Gelegentlich dieſer Wand erung erſcheint er ſehr regel- mäßig in Griechenland und ebenſo in Egypten oder von Nordaſien aus in Jndien. Jene ſind Vögel des Gebirges, dieſer bevorzugt die Ebene; deshalb begegnet man ihm häufig auch in baumloſen Steppen, welche die andern höchſtens auf ihren Streifer eien beſuchen; wenigſtens dürfen wir bis jetzt noch annehmen, daß ſie hier niemals ſich anſiedeln. Zum eigentlichen Wohnſitz erwählt der Steinadler, wie es ſcheint, unter allen Umſtänden eine Felswand im Gebirge; denn wahrſcheinlich iſt es der Gold- adler, und nicht jener, deſſen Horſt man auf den Bäumen großer Waldungen gefunden hat. Der Königsadler horſtet entweder auf Bäumen, nach Eversmann gar nicht ſelten in der Nähe von Dorf- ſchaften auf hohen Pappeln, Eſpen und Weidenbäumen, im Nothfall aber ſelbſt auf dem flachen Boden, ſo unglaublich Dies auch klingen mag. Jn der Angabe dieſes Aufenthaltes dürften die Hauptunterſchiede begründet ſein, welche das Leben und Betragen der drei Adler bekundet. Falls man feſthält, daß der Steinadler der ſtärkſte, der Goldadler der gewandteſte und der Kaiſeradler der ſchwächſte von den dreien iſt, wird man ein ziemlich richtiges Lebensbild von allen gewinnen, wenn man das über ſie Bekannte zuſammenſtellt.
Der Adler, wie ich der Kürze halber fortan ſagen will, hält mit großer Zähigkeit an dem einmal gewählten Gebiete feſt. Daſſelbe iſt immer ein ſehr ausgedehntes, wie es der bedeutende Nahrungs- bedarf des Vogels erfordert. Von dem Niſtorte aus unternimmt das Paar tagtäglich Streifzüge, häufig in derſelben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erſt längere Zeit nach Sonnenauf- gang und ſtreicht nun in ziemlich bedeutender Höhe kreiſend durch das Gebiet. Bergzüge werden in gewiſſem Sinne zur Straße; über ihnen pflegt der Adler verhältnißmäßig niedrig dahinzuſtreichen, wenn die Berge hoch ſind, oft in kaum Flintenſchußnähe über dem Boden. Beide Gatten pflegen gemeinſchaftlich zu jagen und ſich im Nothfall zu unterſtützen; bei der Mahlzeit geht es jedoch keines- wegs immer ſehr friedlich her: eine leckere Beute kann ſelbſt unter den zärtlichſten Adlergatten Streit hervorrufen. Die Jagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horſtes zurück oder wählt ſich einen andern ſichern Punkt, um auszurnhen. Regelmäßig geſchieht Dies, wenn er im Fang glücklich war. Er ſitzt dann mit gefülltem Kropf und läſſig getragenem Gefieder längere Zeit auf einer und derſelben Stelle und gibt ſich der Ruhe der Verdauung hin, ohne jedoch auch jetzt ſeine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem dieſe Ruhe vorüber, fliegt der Adler, wie ich in Afrika wiederholt beobachtet habe, regelmäßig zur Tränke. Es iſt behauptet worden, daß ihm das Blut ſeiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweiſt das Gegentheil. Er trinkt viel und bedarf des Waſſers noch außerdem, um ſich zu baden. Bei warmem Wetter geht ſelten ein Tag hin, an welchem er letzteres nicht thut. Nachdem er getrunken und ſich gereinigt, tritt er einen nochmaligen Raubzug an; gegen Abend pflegt er ſich in der Luft zu vergnügen; mit Einbruch der Dämmerung erſcheint er vorſichtig und ohne jedes Geſchrei auf dem Schlafplatze, welcher ſtets mit größter Vorſicht gewählt wird. Dies iſt, mit kurzen Worten geſchildert, das tägliche Leben des Vogels.
Beim Fang verfährt er, je nach den Umſtänden, ſehr verſchieden. Der in der Luft kreiſende Adler, welcher eine Beute erſpäht, ſenkt ſich in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenſtand genauer ins Auge zu faſſen, legt, wenn Dies geſchehen, plötzlich ſeine Flügel an und ſtürzt mit weit vorgeſtreckten, geöffneten Fängen ſauſend ſchief zum Boden herab, gerade auf das betreffende Thier los und ſchlägt ihm hier beide Fänge in den Leib. Mein Vater hat den Angriff an ſeinem gefangeuen Gold- adler oft geſehen und ausgezeichnet beſchrieben. Seine Schilderung will ich hier, wenn auch nur im Auszuge, wiedergeben. „Beim Ergreifen der Beute‟, ſagt er, „ſchlägt er die Nägel ſo heftig ein, daß man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zuſammengezogen ausſehen. Katzen ſchlägt er den einen Fang um den Hals, benimmt ihnen ſo alle Luft und frißt ſie an, ehe ſie noch todt ſind. Gewöhn- lich greift er ſo, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einſchließen. Bei einer Katze, welche ich
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[450/0480]
Die Fänger. Raubvögel. Adler.
Oſten hin gelegenen Länder bis zur Mongolei. Nach Süden hin erſtreckt ſich ſein Verbreitungskreis
bis Jndien; hier hat Jerdon ihn als Brutvogel beobachtet.
Stein- und Goldadler ſind Strichvögel; der Königsadler hingegen tritt jeden Winter
eine Reiſe nach ſüdlichen Ländern an. Gelegentlich dieſer Wand erung erſcheint er ſehr regel-
mäßig in Griechenland und ebenſo in Egypten oder von Nordaſien aus in Jndien. Jene ſind Vögel
des Gebirges, dieſer bevorzugt die Ebene; deshalb begegnet man ihm häufig auch in baumloſen
Steppen, welche die andern höchſtens auf ihren Streifer eien beſuchen; wenigſtens dürfen wir bis jetzt
noch annehmen, daß ſie hier niemals ſich anſiedeln. Zum eigentlichen Wohnſitz erwählt der Steinadler,
wie es ſcheint, unter allen Umſtänden eine Felswand im Gebirge; denn wahrſcheinlich iſt es der Gold-
adler, und nicht jener, deſſen Horſt man auf den Bäumen großer Waldungen gefunden hat. Der
Königsadler horſtet entweder auf Bäumen, nach Eversmann gar nicht ſelten in der Nähe von Dorf-
ſchaften auf hohen Pappeln, Eſpen und Weidenbäumen, im Nothfall aber ſelbſt auf dem flachen
Boden, ſo unglaublich Dies auch klingen mag. Jn der Angabe dieſes Aufenthaltes dürften die
Hauptunterſchiede begründet ſein, welche das Leben und Betragen der drei Adler bekundet. Falls man
feſthält, daß der Steinadler der ſtärkſte, der Goldadler der gewandteſte und der Kaiſeradler der
ſchwächſte von den dreien iſt, wird man ein ziemlich richtiges Lebensbild von allen gewinnen, wenn
man das über ſie Bekannte zuſammenſtellt.
Der Adler, wie ich der Kürze halber fortan ſagen will, hält mit großer Zähigkeit an dem einmal
gewählten Gebiete feſt. Daſſelbe iſt immer ein ſehr ausgedehntes, wie es der bedeutende Nahrungs-
bedarf des Vogels erfordert. Von dem Niſtorte aus unternimmt das Paar tagtäglich Streifzüge,
häufig in derſelben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erſt längere Zeit nach Sonnenauf-
gang und ſtreicht nun in ziemlich bedeutender Höhe kreiſend durch das Gebiet. Bergzüge werden in
gewiſſem Sinne zur Straße; über ihnen pflegt der Adler verhältnißmäßig niedrig dahinzuſtreichen,
wenn die Berge hoch ſind, oft in kaum Flintenſchußnähe über dem Boden. Beide Gatten pflegen
gemeinſchaftlich zu jagen und ſich im Nothfall zu unterſtützen; bei der Mahlzeit geht es jedoch keines-
wegs immer ſehr friedlich her: eine leckere Beute kann ſelbſt unter den zärtlichſten Adlergatten Streit
hervorrufen. Die Jagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horſtes
zurück oder wählt ſich einen andern ſichern Punkt, um auszurnhen. Regelmäßig geſchieht Dies, wenn
er im Fang glücklich war. Er ſitzt dann mit gefülltem Kropf und läſſig getragenem Gefieder längere
Zeit auf einer und derſelben Stelle und gibt ſich der Ruhe der Verdauung hin, ohne jedoch auch jetzt
ſeine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem dieſe Ruhe vorüber, fliegt der Adler, wie ich
in Afrika wiederholt beobachtet habe, regelmäßig zur Tränke. Es iſt behauptet worden, daß ihm das
Blut ſeiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweiſt das Gegentheil. Er trinkt viel und
bedarf des Waſſers noch außerdem, um ſich zu baden. Bei warmem Wetter geht ſelten ein Tag hin,
an welchem er letzteres nicht thut. Nachdem er getrunken und ſich gereinigt, tritt er einen nochmaligen
Raubzug an; gegen Abend pflegt er ſich in der Luft zu vergnügen; mit Einbruch der Dämmerung
erſcheint er vorſichtig und ohne jedes Geſchrei auf dem Schlafplatze, welcher ſtets mit größter Vorſicht
gewählt wird. Dies iſt, mit kurzen Worten geſchildert, das tägliche Leben des Vogels.
Beim Fang verfährt er, je nach den Umſtänden, ſehr verſchieden. Der in der Luft kreiſende
Adler, welcher eine Beute erſpäht, ſenkt ſich in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenſtand
genauer ins Auge zu faſſen, legt, wenn Dies geſchehen, plötzlich ſeine Flügel an und ſtürzt mit weit
vorgeſtreckten, geöffneten Fängen ſauſend ſchief zum Boden herab, gerade auf das betreffende Thier los
und ſchlägt ihm hier beide Fänge in den Leib. Mein Vater hat den Angriff an ſeinem gefangeuen Gold-
adler oft geſehen und ausgezeichnet beſchrieben. Seine Schilderung will ich hier, wenn auch nur im
Auszuge, wiedergeben. „Beim Ergreifen der Beute‟, ſagt er, „ſchlägt er die Nägel ſo heftig ein, daß
man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zuſammengezogen ausſehen. Katzen ſchlägt er den
einen Fang um den Hals, benimmt ihnen ſo alle Luft und frißt ſie an, ehe ſie noch todt ſind. Gewöhn-
lich greift er ſo, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einſchließen. Bei einer Katze, welche ich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/480>, abgerufen am 22.11.2024.
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