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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Stein-, Gold- und Kaiseradler.

Jung aufgezogene Adler werden bald zahm und menschenfreundlich. Sie gewöhnen sich zuletzt
so an ihren Gebieter, daß sie ihn vermissen, wenn er längere Zeit nicht bei ihnen war und ihn
mit fröhlichem Geschrei begrüßen, wenn er wieder zu ihnen kommt. Gefährlich werden sie, soviel
ich bis jetzt erfahren, ihrem Herrn niemals. "Jn meinen Knabenjahren", schreibt mir Graf Lazar,
"hielt ich einen Königsadler längere Zeit lebend. Jm Anfang vergriff er sich zuweilen an unsern
Hühnern, nachdem er aber deshalb einige Gertenhiebe erhalten hatte, hütete er sich wohl, seine
Streiche zu wiederholen. Er lief zuletzt frei im Hofe und Garten umher, ohne eines unserer Hausthiere
zu gefährden. Mich kannte er sehr gut; er kam sogleich, wenn ich ihn bei seinem Namen Pluto rief;
Fremde und Hunde hingegen konnte er nicht leiden: erstere griff er an, wenn sie sich ihm näherten,
und die Hunde suchte er sich stets vom Leibe zu halten. Seine Angriffe auf Menschen waren nicht
gerade gefährlich, aber doch sehr fühlbar. Er gebrauchte nämlich seine Krallen nur in der unschäd-
lichsten Weise, theilte dafür aber Flügelhiebe aus, welche stets blaue Flecken hervorriefen. Sein
Ende fand er auf betrübende Weise. Er war in den Garten eines Bauers geflogen und mochte
dort irgend einen Streich ausgeführt haben, wofür der Bauer ihn derb gezüchtigt hatte. Der Adler
kam traurig nach Haus, nahm von Stunde an keine Nahrung mehr an und verendete am zehnten
Tage. Bei der Zergliederung zeigte sich keine leibliche Beschädigung, welche den Tod hätte herbei-
führen können: er war aus Kummer über die erlittene Mißhandlung gestorben."

Bei einigermaßen genügender Pflege hält der Adler lange Jahre in der Gefangenschaft aus. "Jn
der kaiserlichen Hofburg zu Wien", erzählt Fitzinger, "wo nach einer alten Sitte aus dem Hause der
Regenten Habsburgs durch mehrere Jahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenschaft
gehalten und sorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615 bis 1719, und in
Schönbrunn starb im Jahre 1809 ein Adler derselben Art, welcher fast volle 80 Jahre in der
Gefangenschaft zugebracht hatte."

Pallas und Eversmann theilen uns mit, daß der Stein- oder Goldadler von den Basch-
kiren zur Jagd abgerichtet werde und auf Hochwild ganz vortreffliche Dienste leiste, während der Königs-
adler als Baizvogel nur in geringem Ansehen steht. Dies ist wohl der einzige Nutzen, welchen die
lebenden Adler dem Menschen leisten; der todte hingegen findet vielfache Verwendung. Bei den
Mongolen sind Schwung- und Steuerfedern aller großen Adler hoch geschätzt und werden deshalb
theuer bezahlt. Sie dienen zur Herstellung der Pfeile, werden aber auch als Opfergaben den Göttern
dargebracht. Hiermit scheint ein Vorurtheil dieser Leute zusammenzuhängen. Man tödtet, wie
Radde mittheilt, den Adler nicht gern; geschieht es aber, daß einer verletzt oder gefangen wird, so
muß er so rasch als möglich todt geschlagen werden, widrigenfalls man sich den Zorn der bösen Geister
zuziehen würde.

Es ist beachtenswerth, daß unter den Jndianern Amerikas ähnliche Anschauungen herrschen. "Sie
nehmen", so erzählt der Prinz von Wied, "den großen Adler gern aus dem Horste, um ihn aufzu-
ziehen, und sammeln alsdann seine Schwanzfedern, welche bei ihnen einen großen Werth haben: --
eine einzelne Feder wird für den Werth eines Dollars verkauft. Die Federn sind bei allen indianischen
Völkerschaften von Nord-Amerika Zeichen ihrer Heldenthaten, und bei den meisten derselben steckt man
eine solche Feder für die Erlegung eines Feindes auf. -- Mit Zinnober rothgefärbte Adlerfedern, an
deren Spitze die Schwanzklapper einer Klapperschlange befestigt wird, haben eine Bedeutung, welche nur
in indianischen Augen ehrenvoll ist: sie bezeichnen nämlich die höchst ausgezeichnete und verdienstvolle
That eines Pferdediebstahls. Die Jndianer verzieren ferner ihre großen Federhauben damit, indem
die Federn aufrecht in einer langen Reihe auf einem rothen Tuchstreifen befestigt werden, an welchem
oben eine Federmütze angebracht ist. Hat man diese Mütze aufgesetzt, so hängt der rothe Tuchstreifen
mit den kammartig aufrecht stehenden Adlerfedern bis zur Erde über den Rücken hinab. Die Mandan-
Jndianer nennen diesen, bei den größten Festlichkeiten gebräuchlichen Putz "Mahehsi-akub-haschka",
und blos ausgezeichnete Krieger dürfen ihn tragen; auch ist er sehr kostbar, und nur gegen ein schönes
Pferd würde der Besitzer einen solchen vertauschen. Jch muß hier nur bemerken, daß man in den

Stein-, Gold- und Kaiſeradler.

Jung aufgezogene Adler werden bald zahm und menſchenfreundlich. Sie gewöhnen ſich zuletzt
ſo an ihren Gebieter, daß ſie ihn vermiſſen, wenn er längere Zeit nicht bei ihnen war und ihn
mit fröhlichem Geſchrei begrüßen, wenn er wieder zu ihnen kommt. Gefährlich werden ſie, ſoviel
ich bis jetzt erfahren, ihrem Herrn niemals. „Jn meinen Knabenjahren‟, ſchreibt mir Graf Lázár,
„hielt ich einen Königsadler längere Zeit lebend. Jm Anfang vergriff er ſich zuweilen an unſern
Hühnern, nachdem er aber deshalb einige Gertenhiebe erhalten hatte, hütete er ſich wohl, ſeine
Streiche zu wiederholen. Er lief zuletzt frei im Hofe und Garten umher, ohne eines unſerer Hausthiere
zu gefährden. Mich kannte er ſehr gut; er kam ſogleich, wenn ich ihn bei ſeinem Namen Pluto rief;
Fremde und Hunde hingegen konnte er nicht leiden: erſtere griff er an, wenn ſie ſich ihm näherten,
und die Hunde ſuchte er ſich ſtets vom Leibe zu halten. Seine Angriffe auf Menſchen waren nicht
gerade gefährlich, aber doch ſehr fühlbar. Er gebrauchte nämlich ſeine Krallen nur in der unſchäd-
lichſten Weiſe, theilte dafür aber Flügelhiebe aus, welche ſtets blaue Flecken hervorriefen. Sein
Ende fand er auf betrübende Weiſe. Er war in den Garten eines Bauers geflogen und mochte
dort irgend einen Streich ausgeführt haben, wofür der Bauer ihn derb gezüchtigt hatte. Der Adler
kam traurig nach Haus, nahm von Stunde an keine Nahrung mehr an und verendete am zehnten
Tage. Bei der Zergliederung zeigte ſich keine leibliche Beſchädigung, welche den Tod hätte herbei-
führen können: er war aus Kummer über die erlittene Mißhandlung geſtorben.‟

Bei einigermaßen genügender Pflege hält der Adler lange Jahre in der Gefangenſchaft aus. „Jn
der kaiſerlichen Hofburg zu Wien‟, erzählt Fitzinger, „wo nach einer alten Sitte aus dem Hauſe der
Regenten Habsburgs durch mehrere Jahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenſchaft
gehalten und ſorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615 bis 1719, und in
Schönbrunn ſtarb im Jahre 1809 ein Adler derſelben Art, welcher faſt volle 80 Jahre in der
Gefangenſchaft zugebracht hatte.‟

Pallas und Eversmann theilen uns mit, daß der Stein- oder Goldadler von den Baſch-
kiren zur Jagd abgerichtet werde und auf Hochwild ganz vortreffliche Dienſte leiſte, während der Königs-
adler als Baizvogel nur in geringem Anſehen ſteht. Dies iſt wohl der einzige Nutzen, welchen die
lebenden Adler dem Menſchen leiſten; der todte hingegen findet vielfache Verwendung. Bei den
Mongolen ſind Schwung- und Steuerfedern aller großen Adler hoch geſchätzt und werden deshalb
theuer bezahlt. Sie dienen zur Herſtellung der Pfeile, werden aber auch als Opfergaben den Göttern
dargebracht. Hiermit ſcheint ein Vorurtheil dieſer Leute zuſammenzuhängen. Man tödtet, wie
Radde mittheilt, den Adler nicht gern; geſchieht es aber, daß einer verletzt oder gefangen wird, ſo
muß er ſo raſch als möglich todt geſchlagen werden, widrigenfalls man ſich den Zorn der böſen Geiſter
zuziehen würde.

Es iſt beachtenswerth, daß unter den Jndianern Amerikas ähnliche Anſchauungen herrſchen. „Sie
nehmen‟, ſo erzählt der Prinz von Wied, „den großen Adler gern aus dem Horſte, um ihn aufzu-
ziehen, und ſammeln alsdann ſeine Schwanzfedern, welche bei ihnen einen großen Werth haben: —
eine einzelne Feder wird für den Werth eines Dollars verkauft. Die Federn ſind bei allen indianiſchen
Völkerſchaften von Nord-Amerika Zeichen ihrer Heldenthaten, und bei den meiſten derſelben ſteckt man
eine ſolche Feder für die Erlegung eines Feindes auf. — Mit Zinnober rothgefärbte Adlerfedern, an
deren Spitze die Schwanzklapper einer Klapperſchlange befeſtigt wird, haben eine Bedeutung, welche nur
in indianiſchen Augen ehrenvoll iſt: ſie bezeichnen nämlich die höchſt ausgezeichnete und verdienſtvolle
That eines Pferdediebſtahls. Die Jndianer verzieren ferner ihre großen Federhauben damit, indem
die Federn aufrecht in einer langen Reihe auf einem rothen Tuchſtreifen befeſtigt werden, an welchem
oben eine Federmütze angebracht iſt. Hat man dieſe Mütze aufgeſetzt, ſo hängt der rothe Tuchſtreifen
mit den kammartig aufrecht ſtehenden Adlerfedern bis zur Erde über den Rücken hinab. Die Mandan-
Jndianer nennen dieſen, bei den größten Feſtlichkeiten gebräuchlichen Putz „Mahehſi-akub-haſchka‟,
und blos ausgezeichnete Krieger dürfen ihn tragen; auch iſt er ſehr koſtbar, und nur gegen ein ſchönes
Pferd würde der Beſitzer einen ſolchen vertauſchen. Jch muß hier nur bemerken, daß man in den

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[453/0483] Stein-, Gold- und Kaiſeradler. Jung aufgezogene Adler werden bald zahm und menſchenfreundlich. Sie gewöhnen ſich zuletzt ſo an ihren Gebieter, daß ſie ihn vermiſſen, wenn er längere Zeit nicht bei ihnen war und ihn mit fröhlichem Geſchrei begrüßen, wenn er wieder zu ihnen kommt. Gefährlich werden ſie, ſoviel ich bis jetzt erfahren, ihrem Herrn niemals. „Jn meinen Knabenjahren‟, ſchreibt mir Graf Lázár, „hielt ich einen Königsadler längere Zeit lebend. Jm Anfang vergriff er ſich zuweilen an unſern Hühnern, nachdem er aber deshalb einige Gertenhiebe erhalten hatte, hütete er ſich wohl, ſeine Streiche zu wiederholen. Er lief zuletzt frei im Hofe und Garten umher, ohne eines unſerer Hausthiere zu gefährden. Mich kannte er ſehr gut; er kam ſogleich, wenn ich ihn bei ſeinem Namen Pluto rief; Fremde und Hunde hingegen konnte er nicht leiden: erſtere griff er an, wenn ſie ſich ihm näherten, und die Hunde ſuchte er ſich ſtets vom Leibe zu halten. Seine Angriffe auf Menſchen waren nicht gerade gefährlich, aber doch ſehr fühlbar. Er gebrauchte nämlich ſeine Krallen nur in der unſchäd- lichſten Weiſe, theilte dafür aber Flügelhiebe aus, welche ſtets blaue Flecken hervorriefen. Sein Ende fand er auf betrübende Weiſe. Er war in den Garten eines Bauers geflogen und mochte dort irgend einen Streich ausgeführt haben, wofür der Bauer ihn derb gezüchtigt hatte. Der Adler kam traurig nach Haus, nahm von Stunde an keine Nahrung mehr an und verendete am zehnten Tage. Bei der Zergliederung zeigte ſich keine leibliche Beſchädigung, welche den Tod hätte herbei- führen können: er war aus Kummer über die erlittene Mißhandlung geſtorben.‟ Bei einigermaßen genügender Pflege hält der Adler lange Jahre in der Gefangenſchaft aus. „Jn der kaiſerlichen Hofburg zu Wien‟, erzählt Fitzinger, „wo nach einer alten Sitte aus dem Hauſe der Regenten Habsburgs durch mehrere Jahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenſchaft gehalten und ſorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615 bis 1719, und in Schönbrunn ſtarb im Jahre 1809 ein Adler derſelben Art, welcher faſt volle 80 Jahre in der Gefangenſchaft zugebracht hatte.‟ Pallas und Eversmann theilen uns mit, daß der Stein- oder Goldadler von den Baſch- kiren zur Jagd abgerichtet werde und auf Hochwild ganz vortreffliche Dienſte leiſte, während der Königs- adler als Baizvogel nur in geringem Anſehen ſteht. Dies iſt wohl der einzige Nutzen, welchen die lebenden Adler dem Menſchen leiſten; der todte hingegen findet vielfache Verwendung. Bei den Mongolen ſind Schwung- und Steuerfedern aller großen Adler hoch geſchätzt und werden deshalb theuer bezahlt. Sie dienen zur Herſtellung der Pfeile, werden aber auch als Opfergaben den Göttern dargebracht. Hiermit ſcheint ein Vorurtheil dieſer Leute zuſammenzuhängen. Man tödtet, wie Radde mittheilt, den Adler nicht gern; geſchieht es aber, daß einer verletzt oder gefangen wird, ſo muß er ſo raſch als möglich todt geſchlagen werden, widrigenfalls man ſich den Zorn der böſen Geiſter zuziehen würde. Es iſt beachtenswerth, daß unter den Jndianern Amerikas ähnliche Anſchauungen herrſchen. „Sie nehmen‟, ſo erzählt der Prinz von Wied, „den großen Adler gern aus dem Horſte, um ihn aufzu- ziehen, und ſammeln alsdann ſeine Schwanzfedern, welche bei ihnen einen großen Werth haben: — eine einzelne Feder wird für den Werth eines Dollars verkauft. Die Federn ſind bei allen indianiſchen Völkerſchaften von Nord-Amerika Zeichen ihrer Heldenthaten, und bei den meiſten derſelben ſteckt man eine ſolche Feder für die Erlegung eines Feindes auf. — Mit Zinnober rothgefärbte Adlerfedern, an deren Spitze die Schwanzklapper einer Klapperſchlange befeſtigt wird, haben eine Bedeutung, welche nur in indianiſchen Augen ehrenvoll iſt: ſie bezeichnen nämlich die höchſt ausgezeichnete und verdienſtvolle That eines Pferdediebſtahls. Die Jndianer verzieren ferner ihre großen Federhauben damit, indem die Federn aufrecht in einer langen Reihe auf einem rothen Tuchſtreifen befeſtigt werden, an welchem oben eine Federmütze angebracht iſt. Hat man dieſe Mütze aufgeſetzt, ſo hängt der rothe Tuchſtreifen mit den kammartig aufrecht ſtehenden Adlerfedern bis zur Erde über den Rücken hinab. Die Mandan- Jndianer nennen dieſen, bei den größten Feſtlichkeiten gebräuchlichen Putz „Mahehſi-akub-haſchka‟, und blos ausgezeichnete Krieger dürfen ihn tragen; auch iſt er ſehr koſtbar, und nur gegen ein ſchönes Pferd würde der Beſitzer einen ſolchen vertauſchen. Jch muß hier nur bemerken, daß man in den

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/483>, abgerufen am 22.11.2024.