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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.

"Jn der Regel sitzt der Vogel schlank und aufgerichtet, wie andere Adler, mit emporgesträubter
Holle. Sein Auge blitzt wohl auch kühn, doch nicht wild um sich; bekannte Personen schaut er sogar
mit einem sanften Ausdruck an. Mit der Hand vorgehaltene Nahrung erfaßt er mit dem Schnabel,
ohne dabei seinen Wohlthäter zu verletzen. Betritt man seinen Käfig selbst und geht ihm rasch zu
Leibe, so nimmt er eine Vertheidigungsstellung an. Er breitet die langen Flügel aus und erhebt
einen seiner gefährlichen starken Fänge; die Holle legt er dann nieder, sodaß sein Kopf ganz glatt
erscheint, während er sonst seinen Schmuck aufgerichtet trägt. Auf der Erde steht er zwar auch, wie
die Adler, in etwas wagrechter Stellung, doch immer noch aufgerichteter, als diese. Da sein Behälter
so groß ist, daß er nicht nur bequem seine Schwingen ausbreiten, sondern auch kleine Flugversuche
machen kann, so sieht man ihn bäufig die sitzende Stellung aufgeben, aus dem geschützten Raume des
Käfigs hervorfliegen und die ziemlich hoch angebrachte Sitzstange aufsuchen."

"Für seine Nachbarn scheint er wenig Theilnahme zu zeigen, während er alle vorübergehenden
Personen, sowie die in seiner Nähe befindlichen Hirsche mit großer Aufmerksamkeit betrachtet."

Diesen Worten will ich noch hinzufügen, daß unser Gefangener bedeutende Kältegrade ertragen
hat, wenn auch nicht ganz ohne Beschwerde; denn während des strengen Winters saß er oft recht still
auf seiner Stange, und zuweilen zitterte er vor Frost. Demungeachtet befand er sich im Freien
entschieden wohler, als in dem Warmhause, in welches er vorsichtshalber schließlich gebracht wurde.



Ungefähr dieselben Gegenden bewohnt ein verwandter, aber viel kleinerer Adler, welchen wir
seiner langen Haube wegen Schopfadler nennen wollen (Lophoaetos occipitalis). Er ist
gedrungen gebaut, langflügelig, kurzschwänzig und hochläufig. Das Gefieder ist ziemlich einfarbig.
Ein sehr dunkles Braun ist die Grundfärbung, der Bauch ist dunkler, die Brust lichter, der Flügel-
rand, die Haubenfedern an der Wurzel, die Unterflügeldeckfedern, die Laufbefiederung, die Wurzel-
hälfte der Steuerfedern und drei quer über den Schwanz verlaufende Binden sind weißlich; das Auge
ist hochgelb, der Schnabel horublau, an der Spitze dunkler, an der Wurzel heller, die Wachshaut
hellgelb, der Fuß strohgelb. Die Länge beträgt 193/4 Zoll, die Breite 46 Zoll, der Fittig mißt 123/4,
der Schwanz 7 Zoll. Das Weibchen ist um 11/4 Zoll länger und um 2 Zoll breiter.

Jn den Waldungen des oberen Nilgebietes ist der Schopfadler eine ziemlich häufige Erscheinung.
Hier sieht man ihn in den Wipfeln der Mimosen nahe am Stamme ruhig sitzen und höchst ernsthaft
mit seiner Holle spielen. Bald kraust er die Stirn, schließt die Augen halb und richtet nun seine
Haube auf, daß sie senkrecht steht, breitet wohl auch die einzelnen Federn seitlich aus und sträubt
dabei das übrige Gefieder; bald legt er die Holle wieder glatt auf den Nacken nieder. Diese wichtige
Beschäftigung treibt er halbe Stunden lang, ohne sich zu regen. Er ist dann ein Bild vollendeter
Trägheit, ein sehr wenig versprechender Raubvogel. Doch lernt man den Träumer bald auch von
einer andern Seite kennen, sobald er etwas Jagdbares bemerkt: ein Mäuschen, eine Feldratte, ein
Erdeichhörnchen, ein girrendes Täubchen, ein Flug Webervögel etwa. Blitzschnell streicht er mit
kurzen, raschen Flügelschlägen ab, wendet sich, unserm Habicht vergleichbar, gewandt durch das
dichteste Gestrüpp, jagt der erspäheten Beute eifrig nach und ergreift sie fast unfehlbar. Jn Betragen
und Wesen läßt er sich nur mit unserem Habicht vergleichen. Er ist ebenso frech und raublustig wie
dieser und im Verhältniß zu seiner Stärke unbedingt der beste Räuber des Waldes. Nur den
geordneten Waldstaat der altweltlichen Affen beunruhigt er ebensowenig, wie alle übrigen Adler der
Osthälfte unserer Erde. Bei einer Gesellschaft, welche unter sich das ausgeprägteste Schutz- und
Trutzbündniß geschlossen hat, würde er schlechte Geschäfte machen. Doch ich habe im ersten Theile
des "Thierlebens" bereits beschrieben, wie es dem Adler ergeht, welcher sich an Affen wagt.

Die Fänger. Raubvögel. Adler.

„Jn der Regel ſitzt der Vogel ſchlank und aufgerichtet, wie andere Adler, mit emporgeſträubter
Holle. Sein Auge blitzt wohl auch kühn, doch nicht wild um ſich; bekannte Perſonen ſchaut er ſogar
mit einem ſanften Ausdruck an. Mit der Hand vorgehaltene Nahrung erfaßt er mit dem Schnabel,
ohne dabei ſeinen Wohlthäter zu verletzen. Betritt man ſeinen Käfig ſelbſt und geht ihm raſch zu
Leibe, ſo nimmt er eine Vertheidigungsſtellung an. Er breitet die langen Flügel aus und erhebt
einen ſeiner gefährlichen ſtarken Fänge; die Holle legt er dann nieder, ſodaß ſein Kopf ganz glatt
erſcheint, während er ſonſt ſeinen Schmuck aufgerichtet trägt. Auf der Erde ſteht er zwar auch, wie
die Adler, in etwas wagrechter Stellung, doch immer noch aufgerichteter, als dieſe. Da ſein Behälter
ſo groß iſt, daß er nicht nur bequem ſeine Schwingen ausbreiten, ſondern auch kleine Flugverſuche
machen kann, ſo ſieht man ihn bäufig die ſitzende Stellung aufgeben, aus dem geſchützten Raume des
Käfigs hervorfliegen und die ziemlich hoch angebrachte Sitzſtange aufſuchen.‟

„Für ſeine Nachbarn ſcheint er wenig Theilnahme zu zeigen, während er alle vorübergehenden
Perſonen, ſowie die in ſeiner Nähe befindlichen Hirſche mit großer Aufmerkſamkeit betrachtet.‟

Dieſen Worten will ich noch hinzufügen, daß unſer Gefangener bedeutende Kältegrade ertragen
hat, wenn auch nicht ganz ohne Beſchwerde; denn während des ſtrengen Winters ſaß er oft recht ſtill
auf ſeiner Stange, und zuweilen zitterte er vor Froſt. Demungeachtet befand er ſich im Freien
entſchieden wohler, als in dem Warmhauſe, in welches er vorſichtshalber ſchließlich gebracht wurde.



Ungefähr dieſelben Gegenden bewohnt ein verwandter, aber viel kleinerer Adler, welchen wir
ſeiner langen Haube wegen Schopfadler nennen wollen (Lophoaëtos occipitalis). Er iſt
gedrungen gebaut, langflügelig, kurzſchwänzig und hochläufig. Das Gefieder iſt ziemlich einfarbig.
Ein ſehr dunkles Braun iſt die Grundfärbung, der Bauch iſt dunkler, die Bruſt lichter, der Flügel-
rand, die Haubenfedern an der Wurzel, die Unterflügeldeckfedern, die Laufbefiederung, die Wurzel-
hälfte der Steuerfedern und drei quer über den Schwanz verlaufende Binden ſind weißlich; das Auge
iſt hochgelb, der Schnabel horublau, an der Spitze dunkler, an der Wurzel heller, die Wachshaut
hellgelb, der Fuß ſtrohgelb. Die Länge beträgt 19¾ Zoll, die Breite 46 Zoll, der Fittig mißt 12¾,
der Schwanz 7 Zoll. Das Weibchen iſt um 1¼ Zoll länger und um 2 Zoll breiter.

Jn den Waldungen des oberen Nilgebietes iſt der Schopfadler eine ziemlich häufige Erſcheinung.
Hier ſieht man ihn in den Wipfeln der Mimoſen nahe am Stamme ruhig ſitzen und höchſt ernſthaft
mit ſeiner Holle ſpielen. Bald krauſt er die Stirn, ſchließt die Augen halb und richtet nun ſeine
Haube auf, daß ſie ſenkrecht ſteht, breitet wohl auch die einzelnen Federn ſeitlich aus und ſträubt
dabei das übrige Gefieder; bald legt er die Holle wieder glatt auf den Nacken nieder. Dieſe wichtige
Beſchäftigung treibt er halbe Stunden lang, ohne ſich zu regen. Er iſt dann ein Bild vollendeter
Trägheit, ein ſehr wenig verſprechender Raubvogel. Doch lernt man den Träumer bald auch von
einer andern Seite kennen, ſobald er etwas Jagdbares bemerkt: ein Mäuschen, eine Feldratte, ein
Erdeichhörnchen, ein girrendes Täubchen, ein Flug Webervögel etwa. Blitzſchnell ſtreicht er mit
kurzen, raſchen Flügelſchlägen ab, wendet ſich, unſerm Habicht vergleichbar, gewandt durch das
dichteſte Geſtrüpp, jagt der erſpäheten Beute eifrig nach und ergreift ſie faſt unfehlbar. Jn Betragen
und Weſen läßt er ſich nur mit unſerem Habicht vergleichen. Er iſt ebenſo frech und raubluſtig wie
dieſer und im Verhältniß zu ſeiner Stärke unbedingt der beſte Räuber des Waldes. Nur den
geordneten Waldſtaat der altweltlichen Affen beunruhigt er ebenſowenig, wie alle übrigen Adler der
Oſthälfte unſerer Erde. Bei einer Geſellſchaft, welche unter ſich das ausgeprägteſte Schutz- und
Trutzbündniß geſchloſſen hat, würde er ſchlechte Geſchäfte machen. Doch ich habe im erſten Theile
des „Thierlebens‟ bereits beſchrieben, wie es dem Adler ergeht, welcher ſich an Affen wagt.

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[464/0496] Die Fänger. Raubvögel. Adler. „Jn der Regel ſitzt der Vogel ſchlank und aufgerichtet, wie andere Adler, mit emporgeſträubter Holle. Sein Auge blitzt wohl auch kühn, doch nicht wild um ſich; bekannte Perſonen ſchaut er ſogar mit einem ſanften Ausdruck an. Mit der Hand vorgehaltene Nahrung erfaßt er mit dem Schnabel, ohne dabei ſeinen Wohlthäter zu verletzen. Betritt man ſeinen Käfig ſelbſt und geht ihm raſch zu Leibe, ſo nimmt er eine Vertheidigungsſtellung an. Er breitet die langen Flügel aus und erhebt einen ſeiner gefährlichen ſtarken Fänge; die Holle legt er dann nieder, ſodaß ſein Kopf ganz glatt erſcheint, während er ſonſt ſeinen Schmuck aufgerichtet trägt. Auf der Erde ſteht er zwar auch, wie die Adler, in etwas wagrechter Stellung, doch immer noch aufgerichteter, als dieſe. Da ſein Behälter ſo groß iſt, daß er nicht nur bequem ſeine Schwingen ausbreiten, ſondern auch kleine Flugverſuche machen kann, ſo ſieht man ihn bäufig die ſitzende Stellung aufgeben, aus dem geſchützten Raume des Käfigs hervorfliegen und die ziemlich hoch angebrachte Sitzſtange aufſuchen.‟ „Für ſeine Nachbarn ſcheint er wenig Theilnahme zu zeigen, während er alle vorübergehenden Perſonen, ſowie die in ſeiner Nähe befindlichen Hirſche mit großer Aufmerkſamkeit betrachtet.‟ Dieſen Worten will ich noch hinzufügen, daß unſer Gefangener bedeutende Kältegrade ertragen hat, wenn auch nicht ganz ohne Beſchwerde; denn während des ſtrengen Winters ſaß er oft recht ſtill auf ſeiner Stange, und zuweilen zitterte er vor Froſt. Demungeachtet befand er ſich im Freien entſchieden wohler, als in dem Warmhauſe, in welches er vorſichtshalber ſchließlich gebracht wurde. Ungefähr dieſelben Gegenden bewohnt ein verwandter, aber viel kleinerer Adler, welchen wir ſeiner langen Haube wegen Schopfadler nennen wollen (Lophoaëtos occipitalis). Er iſt gedrungen gebaut, langflügelig, kurzſchwänzig und hochläufig. Das Gefieder iſt ziemlich einfarbig. Ein ſehr dunkles Braun iſt die Grundfärbung, der Bauch iſt dunkler, die Bruſt lichter, der Flügel- rand, die Haubenfedern an der Wurzel, die Unterflügeldeckfedern, die Laufbefiederung, die Wurzel- hälfte der Steuerfedern und drei quer über den Schwanz verlaufende Binden ſind weißlich; das Auge iſt hochgelb, der Schnabel horublau, an der Spitze dunkler, an der Wurzel heller, die Wachshaut hellgelb, der Fuß ſtrohgelb. Die Länge beträgt 19¾ Zoll, die Breite 46 Zoll, der Fittig mißt 12¾, der Schwanz 7 Zoll. Das Weibchen iſt um 1¼ Zoll länger und um 2 Zoll breiter. Jn den Waldungen des oberen Nilgebietes iſt der Schopfadler eine ziemlich häufige Erſcheinung. Hier ſieht man ihn in den Wipfeln der Mimoſen nahe am Stamme ruhig ſitzen und höchſt ernſthaft mit ſeiner Holle ſpielen. Bald krauſt er die Stirn, ſchließt die Augen halb und richtet nun ſeine Haube auf, daß ſie ſenkrecht ſteht, breitet wohl auch die einzelnen Federn ſeitlich aus und ſträubt dabei das übrige Gefieder; bald legt er die Holle wieder glatt auf den Nacken nieder. Dieſe wichtige Beſchäftigung treibt er halbe Stunden lang, ohne ſich zu regen. Er iſt dann ein Bild vollendeter Trägheit, ein ſehr wenig verſprechender Raubvogel. Doch lernt man den Träumer bald auch von einer andern Seite kennen, ſobald er etwas Jagdbares bemerkt: ein Mäuschen, eine Feldratte, ein Erdeichhörnchen, ein girrendes Täubchen, ein Flug Webervögel etwa. Blitzſchnell ſtreicht er mit kurzen, raſchen Flügelſchlägen ab, wendet ſich, unſerm Habicht vergleichbar, gewandt durch das dichteſte Geſtrüpp, jagt der erſpäheten Beute eifrig nach und ergreift ſie faſt unfehlbar. Jn Betragen und Weſen läßt er ſich nur mit unſerem Habicht vergleichen. Er iſt ebenſo frech und raubluſtig wie dieſer und im Verhältniß zu ſeiner Stärke unbedingt der beſte Räuber des Waldes. Nur den geordneten Waldſtaat der altweltlichen Affen beunruhigt er ebenſowenig, wie alle übrigen Adler der Oſthälfte unſerer Erde. Bei einer Geſellſchaft, welche unter ſich das ausgeprägteſte Schutz- und Trutzbündniß geſchloſſen hat, würde er ſchlechte Geſchäfte machen. Doch ich habe im erſten Theile des „Thierlebens‟ bereits beſchrieben, wie es dem Adler ergeht, welcher ſich an Affen wagt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/496>, abgerufen am 22.11.2024.