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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.

Der Prinz, Schomburgk und Burmeister theilen uns Einiges über Aufenthalt und
Lebensweise des noch immer wenig bekannten Vogels mit. Daraus geht hervor, daß der Sperber-
adler über den größten Theil Südamerikas verbreitet ist und sich ebensowohl in der Küstenwaldung
wie in den Oasen der Steppen, am liebsten aber an Flußufern aufhält. Man sieht ihn in den
Lüften kreisen und erkennt ihn leicht an dem blendend weißen Gefieder, welches von dem dunkelblauen
Himmel lebhaft absticht. Nach Schomburgk zeichnet er sich auch noch durch sein lautes Geschrei
aus. Er wählt sich die dürren Wipfel hoher Bäume zu seinen Ruhesitzen, verweilt hier stundenlang,
ohne sich zu rühren und richtet dann zuweilen seinen herrlichen Federschopf empor. Seine Jagd gilt
Säugethieren und Vögeln. Prinz von Wied fand in dem Magen eines von ihm untersuchten
Ueberreste von Beutelthieren und erfuhr von den Jägern, daß der Vogel besonders den Affen
nachstelle. Der Horst wird nach Schomburgk auf nicht allzuhohen Bäumen errichtet.

Die Jagd des Sperberadlers hat der hohen Bäume wegen ihre großen Schwierigkeiten, sie
gelingt fast nur den Büchsenschützen oder den Jndianern. "Zwei kräftige Männer der Camacan-
indianer", erzählt der Prinz, "erlegten nicht weit vom Ufer des Flusses einen Sperberadler durch einen
Pfeilschuß, als er eben auf seinem großen, von Reisern erbauten Horste in den höchsten Zweigen
eines gewaltigen Baumes saß. Der lange, kräftige Pfeil war ihm unten in die Kehle gedrungen,
demungeachtet wurde er noch völlig lebend in meine Hände abgeliefert. Er muß ein kühner, kräftiger
Vogel sein; denn der Verwundete wehrte sich heftig mit Klauen und Schnabel. Den Horst ersteigen
zu lassen, war leider unmöglich; denn zu diesem schweren Unternehmen wollte sich Niemand finden."



Eine gewisse Verwandtschaft mit dem eben beschriebenen Raubvogel zeigt der gewaltigste aller
Adler, welche im Süden Amerikas leben, die Harpyie (Harpyia destructor). Er ist der Habichts-
adler in seiner Vollendung. Der Leib ist sehr kräftig, der Kopf groß, der Schwanz breit, lang und
stark, der Fittig aber kurz und stumpf. Ganz auffallend stark sind die Waffen. Der Schnabel ist
ungemein hoch und kräftig, mit stark gerundeter Kuppe und geschärftem Rand, welcher unter dem
Nasenloche eine Ausbiegung und davor einen stumpfen Zahn bildet. Der Fuß ist stärker als bei
jedem andern Raubvogel, der Fang sehr groß und jede der langen Zehen noch mit einer außer-
ordentlich großen, dicken und stark gebogenen Kralle bewehrt. Der Lauf ist hinten bis zur Ferse
nackt, vorn bis zur Mitte herab befiedert, an den nackten Stellen mit großen Tafelschuppen bekleidet.
Das Gefieder ist reich und weich, fast wie bei den Eulen, im Nacken zu einer langen und breiten,
aufrichtbaren Holle verlängert. Kopf und Hals sind grau, die verlängerten Nackenfedern, der ganze
Rücken, die Flügel, der Schwanz, die Oberbrust und die Rumpfseiten sind schieferschwarz; der
Schwanz ist dreimal weißlich gebändert. Die Unterbrust und der Steiß sind weiß; der Bauch ist auf
weißem Grunde schwarz getüpfelt; die Schenkel sind auf gleichfarbigem Grunde schwarz gewellt. Der
Schnabel und die Krallen sind schwarz, die Beine gelb; das Auge ist rothgelb. Jn der Jugend ist
die allgemeine Färbung trüber, die Rückenfedern sind grau gebändert, die Brust- und Bauchfedern
schwarz gefleckt. Je reiner die Farben, um so älter sind die Vögel. Nach Tschudi beträgt die Länge
der Harpyie 3 Fuß 2 Zoll, die Fittiglänge 9 Zoll 6 Linien, die Schwanzlänge 1 Fuß 1 Zoll;
Burmeister hat noch größere Maße verzeichnet. Die Mittelzehe ist 3 Zoll, die Hinterzehe
11/2 Zoll lang; diese aber trägt noch eine Kralle, welche der Krümmung nach 3 Zoll und jene eine
solche, welche in gleicher Weise gemessen 11/2 Zoll lang ist.

Von Mejiko an bis zur Mitte Brasiliens und vom atlantischen bis zum stillen Weltmeere
scheint die Harpyie in keinem größeren Walde Südamerikas zu fehlen. Jm Gebirge bewohnt sie
jedoch nur die tieferen heißeren Thäler; in die Höhe hinauf versteigt sie sich nicht. Sie ist, wo sie
vorkommt, ein wohl bekannter, seit altersgrauer Zeit in hoher Achtung stehender Raubvogel, über

Die Fänger. Raubvögel. Adler.

Der Prinz, Schomburgk und Burmeiſter theilen uns Einiges über Aufenthalt und
Lebensweiſe des noch immer wenig bekannten Vogels mit. Daraus geht hervor, daß der Sperber-
adler über den größten Theil Südamerikas verbreitet iſt und ſich ebenſowohl in der Küſtenwaldung
wie in den Oaſen der Steppen, am liebſten aber an Flußufern aufhält. Man ſieht ihn in den
Lüften kreiſen und erkennt ihn leicht an dem blendend weißen Gefieder, welches von dem dunkelblauen
Himmel lebhaft abſticht. Nach Schomburgk zeichnet er ſich auch noch durch ſein lautes Geſchrei
aus. Er wählt ſich die dürren Wipfel hoher Bäume zu ſeinen Ruheſitzen, verweilt hier ſtundenlang,
ohne ſich zu rühren und richtet dann zuweilen ſeinen herrlichen Federſchopf empor. Seine Jagd gilt
Säugethieren und Vögeln. Prinz von Wied fand in dem Magen eines von ihm unterſuchten
Ueberreſte von Beutelthieren und erfuhr von den Jägern, daß der Vogel beſonders den Affen
nachſtelle. Der Horſt wird nach Schomburgk auf nicht allzuhohen Bäumen errichtet.

Die Jagd des Sperberadlers hat der hohen Bäume wegen ihre großen Schwierigkeiten, ſie
gelingt faſt nur den Büchſenſchützen oder den Jndianern. „Zwei kräftige Männer der Camacan-
indianer‟, erzählt der Prinz, „erlegten nicht weit vom Ufer des Fluſſes einen Sperberadler durch einen
Pfeilſchuß, als er eben auf ſeinem großen, von Reiſern erbauten Horſte in den höchſten Zweigen
eines gewaltigen Baumes ſaß. Der lange, kräftige Pfeil war ihm unten in die Kehle gedrungen,
demungeachtet wurde er noch völlig lebend in meine Hände abgeliefert. Er muß ein kühner, kräftiger
Vogel ſein; denn der Verwundete wehrte ſich heftig mit Klauen und Schnabel. Den Horſt erſteigen
zu laſſen, war leider unmöglich; denn zu dieſem ſchweren Unternehmen wollte ſich Niemand finden.‟



Eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem eben beſchriebenen Raubvogel zeigt der gewaltigſte aller
Adler, welche im Süden Amerikas leben, die Harpyie (Harpyia destructor). Er iſt der Habichts-
adler in ſeiner Vollendung. Der Leib iſt ſehr kräftig, der Kopf groß, der Schwanz breit, lang und
ſtark, der Fittig aber kurz und ſtumpf. Ganz auffallend ſtark ſind die Waffen. Der Schnabel iſt
ungemein hoch und kräftig, mit ſtark gerundeter Kuppe und geſchärftem Rand, welcher unter dem
Naſenloche eine Ausbiegung und davor einen ſtumpfen Zahn bildet. Der Fuß iſt ſtärker als bei
jedem andern Raubvogel, der Fang ſehr groß und jede der langen Zehen noch mit einer außer-
ordentlich großen, dicken und ſtark gebogenen Kralle bewehrt. Der Lauf iſt hinten bis zur Ferſe
nackt, vorn bis zur Mitte herab befiedert, an den nackten Stellen mit großen Tafelſchuppen bekleidet.
Das Gefieder iſt reich und weich, faſt wie bei den Eulen, im Nacken zu einer langen und breiten,
aufrichtbaren Holle verlängert. Kopf und Hals ſind grau, die verlängerten Nackenfedern, der ganze
Rücken, die Flügel, der Schwanz, die Oberbruſt und die Rumpfſeiten ſind ſchieferſchwarz; der
Schwanz iſt dreimal weißlich gebändert. Die Unterbruſt und der Steiß ſind weiß; der Bauch iſt auf
weißem Grunde ſchwarz getüpfelt; die Schenkel ſind auf gleichfarbigem Grunde ſchwarz gewellt. Der
Schnabel und die Krallen ſind ſchwarz, die Beine gelb; das Auge iſt rothgelb. Jn der Jugend iſt
die allgemeine Färbung trüber, die Rückenfedern ſind grau gebändert, die Bruſt- und Bauchfedern
ſchwarz gefleckt. Je reiner die Farben, um ſo älter ſind die Vögel. Nach Tſchudi beträgt die Länge
der Harpyie 3 Fuß 2 Zoll, die Fittiglänge 9 Zoll 6 Linien, die Schwanzlänge 1 Fuß 1 Zoll;
Burmeiſter hat noch größere Maße verzeichnet. Die Mittelzehe iſt 3 Zoll, die Hinterzehe
1½ Zoll lang; dieſe aber trägt noch eine Kralle, welche der Krümmung nach 3 Zoll und jene eine
ſolche, welche in gleicher Weiſe gemeſſen 1½ Zoll lang iſt.

Von Mejiko an bis zur Mitte Braſiliens und vom atlantiſchen bis zum ſtillen Weltmeere
ſcheint die Harpyie in keinem größeren Walde Südamerikas zu fehlen. Jm Gebirge bewohnt ſie
jedoch nur die tieferen heißeren Thäler; in die Höhe hinauf verſteigt ſie ſich nicht. Sie iſt, wo ſie
vorkommt, ein wohl bekannter, ſeit altersgrauer Zeit in hoher Achtung ſtehender Raubvogel, über

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[468/0500] Die Fänger. Raubvögel. Adler. Der Prinz, Schomburgk und Burmeiſter theilen uns Einiges über Aufenthalt und Lebensweiſe des noch immer wenig bekannten Vogels mit. Daraus geht hervor, daß der Sperber- adler über den größten Theil Südamerikas verbreitet iſt und ſich ebenſowohl in der Küſtenwaldung wie in den Oaſen der Steppen, am liebſten aber an Flußufern aufhält. Man ſieht ihn in den Lüften kreiſen und erkennt ihn leicht an dem blendend weißen Gefieder, welches von dem dunkelblauen Himmel lebhaft abſticht. Nach Schomburgk zeichnet er ſich auch noch durch ſein lautes Geſchrei aus. Er wählt ſich die dürren Wipfel hoher Bäume zu ſeinen Ruheſitzen, verweilt hier ſtundenlang, ohne ſich zu rühren und richtet dann zuweilen ſeinen herrlichen Federſchopf empor. Seine Jagd gilt Säugethieren und Vögeln. Prinz von Wied fand in dem Magen eines von ihm unterſuchten Ueberreſte von Beutelthieren und erfuhr von den Jägern, daß der Vogel beſonders den Affen nachſtelle. Der Horſt wird nach Schomburgk auf nicht allzuhohen Bäumen errichtet. Die Jagd des Sperberadlers hat der hohen Bäume wegen ihre großen Schwierigkeiten, ſie gelingt faſt nur den Büchſenſchützen oder den Jndianern. „Zwei kräftige Männer der Camacan- indianer‟, erzählt der Prinz, „erlegten nicht weit vom Ufer des Fluſſes einen Sperberadler durch einen Pfeilſchuß, als er eben auf ſeinem großen, von Reiſern erbauten Horſte in den höchſten Zweigen eines gewaltigen Baumes ſaß. Der lange, kräftige Pfeil war ihm unten in die Kehle gedrungen, demungeachtet wurde er noch völlig lebend in meine Hände abgeliefert. Er muß ein kühner, kräftiger Vogel ſein; denn der Verwundete wehrte ſich heftig mit Klauen und Schnabel. Den Horſt erſteigen zu laſſen, war leider unmöglich; denn zu dieſem ſchweren Unternehmen wollte ſich Niemand finden.‟ Eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem eben beſchriebenen Raubvogel zeigt der gewaltigſte aller Adler, welche im Süden Amerikas leben, die Harpyie (Harpyia destructor). Er iſt der Habichts- adler in ſeiner Vollendung. Der Leib iſt ſehr kräftig, der Kopf groß, der Schwanz breit, lang und ſtark, der Fittig aber kurz und ſtumpf. Ganz auffallend ſtark ſind die Waffen. Der Schnabel iſt ungemein hoch und kräftig, mit ſtark gerundeter Kuppe und geſchärftem Rand, welcher unter dem Naſenloche eine Ausbiegung und davor einen ſtumpfen Zahn bildet. Der Fuß iſt ſtärker als bei jedem andern Raubvogel, der Fang ſehr groß und jede der langen Zehen noch mit einer außer- ordentlich großen, dicken und ſtark gebogenen Kralle bewehrt. Der Lauf iſt hinten bis zur Ferſe nackt, vorn bis zur Mitte herab befiedert, an den nackten Stellen mit großen Tafelſchuppen bekleidet. Das Gefieder iſt reich und weich, faſt wie bei den Eulen, im Nacken zu einer langen und breiten, aufrichtbaren Holle verlängert. Kopf und Hals ſind grau, die verlängerten Nackenfedern, der ganze Rücken, die Flügel, der Schwanz, die Oberbruſt und die Rumpfſeiten ſind ſchieferſchwarz; der Schwanz iſt dreimal weißlich gebändert. Die Unterbruſt und der Steiß ſind weiß; der Bauch iſt auf weißem Grunde ſchwarz getüpfelt; die Schenkel ſind auf gleichfarbigem Grunde ſchwarz gewellt. Der Schnabel und die Krallen ſind ſchwarz, die Beine gelb; das Auge iſt rothgelb. Jn der Jugend iſt die allgemeine Färbung trüber, die Rückenfedern ſind grau gebändert, die Bruſt- und Bauchfedern ſchwarz gefleckt. Je reiner die Farben, um ſo älter ſind die Vögel. Nach Tſchudi beträgt die Länge der Harpyie 3 Fuß 2 Zoll, die Fittiglänge 9 Zoll 6 Linien, die Schwanzlänge 1 Fuß 1 Zoll; Burmeiſter hat noch größere Maße verzeichnet. Die Mittelzehe iſt 3 Zoll, die Hinterzehe 1½ Zoll lang; dieſe aber trägt noch eine Kralle, welche der Krümmung nach 3 Zoll und jene eine ſolche, welche in gleicher Weiſe gemeſſen 1½ Zoll lang iſt. Von Mejiko an bis zur Mitte Braſiliens und vom atlantiſchen bis zum ſtillen Weltmeere ſcheint die Harpyie in keinem größeren Walde Südamerikas zu fehlen. Jm Gebirge bewohnt ſie jedoch nur die tieferen heißeren Thäler; in die Höhe hinauf verſteigt ſie ſich nicht. Sie iſt, wo ſie vorkommt, ein wohl bekannter, ſeit altersgrauer Zeit in hoher Achtung ſtehender Raubvogel, über

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/500>, abgerufen am 22.11.2024.