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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jn den letzten Jahren ist es wiederholt und in mehreren Thiergärten vorgekommen, daß gefan-
gene Geier im Käfig genistet haben. Sie erbauten sich einen den Umständen nach günstigen Horst,
belegten ihn mit einem oder zwei Eiern und brüteten hier mit großer Ausdauer. Jhre Bemühungen
waren bis jetzt noch nicht von Erfolg gekrönt; demungeachtet läßt sich hoffen, daß Dies später der Fall
sein wird und wir dadurch Gelegenheit erhalten, das Brutgeschäft der theilnahmswerthen Vögel
wenigstens in gewisser Hinsicht gründlich kennen zu lernen.



Der Edelfalk unter den Geiern oder das edelste Mitglied der gesammten Zunft ist der Bartgeier
(Gypaetos barbatus). Er zeichnet sich nicht blos vor allen übrigen Geiern, sondern auch vor allen
Raubvögeln überhaupt durch seinen auffallend gestreckten Leibesbau so wesentlich aus, daß er als Ver-
treter einer eigenen Familie oder mindestens einer eigenen Horde betrachtet wird. Seinem Leibesbau
entspricht selbstverständlich seine Lebensweise; auch sie ist sehr eigenthümlich. Sie kommt in mancher
Hinsicht mit dem Wesen und Treiben der Falkenvögel überein, erinnert aber doch noch mehr an das
Betragen der Geier, und deshalb eben reihen wir den prachtvollen Raubvogel dieser Zunft ein. Er ist
als ein Uebergangsglied von den Falkenvögeln oder Adlern zu den Geiern anzusehen; er steht so recht
in der Mitte zwischen beiden Abtheilungen.

Der Leib des Geieradlers ist kräftig, aber gestreckt, der Kopf groß, lang, vorn platt, hinten
etwas gewölbt, der Hals kurz, der Flügel sehr lang und spitzig, die dritte Schwinge, welche wenig über
die zweite und vierte, wohl aber weit über die erste vorsteht, in ihm die längste, der sehr lange, zwölf-
fedrige Schwanz stufig oder keilförmig. Die Waffen sind durchaus eigenthümlich gebildet. Der
Schnabel ist groß und lang, die Oberkinnlade an der Wurzel sattelförmig eingebuchtet, gegen die Spitze hin
aufgeschwungen, scharfhakig herabgekrümmt, an der Schneide zahnlos; die untere Kinnlade ist gerade.
Die Füße sind kurz und verhältnißmäßig schwach, die Zehen mittellang und sehr schwach, die Nägel
stark, aber wenig gekrümmt und ziemlich stumpf. Das Gefieder ist reich und großfedrig. Die
Schnabelwurzel umgeben nach vorn gerichtete Borstenbüschel, welche die Wachshaut bedecken und
auch den Unterschnabel theilweise einhüllen; den Kopf bekleiden dunen- und borstenartige, kurze, den
Hals dagegen große Federn; das übrige Gefieder liegt etwas knapper an, verlängert sich aber
namentlich an den Hosen noch bedeutend und bedeckt die Fußwurzeln bis gegen die Zehen hinab. Jm
Alter ist die Oberseite schwarz oder schwarzbraun, jede einzelne Feder mit weißem Schaftstrich und
Endfleck, die Unterseite ockerfarben oder weiß, hier und da, zumal an der Brust, schwärzlich gefleckt.
Jm Jugendkleide herrscht ein düsteres Graubraun vor.

Das Knochengerüst zeigt auffallende Eigenthümlichkeiten. Die Wirbelsäule zählt dreizehn Hals-,
acht Rücken- und sieben Schwanzwirbel; das Brustbein ist lang und breit, der Kamm auf ihm sehr hoch;
die Armknochen sind ungewöhnlich, die Schulterknochen auffallend stark, die Schlüsselbeine kräftig, fest
an dem Brustbein anliegend; alle Beinknochen dagegen sind schwach. Der Schädel ist oben flach und
schmal, unten hingegen so breit, daß die Gelenke der Unterkiefer über drei Zoll von einander abstehen;
die Kiefern selbst sind äußerst biegsam; die Schädelhöhle ist verhältnißmäßig klein. Die Zunge ist
kurz und ziemlich breit, der Gaumen mit vielen Hautzähnen besetzt, die Speiseröhre auffallend weit
und so faltig, daß eine großartige Ausdehnung möglich wird. Schlund und Magen bilden einen
einzigen Sack, obwohl man Speiseröhre, Kropf und den eigentlichen Magen unterscheiden kann, weil
beide durch kleine Wülste geschieden werden. Der schlauchförmige Magen ist ebenfalls faltig
und dehnbar, im Jnnern mit einer großen Menge von Drüsen besetzt, welche einen scharfen,
übelriechenden Magensaft absondern. Die Därme sind mittellang, die Bauchspeicheldrüfen sehr
groß. Die Brustmuskeln sind selbst für Raubvögel ungewöhnlich entwickelt, die Kau- und
Beinmuskeln hingegen sehr schwach. Unter den edleren Organen verdient vor Allem das Auge

Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jn den letzten Jahren iſt es wiederholt und in mehreren Thiergärten vorgekommen, daß gefan-
gene Geier im Käfig geniſtet haben. Sie erbauten ſich einen den Umſtänden nach günſtigen Horſt,
belegten ihn mit einem oder zwei Eiern und brüteten hier mit großer Ausdauer. Jhre Bemühungen
waren bis jetzt noch nicht von Erfolg gekrönt; demungeachtet läßt ſich hoffen, daß Dies ſpäter der Fall
ſein wird und wir dadurch Gelegenheit erhalten, das Brutgeſchäft der theilnahmswerthen Vögel
wenigſtens in gewiſſer Hinſicht gründlich kennen zu lernen.



Der Edelfalk unter den Geiern oder das edelſte Mitglied der geſammten Zunft iſt der Bartgeier
(Gypaëtos barbatus). Er zeichnet ſich nicht blos vor allen übrigen Geiern, ſondern auch vor allen
Raubvögeln überhaupt durch ſeinen auffallend geſtreckten Leibesbau ſo weſentlich aus, daß er als Ver-
treter einer eigenen Familie oder mindeſtens einer eigenen Horde betrachtet wird. Seinem Leibesbau
entſpricht ſelbſtverſtändlich ſeine Lebensweiſe; auch ſie iſt ſehr eigenthümlich. Sie kommt in mancher
Hinſicht mit dem Weſen und Treiben der Falkenvögel überein, erinnert aber doch noch mehr an das
Betragen der Geier, und deshalb eben reihen wir den prachtvollen Raubvogel dieſer Zunft ein. Er iſt
als ein Uebergangsglied von den Falkenvögeln oder Adlern zu den Geiern anzuſehen; er ſteht ſo recht
in der Mitte zwiſchen beiden Abtheilungen.

Der Leib des Geieradlers iſt kräftig, aber geſtreckt, der Kopf groß, lang, vorn platt, hinten
etwas gewölbt, der Hals kurz, der Flügel ſehr lang und ſpitzig, die dritte Schwinge, welche wenig über
die zweite und vierte, wohl aber weit über die erſte vorſteht, in ihm die längſte, der ſehr lange, zwölf-
fedrige Schwanz ſtufig oder keilförmig. Die Waffen ſind durchaus eigenthümlich gebildet. Der
Schnabel iſt groß und lang, die Oberkinnlade an der Wurzel ſattelförmig eingebuchtet, gegen die Spitze hin
aufgeſchwungen, ſcharfhakig herabgekrümmt, an der Schneide zahnlos; die untere Kinnlade iſt gerade.
Die Füße ſind kurz und verhältnißmäßig ſchwach, die Zehen mittellang und ſehr ſchwach, die Nägel
ſtark, aber wenig gekrümmt und ziemlich ſtumpf. Das Gefieder iſt reich und großfedrig. Die
Schnabelwurzel umgeben nach vorn gerichtete Borſtenbüſchel, welche die Wachshaut bedecken und
auch den Unterſchnabel theilweiſe einhüllen; den Kopf bekleiden dunen- und borſtenartige, kurze, den
Hals dagegen große Federn; das übrige Gefieder liegt etwas knapper an, verlängert ſich aber
namentlich an den Hoſen noch bedeutend und bedeckt die Fußwurzeln bis gegen die Zehen hinab. Jm
Alter iſt die Oberſeite ſchwarz oder ſchwarzbraun, jede einzelne Feder mit weißem Schaftſtrich und
Endfleck, die Unterſeite ockerfarben oder weiß, hier und da, zumal an der Bruſt, ſchwärzlich gefleckt.
Jm Jugendkleide herrſcht ein düſteres Graubraun vor.

Das Knochengerüſt zeigt auffallende Eigenthümlichkeiten. Die Wirbelſäule zählt dreizehn Hals-,
acht Rücken- und ſieben Schwanzwirbel; das Bruſtbein iſt lang und breit, der Kamm auf ihm ſehr hoch;
die Armknochen ſind ungewöhnlich, die Schulterknochen auffallend ſtark, die Schlüſſelbeine kräftig, feſt
an dem Bruſtbein anliegend; alle Beinknochen dagegen ſind ſchwach. Der Schädel iſt oben flach und
ſchmal, unten hingegen ſo breit, daß die Gelenke der Unterkiefer über drei Zoll von einander abſtehen;
die Kiefern ſelbſt ſind äußerſt biegſam; die Schädelhöhle iſt verhältnißmäßig klein. Die Zunge iſt
kurz und ziemlich breit, der Gaumen mit vielen Hautzähnen beſetzt, die Speiſeröhre auffallend weit
und ſo faltig, daß eine großartige Ausdehnung möglich wird. Schlund und Magen bilden einen
einzigen Sack, obwohl man Speiſeröhre, Kropf und den eigentlichen Magen unterſcheiden kann, weil
beide durch kleine Wülſte geſchieden werden. Der ſchlauchförmige Magen iſt ebenfalls faltig
und dehnbar, im Jnnern mit einer großen Menge von Drüſen beſetzt, welche einen ſcharfen,
übelriechenden Magenſaft abſondern. Die Därme ſind mittellang, die Bauchſpeicheldrüfen ſehr
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Beinmuskeln hingegen ſehr ſchwach. Unter den edleren Organen verdient vor Allem das Auge

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[542/0574] Die Fänger. Raubvögel. Geier. Jn den letzten Jahren iſt es wiederholt und in mehreren Thiergärten vorgekommen, daß gefan- gene Geier im Käfig geniſtet haben. Sie erbauten ſich einen den Umſtänden nach günſtigen Horſt, belegten ihn mit einem oder zwei Eiern und brüteten hier mit großer Ausdauer. Jhre Bemühungen waren bis jetzt noch nicht von Erfolg gekrönt; demungeachtet läßt ſich hoffen, daß Dies ſpäter der Fall ſein wird und wir dadurch Gelegenheit erhalten, das Brutgeſchäft der theilnahmswerthen Vögel wenigſtens in gewiſſer Hinſicht gründlich kennen zu lernen. Der Edelfalk unter den Geiern oder das edelſte Mitglied der geſammten Zunft iſt der Bartgeier (Gypaëtos barbatus). Er zeichnet ſich nicht blos vor allen übrigen Geiern, ſondern auch vor allen Raubvögeln überhaupt durch ſeinen auffallend geſtreckten Leibesbau ſo weſentlich aus, daß er als Ver- treter einer eigenen Familie oder mindeſtens einer eigenen Horde betrachtet wird. Seinem Leibesbau entſpricht ſelbſtverſtändlich ſeine Lebensweiſe; auch ſie iſt ſehr eigenthümlich. Sie kommt in mancher Hinſicht mit dem Weſen und Treiben der Falkenvögel überein, erinnert aber doch noch mehr an das Betragen der Geier, und deshalb eben reihen wir den prachtvollen Raubvogel dieſer Zunft ein. Er iſt als ein Uebergangsglied von den Falkenvögeln oder Adlern zu den Geiern anzuſehen; er ſteht ſo recht in der Mitte zwiſchen beiden Abtheilungen. Der Leib des Geieradlers iſt kräftig, aber geſtreckt, der Kopf groß, lang, vorn platt, hinten etwas gewölbt, der Hals kurz, der Flügel ſehr lang und ſpitzig, die dritte Schwinge, welche wenig über die zweite und vierte, wohl aber weit über die erſte vorſteht, in ihm die längſte, der ſehr lange, zwölf- fedrige Schwanz ſtufig oder keilförmig. Die Waffen ſind durchaus eigenthümlich gebildet. Der Schnabel iſt groß und lang, die Oberkinnlade an der Wurzel ſattelförmig eingebuchtet, gegen die Spitze hin aufgeſchwungen, ſcharfhakig herabgekrümmt, an der Schneide zahnlos; die untere Kinnlade iſt gerade. Die Füße ſind kurz und verhältnißmäßig ſchwach, die Zehen mittellang und ſehr ſchwach, die Nägel ſtark, aber wenig gekrümmt und ziemlich ſtumpf. Das Gefieder iſt reich und großfedrig. Die Schnabelwurzel umgeben nach vorn gerichtete Borſtenbüſchel, welche die Wachshaut bedecken und auch den Unterſchnabel theilweiſe einhüllen; den Kopf bekleiden dunen- und borſtenartige, kurze, den Hals dagegen große Federn; das übrige Gefieder liegt etwas knapper an, verlängert ſich aber namentlich an den Hoſen noch bedeutend und bedeckt die Fußwurzeln bis gegen die Zehen hinab. Jm Alter iſt die Oberſeite ſchwarz oder ſchwarzbraun, jede einzelne Feder mit weißem Schaftſtrich und Endfleck, die Unterſeite ockerfarben oder weiß, hier und da, zumal an der Bruſt, ſchwärzlich gefleckt. Jm Jugendkleide herrſcht ein düſteres Graubraun vor. Das Knochengerüſt zeigt auffallende Eigenthümlichkeiten. Die Wirbelſäule zählt dreizehn Hals-, acht Rücken- und ſieben Schwanzwirbel; das Bruſtbein iſt lang und breit, der Kamm auf ihm ſehr hoch; die Armknochen ſind ungewöhnlich, die Schulterknochen auffallend ſtark, die Schlüſſelbeine kräftig, feſt an dem Bruſtbein anliegend; alle Beinknochen dagegen ſind ſchwach. Der Schädel iſt oben flach und ſchmal, unten hingegen ſo breit, daß die Gelenke der Unterkiefer über drei Zoll von einander abſtehen; die Kiefern ſelbſt ſind äußerſt biegſam; die Schädelhöhle iſt verhältnißmäßig klein. Die Zunge iſt kurz und ziemlich breit, der Gaumen mit vielen Hautzähnen beſetzt, die Speiſeröhre auffallend weit und ſo faltig, daß eine großartige Ausdehnung möglich wird. Schlund und Magen bilden einen einzigen Sack, obwohl man Speiſeröhre, Kropf und den eigentlichen Magen unterſcheiden kann, weil beide durch kleine Wülſte geſchieden werden. Der ſchlauchförmige Magen iſt ebenfalls faltig und dehnbar, im Jnnern mit einer großen Menge von Drüſen beſetzt, welche einen ſcharfen, übelriechenden Magenſaft abſondern. Die Därme ſind mittellang, die Bauchſpeicheldrüfen ſehr groß. Die Bruſtmuskeln ſind ſelbſt für Raubvögel ungewöhnlich entwickelt, die Kau- und Beinmuskeln hingegen ſehr ſchwach. Unter den edleren Organen verdient vor Allem das Auge

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/574>, abgerufen am 22.11.2024.