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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
im Gegentheil, -- auch ein Lamm, ein Hase oder ein Huhn kommt ihm gelegen, obgleich die Kraft
seiner Klauen und seines Schnabels für einen so großen Vogel sehr schwach und er nicht fähig ist, in
derselben Weise wie ein Geier oder Adler die Beute zu zerreißen. Dies gleicht sich aber aus durch
sein außerordentliches Schlingvermögen. Die Griechen behaupten, daß er Alles verschlinge und
verdaue, aber die Geschichten, welche ich in dieser Hinsicht habe erzählen hören, sind zu wunderbar, als
daß ich sie weiter verbreiten möchte. Jch selbst sah einmal einen alten Geieradler, welcher einen
Knochen oder sonst einen ungewöhnlichen und schwer verdaulichen Gegenstand hinabgewürgt hatte.
Er befand sich in einer höchst ungemüthlichen Lage und mußte sich, um zu seinem Zweck zu kommen,
auf die langen Federn seines Schwanzes stemmen." --

"Aas", sagt Jrby (1861), "scheint die fast ausschließliche Nahrung des Geieradlers zu sein." --

"Dieser Vogel", bestätigt Gurney, "verschlingt große Knochen. Der Magen von dem, welchen
ich (an der Südostküste Afrikas) erlegte, war vollgestopft mit solchen. Die Knochen waren zweifellos
ohne jegliches Fleischanhängsel verschluckt worden, und ich selbst sah, daß einer einen dürren Knochen
nahm. Der größte von denen, welche ich fand, war ein Ochsenwirbel von 4 Zoll Länge, 3 Zoll Breite
und 2 Zoll Dicke. Eine Menge Haare vom Klippschliefer fand sich ebenfalls im Magen zwischen
den Knochen vor und bewies also, daß der Geieradler auch derartige Thiere raubt, wahrscheinlich, wenn
sie bei Tage außerhalb ihrer Höhle sich sonnen." --

"Der Bartgeier", erzählt Adams vom Bartgeier des Himalaya, "fängt viele Murmelthiere,
hält sich aber nicht ausschließlich an lebende Beute; denn man sieht ihn auch von dem ersten Morgen-
schimmer an längs der Bergseiten gemächlich dahin schweben und nach Aas und andern Abfällen
suchen. Jn dem Magen eines von mir in den Bergen von Kaschmir getödteten Vogels fand ich
verschiedene lange Knochen und einen Huf von einem Steinbock."

Hutton versichert, daß sich der asiatische Bartgeier regelmäßig von Aas nähre und selten eine
größere Beute erhebe, als ein Huhn, welches er zerreiße, während er fliege. Hodgson bestätigt diese
Angabe und fügt übereinstimmend mit meinen Beobachtungen hinzu, daß der Raubvogel, wenn er sich
einer Beute bemächtigen will, den Menschen durchaus nicht scheut.

Jch glaube, daß ich es nach obiger Zusammenstellung der Beobachtungen, welche in den
verschiedensten Ländern der alten Welt angestellt wurden, jedem meiner Leser überlassen kann, sich ein
Urtheil über die Jagdgeschichten der Schweizer zu bilden. Nach diesen neueren Beiträgen zur Natur-
geschichte des Vogels glaube ich an keine Verschiedenheit in der Lebensweise der verschiedenen Bartgeier
mehr, wie ich sie früher annahm, um zwischen den bisher bekannten und meinen so widersprechenden
Beobachtungen zu vermitteln. Verschweigen will ich nicht, daß auch anderwärts ähnliche Erzählungen
gang und gäbe sind, wie in der Schweiz. So berichten die Sardinier von Kämpfen auf Leben und
Tod zwischen Menschen und Geieradlern; so erzählten mir die Beduinen des steinigten Arabiens, daß
der "Büdj" ein arger Räuber und gefährlicher Feind ihrer Herde sei; so berichtet der Bischof Heber,
jedoch, wie es scheint, nur vom Hörensagen, daß der Bartgeier in den Straßen von Almora Kinder
weggetragen habe; so theilten die Eingebornen des Himalaya mit, daß der Raubvogel junge Böcke, Schafe,
Ziegen, ja sogar junge Bären (!) wegtrage. Jch will es sogar für möglich halten, daß unser Vogel
zuweilen erwachsene Säugethiere in den Abgrund stößt oder auch wohl Menschen erschreckt, indem er
hart über ihnen dahinfliegt, glaube aber aussprechen zu dürfen, daß dies Alles noch keineswegs auf einen
so außerordentlichen Muth und auf eine so große Raub- und Blutgier deutet, als man sie dem
Geieradler zugeschrieben hat. Jn den allermeisten Fällen, wo ein größeres Säugethier durch den
Bartgeier zu Schaden gekommen ist, mag die eigene Furcht desselben die Ursache gewesen sein. Ein
Milan würde möglicher Weise das Gleiche bewirkt haben. Jch bezweifle daher auch entschieden die
Meinung des berühmten Gemsenjägers Colani, welcher glaubte, daß ein dicht über ihm und Lenz
dahinschießender Bartgeier letztgedachten Naturforscher habe in den Abgrund stoßen wollen; denn der
Vogel streicht, wie ich bestimmt angeben kann, sehr häufig dicht über dem Menschen dahin, auch wenn
derselbe nicht an Abgründen steht. Ebenso wenig vermag ich Gloger beizustimmen. Dieser sucht in

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
im Gegentheil, — auch ein Lamm, ein Haſe oder ein Huhn kommt ihm gelegen, obgleich die Kraft
ſeiner Klauen und ſeines Schnabels für einen ſo großen Vogel ſehr ſchwach und er nicht fähig iſt, in
derſelben Weiſe wie ein Geier oder Adler die Beute zu zerreißen. Dies gleicht ſich aber aus durch
ſein außerordentliches Schlingvermögen. Die Griechen behaupten, daß er Alles verſchlinge und
verdaue, aber die Geſchichten, welche ich in dieſer Hinſicht habe erzählen hören, ſind zu wunderbar, als
daß ich ſie weiter verbreiten möchte. Jch ſelbſt ſah einmal einen alten Geieradler, welcher einen
Knochen oder ſonſt einen ungewöhnlichen und ſchwer verdaulichen Gegenſtand hinabgewürgt hatte.
Er befand ſich in einer höchſt ungemüthlichen Lage und mußte ſich, um zu ſeinem Zweck zu kommen,
auf die langen Federn ſeines Schwanzes ſtemmen.‟ —

„Aas‟, ſagt Jrby (1861), „ſcheint die faſt ausſchließliche Nahrung des Geieradlers zu ſein.‟ —

„Dieſer Vogel‟, beſtätigt Gurney, „verſchlingt große Knochen. Der Magen von dem, welchen
ich (an der Südoſtküſte Afrikas) erlegte, war vollgeſtopft mit ſolchen. Die Knochen waren zweifellos
ohne jegliches Fleiſchanhängſel verſchluckt worden, und ich ſelbſt ſah, daß einer einen dürren Knochen
nahm. Der größte von denen, welche ich fand, war ein Ochſenwirbel von 4 Zoll Länge, 3 Zoll Breite
und 2 Zoll Dicke. Eine Menge Haare vom Klippſchliefer fand ſich ebenfalls im Magen zwiſchen
den Knochen vor und bewies alſo, daß der Geieradler auch derartige Thiere raubt, wahrſcheinlich, wenn
ſie bei Tage außerhalb ihrer Höhle ſich ſonnen.‟ —

„Der Bartgeier‟, erzählt Adams vom Bartgeier des Himalaya, „fängt viele Murmelthiere,
hält ſich aber nicht ausſchließlich an lebende Beute; denn man ſieht ihn auch von dem erſten Morgen-
ſchimmer an längs der Bergſeiten gemächlich dahin ſchweben und nach Aas und andern Abfällen
ſuchen. Jn dem Magen eines von mir in den Bergen von Kaſchmir getödteten Vogels fand ich
verſchiedene lange Knochen und einen Huf von einem Steinbock.‟

Hutton verſichert, daß ſich der aſiatiſche Bartgeier regelmäßig von Aas nähre und ſelten eine
größere Beute erhebe, als ein Huhn, welches er zerreiße, während er fliege. Hodgſon beſtätigt dieſe
Angabe und fügt übereinſtimmend mit meinen Beobachtungen hinzu, daß der Raubvogel, wenn er ſich
einer Beute bemächtigen will, den Menſchen durchaus nicht ſcheut.

Jch glaube, daß ich es nach obiger Zuſammenſtellung der Beobachtungen, welche in den
verſchiedenſten Ländern der alten Welt angeſtellt wurden, jedem meiner Leſer überlaſſen kann, ſich ein
Urtheil über die Jagdgeſchichten der Schweizer zu bilden. Nach dieſen neueren Beiträgen zur Natur-
geſchichte des Vogels glaube ich an keine Verſchiedenheit in der Lebensweiſe der verſchiedenen Bartgeier
mehr, wie ich ſie früher annahm, um zwiſchen den bisher bekannten und meinen ſo widerſprechenden
Beobachtungen zu vermitteln. Verſchweigen will ich nicht, daß auch anderwärts ähnliche Erzählungen
gang und gäbe ſind, wie in der Schweiz. So berichten die Sardinier von Kämpfen auf Leben und
Tod zwiſchen Menſchen und Geieradlern; ſo erzählten mir die Beduinen des ſteinigten Arabiens, daß
der „Büdj‟ ein arger Räuber und gefährlicher Feind ihrer Herde ſei; ſo berichtet der Biſchof Heber,
jedoch, wie es ſcheint, nur vom Hörenſagen, daß der Bartgeier in den Straßen von Almora Kinder
weggetragen habe; ſo theilten die Eingebornen des Himalaya mit, daß der Raubvogel junge Böcke, Schafe,
Ziegen, ja ſogar junge Bären (!) wegtrage. Jch will es ſogar für möglich halten, daß unſer Vogel
zuweilen erwachſene Säugethiere in den Abgrund ſtößt oder auch wohl Menſchen erſchreckt, indem er
hart über ihnen dahinfliegt, glaube aber ausſprechen zu dürfen, daß dies Alles noch keineswegs auf einen
ſo außerordentlichen Muth und auf eine ſo große Raub- und Blutgier deutet, als man ſie dem
Geieradler zugeſchrieben hat. Jn den allermeiſten Fällen, wo ein größeres Säugethier durch den
Bartgeier zu Schaden gekommen iſt, mag die eigene Furcht deſſelben die Urſache geweſen ſein. Ein
Milan würde möglicher Weiſe das Gleiche bewirkt haben. Jch bezweifle daher auch entſchieden die
Meinung des berühmten Gemſenjägers Colani, welcher glaubte, daß ein dicht über ihm und Lenz
dahinſchießender Bartgeier letztgedachten Naturforſcher habe in den Abgrund ſtoßen wollen; denn der
Vogel ſtreicht, wie ich beſtimmt angeben kann, ſehr häufig dicht über dem Menſchen dahin, auch wenn
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[548/0580] Die Fänger. Raubvögel. Geier. im Gegentheil, — auch ein Lamm, ein Haſe oder ein Huhn kommt ihm gelegen, obgleich die Kraft ſeiner Klauen und ſeines Schnabels für einen ſo großen Vogel ſehr ſchwach und er nicht fähig iſt, in derſelben Weiſe wie ein Geier oder Adler die Beute zu zerreißen. Dies gleicht ſich aber aus durch ſein außerordentliches Schlingvermögen. Die Griechen behaupten, daß er Alles verſchlinge und verdaue, aber die Geſchichten, welche ich in dieſer Hinſicht habe erzählen hören, ſind zu wunderbar, als daß ich ſie weiter verbreiten möchte. Jch ſelbſt ſah einmal einen alten Geieradler, welcher einen Knochen oder ſonſt einen ungewöhnlichen und ſchwer verdaulichen Gegenſtand hinabgewürgt hatte. Er befand ſich in einer höchſt ungemüthlichen Lage und mußte ſich, um zu ſeinem Zweck zu kommen, auf die langen Federn ſeines Schwanzes ſtemmen.‟ — „Aas‟, ſagt Jrby (1861), „ſcheint die faſt ausſchließliche Nahrung des Geieradlers zu ſein.‟ — „Dieſer Vogel‟, beſtätigt Gurney, „verſchlingt große Knochen. Der Magen von dem, welchen ich (an der Südoſtküſte Afrikas) erlegte, war vollgeſtopft mit ſolchen. Die Knochen waren zweifellos ohne jegliches Fleiſchanhängſel verſchluckt worden, und ich ſelbſt ſah, daß einer einen dürren Knochen nahm. Der größte von denen, welche ich fand, war ein Ochſenwirbel von 4 Zoll Länge, 3 Zoll Breite und 2 Zoll Dicke. Eine Menge Haare vom Klippſchliefer fand ſich ebenfalls im Magen zwiſchen den Knochen vor und bewies alſo, daß der Geieradler auch derartige Thiere raubt, wahrſcheinlich, wenn ſie bei Tage außerhalb ihrer Höhle ſich ſonnen.‟ — „Der Bartgeier‟, erzählt Adams vom Bartgeier des Himalaya, „fängt viele Murmelthiere, hält ſich aber nicht ausſchließlich an lebende Beute; denn man ſieht ihn auch von dem erſten Morgen- ſchimmer an längs der Bergſeiten gemächlich dahin ſchweben und nach Aas und andern Abfällen ſuchen. Jn dem Magen eines von mir in den Bergen von Kaſchmir getödteten Vogels fand ich verſchiedene lange Knochen und einen Huf von einem Steinbock.‟ Hutton verſichert, daß ſich der aſiatiſche Bartgeier regelmäßig von Aas nähre und ſelten eine größere Beute erhebe, als ein Huhn, welches er zerreiße, während er fliege. Hodgſon beſtätigt dieſe Angabe und fügt übereinſtimmend mit meinen Beobachtungen hinzu, daß der Raubvogel, wenn er ſich einer Beute bemächtigen will, den Menſchen durchaus nicht ſcheut. Jch glaube, daß ich es nach obiger Zuſammenſtellung der Beobachtungen, welche in den verſchiedenſten Ländern der alten Welt angeſtellt wurden, jedem meiner Leſer überlaſſen kann, ſich ein Urtheil über die Jagdgeſchichten der Schweizer zu bilden. Nach dieſen neueren Beiträgen zur Natur- geſchichte des Vogels glaube ich an keine Verſchiedenheit in der Lebensweiſe der verſchiedenen Bartgeier mehr, wie ich ſie früher annahm, um zwiſchen den bisher bekannten und meinen ſo widerſprechenden Beobachtungen zu vermitteln. Verſchweigen will ich nicht, daß auch anderwärts ähnliche Erzählungen gang und gäbe ſind, wie in der Schweiz. So berichten die Sardinier von Kämpfen auf Leben und Tod zwiſchen Menſchen und Geieradlern; ſo erzählten mir die Beduinen des ſteinigten Arabiens, daß der „Büdj‟ ein arger Räuber und gefährlicher Feind ihrer Herde ſei; ſo berichtet der Biſchof Heber, jedoch, wie es ſcheint, nur vom Hörenſagen, daß der Bartgeier in den Straßen von Almora Kinder weggetragen habe; ſo theilten die Eingebornen des Himalaya mit, daß der Raubvogel junge Böcke, Schafe, Ziegen, ja ſogar junge Bären (!) wegtrage. Jch will es ſogar für möglich halten, daß unſer Vogel zuweilen erwachſene Säugethiere in den Abgrund ſtößt oder auch wohl Menſchen erſchreckt, indem er hart über ihnen dahinfliegt, glaube aber ausſprechen zu dürfen, daß dies Alles noch keineswegs auf einen ſo außerordentlichen Muth und auf eine ſo große Raub- und Blutgier deutet, als man ſie dem Geieradler zugeſchrieben hat. Jn den allermeiſten Fällen, wo ein größeres Säugethier durch den Bartgeier zu Schaden gekommen iſt, mag die eigene Furcht deſſelben die Urſache geweſen ſein. Ein Milan würde möglicher Weiſe das Gleiche bewirkt haben. Jch bezweifle daher auch entſchieden die Meinung des berühmten Gemſenjägers Colani, welcher glaubte, daß ein dicht über ihm und Lenz dahinſchießender Bartgeier letztgedachten Naturforſcher habe in den Abgrund ſtoßen wollen; denn der Vogel ſtreicht, wie ich beſtimmt angeben kann, ſehr häufig dicht über dem Menſchen dahin, auch wenn derſelbe nicht an Abgründen ſteht. Ebenſo wenig vermag ich Gloger beizuſtimmen. Dieſer ſucht in

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/580>, abgerufen am 22.11.2024.