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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Bartgeier.

"Er wohnte in einem engen Hofe, freute sich aber immer sehr, und gab Dies mit lebhaftem
Geschrei zu erkennen, wenn ihn sein Herr besuchte. Bei Tage wurde er in die Sonne gesetzt und
breitete dann sogleich Flügel und Schwanz aus, legte sich wohl auch auf den Bauch und streckte die
Beine weit von sich; in dieser Stellung blieb er mit allen Anzeichen der höchsten Behaglichkeit stunden-
lang liegen, ohne sich zu rühren."

"Nach ungefähr einem Monat konnte er aufrecht stehen, und begann nun auch zu saufen. Dabei
hielt er das ihm vorgesetzte Gefäß mit einem Fuße fest, tauchte den Unterschnabel tief in das Wasser,
und warf mit einer raschen Kopfbewegung nach oben und hinten eine ziemliche Menge von Wasser
in den weitgeöffneten Rachen hinab, worauf er den Schnabel wieder schloß, ganz so, wie auch die
Geier und Straußen zu trinken pflegen. Vier bis sechs Schlucke Wasser schienen zu seiner
Sättigung ausreichend zu sein."

"Jetzt hackte er auch bereits nach den Händen und Füßen der Umstehenden, verschonte aber
immer die seines Herrn. Jch ließ ihn noch einen Monat bei seinem Pfleger. Dann nahm ich
ihn zu mir nach Murcia. Er war jetzt bis auf den Hals, dessen Krausenfedern oben hervorsproßten,
vollkommen befiedert; der Schwanz war bedeutend gewachsen, obgleich er noch keineswegs seine volle
Länge erreicht hatte. Er wurde hier in einen geräumigen Käfig gebracht, und gewöhnte sehr bald ein.
Jedoch nahm er in den ersten beiden Tagen seines Aufenthaltes in dem neuen Raume keine Nahrung
zu sich und trank nur Wasser. Nach Ablauf dieser Frist bekam er Hunger. Jch warf ihm Knochen
vor, -- er rührte sie nicht an; sodann bekam er Köpfe, Eingeweide und Füße von welschen und
anderen Hühnern, aber auch diese ließ er unberührt liegen. Als ich ihm die Knochen einstopfte,
benahm er sich wahrhaft unbändig, und brach dieselben augenblicklich wieder aus, ebenso die Ein-
geweide der Hühner; erst viel später begann er Knochen zu fressen. Frisches Rind- und Schöpsen-
fleisch verschlang er stets mit großer Gier. Nachdem er das erste Mal in seinem neuen Käfige
gefressen hatte, legte er sich wieder, wie im Hofe, platt auf den Sand, um auszuruhen und sich zu
sonnen, wie es die Hühner zu thun pflegen. Dies geschah dann öfters."

"Schon nach wenig Tagen kannte er mich, und achtete mich als seinen Herrn. Er antwortete
mir, und kam, sobald ich ihn rief, zu mir heran, ließ sich streicheln, und ruhig wegnehmen, während er
augenblicklich die Rackenfedern sträubte, wenn sich ein Fremder nahete. Auf Bauern in der Tracht der
Vega schien er eine besondere Wuth zu haben. So stürzte er mit heftigem Geschrei auf einen Knaben
los, der seinen Käfig reinigen sollte, und zwang ihn mit Schnabelhieben, denselben zu verlassen.
Einem Bauer, der ebenfalls in den Käfig ging, zerriß er Weste und Beinkleider. Nahete sich ein
Hund oder eine Katze seinem Käfig, so sträubte er die Federn und stieß ein kurzes, zorniges "Grik,
grik, grik" aus. Dagegen kam er regelmäßig an seine Gitter, wenn er meine Stimme vernahm, ließ
erfreut und leise seinen einzigen Laut hören, und gab auf jede Weise sein Vergnügen zu erkennen.
So steckte er dann gern seinen Schnabel durch das Gitter, und spielte mit meinen Fingern, welche ich
ihn dreist in den Schnabel stecken durfte, ohne befürchten zu müssen, daß er mich beißen werde. Wenn
ich ihn aus seinem Käfige herausließ, schien er immer sehr vergnügt zu werden; er spazierte dann lange
im Hofe herum, breitete die Schwingen, putzte seine Federn und machte Flugversuche."

"Jch wusch ihm von Zeit zu Zeit die Spitzen seiner Schwung- und Schwanzfedern rein, weil er
dieselben stets beschmuzte. Dabei wurde er in einen Waffertrog gesetzt und tüchtig eingenäßt.
Diese Wäsche schien ihm entschieden das Unangenehmste zu sein, was ihm nur geschehen konnte; er
geberdete sich jedes Mal, wenn er gewaschen wurde, ganz unsinnig und lernte den Trog sehr bald
fürchten. Wenn er dann aber wieder trocken war, schien er sich ganz behaglich zu fühlen und es sehr
gern zu sehen, daß ich ihm seine Federn wieder mit ordnen half."

"Jn dieser Weise lebte er bis Ende Mai gleichmäßig fort. Er fraß allein, auch Knochen mit,
niemals aber Geflügel. Jch versuchte es mit allerlei Vögeln: er erhielt Tauben, Haus- und Roth-
hühner, Enten, Vlaudrosseln, Alpenkrähen, Blauröcken, gleichviel. Selbst wenn er sehr hungrig war,
ließ er die Vögel liegen; stopfte ich ihm Vogelfleisch mit oder ohne Federn ein, so spie er es regelmäßig

Bartgeier.

„Er wohnte in einem engen Hofe, freute ſich aber immer ſehr, und gab Dies mit lebhaftem
Geſchrei zu erkennen, wenn ihn ſein Herr beſuchte. Bei Tage wurde er in die Sonne geſetzt und
breitete dann ſogleich Flügel und Schwanz aus, legte ſich wohl auch auf den Bauch und ſtreckte die
Beine weit von ſich; in dieſer Stellung blieb er mit allen Anzeichen der höchſten Behaglichkeit ſtunden-
lang liegen, ohne ſich zu rühren.‟

„Nach ungefähr einem Monat konnte er aufrecht ſtehen, und begann nun auch zu ſaufen. Dabei
hielt er das ihm vorgeſetzte Gefäß mit einem Fuße feſt, tauchte den Unterſchnabel tief in das Waſſer,
und warf mit einer raſchen Kopfbewegung nach oben und hinten eine ziemliche Menge von Waſſer
in den weitgeöffneten Rachen hinab, worauf er den Schnabel wieder ſchloß, ganz ſo, wie auch die
Geier und Straußen zu trinken pflegen. Vier bis ſechs Schlucke Waſſer ſchienen zu ſeiner
Sättigung ausreichend zu ſein.‟

„Jetzt hackte er auch bereits nach den Händen und Füßen der Umſtehenden, verſchonte aber
immer die ſeines Herrn. Jch ließ ihn noch einen Monat bei ſeinem Pfleger. Dann nahm ich
ihn zu mir nach Murcia. Er war jetzt bis auf den Hals, deſſen Krauſenfedern oben hervorſproßten,
vollkommen befiedert; der Schwanz war bedeutend gewachſen, obgleich er noch keineswegs ſeine volle
Länge erreicht hatte. Er wurde hier in einen geräumigen Käfig gebracht, und gewöhnte ſehr bald ein.
Jedoch nahm er in den erſten beiden Tagen ſeines Aufenthaltes in dem neuen Raume keine Nahrung
zu ſich und trank nur Waſſer. Nach Ablauf dieſer Friſt bekam er Hunger. Jch warf ihm Knochen
vor, — er rührte ſie nicht an; ſodann bekam er Köpfe, Eingeweide und Füße von welſchen und
anderen Hühnern, aber auch dieſe ließ er unberührt liegen. Als ich ihm die Knochen einſtopfte,
benahm er ſich wahrhaft unbändig, und brach dieſelben augenblicklich wieder aus, ebenſo die Ein-
geweide der Hühner; erſt viel ſpäter begann er Knochen zu freſſen. Friſches Rind- und Schöpſen-
fleiſch verſchlang er ſtets mit großer Gier. Nachdem er das erſte Mal in ſeinem neuen Käfige
gefreſſen hatte, legte er ſich wieder, wie im Hofe, platt auf den Sand, um auszuruhen und ſich zu
ſonnen, wie es die Hühner zu thun pflegen. Dies geſchah dann öfters.‟

„Schon nach wenig Tagen kannte er mich, und achtete mich als ſeinen Herrn. Er antwortete
mir, und kam, ſobald ich ihn rief, zu mir heran, ließ ſich ſtreicheln, und ruhig wegnehmen, während er
augenblicklich die Rackenfedern ſträubte, wenn ſich ein Fremder nahete. Auf Bauern in der Tracht der
Vega ſchien er eine beſondere Wuth zu haben. So ſtürzte er mit heftigem Geſchrei auf einen Knaben
los, der ſeinen Käfig reinigen ſollte, und zwang ihn mit Schnabelhieben, denſelben zu verlaſſen.
Einem Bauer, der ebenfalls in den Käfig ging, zerriß er Weſte und Beinkleider. Nahete ſich ein
Hund oder eine Katze ſeinem Käfig, ſo ſträubte er die Federn und ſtieß ein kurzes, zorniges „Grik,
grik, grik‟ aus. Dagegen kam er regelmäßig an ſeine Gitter, wenn er meine Stimme vernahm, ließ
erfreut und leiſe ſeinen einzigen Laut hören, und gab auf jede Weiſe ſein Vergnügen zu erkennen.
So ſteckte er dann gern ſeinen Schnabel durch das Gitter, und ſpielte mit meinen Fingern, welche ich
ihn dreiſt in den Schnabel ſtecken durfte, ohne befürchten zu müſſen, daß er mich beißen werde. Wenn
ich ihn aus ſeinem Käfige herausließ, ſchien er immer ſehr vergnügt zu werden; er ſpazierte dann lange
im Hofe herum, breitete die Schwingen, putzte ſeine Federn und machte Flugverſuche.‟

„Jch wuſch ihm von Zeit zu Zeit die Spitzen ſeiner Schwung- und Schwanzfedern rein, weil er
dieſelben ſtets beſchmuzte. Dabei wurde er in einen Waffertrog geſetzt und tüchtig eingenäßt.
Dieſe Wäſche ſchien ihm entſchieden das Unangenehmſte zu ſein, was ihm nur geſchehen konnte; er
geberdete ſich jedes Mal, wenn er gewaſchen wurde, ganz unſinnig und lernte den Trog ſehr bald
fürchten. Wenn er dann aber wieder trocken war, ſchien er ſich ganz behaglich zu fühlen und es ſehr
gern zu ſehen, daß ich ihm ſeine Federn wieder mit ordnen half.‟

„Jn dieſer Weiſe lebte er bis Ende Mai gleichmäßig fort. Er fraß allein, auch Knochen mit,
niemals aber Geflügel. Jch verſuchte es mit allerlei Vögeln: er erhielt Tauben, Haus- und Roth-
hühner, Enten, Vlaudroſſeln, Alpenkrähen, Blauröcken, gleichviel. Selbſt wenn er ſehr hungrig war,
ließ er die Vögel liegen; ſtopfte ich ihm Vogelfleiſch mit oder ohne Federn ein, ſo ſpie er es regelmäßig

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[551/0583] Bartgeier. „Er wohnte in einem engen Hofe, freute ſich aber immer ſehr, und gab Dies mit lebhaftem Geſchrei zu erkennen, wenn ihn ſein Herr beſuchte. Bei Tage wurde er in die Sonne geſetzt und breitete dann ſogleich Flügel und Schwanz aus, legte ſich wohl auch auf den Bauch und ſtreckte die Beine weit von ſich; in dieſer Stellung blieb er mit allen Anzeichen der höchſten Behaglichkeit ſtunden- lang liegen, ohne ſich zu rühren.‟ „Nach ungefähr einem Monat konnte er aufrecht ſtehen, und begann nun auch zu ſaufen. Dabei hielt er das ihm vorgeſetzte Gefäß mit einem Fuße feſt, tauchte den Unterſchnabel tief in das Waſſer, und warf mit einer raſchen Kopfbewegung nach oben und hinten eine ziemliche Menge von Waſſer in den weitgeöffneten Rachen hinab, worauf er den Schnabel wieder ſchloß, ganz ſo, wie auch die Geier und Straußen zu trinken pflegen. Vier bis ſechs Schlucke Waſſer ſchienen zu ſeiner Sättigung ausreichend zu ſein.‟ „Jetzt hackte er auch bereits nach den Händen und Füßen der Umſtehenden, verſchonte aber immer die ſeines Herrn. Jch ließ ihn noch einen Monat bei ſeinem Pfleger. Dann nahm ich ihn zu mir nach Murcia. Er war jetzt bis auf den Hals, deſſen Krauſenfedern oben hervorſproßten, vollkommen befiedert; der Schwanz war bedeutend gewachſen, obgleich er noch keineswegs ſeine volle Länge erreicht hatte. Er wurde hier in einen geräumigen Käfig gebracht, und gewöhnte ſehr bald ein. Jedoch nahm er in den erſten beiden Tagen ſeines Aufenthaltes in dem neuen Raume keine Nahrung zu ſich und trank nur Waſſer. Nach Ablauf dieſer Friſt bekam er Hunger. Jch warf ihm Knochen vor, — er rührte ſie nicht an; ſodann bekam er Köpfe, Eingeweide und Füße von welſchen und anderen Hühnern, aber auch dieſe ließ er unberührt liegen. Als ich ihm die Knochen einſtopfte, benahm er ſich wahrhaft unbändig, und brach dieſelben augenblicklich wieder aus, ebenſo die Ein- geweide der Hühner; erſt viel ſpäter begann er Knochen zu freſſen. Friſches Rind- und Schöpſen- fleiſch verſchlang er ſtets mit großer Gier. Nachdem er das erſte Mal in ſeinem neuen Käfige gefreſſen hatte, legte er ſich wieder, wie im Hofe, platt auf den Sand, um auszuruhen und ſich zu ſonnen, wie es die Hühner zu thun pflegen. Dies geſchah dann öfters.‟ „Schon nach wenig Tagen kannte er mich, und achtete mich als ſeinen Herrn. Er antwortete mir, und kam, ſobald ich ihn rief, zu mir heran, ließ ſich ſtreicheln, und ruhig wegnehmen, während er augenblicklich die Rackenfedern ſträubte, wenn ſich ein Fremder nahete. Auf Bauern in der Tracht der Vega ſchien er eine beſondere Wuth zu haben. So ſtürzte er mit heftigem Geſchrei auf einen Knaben los, der ſeinen Käfig reinigen ſollte, und zwang ihn mit Schnabelhieben, denſelben zu verlaſſen. Einem Bauer, der ebenfalls in den Käfig ging, zerriß er Weſte und Beinkleider. Nahete ſich ein Hund oder eine Katze ſeinem Käfig, ſo ſträubte er die Federn und ſtieß ein kurzes, zorniges „Grik, grik, grik‟ aus. Dagegen kam er regelmäßig an ſeine Gitter, wenn er meine Stimme vernahm, ließ erfreut und leiſe ſeinen einzigen Laut hören, und gab auf jede Weiſe ſein Vergnügen zu erkennen. So ſteckte er dann gern ſeinen Schnabel durch das Gitter, und ſpielte mit meinen Fingern, welche ich ihn dreiſt in den Schnabel ſtecken durfte, ohne befürchten zu müſſen, daß er mich beißen werde. Wenn ich ihn aus ſeinem Käfige herausließ, ſchien er immer ſehr vergnügt zu werden; er ſpazierte dann lange im Hofe herum, breitete die Schwingen, putzte ſeine Federn und machte Flugverſuche.‟ „Jch wuſch ihm von Zeit zu Zeit die Spitzen ſeiner Schwung- und Schwanzfedern rein, weil er dieſelben ſtets beſchmuzte. Dabei wurde er in einen Waffertrog geſetzt und tüchtig eingenäßt. Dieſe Wäſche ſchien ihm entſchieden das Unangenehmſte zu ſein, was ihm nur geſchehen konnte; er geberdete ſich jedes Mal, wenn er gewaſchen wurde, ganz unſinnig und lernte den Trog ſehr bald fürchten. Wenn er dann aber wieder trocken war, ſchien er ſich ganz behaglich zu fühlen und es ſehr gern zu ſehen, daß ich ihm ſeine Federn wieder mit ordnen half.‟ „Jn dieſer Weiſe lebte er bis Ende Mai gleichmäßig fort. Er fraß allein, auch Knochen mit, niemals aber Geflügel. Jch verſuchte es mit allerlei Vögeln: er erhielt Tauben, Haus- und Roth- hühner, Enten, Vlaudroſſeln, Alpenkrähen, Blauröcken, gleichviel. Selbſt wenn er ſehr hungrig war, ließ er die Vögel liegen; ſtopfte ich ihm Vogelfleiſch mit oder ohne Federn ein, ſo ſpie er es regelmäßig

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/583>, abgerufen am 22.11.2024.