Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Bartgeier.
setzte, wenn er sich im Sande ausstreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieser bunten
Gesellschaft brachte, war die Ruhe für immer gestört."

"Aber auch dieser Vogel erhielt einen seiner würdigen Genossen. Man brachte mir einen dritten
Aasgeier und einen Uhu. Der lichtscheue Finsterling suchte sich sofort einen stillen Winkel aus und
schien sich entschieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genossen des Käfigs betrachteten den neuen
Ankömmling mit deutlich ausgesprochener Neugier, sogar der junge Geieradler schien Theilnahme für
ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, besah ihn sorgfältig von allen Seiten, und begann schließlich das
Nachtgefieder des mürrischen Gastes mit dem Schnabel zu untersuchen. Aber augenblicklich fuhr der
Nachtkönig auf und versetzte dem arglosen Bartgeier einige scharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder
grollend in seine Stellung zurück. Der Geieradler sah ihn nach diesem Wuthausbruch mit allen
Zeichen des höchsten Erstaunens an, und wandte ihm dann stolz den Rücken."

"Gegen Abend setzte ich den größten Theil der Gesellschaft in folgender Ordnung auf die Sitz-
stangen: zuerst den Steinadler, sodann den Uhu, neben diesen den jungen Bartgeier, hierauf einen
Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals sitzen). So lange ich im
Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; sobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier sich
jedesmal mit dem Uhu zu beschäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten desselben.
Trotzdem ließ der Bartgeier seine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzstange herabflog,
wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn
beide Störenfriede sich in die Federn geriethen, herrschte die größte Ruhe und Stille unter den
Uebrigen; sie gaben dann neugierige, theilnahmlose Zuschauer ab."

"Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweist der Umstand, daß mein
rothgefütterter Schlafrock, dessen Jnneres sie oft genug zu sehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen
des Unwillens abzwingen konnte. Ebenso wenig zeigten unsere Geieradler gegen Kinder eine besondere
Abneigung, wie Dies Crespons vom sardinischen Geier beobachtet haben will. Wenn sie im Hof
herumliefen, gingen sie oft an einem spielenden Kinde vorüber, ohne es anzutasten oder auch nur eines
Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand sie in ihrem Käfig belästigte, wurde der Junge ärgerlich,
machte aber auch dann keinen Unterschied zwischen erwachsenen Personen oder Kindern."

"Leider war der Käfig den Strahlen der spanischen Mittagssonne ausgesetzt, woher es wohl
auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und schließlich an einer Lungen-
entzündung sanft und ruhig verschied. Der junge Geieradler, die drei schmuzigen Aasgeier und der
Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze gesund und konnten nach Deutschland gesandt werden.
Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszustehen hatten, belästigte unsern Vogel sehr; er saß mit
weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach frischer Luft und nach
Wasser. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, steckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt,
seinen Kopf zwischen den Sprossen des Reisekäfigs durch, als wollte er wieder um Wasser bitten.
Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm seine Bitte erfüllten." --

"Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er sich bald die Liebe aller Matrosen des Dampf-
schiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Kosten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht.
Er saß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Versuch zu machen, seine gewaltigen Schwingen zu
proben, obgleich er sie jedenfalls gut zu benutzen verstanden haben würde."

Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier schildert Scheitlin nach eigener
Beobachtung mit folgenden Worten. "Anfänglich kehrte sich der Vogel, dem eine Kammer einge-
räumt wurde, immer gegen den Winkel, sodann mehr an den Meister gewöhnt, gegen die Kammer
selbst. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querstange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu
können. War er allein, so flog er nie weg, trat man in die Kammer, so flog er anfänglich. Den
Strick riß er mit seinem gewaltigen Hakenschnabel entzwei, so oft er ihm an ein Bein gebunden
worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde sich dabei
abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelassen werden. Zuerst sträubte er, wenn man sich

Bartgeier.
ſetzte, wenn er ſich im Sande ausſtreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieſer bunten
Geſellſchaft brachte, war die Ruhe für immer geſtört.‟

„Aber auch dieſer Vogel erhielt einen ſeiner würdigen Genoſſen. Man brachte mir einen dritten
Aasgeier und einen Uhu. Der lichtſcheue Finſterling ſuchte ſich ſofort einen ſtillen Winkel aus und
ſchien ſich entſchieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genoſſen des Käfigs betrachteten den neuen
Ankömmling mit deutlich ausgeſprochener Neugier, ſogar der junge Geieradler ſchien Theilnahme für
ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, beſah ihn ſorgfältig von allen Seiten, und begann ſchließlich das
Nachtgefieder des mürriſchen Gaſtes mit dem Schnabel zu unterſuchen. Aber augenblicklich fuhr der
Nachtkönig auf und verſetzte dem argloſen Bartgeier einige ſcharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder
grollend in ſeine Stellung zurück. Der Geieradler ſah ihn nach dieſem Wuthausbruch mit allen
Zeichen des höchſten Erſtaunens an, und wandte ihm dann ſtolz den Rücken.‟

„Gegen Abend ſetzte ich den größten Theil der Geſellſchaft in folgender Ordnung auf die Sitz-
ſtangen: zuerſt den Steinadler, ſodann den Uhu, neben dieſen den jungen Bartgeier, hierauf einen
Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals ſitzen). So lange ich im
Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; ſobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier ſich
jedesmal mit dem Uhu zu beſchäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten deſſelben.
Trotzdem ließ der Bartgeier ſeine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzſtange herabflog,
wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn
beide Störenfriede ſich in die Federn geriethen, herrſchte die größte Ruhe und Stille unter den
Uebrigen; ſie gaben dann neugierige, theilnahmloſe Zuſchauer ab.‟

„Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweiſt der Umſtand, daß mein
rothgefütterter Schlafrock, deſſen Jnneres ſie oft genug zu ſehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen
des Unwillens abzwingen konnte. Ebenſo wenig zeigten unſere Geieradler gegen Kinder eine beſondere
Abneigung, wie Dies Crespons vom ſardiniſchen Geier beobachtet haben will. Wenn ſie im Hof
herumliefen, gingen ſie oft an einem ſpielenden Kinde vorüber, ohne es anzutaſten oder auch nur eines
Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand ſie in ihrem Käfig beläſtigte, wurde der Junge ärgerlich,
machte aber auch dann keinen Unterſchied zwiſchen erwachſenen Perſonen oder Kindern.‟

„Leider war der Käfig den Strahlen der ſpaniſchen Mittagsſonne ausgeſetzt, woher es wohl
auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und ſchließlich an einer Lungen-
entzündung ſanft und ruhig verſchied. Der junge Geieradler, die drei ſchmuzigen Aasgeier und der
Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze geſund und konnten nach Deutſchland geſandt werden.
Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszuſtehen hatten, beläſtigte unſern Vogel ſehr; er ſaß mit
weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach friſcher Luft und nach
Waſſer. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, ſteckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt,
ſeinen Kopf zwiſchen den Sproſſen des Reiſekäfigs durch, als wollte er wieder um Waſſer bitten.
Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm ſeine Bitte erfüllten.‟ —

„Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er ſich bald die Liebe aller Matroſen des Dampf-
ſchiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Koſten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht.
Er ſaß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Verſuch zu machen, ſeine gewaltigen Schwingen zu
proben, obgleich er ſie jedenfalls gut zu benutzen verſtanden haben würde.‟

Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier ſchildert Scheitlin nach eigener
Beobachtung mit folgenden Worten. „Anfänglich kehrte ſich der Vogel, dem eine Kammer einge-
räumt wurde, immer gegen den Winkel, ſodann mehr an den Meiſter gewöhnt, gegen die Kammer
ſelbſt. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querſtange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu
können. War er allein, ſo flog er nie weg, trat man in die Kammer, ſo flog er anfänglich. Den
Strick riß er mit ſeinem gewaltigen Hakenſchnabel entzwei, ſo oft er ihm an ein Bein gebunden
worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde ſich dabei
abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelaſſen werden. Zuerſt ſträubte er, wenn man ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0585" n="553"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bartgeier.</hi></fw><lb/>
&#x017F;etzte, wenn er &#x017F;ich im Sande aus&#x017F;treckte. Als ich aber noch einen <hi rendition="#g">Habichtsadler</hi> zu die&#x017F;er bunten<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft brachte, war die Ruhe für immer ge&#x017F;tört.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber auch die&#x017F;er Vogel erhielt einen &#x017F;einer würdigen Geno&#x017F;&#x017F;en. Man brachte mir einen dritten<lb/>
Aasgeier und einen <hi rendition="#g">Uhu.</hi> Der licht&#x017F;cheue Fin&#x017F;terling &#x017F;uchte &#x017F;ich &#x017F;ofort einen &#x017F;tillen Winkel aus und<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ich ent&#x017F;chieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Geno&#x017F;&#x017F;en des Käfigs betrachteten den neuen<lb/>
Ankömmling mit deutlich ausge&#x017F;prochener Neugier, &#x017F;ogar der junge Geieradler &#x017F;chien Theilnahme für<lb/>
ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, be&#x017F;ah ihn &#x017F;orgfältig von allen Seiten, und begann &#x017F;chließlich das<lb/>
Nachtgefieder des mürri&#x017F;chen Ga&#x017F;tes mit dem Schnabel zu unter&#x017F;uchen. Aber augenblicklich fuhr der<lb/>
Nachtkönig auf und ver&#x017F;etzte dem arglo&#x017F;en Bartgeier einige &#x017F;charfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder<lb/>
grollend in &#x017F;eine Stellung zurück. Der Geieradler &#x017F;ah ihn nach die&#x017F;em Wuthausbruch mit allen<lb/>
Zeichen des höch&#x017F;ten Er&#x017F;taunens an, und wandte ihm dann &#x017F;tolz den Rücken.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gegen Abend &#x017F;etzte ich den größten Theil der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft in folgender Ordnung auf die Sitz-<lb/>
&#x017F;tangen: zuer&#x017F;t den Steinadler, &#x017F;odann den Uhu, neben die&#x017F;en den jungen Bartgeier, hierauf einen<lb/>
Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals &#x017F;itzen). So lange ich im<lb/>
Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; &#x017F;obald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier &#x017F;ich<lb/>
jedesmal mit dem Uhu zu be&#x017F;chäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten de&#x017F;&#x017F;elben.<lb/>
Trotzdem ließ der Bartgeier &#x017F;eine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitz&#x017F;tange herabflog,<lb/>
wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn<lb/>
beide Störenfriede &#x017F;ich in die Federn geriethen, herr&#x017F;chte die größte Ruhe und Stille unter den<lb/>
Uebrigen; &#x017F;ie gaben dann neugierige, theilnahmlo&#x017F;e Zu&#x017F;chauer ab.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, bewei&#x017F;t der Um&#x017F;tand, daß mein<lb/>
rothgefütterter Schlafrock, de&#x017F;&#x017F;en Jnneres &#x017F;ie oft genug zu &#x017F;ehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen<lb/>
des Unwillens abzwingen konnte. Eben&#x017F;o wenig zeigten un&#x017F;ere Geieradler gegen Kinder eine be&#x017F;ondere<lb/>
Abneigung, wie Dies <hi rendition="#g">Crespons</hi> vom &#x017F;ardini&#x017F;chen Geier beobachtet haben will. Wenn &#x017F;ie im Hof<lb/>
herumliefen, gingen &#x017F;ie oft an einem &#x017F;pielenden Kinde vorüber, ohne es anzuta&#x017F;ten oder auch nur eines<lb/>
Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand &#x017F;ie in ihrem Käfig belä&#x017F;tigte, wurde der Junge ärgerlich,<lb/>
machte aber auch dann keinen Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen erwach&#x017F;enen Per&#x017F;onen oder Kindern.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Leider war der Käfig den Strahlen der &#x017F;pani&#x017F;chen Mittags&#x017F;onne ausge&#x017F;etzt, woher es wohl<lb/>
auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und &#x017F;chließlich an einer Lungen-<lb/>
entzündung &#x017F;anft und ruhig ver&#x017F;chied. Der junge Geieradler, die drei &#x017F;chmuzigen Aasgeier und der<lb/>
Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze ge&#x017F;und und konnten nach Deut&#x017F;chland ge&#x017F;andt werden.<lb/>
Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszu&#x017F;tehen hatten, belä&#x017F;tigte un&#x017F;ern Vogel &#x017F;ehr; er &#x017F;aß mit<lb/>
weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach fri&#x017F;cher Luft und nach<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, &#x017F;teckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt,<lb/>
&#x017F;einen Kopf zwi&#x017F;chen den Spro&#x017F;&#x017F;en des Rei&#x017F;ekäfigs durch, als wollte er wieder um Wa&#x017F;&#x017F;er bitten.<lb/>
Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm &#x017F;eine Bitte erfüllten.&#x201F; &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er &#x017F;ich bald die Liebe aller Matro&#x017F;en des Dampf-<lb/>
&#x017F;chiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Ko&#x017F;ten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht.<lb/>
Er &#x017F;aß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Ver&#x017F;uch zu machen, &#x017F;eine gewaltigen Schwingen zu<lb/>
proben, obgleich er &#x017F;ie jedenfalls gut zu benutzen ver&#x017F;tanden haben würde.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier &#x017F;childert <hi rendition="#g">Scheitlin</hi> nach eigener<lb/>
Beobachtung mit folgenden Worten. &#x201E;Anfänglich kehrte &#x017F;ich der Vogel, dem eine Kammer einge-<lb/>
räumt wurde, immer gegen den Winkel, &#x017F;odann mehr an den Mei&#x017F;ter gewöhnt, gegen die Kammer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Quer&#x017F;tange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu<lb/>
können. War er allein, &#x017F;o flog er nie weg, trat man in die Kammer, &#x017F;o flog er anfänglich. Den<lb/>
Strick riß er mit &#x017F;einem gewaltigen Haken&#x017F;chnabel entzwei, &#x017F;o oft er ihm an ein Bein gebunden<lb/>
worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde &#x017F;ich dabei<lb/>
abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gela&#x017F;&#x017F;en werden. Zuer&#x017F;t &#x017F;träubte er, wenn man &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[553/0585] Bartgeier. ſetzte, wenn er ſich im Sande ausſtreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieſer bunten Geſellſchaft brachte, war die Ruhe für immer geſtört.‟ „Aber auch dieſer Vogel erhielt einen ſeiner würdigen Genoſſen. Man brachte mir einen dritten Aasgeier und einen Uhu. Der lichtſcheue Finſterling ſuchte ſich ſofort einen ſtillen Winkel aus und ſchien ſich entſchieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genoſſen des Käfigs betrachteten den neuen Ankömmling mit deutlich ausgeſprochener Neugier, ſogar der junge Geieradler ſchien Theilnahme für ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, beſah ihn ſorgfältig von allen Seiten, und begann ſchließlich das Nachtgefieder des mürriſchen Gaſtes mit dem Schnabel zu unterſuchen. Aber augenblicklich fuhr der Nachtkönig auf und verſetzte dem argloſen Bartgeier einige ſcharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder grollend in ſeine Stellung zurück. Der Geieradler ſah ihn nach dieſem Wuthausbruch mit allen Zeichen des höchſten Erſtaunens an, und wandte ihm dann ſtolz den Rücken.‟ „Gegen Abend ſetzte ich den größten Theil der Geſellſchaft in folgender Ordnung auf die Sitz- ſtangen: zuerſt den Steinadler, ſodann den Uhu, neben dieſen den jungen Bartgeier, hierauf einen Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals ſitzen). So lange ich im Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; ſobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier ſich jedesmal mit dem Uhu zu beſchäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten deſſelben. Trotzdem ließ der Bartgeier ſeine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzſtange herabflog, wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn beide Störenfriede ſich in die Federn geriethen, herrſchte die größte Ruhe und Stille unter den Uebrigen; ſie gaben dann neugierige, theilnahmloſe Zuſchauer ab.‟ „Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweiſt der Umſtand, daß mein rothgefütterter Schlafrock, deſſen Jnneres ſie oft genug zu ſehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen des Unwillens abzwingen konnte. Ebenſo wenig zeigten unſere Geieradler gegen Kinder eine beſondere Abneigung, wie Dies Crespons vom ſardiniſchen Geier beobachtet haben will. Wenn ſie im Hof herumliefen, gingen ſie oft an einem ſpielenden Kinde vorüber, ohne es anzutaſten oder auch nur eines Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand ſie in ihrem Käfig beläſtigte, wurde der Junge ärgerlich, machte aber auch dann keinen Unterſchied zwiſchen erwachſenen Perſonen oder Kindern.‟ „Leider war der Käfig den Strahlen der ſpaniſchen Mittagsſonne ausgeſetzt, woher es wohl auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und ſchließlich an einer Lungen- entzündung ſanft und ruhig verſchied. Der junge Geieradler, die drei ſchmuzigen Aasgeier und der Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze geſund und konnten nach Deutſchland geſandt werden. Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszuſtehen hatten, beläſtigte unſern Vogel ſehr; er ſaß mit weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach friſcher Luft und nach Waſſer. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, ſteckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt, ſeinen Kopf zwiſchen den Sproſſen des Reiſekäfigs durch, als wollte er wieder um Waſſer bitten. Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm ſeine Bitte erfüllten.‟ — „Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er ſich bald die Liebe aller Matroſen des Dampf- ſchiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Koſten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht. Er ſaß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Verſuch zu machen, ſeine gewaltigen Schwingen zu proben, obgleich er ſie jedenfalls gut zu benutzen verſtanden haben würde.‟ Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier ſchildert Scheitlin nach eigener Beobachtung mit folgenden Worten. „Anfänglich kehrte ſich der Vogel, dem eine Kammer einge- räumt wurde, immer gegen den Winkel, ſodann mehr an den Meiſter gewöhnt, gegen die Kammer ſelbſt. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querſtange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu können. War er allein, ſo flog er nie weg, trat man in die Kammer, ſo flog er anfänglich. Den Strick riß er mit ſeinem gewaltigen Hakenſchnabel entzwei, ſo oft er ihm an ein Bein gebunden worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde ſich dabei abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelaſſen werden. Zuerſt ſträubte er, wenn man ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/585
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/585>, abgerufen am 22.11.2024.