setzte, wenn er sich im Sande ausstreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieser bunten Gesellschaft brachte, war die Ruhe für immer gestört."
"Aber auch dieser Vogel erhielt einen seiner würdigen Genossen. Man brachte mir einen dritten Aasgeier und einen Uhu. Der lichtscheue Finsterling suchte sich sofort einen stillen Winkel aus und schien sich entschieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genossen des Käfigs betrachteten den neuen Ankömmling mit deutlich ausgesprochener Neugier, sogar der junge Geieradler schien Theilnahme für ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, besah ihn sorgfältig von allen Seiten, und begann schließlich das Nachtgefieder des mürrischen Gastes mit dem Schnabel zu untersuchen. Aber augenblicklich fuhr der Nachtkönig auf und versetzte dem arglosen Bartgeier einige scharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder grollend in seine Stellung zurück. Der Geieradler sah ihn nach diesem Wuthausbruch mit allen Zeichen des höchsten Erstaunens an, und wandte ihm dann stolz den Rücken."
"Gegen Abend setzte ich den größten Theil der Gesellschaft in folgender Ordnung auf die Sitz- stangen: zuerst den Steinadler, sodann den Uhu, neben diesen den jungen Bartgeier, hierauf einen Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals sitzen). So lange ich im Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; sobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier sich jedesmal mit dem Uhu zu beschäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten desselben. Trotzdem ließ der Bartgeier seine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzstange herabflog, wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn beide Störenfriede sich in die Federn geriethen, herrschte die größte Ruhe und Stille unter den Uebrigen; sie gaben dann neugierige, theilnahmlose Zuschauer ab."
"Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweist der Umstand, daß mein rothgefütterter Schlafrock, dessen Jnneres sie oft genug zu sehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen des Unwillens abzwingen konnte. Ebenso wenig zeigten unsere Geieradler gegen Kinder eine besondere Abneigung, wie Dies Crespons vom sardinischen Geier beobachtet haben will. Wenn sie im Hof herumliefen, gingen sie oft an einem spielenden Kinde vorüber, ohne es anzutasten oder auch nur eines Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand sie in ihrem Käfig belästigte, wurde der Junge ärgerlich, machte aber auch dann keinen Unterschied zwischen erwachsenen Personen oder Kindern."
"Leider war der Käfig den Strahlen der spanischen Mittagssonne ausgesetzt, woher es wohl auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und schließlich an einer Lungen- entzündung sanft und ruhig verschied. Der junge Geieradler, die drei schmuzigen Aasgeier und der Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze gesund und konnten nach Deutschland gesandt werden. Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszustehen hatten, belästigte unsern Vogel sehr; er saß mit weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach frischer Luft und nach Wasser. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, steckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt, seinen Kopf zwischen den Sprossen des Reisekäfigs durch, als wollte er wieder um Wasser bitten. Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm seine Bitte erfüllten." --
"Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er sich bald die Liebe aller Matrosen des Dampf- schiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Kosten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht. Er saß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Versuch zu machen, seine gewaltigen Schwingen zu proben, obgleich er sie jedenfalls gut zu benutzen verstanden haben würde."
Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier schildert Scheitlin nach eigener Beobachtung mit folgenden Worten. "Anfänglich kehrte sich der Vogel, dem eine Kammer einge- räumt wurde, immer gegen den Winkel, sodann mehr an den Meister gewöhnt, gegen die Kammer selbst. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querstange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu können. War er allein, so flog er nie weg, trat man in die Kammer, so flog er anfänglich. Den Strick riß er mit seinem gewaltigen Hakenschnabel entzwei, so oft er ihm an ein Bein gebunden worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde sich dabei abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelassen werden. Zuerst sträubte er, wenn man sich
Bartgeier.
ſetzte, wenn er ſich im Sande ausſtreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieſer bunten Geſellſchaft brachte, war die Ruhe für immer geſtört.‟
„Aber auch dieſer Vogel erhielt einen ſeiner würdigen Genoſſen. Man brachte mir einen dritten Aasgeier und einen Uhu. Der lichtſcheue Finſterling ſuchte ſich ſofort einen ſtillen Winkel aus und ſchien ſich entſchieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genoſſen des Käfigs betrachteten den neuen Ankömmling mit deutlich ausgeſprochener Neugier, ſogar der junge Geieradler ſchien Theilnahme für ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, beſah ihn ſorgfältig von allen Seiten, und begann ſchließlich das Nachtgefieder des mürriſchen Gaſtes mit dem Schnabel zu unterſuchen. Aber augenblicklich fuhr der Nachtkönig auf und verſetzte dem argloſen Bartgeier einige ſcharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder grollend in ſeine Stellung zurück. Der Geieradler ſah ihn nach dieſem Wuthausbruch mit allen Zeichen des höchſten Erſtaunens an, und wandte ihm dann ſtolz den Rücken.‟
„Gegen Abend ſetzte ich den größten Theil der Geſellſchaft in folgender Ordnung auf die Sitz- ſtangen: zuerſt den Steinadler, ſodann den Uhu, neben dieſen den jungen Bartgeier, hierauf einen Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals ſitzen). So lange ich im Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; ſobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier ſich jedesmal mit dem Uhu zu beſchäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten deſſelben. Trotzdem ließ der Bartgeier ſeine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzſtange herabflog, wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn beide Störenfriede ſich in die Federn geriethen, herrſchte die größte Ruhe und Stille unter den Uebrigen; ſie gaben dann neugierige, theilnahmloſe Zuſchauer ab.‟
„Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweiſt der Umſtand, daß mein rothgefütterter Schlafrock, deſſen Jnneres ſie oft genug zu ſehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen des Unwillens abzwingen konnte. Ebenſo wenig zeigten unſere Geieradler gegen Kinder eine beſondere Abneigung, wie Dies Crespons vom ſardiniſchen Geier beobachtet haben will. Wenn ſie im Hof herumliefen, gingen ſie oft an einem ſpielenden Kinde vorüber, ohne es anzutaſten oder auch nur eines Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand ſie in ihrem Käfig beläſtigte, wurde der Junge ärgerlich, machte aber auch dann keinen Unterſchied zwiſchen erwachſenen Perſonen oder Kindern.‟
„Leider war der Käfig den Strahlen der ſpaniſchen Mittagsſonne ausgeſetzt, woher es wohl auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und ſchließlich an einer Lungen- entzündung ſanft und ruhig verſchied. Der junge Geieradler, die drei ſchmuzigen Aasgeier und der Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze geſund und konnten nach Deutſchland geſandt werden. Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszuſtehen hatten, beläſtigte unſern Vogel ſehr; er ſaß mit weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach friſcher Luft und nach Waſſer. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, ſteckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt, ſeinen Kopf zwiſchen den Sproſſen des Reiſekäfigs durch, als wollte er wieder um Waſſer bitten. Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm ſeine Bitte erfüllten.‟ —
„Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er ſich bald die Liebe aller Matroſen des Dampf- ſchiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Koſten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht. Er ſaß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Verſuch zu machen, ſeine gewaltigen Schwingen zu proben, obgleich er ſie jedenfalls gut zu benutzen verſtanden haben würde.‟
Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier ſchildert Scheitlin nach eigener Beobachtung mit folgenden Worten. „Anfänglich kehrte ſich der Vogel, dem eine Kammer einge- räumt wurde, immer gegen den Winkel, ſodann mehr an den Meiſter gewöhnt, gegen die Kammer ſelbſt. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querſtange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu können. War er allein, ſo flog er nie weg, trat man in die Kammer, ſo flog er anfänglich. Den Strick riß er mit ſeinem gewaltigen Hakenſchnabel entzwei, ſo oft er ihm an ein Bein gebunden worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde ſich dabei abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelaſſen werden. Zuerſt ſträubte er, wenn man ſich
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[553/0585]
Bartgeier.
ſetzte, wenn er ſich im Sande ausſtreckte. Als ich aber noch einen Habichtsadler zu dieſer bunten
Geſellſchaft brachte, war die Ruhe für immer geſtört.‟
„Aber auch dieſer Vogel erhielt einen ſeiner würdigen Genoſſen. Man brachte mir einen dritten
Aasgeier und einen Uhu. Der lichtſcheue Finſterling ſuchte ſich ſofort einen ſtillen Winkel aus und
ſchien ſich entſchieden katzenjämmerlich zu fühlen. Alle Genoſſen des Käfigs betrachteten den neuen
Ankömmling mit deutlich ausgeſprochener Neugier, ſogar der junge Geieradler ſchien Theilnahme für
ihn zu zeigen. Er ging zu ihm hin, beſah ihn ſorgfältig von allen Seiten, und begann ſchließlich das
Nachtgefieder des mürriſchen Gaſtes mit dem Schnabel zu unterſuchen. Aber augenblicklich fuhr der
Nachtkönig auf und verſetzte dem argloſen Bartgeier einige ſcharfe Klauenhiebe, fiel jedoch bald wieder
grollend in ſeine Stellung zurück. Der Geieradler ſah ihn nach dieſem Wuthausbruch mit allen
Zeichen des höchſten Erſtaunens an, und wandte ihm dann ſtolz den Rücken.‟
„Gegen Abend ſetzte ich den größten Theil der Geſellſchaft in folgender Ordnung auf die Sitz-
ſtangen: zuerſt den Steinadler, ſodann den Uhu, neben dieſen den jungen Bartgeier, hierauf einen
Aasgeier, und zuletzt den alten Bartgeier (der Habichtsadler blieb niemals ſitzen). So lange ich im
Käfige war, blieben alle in ihrer Stellung; ſobald ich aber heraustrat, begann der junge Bartgeier ſich
jedesmal mit dem Uhu zu beſchäftigen, und erntete dann auch regelmäßig die Grobheiten deſſelben.
Trotzdem ließ der Bartgeier ſeine Neckereien nicht eher, als bis der Uhu von der Sitzſtange herabflog,
wobei er aber gewöhnlich dem immer zum Kampfe bereiten Habichtsadler in die Klauen fiel. Wenn
beide Störenfriede ſich in die Federn geriethen, herrſchte die größte Ruhe und Stille unter den
Uebrigen; ſie gaben dann neugierige, theilnahmloſe Zuſchauer ab.‟
„Daß die rothe Farbe den Geieradlern ganz gleichgiltig war, beweiſt der Umſtand, daß mein
rothgefütterter Schlafrock, deſſen Jnneres ſie oft genug zu ſehen bekamen, ihnen niemals ein Zeichen
des Unwillens abzwingen konnte. Ebenſo wenig zeigten unſere Geieradler gegen Kinder eine beſondere
Abneigung, wie Dies Crespons vom ſardiniſchen Geier beobachtet haben will. Wenn ſie im Hof
herumliefen, gingen ſie oft an einem ſpielenden Kinde vorüber, ohne es anzutaſten oder auch nur eines
Anblicks zu würdigen. Nur wenn Jemand ſie in ihrem Käfig beläſtigte, wurde der Junge ärgerlich,
machte aber auch dann keinen Unterſchied zwiſchen erwachſenen Perſonen oder Kindern.‟
„Leider war der Käfig den Strahlen der ſpaniſchen Mittagsſonne ausgeſetzt, woher es wohl
auch kommen mochte, daß der alte Bartgeier nach und nach erkrankte und ſchließlich an einer Lungen-
entzündung ſanft und ruhig verſchied. Der junge Geieradler, die drei ſchmuzigen Aasgeier und der
Habichtsadler blieben jedoch trotz der Hitze geſund und konnten nach Deutſchland geſandt werden.
Die Hitze, welche die Thiere unterwegs auszuſtehen hatten, beläſtigte unſern Vogel ſehr; er ſaß mit
weitgeöffnetem Schnabel (wie die Krähen bei großer Gluth) und lechzte nach friſcher Luft und nach
Waſſer. Nachdem wir ihn mehreremale getränkt hatten, ſteckte er jedes Mal, wenn der Wagen hielt,
ſeinen Kopf zwiſchen den Sproſſen des Reiſekäfigs durch, als wollte er wieder um Waſſer bitten.
Wahrhaft rührende Blicke dankten es uns, wenn wir ihm ſeine Bitte erfüllten.‟ —
„Bei der Ueberfahrt nach Frankreich wußte er ſich bald die Liebe aller Matroſen des Dampf-
ſchiffes zu erwerben, und wurde von ihnen auf Koſten der Schiffsküche reichlich mit Nahrung bedacht.
Er ſaß oft ganz frei auf dem Deck, ohne den Verſuch zu machen, ſeine gewaltigen Schwingen zu
proben, obgleich er ſie jedenfalls gut zu benutzen verſtanden haben würde.‟
Das Benehmen zweier anderer, alt gefangener Bartgeier ſchildert Scheitlin nach eigener
Beobachtung mit folgenden Worten. „Anfänglich kehrte ſich der Vogel, dem eine Kammer einge-
räumt wurde, immer gegen den Winkel, ſodann mehr an den Meiſter gewöhnt, gegen die Kammer
ſelbſt. Er wurde mit einem Stricke auf eine große Querſtange gebunden, nur um nicht wegfliegen zu
können. War er allein, ſo flog er nie weg, trat man in die Kammer, ſo flog er anfänglich. Den
Strick riß er mit ſeinem gewaltigen Hakenſchnabel entzwei, ſo oft er ihm an ein Bein gebunden
worden. Es wurde ihm eine Kette angelegt. Er zog und biß, aber vergeblich. Er würde ſich dabei
abgezehrt haben. Er mußte frei, unangebunden gelaſſen werden. Zuerſt ſträubte er, wenn man ſich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/585>, abgerufen am 22.11.2024.
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