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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Bartgeier. Kondor.
Auch verwundete Bartgeier denken nicht daran, sich dem Menschen gegenüber zur Wehre zu setzen, wie
Dies die Gänsegeier regelmäßig thun. Sie sträuben nach meinen eigenen Erfahrungen nur die
Nackenfedern und sperren den Schnabel möglichst weit auf. Mit diesem versuchen sie allerdings ihren
Gegner zu packen; sie sind aber ungemein leicht gebändigt. Jhre Lebenszähigkeit ist sehr groß; nur
ein gut angebrachter Schuß tödtet sie augenblicklich. Jch schoß einem fliegenden eine Kugel durch den
Leib, welche das Zwerchfell und die ganze Leber zerriß und neben den Lendenwirbeln wieder aus dem
Körper fuhr. Der Vogel stürzte zwar sofort zum Boden hernieder, lebte aber noch volle 36 Stunden,
bevor er an Eitervergiftung starb. Der Faug geschieht mit Teller- oder Fuchseisen, welche mit
Fleisch geködert werden.



Die Geier im engeren Sinne (Vultures) sind plumper gebaut, als die Geieradler: sie sind die
plumpesten aller Raubvögel überhaupt. Jhr Leib ist kurz und kräftig, ungemein breit auf der Brust;
die Flügel sind lang, breit und abgerundet, die vierte Schwinge ist in ihnen die längste; der Schwanz
ist mittellang und etwas zugerundet; die einzelnen Federn sind steif, werden aber an der Spitze regel-
mäßig abgeschliffen und erscheinen deshalb sonderbar zugestutzt. Die Füße sind mittelhoch und stark,
von der Ferse ab unbefiedert, die Zehen sind lang und kräftig, nicht aber greiffähig, die flachgebogenen
Nägel stumpfen sich ab. Der Schnabel ist etwa von Kopfeslänge, stark, gerade, an der Spitze sehr
gekrümmt, höher als breit; der Haken ist mittellang und ziemlich scharf, der Schneidenrand seicht aus-
gebuchtet. Das Gefieder besteht aus sehr großen, langen und breiten Federn. Ein Theil des
Kopfes und Halses bleibt regelmäßig frei von dem eigentlichen Gefieder; er ist dafür mit haarartigen
Dunen mehr oder minder spärlich bedeckt oder auch vollständig nackt. Ausnahmsweise bekleiden
dunige Federn, dann aber in dichter Fülle, auch die Schenkel, die Waden und den Unterleib; auf
letzterem werden sie dann durch lange und schmale Federn spärlich überdeckt. Düstere und unbestimmte
Farben sind vorherrschend; doch fehlt es auch nicht an buntem Gefieder, und außerdem sind die dünn
befiederten oder nackten Hautstellen oft sehr lebhaft gefärbt. Die Augen sind groß und ausdrucksvoll,
die Nasenlöcher verschieden gestaltet. Unter den Sinnen steht das Gesicht ausnahmslos obenan,
nächstdem sind Gehör und Geruch besonders entwickelt. Die geistigen Fähigkeiten stehen hinter denen
des Geieradlers nicht zurück. Jn allem Uebrigen gilt das über die Gesammtheit Gesagte in
Besonderem für diese Familie.

Als die edelsten Glieder der echten Geier haben wir wahrscheinlich die Kammgeier (Sarcor-
rhamphus
) anzusehen. Sie kennzeichnen sich durch verhältnißmäßig gestreckten Leib, lange, aber
ziemlich schmale Flügel, langen Schwanz, hohe und langzehige Füße, mittellangen Hals und kleinen,
langen Kopf mit langem und rundlichen, seitlich zusammengedrückten, starkhakigen Schnabel, welcher beim
Männchen an der Wurzel mit einem Kamme, in der Kinngegend mit einem Hautlappen verziert ist.
Die Nasenlöcher sind insofern auffallend, weil eine Scheidewand zwischen ihnen fehlt. Das Gefieder
ist kleinfedriger, als bei andern Geiern, aber lebhafter gefärbt. Einzelne Stellen sind vollkommen
nackt. Auffallender Weise ist das Männchen größer als das Weibchen.

Unter den drei Raubvögeln, welche die erste Horde der Familie bilden, verdient der Kondor
(Sarcorrhamphus Gryphus oder Sarcorrhamphus Condor) einer eingehenderen Beschreibung, weil ihm
dasselbe Schicksal wie dem Geieradler geworden ist. Auch ihn hat man verkannt und verschrien, auch über
ihn die wunderbarsten Sagen erzählt und geglaubt. Selbst die Wissenschaft hat solcher Fabelei Rechnung
getragen, indem sie ihm den Namen Greif (Gryphus) verlieh. Es läßt sich leicht erklären, wie Dies
gekommen. "Jn dem gepriesenen Lande", sagt Tschudi, "wo Silber und Gold zu Masse am Tage
lag, mußte nach den Ansichten vergangener Jahre oder Jahrhunderte auch die Thierwelt außer-

Bartgeier. Kondor.
Auch verwundete Bartgeier denken nicht daran, ſich dem Menſchen gegenüber zur Wehre zu ſetzen, wie
Dies die Gänſegeier regelmäßig thun. Sie ſträuben nach meinen eigenen Erfahrungen nur die
Nackenfedern und ſperren den Schnabel möglichſt weit auf. Mit dieſem verſuchen ſie allerdings ihren
Gegner zu packen; ſie ſind aber ungemein leicht gebändigt. Jhre Lebenszähigkeit iſt ſehr groß; nur
ein gut angebrachter Schuß tödtet ſie augenblicklich. Jch ſchoß einem fliegenden eine Kugel durch den
Leib, welche das Zwerchfell und die ganze Leber zerriß und neben den Lendenwirbeln wieder aus dem
Körper fuhr. Der Vogel ſtürzte zwar ſofort zum Boden hernieder, lebte aber noch volle 36 Stunden,
bevor er an Eitervergiftung ſtarb. Der Faug geſchieht mit Teller- oder Fuchseiſen, welche mit
Fleiſch geködert werden.



Die Geier im engeren Sinne (Vultures) ſind plumper gebaut, als die Geieradler: ſie ſind die
plumpeſten aller Raubvögel überhaupt. Jhr Leib iſt kurz und kräftig, ungemein breit auf der Bruſt;
die Flügel ſind lang, breit und abgerundet, die vierte Schwinge iſt in ihnen die längſte; der Schwanz
iſt mittellang und etwas zugerundet; die einzelnen Federn ſind ſteif, werden aber an der Spitze regel-
mäßig abgeſchliffen und erſcheinen deshalb ſonderbar zugeſtutzt. Die Füße ſind mittelhoch und ſtark,
von der Ferſe ab unbefiedert, die Zehen ſind lang und kräftig, nicht aber greiffähig, die flachgebogenen
Nägel ſtumpfen ſich ab. Der Schnabel iſt etwa von Kopfeslänge, ſtark, gerade, an der Spitze ſehr
gekrümmt, höher als breit; der Haken iſt mittellang und ziemlich ſcharf, der Schneidenrand ſeicht aus-
gebuchtet. Das Gefieder beſteht aus ſehr großen, langen und breiten Federn. Ein Theil des
Kopfes und Halſes bleibt regelmäßig frei von dem eigentlichen Gefieder; er iſt dafür mit haarartigen
Dunen mehr oder minder ſpärlich bedeckt oder auch vollſtändig nackt. Ausnahmsweiſe bekleiden
dunige Federn, dann aber in dichter Fülle, auch die Schenkel, die Waden und den Unterleib; auf
letzterem werden ſie dann durch lange und ſchmale Federn ſpärlich überdeckt. Düſtere und unbeſtimmte
Farben ſind vorherrſchend; doch fehlt es auch nicht an buntem Gefieder, und außerdem ſind die dünn
befiederten oder nackten Hautſtellen oft ſehr lebhaft gefärbt. Die Augen ſind groß und ausdrucksvoll,
die Naſenlöcher verſchieden geſtaltet. Unter den Sinnen ſteht das Geſicht ausnahmslos obenan,
nächſtdem ſind Gehör und Geruch beſonders entwickelt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſtehen hinter denen
des Geieradlers nicht zurück. Jn allem Uebrigen gilt das über die Geſammtheit Geſagte in
Beſonderem für dieſe Familie.

Als die edelſten Glieder der echten Geier haben wir wahrſcheinlich die Kammgeier (Sarcor-
rhamphus
) anzuſehen. Sie kennzeichnen ſich durch verhältnißmäßig geſtreckten Leib, lange, aber
ziemlich ſchmale Flügel, langen Schwanz, hohe und langzehige Füße, mittellangen Hals und kleinen,
langen Kopf mit langem und rundlichen, ſeitlich zuſammengedrückten, ſtarkhakigen Schnabel, welcher beim
Männchen an der Wurzel mit einem Kamme, in der Kinngegend mit einem Hautlappen verziert iſt.
Die Naſenlöcher ſind inſofern auffallend, weil eine Scheidewand zwiſchen ihnen fehlt. Das Gefieder
iſt kleinfedriger, als bei andern Geiern, aber lebhafter gefärbt. Einzelne Stellen ſind vollkommen
nackt. Auffallender Weiſe iſt das Männchen größer als das Weibchen.

Unter den drei Raubvögeln, welche die erſte Horde der Familie bilden, verdient der Kondor
(Sarcorrhamphus Gryphus oder Sarcorrhamphus Condor) einer eingehenderen Beſchreibung, weil ihm
daſſelbe Schickſal wie dem Geieradler geworden iſt. Auch ihn hat man verkannt und verſchrien, auch über
ihn die wunderbarſten Sagen erzählt und geglaubt. Selbſt die Wiſſenſchaft hat ſolcher Fabelei Rechnung
getragen, indem ſie ihm den Namen Greif (Gryphus) verlieh. Es läßt ſich leicht erklären, wie Dies
gekommen. „Jn dem geprieſenen Lande‟, ſagt Tſchudi, „wo Silber und Gold zu Maſſe am Tage
lag, mußte nach den Anſichten vergangener Jahre oder Jahrhunderte auch die Thierwelt außer-

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[555/0587] Bartgeier. Kondor. Auch verwundete Bartgeier denken nicht daran, ſich dem Menſchen gegenüber zur Wehre zu ſetzen, wie Dies die Gänſegeier regelmäßig thun. Sie ſträuben nach meinen eigenen Erfahrungen nur die Nackenfedern und ſperren den Schnabel möglichſt weit auf. Mit dieſem verſuchen ſie allerdings ihren Gegner zu packen; ſie ſind aber ungemein leicht gebändigt. Jhre Lebenszähigkeit iſt ſehr groß; nur ein gut angebrachter Schuß tödtet ſie augenblicklich. Jch ſchoß einem fliegenden eine Kugel durch den Leib, welche das Zwerchfell und die ganze Leber zerriß und neben den Lendenwirbeln wieder aus dem Körper fuhr. Der Vogel ſtürzte zwar ſofort zum Boden hernieder, lebte aber noch volle 36 Stunden, bevor er an Eitervergiftung ſtarb. Der Faug geſchieht mit Teller- oder Fuchseiſen, welche mit Fleiſch geködert werden. Die Geier im engeren Sinne (Vultures) ſind plumper gebaut, als die Geieradler: ſie ſind die plumpeſten aller Raubvögel überhaupt. Jhr Leib iſt kurz und kräftig, ungemein breit auf der Bruſt; die Flügel ſind lang, breit und abgerundet, die vierte Schwinge iſt in ihnen die längſte; der Schwanz iſt mittellang und etwas zugerundet; die einzelnen Federn ſind ſteif, werden aber an der Spitze regel- mäßig abgeſchliffen und erſcheinen deshalb ſonderbar zugeſtutzt. Die Füße ſind mittelhoch und ſtark, von der Ferſe ab unbefiedert, die Zehen ſind lang und kräftig, nicht aber greiffähig, die flachgebogenen Nägel ſtumpfen ſich ab. Der Schnabel iſt etwa von Kopfeslänge, ſtark, gerade, an der Spitze ſehr gekrümmt, höher als breit; der Haken iſt mittellang und ziemlich ſcharf, der Schneidenrand ſeicht aus- gebuchtet. Das Gefieder beſteht aus ſehr großen, langen und breiten Federn. Ein Theil des Kopfes und Halſes bleibt regelmäßig frei von dem eigentlichen Gefieder; er iſt dafür mit haarartigen Dunen mehr oder minder ſpärlich bedeckt oder auch vollſtändig nackt. Ausnahmsweiſe bekleiden dunige Federn, dann aber in dichter Fülle, auch die Schenkel, die Waden und den Unterleib; auf letzterem werden ſie dann durch lange und ſchmale Federn ſpärlich überdeckt. Düſtere und unbeſtimmte Farben ſind vorherrſchend; doch fehlt es auch nicht an buntem Gefieder, und außerdem ſind die dünn befiederten oder nackten Hautſtellen oft ſehr lebhaft gefärbt. Die Augen ſind groß und ausdrucksvoll, die Naſenlöcher verſchieden geſtaltet. Unter den Sinnen ſteht das Geſicht ausnahmslos obenan, nächſtdem ſind Gehör und Geruch beſonders entwickelt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſtehen hinter denen des Geieradlers nicht zurück. Jn allem Uebrigen gilt das über die Geſammtheit Geſagte in Beſonderem für dieſe Familie. Als die edelſten Glieder der echten Geier haben wir wahrſcheinlich die Kammgeier (Sarcor- rhamphus) anzuſehen. Sie kennzeichnen ſich durch verhältnißmäßig geſtreckten Leib, lange, aber ziemlich ſchmale Flügel, langen Schwanz, hohe und langzehige Füße, mittellangen Hals und kleinen, langen Kopf mit langem und rundlichen, ſeitlich zuſammengedrückten, ſtarkhakigen Schnabel, welcher beim Männchen an der Wurzel mit einem Kamme, in der Kinngegend mit einem Hautlappen verziert iſt. Die Naſenlöcher ſind inſofern auffallend, weil eine Scheidewand zwiſchen ihnen fehlt. Das Gefieder iſt kleinfedriger, als bei andern Geiern, aber lebhafter gefärbt. Einzelne Stellen ſind vollkommen nackt. Auffallender Weiſe iſt das Männchen größer als das Weibchen. Unter den drei Raubvögeln, welche die erſte Horde der Familie bilden, verdient der Kondor (Sarcorrhamphus Gryphus oder Sarcorrhamphus Condor) einer eingehenderen Beſchreibung, weil ihm daſſelbe Schickſal wie dem Geieradler geworden iſt. Auch ihn hat man verkannt und verſchrien, auch über ihn die wunderbarſten Sagen erzählt und geglaubt. Selbſt die Wiſſenſchaft hat ſolcher Fabelei Rechnung getragen, indem ſie ihm den Namen Greif (Gryphus) verlieh. Es läßt ſich leicht erklären, wie Dies gekommen. „Jn dem geprieſenen Lande‟, ſagt Tſchudi, „wo Silber und Gold zu Maſſe am Tage lag, mußte nach den Anſichten vergangener Jahre oder Jahrhunderte auch die Thierwelt außer-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/587>, abgerufen am 22.11.2024.