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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Sperrvögel. Nachtschwalben.
daß er den Halbgott wieder einmal betrogen. Daß diese Schilderung keine Fabelei ist, mag eine
Angabe Naumann's beweisen. "Einstmals", so erzählt der Altmeister, "leistete ich meinem Vater
beim Ausbessern eines Lerchennachtgarns, das wir auf einer Wiese ausgebreitet hatten, Gesellschaft,
als ich zufällig ganz in unserer Nähe auf dem Schafte eines vom Winde umgeworfenen großen Bau-
mes einen Tagschläfer gewahrte, welcher sehr fest zu schlafen schien. Der Entschluß, ihn zu fangen,
war sogleich gefaßt, das Garn herbeigeholt, an seinen beiden Stangen aufgerichtet und, ausgespannt,
über den liegenden Baum mit allen seinen noch daran befindlichen Aesten und Zweigen hinweggedeckt,
obgleich nicht Alles hierbei ganz geräuschlos abging. Da wir nun, als dem Vogel jeder Ausweg ver-
schlossen war, zu lärmen anfingen, um ihn von seinem Sitze gegen das Netz zu treiben, weil wir ihn
so leichter mit den Händen zu erhaschen hossen durften, bemerkten wir, daß er jetzt zwar aufgewacht
war, uns aber durch Scheinschlaf zu täuschen suchte, weshalb ich denn unter das Netz in den über-
deckten Raum hineinkriechen mußte, worauf er erst von seinem Sitze gegen das Netz flog, als ich schon
die Hand nach ihm ausstreckte."

Es scheint, daß alle Ziegenmelker nur einmal im Jahre brüten. Diese Zeit ist selbstverständlich
verschieden nach der Heimatsgegend, welche diese oder jene Art bewohnt; sie fällt aber regelmäßig in
den Frühling der betreffenden Länder. Das Männchen bewirbt sich sehr eifrig um die Liebe seiner
Gattin und bietet alle Künste des Fluges auf, um ihr zu gefallen. Auch das Schnurren oder laute
Rufen ist nichts Anderes als Liebeswerbung, der Gesang des verliebten Männchens. Nachdem sich
die Paare gefunden und jedes einzelne das Wohngebiet erkoren, legt das Weibchen an einer möglichst
geschützten Stelle, am liebsten unter Büschen, deren Zweige bis tief auf den Boden herabreichen, sonst
aber auch auf einem bemoosten Baumstrunk, in einem Grasbusche und an ähnlichen Oertlichkeiten
seine zwei Eier auf den Boden ab, regelmäßig da, wo man sie nicht sucht. Ein Nest wird niemals
gebaut, ja die Niststelle nicht einmal von den auf ihr liegenden Stoffen gereinigt. Wahrscheinlich
brüten beide Geschlechter abwechselnd und zeigen große Liebe zur Brut. Bei herannahender Gefahr
gebraucht der brütende Ziegenmelker die gewöhnliche List schwacher Vögel: er flattert, als ob er gelähmt
wäre, über dem Boden dahin, bietet sich dem Feinde zur Zielscheibe, lockt ihn weiter und weiter vom
Neste ab und erhebt sich dann plötzlich, um raschen Fluges davon und bezüglich zurückzueilen. Nähert
man sich des Nachts dem Neste, so ist das Weibchen äußerst ängstlich, und schreit, um das Männchen
herbeizurufen. Aber es trifft auch noch andere Vorsichtsmaßregeln, um die einmal aufgespürte Beute
der Gewalt des Feindes zu entrücken. Audubon hat, wie schon bemerkt, von einer Art beobachtet, daß
die Eltern ihre Eier und selbst ihre kleinen Jungen, wenn das Nest entdeckt wurde, einer andern Stelle
des Waldes zu tragen; es ist aber gar nicht unmöglich, daß alle übrigen Ziegenmelker ganz in ähn-
licher Weise verfahren. "Jch habe", erzählt der ausgezeichnete Forscher, "es mir viel Zeit kosten lassen, um
mich zu überzeugen, wie der Ziegenmelker dabei verfährt, um Eier und Junge wegzuschaffen, zumal
nachdem ich, Dank der Hilfe eines ausgezeichneten Hundes, gefunden hatte, daß der Vogel die zarten
Pfänder seiner Liebe niemals weit wegträgt. Die Neger, welche die Sitten der Thiere gut zu beob-
achten pflegen, versicherten mich, daß der Nachtschatten die Eier oder Jungen mit dem Schnabel längs
des Bodens fortschöbe oder stoße. Bauern, mit denen ich mich über den Gegenstand unterhielt,
glaubten, daß die Eltern ihre Brut wohl unter die Flügel nehmen und so fortschaffen möchten. Mir
erschien die Angabe der Neger glaubwürdiger, als die der Bauern, und ich machte es mir zur Aufgabe,
das Wahre zu erforschen. Das Ergebniß ist folgendes: Wenn der Nachtschatten, gleichviel ob das
Männchen oder das Weibchen eines Paares entdeckt hat, daß seine Eier berührt worden sind, sträubt
es sein Gefieder und zeigt eine oder zwei Minuten lang die größte Niedergeschlagenheit. Dann stößt
es ein leises, murmelndes Geschrei aus, auf welches der Gatte des Paares herbeigeflogen kommt, und
so niedrig über den Grund dahinstreicht, daß ich glauben mochte, seine kurzen Füße müßten denselben
berühren. Nach einigen leisen Tönen und Geberden, welche Zeichen der größten Bedrängniß auszu-
drücken schienen, nahm es ein Ei in sein weites Maul, der andere Vogel that dasselbe, und dann
strichen beide langsam und vorfichtig über den Boden dahin und verschwanden zwischen den Zweigen

Die Fänger. Sperrvögel. Nachtſchwalben.
daß er den Halbgott wieder einmal betrogen. Daß dieſe Schilderung keine Fabelei iſt, mag eine
Angabe Naumann’s beweiſen. „Einſtmals‟, ſo erzählt der Altmeiſter, „leiſtete ich meinem Vater
beim Ausbeſſern eines Lerchennachtgarns, das wir auf einer Wieſe ausgebreitet hatten, Geſellſchaft,
als ich zufällig ganz in unſerer Nähe auf dem Schafte eines vom Winde umgeworfenen großen Bau-
mes einen Tagſchläfer gewahrte, welcher ſehr feſt zu ſchlafen ſchien. Der Entſchluß, ihn zu fangen,
war ſogleich gefaßt, das Garn herbeigeholt, an ſeinen beiden Stangen aufgerichtet und, ausgeſpannt,
über den liegenden Baum mit allen ſeinen noch daran befindlichen Aeſten und Zweigen hinweggedeckt,
obgleich nicht Alles hierbei ganz geräuſchlos abging. Da wir nun, als dem Vogel jeder Ausweg ver-
ſchloſſen war, zu lärmen anfingen, um ihn von ſeinem Sitze gegen das Netz zu treiben, weil wir ihn
ſo leichter mit den Händen zu erhaſchen hoſſen durften, bemerkten wir, daß er jetzt zwar aufgewacht
war, uns aber durch Scheinſchlaf zu täuſchen ſuchte, weshalb ich denn unter das Netz in den über-
deckten Raum hineinkriechen mußte, worauf er erſt von ſeinem Sitze gegen das Netz flog, als ich ſchon
die Hand nach ihm ausſtreckte.‟

Es ſcheint, daß alle Ziegenmelker nur einmal im Jahre brüten. Dieſe Zeit iſt ſelbſtverſtändlich
verſchieden nach der Heimatsgegend, welche dieſe oder jene Art bewohnt; ſie fällt aber regelmäßig in
den Frühling der betreffenden Länder. Das Männchen bewirbt ſich ſehr eifrig um die Liebe ſeiner
Gattin und bietet alle Künſte des Fluges auf, um ihr zu gefallen. Auch das Schnurren oder laute
Rufen iſt nichts Anderes als Liebeswerbung, der Geſang des verliebten Männchens. Nachdem ſich
die Paare gefunden und jedes einzelne das Wohngebiet erkoren, legt das Weibchen an einer möglichſt
geſchützten Stelle, am liebſten unter Büſchen, deren Zweige bis tief auf den Boden herabreichen, ſonſt
aber auch auf einem bemoosten Baumſtrunk, in einem Grasbuſche und an ähnlichen Oertlichkeiten
ſeine zwei Eier auf den Boden ab, regelmäßig da, wo man ſie nicht ſucht. Ein Neſt wird niemals
gebaut, ja die Niſtſtelle nicht einmal von den auf ihr liegenden Stoffen gereinigt. Wahrſcheinlich
brüten beide Geſchlechter abwechſelnd und zeigen große Liebe zur Brut. Bei herannahender Gefahr
gebraucht der brütende Ziegenmelker die gewöhnliche Liſt ſchwacher Vögel: er flattert, als ob er gelähmt
wäre, über dem Boden dahin, bietet ſich dem Feinde zur Zielſcheibe, lockt ihn weiter und weiter vom
Neſte ab und erhebt ſich dann plötzlich, um raſchen Fluges davon und bezüglich zurückzueilen. Nähert
man ſich des Nachts dem Neſte, ſo iſt das Weibchen äußerſt ängſtlich, und ſchreit, um das Männchen
herbeizurufen. Aber es trifft auch noch andere Vorſichtsmaßregeln, um die einmal aufgeſpürte Beute
der Gewalt des Feindes zu entrücken. Audubon hat, wie ſchon bemerkt, von einer Art beobachtet, daß
die Eltern ihre Eier und ſelbſt ihre kleinen Jungen, wenn das Neſt entdeckt wurde, einer andern Stelle
des Waldes zu tragen; es iſt aber gar nicht unmöglich, daß alle übrigen Ziegenmelker ganz in ähn-
licher Weiſe verfahren. „Jch habe‟, erzählt der ausgezeichnete Forſcher, „es mir viel Zeit koſten laſſen, um
mich zu überzeugen, wie der Ziegenmelker dabei verfährt, um Eier und Junge wegzuſchaffen, zumal
nachdem ich, Dank der Hilfe eines ausgezeichneten Hundes, gefunden hatte, daß der Vogel die zarten
Pfänder ſeiner Liebe niemals weit wegträgt. Die Neger, welche die Sitten der Thiere gut zu beob-
achten pflegen, verſicherten mich, daß der Nachtſchatten die Eier oder Jungen mit dem Schnabel längs
des Bodens fortſchöbe oder ſtoße. Bauern, mit denen ich mich über den Gegenſtand unterhielt,
glaubten, daß die Eltern ihre Brut wohl unter die Flügel nehmen und ſo fortſchaffen möchten. Mir
erſchien die Angabe der Neger glaubwürdiger, als die der Bauern, und ich machte es mir zur Aufgabe,
das Wahre zu erforſchen. Das Ergebniß iſt folgendes: Wenn der Nachtſchatten, gleichviel ob das
Männchen oder das Weibchen eines Paares entdeckt hat, daß ſeine Eier berührt worden ſind, ſträubt
es ſein Gefieder und zeigt eine oder zwei Minuten lang die größte Niedergeſchlagenheit. Dann ſtößt
es ein leiſes, murmelndes Geſchrei aus, auf welches der Gatte des Paares herbeigeflogen kommt, und
ſo niedrig über den Grund dahinſtreicht, daß ich glauben mochte, ſeine kurzen Füße müßten denſelben
berühren. Nach einigen leiſen Tönen und Geberden, welche Zeichen der größten Bedrängniß auszu-
drücken ſchienen, nahm es ein Ei in ſein weites Maul, der andere Vogel that daſſelbe, und dann
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[674/0712] Die Fänger. Sperrvögel. Nachtſchwalben. daß er den Halbgott wieder einmal betrogen. Daß dieſe Schilderung keine Fabelei iſt, mag eine Angabe Naumann’s beweiſen. „Einſtmals‟, ſo erzählt der Altmeiſter, „leiſtete ich meinem Vater beim Ausbeſſern eines Lerchennachtgarns, das wir auf einer Wieſe ausgebreitet hatten, Geſellſchaft, als ich zufällig ganz in unſerer Nähe auf dem Schafte eines vom Winde umgeworfenen großen Bau- mes einen Tagſchläfer gewahrte, welcher ſehr feſt zu ſchlafen ſchien. Der Entſchluß, ihn zu fangen, war ſogleich gefaßt, das Garn herbeigeholt, an ſeinen beiden Stangen aufgerichtet und, ausgeſpannt, über den liegenden Baum mit allen ſeinen noch daran befindlichen Aeſten und Zweigen hinweggedeckt, obgleich nicht Alles hierbei ganz geräuſchlos abging. Da wir nun, als dem Vogel jeder Ausweg ver- ſchloſſen war, zu lärmen anfingen, um ihn von ſeinem Sitze gegen das Netz zu treiben, weil wir ihn ſo leichter mit den Händen zu erhaſchen hoſſen durften, bemerkten wir, daß er jetzt zwar aufgewacht war, uns aber durch Scheinſchlaf zu täuſchen ſuchte, weshalb ich denn unter das Netz in den über- deckten Raum hineinkriechen mußte, worauf er erſt von ſeinem Sitze gegen das Netz flog, als ich ſchon die Hand nach ihm ausſtreckte.‟ Es ſcheint, daß alle Ziegenmelker nur einmal im Jahre brüten. Dieſe Zeit iſt ſelbſtverſtändlich verſchieden nach der Heimatsgegend, welche dieſe oder jene Art bewohnt; ſie fällt aber regelmäßig in den Frühling der betreffenden Länder. Das Männchen bewirbt ſich ſehr eifrig um die Liebe ſeiner Gattin und bietet alle Künſte des Fluges auf, um ihr zu gefallen. Auch das Schnurren oder laute Rufen iſt nichts Anderes als Liebeswerbung, der Geſang des verliebten Männchens. Nachdem ſich die Paare gefunden und jedes einzelne das Wohngebiet erkoren, legt das Weibchen an einer möglichſt geſchützten Stelle, am liebſten unter Büſchen, deren Zweige bis tief auf den Boden herabreichen, ſonſt aber auch auf einem bemoosten Baumſtrunk, in einem Grasbuſche und an ähnlichen Oertlichkeiten ſeine zwei Eier auf den Boden ab, regelmäßig da, wo man ſie nicht ſucht. Ein Neſt wird niemals gebaut, ja die Niſtſtelle nicht einmal von den auf ihr liegenden Stoffen gereinigt. Wahrſcheinlich brüten beide Geſchlechter abwechſelnd und zeigen große Liebe zur Brut. Bei herannahender Gefahr gebraucht der brütende Ziegenmelker die gewöhnliche Liſt ſchwacher Vögel: er flattert, als ob er gelähmt wäre, über dem Boden dahin, bietet ſich dem Feinde zur Zielſcheibe, lockt ihn weiter und weiter vom Neſte ab und erhebt ſich dann plötzlich, um raſchen Fluges davon und bezüglich zurückzueilen. Nähert man ſich des Nachts dem Neſte, ſo iſt das Weibchen äußerſt ängſtlich, und ſchreit, um das Männchen herbeizurufen. Aber es trifft auch noch andere Vorſichtsmaßregeln, um die einmal aufgeſpürte Beute der Gewalt des Feindes zu entrücken. Audubon hat, wie ſchon bemerkt, von einer Art beobachtet, daß die Eltern ihre Eier und ſelbſt ihre kleinen Jungen, wenn das Neſt entdeckt wurde, einer andern Stelle des Waldes zu tragen; es iſt aber gar nicht unmöglich, daß alle übrigen Ziegenmelker ganz in ähn- licher Weiſe verfahren. „Jch habe‟, erzählt der ausgezeichnete Forſcher, „es mir viel Zeit koſten laſſen, um mich zu überzeugen, wie der Ziegenmelker dabei verfährt, um Eier und Junge wegzuſchaffen, zumal nachdem ich, Dank der Hilfe eines ausgezeichneten Hundes, gefunden hatte, daß der Vogel die zarten Pfänder ſeiner Liebe niemals weit wegträgt. Die Neger, welche die Sitten der Thiere gut zu beob- achten pflegen, verſicherten mich, daß der Nachtſchatten die Eier oder Jungen mit dem Schnabel längs des Bodens fortſchöbe oder ſtoße. Bauern, mit denen ich mich über den Gegenſtand unterhielt, glaubten, daß die Eltern ihre Brut wohl unter die Flügel nehmen und ſo fortſchaffen möchten. Mir erſchien die Angabe der Neger glaubwürdiger, als die der Bauern, und ich machte es mir zur Aufgabe, das Wahre zu erforſchen. Das Ergebniß iſt folgendes: Wenn der Nachtſchatten, gleichviel ob das Männchen oder das Weibchen eines Paares entdeckt hat, daß ſeine Eier berührt worden ſind, ſträubt es ſein Gefieder und zeigt eine oder zwei Minuten lang die größte Niedergeſchlagenheit. Dann ſtößt es ein leiſes, murmelndes Geſchrei aus, auf welches der Gatte des Paares herbeigeflogen kommt, und ſo niedrig über den Grund dahinſtreicht, daß ich glauben mochte, ſeine kurzen Füße müßten denſelben berühren. Nach einigen leiſen Tönen und Geberden, welche Zeichen der größten Bedrängniß auszu- drücken ſchienen, nahm es ein Ei in ſein weites Maul, der andere Vogel that daſſelbe, und dann ſtrichen beide langſam und vorfichtig über den Boden dahin und verſchwanden zwiſchen den Zweigen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/712>, abgerufen am 22.11.2024.