sogenannten "Zweischaller" wird. Der wahre Liebhaber achtet diesen wenig; er verlangt, das Werk des einen oder des anderen Meisters in seiner ganzen Reinheit zu hören.
Erdgewürm mancherlei Art und Kerbthierlarven, die des Schattenkäfers, der Ameisen z. B. oder kleine glatthäutige Räupchen und dergleichen, im Herbste auch verschiedene Beeren bilden die Nahrung der Nachtigallen. Sie lesen diese vom Boden auf und sind deshalb gleich bei der Hand, wenn irgend- wo die Erde aufgewühlt wird. Nach fliegenden Kerfen sieht man sie selten jagen. Jeder Fund wird durch ein ausdrucksvolles Aufschnellen des Schwanzes begrüßt.
Die Nachtigallen erscheinen bei uns in der letzten Hälfte des April, je nach der Witterung etwas früher oder später, ungefähr um die Zeit, in welcher der Weißdorn zu grünen beginnt. Sie reisen des Nachts und einzeln; die Männchen ziehen den Weibchen voraus. Zuweilen sieht man am frühen Morgen eine aus hoher Luft sich herniederstürzen, einem Gebüsche sich zuwendend, in welchem sie dann während des Tages verweilt; gewöhnlich aber bekunden sie sich zuerst durch ihren Schlag. Eine jede sucht denselben Waldestheil, denselben Garten, dasselbe Gebüsch, in welchem sie vergangene Sommer verlebte, wieder auf; das jüngere Männchen strebt, sich in der Nähe der Stelle anzusiedeln, wo seine Wiege stand. Sofort nach glücklicher Ankunft in der Heimat beginnt das Schlagen; in den ersten Nächten nach der Rückkehr tönt es ununterbrochen, wohl, um der geliebten Gattin, welche oben dahinzieht, im nächtlichen Dunkel zum Zeichen zu dienen oder in der Absicht, ein noch freies Herz sich zu gewinnen. Das Pärchen einigt sich, jedoch nicht ohne Kampf und Sorge; denn jedes unbeweibte Männchen versucht einem anderen seine Gattin oder Braut abwendig zu machen. Es gibt oft heftigen Streit zwischen zwei Nebenbuhlern, bis endlich eine Ehe bündig geschlossen ist. Wüthend verfolgen sich die Gegner, mit "schirkendem" Gezwitscher jagen sie sich durch das Gebüsch, bis zu den Wipfeln der Bäume hinauf und bis zum Boden wieder herunter, ingrimmig fallen sie über einander her, bis der Kampf entschieden und Einer Herr des Platzes und wahrscheinlich auch -- des Weibchens geblieben oder geworden ist. Die Nachtstunden, der frühe Morgen und der späte Abend werden jetzt von dem Männchen dem Gesange und von dem Weibchen dem Zuhören der Liebeslieder gewidmet; die Zwischen- zeit füllt die Sorge um das liebe Brod aus. Zu ihr gesellt sich bald eine zweite, die um die Wiege der Kinder. Das Nest wird nunmehr eifrig in Angriff genommen und rasch vollendet.
Es ist kein Kunstbau, um den es sich handelt. Ein großer Haufen dürres Laub, namentlich Eichenlaub bildet die Grundlage, trockne Halmen und Stengel, Schilf und Rohrblätter die Mulde, welche mit feinen Würzelchen oder Hälmchen und Rispen, auch wohl mit Pferdehaaren und Pflanzen- wolle ausgekleidet wird. Ausnahmsweise verwendet die Nachtigall zum Unterbau starke Reiser, zu den Wandungen Stroh. Das Nest des Sprossers unterscheidet sich, nach Bäßler, von dem der Nachtigall durch dickere Wandungen und reichlichere Ausfütterung von Thierhaaren. Das eine, wie das andere Nest steht regelmäßig auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, zwischen den jungen Schößlingen eines gefällten Baumes oder an der Seite eines Baumstrunks, im Gestrüpp, in einem Grasbusche. Ausnahmen hiervon sind auch beobachtet worden: eine Nachtigall baute, wie Naumann erzählt, in einen Haufen dürres Laub, welcher im Jnnern eines Gartenhäuschens lag, eine andere, nach Dubois auf das Nest eines Zaunkönigs, welches etwa fünf Fuß über dem Boden auf einem Tannenaste stand. -- Die vier bis sechs Eier, welche das Weibchen legt, sind zart- und glattschalig, mattglänzend und grünlich braungrau von Farbe.
Sobald das Gelege vollzählig ist und das Brüten beginnt, ändert das Männchen sein Betragen. Die Brut beansprucht auch seine Thätigkeit; es muß die Gattin wenigstens auf einige Stunden, gegen Mittag, im Brüten ablösen und findet schon um deshalb weniger Zeit zum Singen -- vielleicht, gelangweilt durch das Stillsitzen, auch weniger Lust. Noch schlägt es, der Gattin und sich selbst zur Freude, aber fast nur am Tage, kaum mehr des Nachts. Das Nest bewacht es sorgsam, die Gattin hält es zu eifrigem Brüten an: ein Sprosser, dessen Weibchen Bäßler vom Neste jagte, unterbrach sofort seinen Gesang, stürzte sich nach der Gattin hin und führte sie "mit Zornesrufen und Schnabel- bissen zur Pflicht der Häuslichkeit zurück". Nahenden Feinden gegenüber zeigen sich die um die Brut
Nachtigall und Sproſſer.
ſogenannten „Zweiſchaller‟ wird. Der wahre Liebhaber achtet dieſen wenig; er verlangt, das Werk des einen oder des anderen Meiſters in ſeiner ganzen Reinheit zu hören.
Erdgewürm mancherlei Art und Kerbthierlarven, die des Schattenkäfers, der Ameiſen z. B. oder kleine glatthäutige Räupchen und dergleichen, im Herbſte auch verſchiedene Beeren bilden die Nahrung der Nachtigallen. Sie leſen dieſe vom Boden auf und ſind deshalb gleich bei der Hand, wenn irgend- wo die Erde aufgewühlt wird. Nach fliegenden Kerfen ſieht man ſie ſelten jagen. Jeder Fund wird durch ein ausdrucksvolles Aufſchnellen des Schwanzes begrüßt.
Die Nachtigallen erſcheinen bei uns in der letzten Hälfte des April, je nach der Witterung etwas früher oder ſpäter, ungefähr um die Zeit, in welcher der Weißdorn zu grünen beginnt. Sie reiſen des Nachts und einzeln; die Männchen ziehen den Weibchen voraus. Zuweilen ſieht man am frühen Morgen eine aus hoher Luft ſich herniederſtürzen, einem Gebüſche ſich zuwendend, in welchem ſie dann während des Tages verweilt; gewöhnlich aber bekunden ſie ſich zuerſt durch ihren Schlag. Eine jede ſucht denſelben Waldestheil, denſelben Garten, daſſelbe Gebüſch, in welchem ſie vergangene Sommer verlebte, wieder auf; das jüngere Männchen ſtrebt, ſich in der Nähe der Stelle anzuſiedeln, wo ſeine Wiege ſtand. Sofort nach glücklicher Ankunft in der Heimat beginnt das Schlagen; in den erſten Nächten nach der Rückkehr tönt es ununterbrochen, wohl, um der geliebten Gattin, welche oben dahinzieht, im nächtlichen Dunkel zum Zeichen zu dienen oder in der Abſicht, ein noch freies Herz ſich zu gewinnen. Das Pärchen einigt ſich, jedoch nicht ohne Kampf und Sorge; denn jedes unbeweibte Männchen verſucht einem anderen ſeine Gattin oder Braut abwendig zu machen. Es gibt oft heftigen Streit zwiſchen zwei Nebenbuhlern, bis endlich eine Ehe bündig geſchloſſen iſt. Wüthend verfolgen ſich die Gegner, mit „ſchirkendem‟ Gezwitſcher jagen ſie ſich durch das Gebüſch, bis zu den Wipfeln der Bäume hinauf und bis zum Boden wieder herunter, ingrimmig fallen ſie über einander her, bis der Kampf entſchieden und Einer Herr des Platzes und wahrſcheinlich auch — des Weibchens geblieben oder geworden iſt. Die Nachtſtunden, der frühe Morgen und der ſpäte Abend werden jetzt von dem Männchen dem Geſange und von dem Weibchen dem Zuhören der Liebeslieder gewidmet; die Zwiſchen- zeit füllt die Sorge um das liebe Brod aus. Zu ihr geſellt ſich bald eine zweite, die um die Wiege der Kinder. Das Neſt wird nunmehr eifrig in Angriff genommen und raſch vollendet.
Es iſt kein Kunſtbau, um den es ſich handelt. Ein großer Haufen dürres Laub, namentlich Eichenlaub bildet die Grundlage, trockne Halmen und Stengel, Schilf und Rohrblätter die Mulde, welche mit feinen Würzelchen oder Hälmchen und Rispen, auch wohl mit Pferdehaaren und Pflanzen- wolle ausgekleidet wird. Ausnahmsweiſe verwendet die Nachtigall zum Unterbau ſtarke Reiſer, zu den Wandungen Stroh. Das Neſt des Sproſſers unterſcheidet ſich, nach Bäßler, von dem der Nachtigall durch dickere Wandungen und reichlichere Ausfütterung von Thierhaaren. Das eine, wie das andere Neſt ſteht regelmäßig auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, zwiſchen den jungen Schößlingen eines gefällten Baumes oder an der Seite eines Baumſtrunks, im Geſtrüpp, in einem Grasbuſche. Ausnahmen hiervon ſind auch beobachtet worden: eine Nachtigall baute, wie Naumann erzählt, in einen Haufen dürres Laub, welcher im Jnnern eines Gartenhäuschens lag, eine andere, nach Dubois auf das Neſt eines Zaunkönigs, welches etwa fünf Fuß über dem Boden auf einem Tannenaſte ſtand. — Die vier bis ſechs Eier, welche das Weibchen legt, ſind zart- und glattſchalig, mattglänzend und grünlich braungrau von Farbe.
Sobald das Gelege vollzählig iſt und das Brüten beginnt, ändert das Männchen ſein Betragen. Die Brut beanſprucht auch ſeine Thätigkeit; es muß die Gattin wenigſtens auf einige Stunden, gegen Mittag, im Brüten ablöſen und findet ſchon um deshalb weniger Zeit zum Singen — vielleicht, gelangweilt durch das Stillſitzen, auch weniger Luſt. Noch ſchlägt es, der Gattin und ſich ſelbſt zur Freude, aber faſt nur am Tage, kaum mehr des Nachts. Das Neſt bewacht es ſorgſam, die Gattin hält es zu eifrigem Brüten an: ein Sproſſer, deſſen Weibchen Bäßler vom Neſte jagte, unterbrach ſofort ſeinen Geſang, ſtürzte ſich nach der Gattin hin und führte ſie „mit Zornesrufen und Schnabel- biſſen zur Pflicht der Häuslichkeit zurück‟. Nahenden Feinden gegenüber zeigen ſich die um die Brut
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[761/0805]
Nachtigall und Sproſſer.
ſogenannten „Zweiſchaller‟ wird. Der wahre Liebhaber achtet dieſen wenig; er verlangt, das Werk
des einen oder des anderen Meiſters in ſeiner ganzen Reinheit zu hören.
Erdgewürm mancherlei Art und Kerbthierlarven, die des Schattenkäfers, der Ameiſen z. B. oder
kleine glatthäutige Räupchen und dergleichen, im Herbſte auch verſchiedene Beeren bilden die Nahrung
der Nachtigallen. Sie leſen dieſe vom Boden auf und ſind deshalb gleich bei der Hand, wenn irgend-
wo die Erde aufgewühlt wird. Nach fliegenden Kerfen ſieht man ſie ſelten jagen. Jeder Fund wird
durch ein ausdrucksvolles Aufſchnellen des Schwanzes begrüßt.
Die Nachtigallen erſcheinen bei uns in der letzten Hälfte des April, je nach der Witterung etwas
früher oder ſpäter, ungefähr um die Zeit, in welcher der Weißdorn zu grünen beginnt. Sie reiſen
des Nachts und einzeln; die Männchen ziehen den Weibchen voraus. Zuweilen ſieht man am frühen
Morgen eine aus hoher Luft ſich herniederſtürzen, einem Gebüſche ſich zuwendend, in welchem ſie
dann während des Tages verweilt; gewöhnlich aber bekunden ſie ſich zuerſt durch ihren Schlag. Eine
jede ſucht denſelben Waldestheil, denſelben Garten, daſſelbe Gebüſch, in welchem ſie vergangene
Sommer verlebte, wieder auf; das jüngere Männchen ſtrebt, ſich in der Nähe der Stelle anzuſiedeln,
wo ſeine Wiege ſtand. Sofort nach glücklicher Ankunft in der Heimat beginnt das Schlagen; in
den erſten Nächten nach der Rückkehr tönt es ununterbrochen, wohl, um der geliebten Gattin, welche
oben dahinzieht, im nächtlichen Dunkel zum Zeichen zu dienen oder in der Abſicht, ein noch freies Herz
ſich zu gewinnen. Das Pärchen einigt ſich, jedoch nicht ohne Kampf und Sorge; denn jedes unbeweibte
Männchen verſucht einem anderen ſeine Gattin oder Braut abwendig zu machen. Es gibt oft heftigen
Streit zwiſchen zwei Nebenbuhlern, bis endlich eine Ehe bündig geſchloſſen iſt. Wüthend verfolgen
ſich die Gegner, mit „ſchirkendem‟ Gezwitſcher jagen ſie ſich durch das Gebüſch, bis zu den Wipfeln der
Bäume hinauf und bis zum Boden wieder herunter, ingrimmig fallen ſie über einander her, bis der
Kampf entſchieden und Einer Herr des Platzes und wahrſcheinlich auch — des Weibchens geblieben
oder geworden iſt. Die Nachtſtunden, der frühe Morgen und der ſpäte Abend werden jetzt von dem
Männchen dem Geſange und von dem Weibchen dem Zuhören der Liebeslieder gewidmet; die Zwiſchen-
zeit füllt die Sorge um das liebe Brod aus. Zu ihr geſellt ſich bald eine zweite, die um die Wiege
der Kinder. Das Neſt wird nunmehr eifrig in Angriff genommen und raſch vollendet.
Es iſt kein Kunſtbau, um den es ſich handelt. Ein großer Haufen dürres Laub, namentlich
Eichenlaub bildet die Grundlage, trockne Halmen und Stengel, Schilf und Rohrblätter die Mulde,
welche mit feinen Würzelchen oder Hälmchen und Rispen, auch wohl mit Pferdehaaren und Pflanzen-
wolle ausgekleidet wird. Ausnahmsweiſe verwendet die Nachtigall zum Unterbau ſtarke Reiſer, zu
den Wandungen Stroh. Das Neſt des Sproſſers unterſcheidet ſich, nach Bäßler, von dem der
Nachtigall durch dickere Wandungen und reichlichere Ausfütterung von Thierhaaren. Das eine, wie
das andere Neſt ſteht regelmäßig auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, zwiſchen den jungen
Schößlingen eines gefällten Baumes oder an der Seite eines Baumſtrunks, im Geſtrüpp, in einem
Grasbuſche. Ausnahmen hiervon ſind auch beobachtet worden: eine Nachtigall baute, wie Naumann
erzählt, in einen Haufen dürres Laub, welcher im Jnnern eines Gartenhäuschens lag, eine andere,
nach Dubois auf das Neſt eines Zaunkönigs, welches etwa fünf Fuß über dem Boden auf einem
Tannenaſte ſtand. — Die vier bis ſechs Eier, welche das Weibchen legt, ſind zart- und glattſchalig,
mattglänzend und grünlich braungrau von Farbe.
Sobald das Gelege vollzählig iſt und das Brüten beginnt, ändert das Männchen ſein Betragen.
Die Brut beanſprucht auch ſeine Thätigkeit; es muß die Gattin wenigſtens auf einige Stunden, gegen
Mittag, im Brüten ablöſen und findet ſchon um deshalb weniger Zeit zum Singen — vielleicht,
gelangweilt durch das Stillſitzen, auch weniger Luſt. Noch ſchlägt es, der Gattin und ſich ſelbſt zur
Freude, aber faſt nur am Tage, kaum mehr des Nachts. Das Neſt bewacht es ſorgſam, die Gattin
hält es zu eifrigem Brüten an: ein Sproſſer, deſſen Weibchen Bäßler vom Neſte jagte, unterbrach
ſofort ſeinen Geſang, ſtürzte ſich nach der Gattin hin und führte ſie „mit Zornesrufen und Schnabel-
biſſen zur Pflicht der Häuslichkeit zurück‟. Nahenden Feinden gegenüber zeigen ſich die um die Brut
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 761. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/805>, abgerufen am 22.11.2024.
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