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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Hausrothschwanz.
und weiß sehr wohl, seine Feinde zu würdigen, ja, er ist sogar mißtrauisch seinen Freunden gegenüber.
Dem Menschen, bei welchem er sich zu Gaste bittet, traut er nie vollkommen, hält sich vielmehr stets
in einer bescheidenen Entfernung von ihm, wo möglich auf der Firste des Hausdaches auf. Hier
freilich fühlt er sich ganz sicher und nimmt scheinbar keinen Antheil an dem Getreibe unter ihm;
selbst das Gewühl der volkreichsten Städte scheint ihn nicht im geringsten zu behelligen. Nach Art
seiner Familie ist auch er ein wenig geselliger Vogel. Er liebt es, mit seinem Gatten allein ein
gewisses Gebiet zu bewohnen und duldet in ihm kein anderes Pärchen der gleichen Art, neckt und
zankt sich auch regelmäßig mit andern Vögeln herum, welche sich in seinem Bereiche niederlassen
wollen. Seine Lockstimme ist angenehm, sein Gesang aber nicht viel werth und durch ein sonderbares
Schnarren ausgezeichnet. Erstere klingt wie "Fid tek tek" und wird bei Augst oder Gefahr unzählige
Male schnell wiederholt; letzterer besteht aus zwei oder drei Strophen theils pfeifender, theils krei-
schender und krächzender Töne, welche jedes Wohlklanges baar sind. Aber auch der Hausrothschwanz
besitzt die Gabe, anderer Vögel Lieder nachzuahmen. Jäckel hat gehört, daß er den Gesang des Laub-,
Garten- und Schilfsängers, der Grasmücke, der Finkmeise, den Lockton der Haubenmeise, des Gold-
ammers, des Zeisigs, ja selbst das Geschwätz der Staaren täuschend nachahmte; mein Vater hat ähnliche
Beobachtungen gemacht. Doch läßt unser Vogel, auch wenn er stiehlt, zwischen den erborgten
Klängen immer seine krächzenden Laute vernehmen und hat deshalb als Sänger sehr wenig
Freunde.

Der Rothschwanz nährt sich fast ausschließlich von Kerbthieren, vorzugsweise aber von Fliegen.
Zum Boden herab kommt er selten; er hält sich hier auch nur ausnahmsweise längere Zeit auf und
wühlt nie nach Art der Erdsänger im Boden. Wenn die Beeren reifen, sieht man ihn auf Augen-
blicke in der Tiefe; sonst betreibt er in der Höhe seine Jagd; doch kann das Gebirgsleben auch hierin
Aenderungen seines Treibens bewirken: Gloger hat im Riesengebirge Rothschwänze beobachtet, welche
wie Steinschmätzer lebten.

Die Fortpflanzung fällt in den April. Jm Gebirge nistet der Hausrothschwanz in Felsen-
löchern und Ritzen, in der Ebene legt er sein Nest fast ausschließlich in Gebäuden an, bald in Mauer-
löchern, mit weiterer oder engerer Oeffnung, bald frei auf Balkenköpfen, auf Gesimsen und auf
andern hervorragenden Punkten, welche einigermaßen vor dem Wetter geschützt sind. Zuweilen, aber
sehr selten kommt es vor, daß er sich einer Baumhöhlung bemächtigt; in der Regel jedoch überläßt er
diese seinen Verwandten. Wo im Gebirge Knieholz und Fichten sich begrenzen und einzelne Fels-
massen umgeben oder begrünen, kann er während der Brutzeit zum Waldbewohner werden und
sein Nest sogar auf dem Boden, unter Gestrüpp und Gestein anlegen. Das Nest ist schlecht gebaut,
wenn es in Höhlungen steht: es füllt diese dann einfach aus, zierlicher gearbeitet dagegen, wenn es
frei auf einem Balken errichtet wird. Hier wird allerdings auch ein großer Haufen von Wurzeln,
Pflanzenstengeln und Halmen unordentlich zusammengetragen, die Mulde innen aber sehr weich mit
vielen Haaren und Federn ausgepolstert. Fünf bis sieben niedliche und zartschalige, glänzend hellweiße
Eier bilden das Gelege. Beide Geschlechter brüten, das Männchen freilich nur um die Mittagszeit,
ein paar Stunden lang; beide Eltern füttern die Brut groß, und beide nehmen überhaupt gleichen
Antheil an ihrem Geschick. Bei Gefahr beweisen sie einen wahrhaft erhabenen Muth und suchen
durch allerlei Mittel die Aufmerksamkeit des Feindes von ihren geliebten Kindern abzuwenden. Die
Jungen sind sehr bald befähigt, sich selbst zu erhalten, und sobald die Eltern glauben, daß jene hin-
länglich geschickt im Gewerbe sind, schreiten sie zur zweiten und selbst zur dritten Brut. Mitunter
kommt es vor, daß einzelne Hausrothschwänze gerade während der Brutzeit merkwürdige Freund-
schaften eingehen. "Jn meinem Holzstalle", erzählt Päßler, "legte das Rothschwänzchen in ein
Schwalbennest. Als die Erbauer desselben von ihrer Winterreise zurückkamen und ihr Nest besetzt
fanden, bauten sie ein anderes dicht neben dem alten. Während die Rauchschwalben noch mit dem
Baue beschäftigt waren, fing das Rothschwänzchen an zu brüten und wurde von den emsigen Schwal-
ben oft mit dem Schwanze bedeckt und über das Gesicht gestrichen; es ließ sich nicht stören. Später

Hausrothſchwanz.
und weiß ſehr wohl, ſeine Feinde zu würdigen, ja, er iſt ſogar mißtrauiſch ſeinen Freunden gegenüber.
Dem Menſchen, bei welchem er ſich zu Gaſte bittet, traut er nie vollkommen, hält ſich vielmehr ſtets
in einer beſcheidenen Entfernung von ihm, wo möglich auf der Firſte des Hausdaches auf. Hier
freilich fühlt er ſich ganz ſicher und nimmt ſcheinbar keinen Antheil an dem Getreibe unter ihm;
ſelbſt das Gewühl der volkreichſten Städte ſcheint ihn nicht im geringſten zu behelligen. Nach Art
ſeiner Familie iſt auch er ein wenig geſelliger Vogel. Er liebt es, mit ſeinem Gatten allein ein
gewiſſes Gebiet zu bewohnen und duldet in ihm kein anderes Pärchen der gleichen Art, neckt und
zankt ſich auch regelmäßig mit andern Vögeln herum, welche ſich in ſeinem Bereiche niederlaſſen
wollen. Seine Lockſtimme iſt angenehm, ſein Geſang aber nicht viel werth und durch ein ſonderbares
Schnarren ausgezeichnet. Erſtere klingt wie „Fid tek tek‟ und wird bei Augſt oder Gefahr unzählige
Male ſchnell wiederholt; letzterer beſteht aus zwei oder drei Strophen theils pfeifender, theils krei-
ſchender und krächzender Töne, welche jedes Wohlklanges baar ſind. Aber auch der Hausrothſchwanz
beſitzt die Gabe, anderer Vögel Lieder nachzuahmen. Jäckel hat gehört, daß er den Geſang des Laub-,
Garten- und Schilfſängers, der Grasmücke, der Finkmeiſe, den Lockton der Haubenmeiſe, des Gold-
ammers, des Zeiſigs, ja ſelbſt das Geſchwätz der Staaren täuſchend nachahmte; mein Vater hat ähnliche
Beobachtungen gemacht. Doch läßt unſer Vogel, auch wenn er ſtiehlt, zwiſchen den erborgten
Klängen immer ſeine krächzenden Laute vernehmen und hat deshalb als Sänger ſehr wenig
Freunde.

Der Rothſchwanz nährt ſich faſt ausſchließlich von Kerbthieren, vorzugsweiſe aber von Fliegen.
Zum Boden herab kommt er ſelten; er hält ſich hier auch nur ausnahmsweiſe längere Zeit auf und
wühlt nie nach Art der Erdſänger im Boden. Wenn die Beeren reifen, ſieht man ihn auf Augen-
blicke in der Tiefe; ſonſt betreibt er in der Höhe ſeine Jagd; doch kann das Gebirgsleben auch hierin
Aenderungen ſeines Treibens bewirken: Gloger hat im Rieſengebirge Rothſchwänze beobachtet, welche
wie Steinſchmätzer lebten.

Die Fortpflanzung fällt in den April. Jm Gebirge niſtet der Hausrothſchwanz in Felſen-
löchern und Ritzen, in der Ebene legt er ſein Neſt faſt ausſchließlich in Gebäuden an, bald in Mauer-
löchern, mit weiterer oder engerer Oeffnung, bald frei auf Balkenköpfen, auf Geſimſen und auf
andern hervorragenden Punkten, welche einigermaßen vor dem Wetter geſchützt ſind. Zuweilen, aber
ſehr ſelten kommt es vor, daß er ſich einer Baumhöhlung bemächtigt; in der Regel jedoch überläßt er
dieſe ſeinen Verwandten. Wo im Gebirge Knieholz und Fichten ſich begrenzen und einzelne Fels-
maſſen umgeben oder begrünen, kann er während der Brutzeit zum Waldbewohner werden und
ſein Neſt ſogar auf dem Boden, unter Geſtrüpp und Geſtein anlegen. Das Neſt iſt ſchlecht gebaut,
wenn es in Höhlungen ſteht: es füllt dieſe dann einfach aus, zierlicher gearbeitet dagegen, wenn es
frei auf einem Balken errichtet wird. Hier wird allerdings auch ein großer Haufen von Wurzeln,
Pflanzenſtengeln und Halmen unordentlich zuſammengetragen, die Mulde innen aber ſehr weich mit
vielen Haaren und Federn ausgepolſtert. Fünf bis ſieben niedliche und zartſchalige, glänzend hellweiße
Eier bilden das Gelege. Beide Geſchlechter brüten, das Männchen freilich nur um die Mittagszeit,
ein paar Stunden lang; beide Eltern füttern die Brut groß, und beide nehmen überhaupt gleichen
Antheil an ihrem Geſchick. Bei Gefahr beweiſen ſie einen wahrhaft erhabenen Muth und ſuchen
durch allerlei Mittel die Aufmerkſamkeit des Feindes von ihren geliebten Kindern abzuwenden. Die
Jungen ſind ſehr bald befähigt, ſich ſelbſt zu erhalten, und ſobald die Eltern glauben, daß jene hin-
länglich geſchickt im Gewerbe ſind, ſchreiten ſie zur zweiten und ſelbſt zur dritten Brut. Mitunter
kommt es vor, daß einzelne Hausrothſchwänze gerade während der Brutzeit merkwürdige Freund-
ſchaften eingehen. „Jn meinem Holzſtalle‟, erzählt Päßler, „legte das Rothſchwänzchen in ein
Schwalbenneſt. Als die Erbauer deſſelben von ihrer Winterreiſe zurückkamen und ihr Neſt beſetzt
fanden, bauten ſie ein anderes dicht neben dem alten. Während die Rauchſchwalben noch mit dem
Baue beſchäftigt waren, fing das Rothſchwänzchen an zu brüten und wurde von den emſigen Schwal-
ben oft mit dem Schwanze bedeckt und über das Geſicht geſtrichen; es ließ ſich nicht ſtören. Später

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[777/0821] Hausrothſchwanz. und weiß ſehr wohl, ſeine Feinde zu würdigen, ja, er iſt ſogar mißtrauiſch ſeinen Freunden gegenüber. Dem Menſchen, bei welchem er ſich zu Gaſte bittet, traut er nie vollkommen, hält ſich vielmehr ſtets in einer beſcheidenen Entfernung von ihm, wo möglich auf der Firſte des Hausdaches auf. Hier freilich fühlt er ſich ganz ſicher und nimmt ſcheinbar keinen Antheil an dem Getreibe unter ihm; ſelbſt das Gewühl der volkreichſten Städte ſcheint ihn nicht im geringſten zu behelligen. Nach Art ſeiner Familie iſt auch er ein wenig geſelliger Vogel. Er liebt es, mit ſeinem Gatten allein ein gewiſſes Gebiet zu bewohnen und duldet in ihm kein anderes Pärchen der gleichen Art, neckt und zankt ſich auch regelmäßig mit andern Vögeln herum, welche ſich in ſeinem Bereiche niederlaſſen wollen. Seine Lockſtimme iſt angenehm, ſein Geſang aber nicht viel werth und durch ein ſonderbares Schnarren ausgezeichnet. Erſtere klingt wie „Fid tek tek‟ und wird bei Augſt oder Gefahr unzählige Male ſchnell wiederholt; letzterer beſteht aus zwei oder drei Strophen theils pfeifender, theils krei- ſchender und krächzender Töne, welche jedes Wohlklanges baar ſind. Aber auch der Hausrothſchwanz beſitzt die Gabe, anderer Vögel Lieder nachzuahmen. Jäckel hat gehört, daß er den Geſang des Laub-, Garten- und Schilfſängers, der Grasmücke, der Finkmeiſe, den Lockton der Haubenmeiſe, des Gold- ammers, des Zeiſigs, ja ſelbſt das Geſchwätz der Staaren täuſchend nachahmte; mein Vater hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Doch läßt unſer Vogel, auch wenn er ſtiehlt, zwiſchen den erborgten Klängen immer ſeine krächzenden Laute vernehmen und hat deshalb als Sänger ſehr wenig Freunde. Der Rothſchwanz nährt ſich faſt ausſchließlich von Kerbthieren, vorzugsweiſe aber von Fliegen. Zum Boden herab kommt er ſelten; er hält ſich hier auch nur ausnahmsweiſe längere Zeit auf und wühlt nie nach Art der Erdſänger im Boden. Wenn die Beeren reifen, ſieht man ihn auf Augen- blicke in der Tiefe; ſonſt betreibt er in der Höhe ſeine Jagd; doch kann das Gebirgsleben auch hierin Aenderungen ſeines Treibens bewirken: Gloger hat im Rieſengebirge Rothſchwänze beobachtet, welche wie Steinſchmätzer lebten. Die Fortpflanzung fällt in den April. Jm Gebirge niſtet der Hausrothſchwanz in Felſen- löchern und Ritzen, in der Ebene legt er ſein Neſt faſt ausſchließlich in Gebäuden an, bald in Mauer- löchern, mit weiterer oder engerer Oeffnung, bald frei auf Balkenköpfen, auf Geſimſen und auf andern hervorragenden Punkten, welche einigermaßen vor dem Wetter geſchützt ſind. Zuweilen, aber ſehr ſelten kommt es vor, daß er ſich einer Baumhöhlung bemächtigt; in der Regel jedoch überläßt er dieſe ſeinen Verwandten. Wo im Gebirge Knieholz und Fichten ſich begrenzen und einzelne Fels- maſſen umgeben oder begrünen, kann er während der Brutzeit zum Waldbewohner werden und ſein Neſt ſogar auf dem Boden, unter Geſtrüpp und Geſtein anlegen. Das Neſt iſt ſchlecht gebaut, wenn es in Höhlungen ſteht: es füllt dieſe dann einfach aus, zierlicher gearbeitet dagegen, wenn es frei auf einem Balken errichtet wird. Hier wird allerdings auch ein großer Haufen von Wurzeln, Pflanzenſtengeln und Halmen unordentlich zuſammengetragen, die Mulde innen aber ſehr weich mit vielen Haaren und Federn ausgepolſtert. Fünf bis ſieben niedliche und zartſchalige, glänzend hellweiße Eier bilden das Gelege. Beide Geſchlechter brüten, das Männchen freilich nur um die Mittagszeit, ein paar Stunden lang; beide Eltern füttern die Brut groß, und beide nehmen überhaupt gleichen Antheil an ihrem Geſchick. Bei Gefahr beweiſen ſie einen wahrhaft erhabenen Muth und ſuchen durch allerlei Mittel die Aufmerkſamkeit des Feindes von ihren geliebten Kindern abzuwenden. Die Jungen ſind ſehr bald befähigt, ſich ſelbſt zu erhalten, und ſobald die Eltern glauben, daß jene hin- länglich geſchickt im Gewerbe ſind, ſchreiten ſie zur zweiten und ſelbſt zur dritten Brut. Mitunter kommt es vor, daß einzelne Hausrothſchwänze gerade während der Brutzeit merkwürdige Freund- ſchaften eingehen. „Jn meinem Holzſtalle‟, erzählt Päßler, „legte das Rothſchwänzchen in ein Schwalbenneſt. Als die Erbauer deſſelben von ihrer Winterreiſe zurückkamen und ihr Neſt beſetzt fanden, bauten ſie ein anderes dicht neben dem alten. Während die Rauchſchwalben noch mit dem Baue beſchäftigt waren, fing das Rothſchwänzchen an zu brüten und wurde von den emſigen Schwal- ben oft mit dem Schwanze bedeckt und über das Geſicht geſtrichen; es ließ ſich nicht ſtören. Später

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/821>, abgerufen am 22.11.2024.