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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
Gesang nach der Oertlichkeit verschieden, im allgemeinen aber ausgezeichnet schön, wohllautend, reich-
haltig. Er scheint eine Zusammensetzung des Liedes der Garten- und der Dorngrasmücke zu sein
und ähnelt namentlich dem Gesange der erstgenannten Art sehr. Der Pfiff des Pirols, der Schlag
des Finken, der sogenannte Ueberschlag des Mönchs und andere, den umwohnenden Singvögeln abge-
borgte Töne werden sehr häufig dem Liede eingewoben. Nur das Schnarren oder Trommeln, welches
der Sperbergrasmücke eigenthümlich ist und dem Gesang vorauszugehen pflegt, fällt unangenehm in
das Ohr. Wie die meisten Grasmücken ist auch unsere Art ein sehr fleißiger Sänger und deshalb ein
wahrer Schatz für den Wald, wie für das Zimmer.

Sofort nach der Ankunft im Frühjahre wählt sich jedes Pärchen ein Gebiet und vertreibt aus
ihm alle Sperbergrasmücken, welche etwa eindringen. "Das Männchen ruht", wie Naumann
sagt, "wenn ein anderes in seinen Bezirk kommt, nicht eher, bis es dasselbe mit grimmigen Bissen
daraus vertrieben hat, und beide raufen sich oft tüchtig. Während das Weibchen das niedere Gebüsch

[Abbildung] Die Sperbergrasmücke (Curruca nisoria).
durchkriecht, am Neste baut oder auf demselben sitzt, treibt sich das Mäunchen über ihm in den höheren
Bäumen unruhig umher, singt, schreit und achtet darauf, daß kein Nebenbuhler kommt. Erscheint
einer, so wird er sogleich angefallen und so lange verfolgt, bis er die Flucht ergreift."

Das Nest steht im Dickicht oder in großen, natürlichen Dornhecken, meist ziemlich gut versteckt, in
einer Höhe von zwei bis vier Fuß über dem Boden. Es unterscheidet sich in der Bauart nicht von
dem allgemeinen Gepräge. Ende Mais findet man in ihm vier bis sechs längliche, zartschalige, wenig
glänzende Eier, welche gewöhnlich auf grauweißem Grunde mit hellaschgrauen und blaßolivenbraunen
Flecken gezeichnet sind. Die Eltern zeigen, während des Nestbaues sowohl, als während die Brut im
Neste liegt, das größte Mißtrauen und versuchen regelmäßig, sich zu entfernen, wenn sie ein Geschöpf
bemerken, welches sie fürchten. Das Weibchen gebraucht im Nothfall die bekannte List, sich lahm und
krank zu stellen. Nähert man sich einem Neste, bevor es vollendet ist, so verlassen es die Alten
gewöhnlich sofort und erbauen dann ein neues; sie verlassen selbst die bereits angebrüteten Eier, wenn

Die Fänger. Singvögel. Grasmücken.
Geſang nach der Oertlichkeit verſchieden, im allgemeinen aber ausgezeichnet ſchön, wohllautend, reich-
haltig. Er ſcheint eine Zuſammenſetzung des Liedes der Garten- und der Dorngrasmücke zu ſein
und ähnelt namentlich dem Geſange der erſtgenannten Art ſehr. Der Pfiff des Pirols, der Schlag
des Finken, der ſogenannte Ueberſchlag des Mönchs und andere, den umwohnenden Singvögeln abge-
borgte Töne werden ſehr häufig dem Liede eingewoben. Nur das Schnarren oder Trommeln, welches
der Sperbergrasmücke eigenthümlich iſt und dem Geſang vorauszugehen pflegt, fällt unangenehm in
das Ohr. Wie die meiſten Grasmücken iſt auch unſere Art ein ſehr fleißiger Sänger und deshalb ein
wahrer Schatz für den Wald, wie für das Zimmer.

Sofort nach der Ankunft im Frühjahre wählt ſich jedes Pärchen ein Gebiet und vertreibt aus
ihm alle Sperbergrasmücken, welche etwa eindringen. „Das Männchen ruht‟, wie Naumann
ſagt, „wenn ein anderes in ſeinen Bezirk kommt, nicht eher, bis es daſſelbe mit grimmigen Biſſen
daraus vertrieben hat, und beide raufen ſich oft tüchtig. Während das Weibchen das niedere Gebüſch

[Abbildung] Die Sperbergrasmücke (Curruca nisoria).
durchkriecht, am Neſte baut oder auf demſelben ſitzt, treibt ſich das Mäunchen über ihm in den höheren
Bäumen unruhig umher, ſingt, ſchreit und achtet darauf, daß kein Nebenbuhler kommt. Erſcheint
einer, ſo wird er ſogleich angefallen und ſo lange verfolgt, bis er die Flucht ergreift.‟

Das Neſt ſteht im Dickicht oder in großen, natürlichen Dornhecken, meiſt ziemlich gut verſteckt, in
einer Höhe von zwei bis vier Fuß über dem Boden. Es unterſcheidet ſich in der Bauart nicht von
dem allgemeinen Gepräge. Ende Mais findet man in ihm vier bis ſechs längliche, zartſchalige, wenig
glänzende Eier, welche gewöhnlich auf grauweißem Grunde mit hellaſchgrauen und blaßolivenbraunen
Flecken gezeichnet ſind. Die Eltern zeigen, während des Neſtbaues ſowohl, als während die Brut im
Neſte liegt, das größte Mißtrauen und verſuchen regelmäßig, ſich zu entfernen, wenn ſie ein Geſchöpf
bemerken, welches ſie fürchten. Das Weibchen gebraucht im Nothfall die bekannte Liſt, ſich lahm und
krank zu ſtellen. Nähert man ſich einem Neſte, bevor es vollendet iſt, ſo verlaſſen es die Alten
gewöhnlich ſofort und erbauen dann ein neues; ſie verlaſſen ſelbſt die bereits angebrüteten Eier, wenn

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[838/0886] Die Fänger. Singvögel. Grasmücken. Geſang nach der Oertlichkeit verſchieden, im allgemeinen aber ausgezeichnet ſchön, wohllautend, reich- haltig. Er ſcheint eine Zuſammenſetzung des Liedes der Garten- und der Dorngrasmücke zu ſein und ähnelt namentlich dem Geſange der erſtgenannten Art ſehr. Der Pfiff des Pirols, der Schlag des Finken, der ſogenannte Ueberſchlag des Mönchs und andere, den umwohnenden Singvögeln abge- borgte Töne werden ſehr häufig dem Liede eingewoben. Nur das Schnarren oder Trommeln, welches der Sperbergrasmücke eigenthümlich iſt und dem Geſang vorauszugehen pflegt, fällt unangenehm in das Ohr. Wie die meiſten Grasmücken iſt auch unſere Art ein ſehr fleißiger Sänger und deshalb ein wahrer Schatz für den Wald, wie für das Zimmer. Sofort nach der Ankunft im Frühjahre wählt ſich jedes Pärchen ein Gebiet und vertreibt aus ihm alle Sperbergrasmücken, welche etwa eindringen. „Das Männchen ruht‟, wie Naumann ſagt, „wenn ein anderes in ſeinen Bezirk kommt, nicht eher, bis es daſſelbe mit grimmigen Biſſen daraus vertrieben hat, und beide raufen ſich oft tüchtig. Während das Weibchen das niedere Gebüſch [Abbildung Die Sperbergrasmücke (Curruca nisoria).] durchkriecht, am Neſte baut oder auf demſelben ſitzt, treibt ſich das Mäunchen über ihm in den höheren Bäumen unruhig umher, ſingt, ſchreit und achtet darauf, daß kein Nebenbuhler kommt. Erſcheint einer, ſo wird er ſogleich angefallen und ſo lange verfolgt, bis er die Flucht ergreift.‟ Das Neſt ſteht im Dickicht oder in großen, natürlichen Dornhecken, meiſt ziemlich gut verſteckt, in einer Höhe von zwei bis vier Fuß über dem Boden. Es unterſcheidet ſich in der Bauart nicht von dem allgemeinen Gepräge. Ende Mais findet man in ihm vier bis ſechs längliche, zartſchalige, wenig glänzende Eier, welche gewöhnlich auf grauweißem Grunde mit hellaſchgrauen und blaßolivenbraunen Flecken gezeichnet ſind. Die Eltern zeigen, während des Neſtbaues ſowohl, als während die Brut im Neſte liegt, das größte Mißtrauen und verſuchen regelmäßig, ſich zu entfernen, wenn ſie ein Geſchöpf bemerken, welches ſie fürchten. Das Weibchen gebraucht im Nothfall die bekannte Liſt, ſich lahm und krank zu ſtellen. Nähert man ſich einem Neſte, bevor es vollendet iſt, ſo verlaſſen es die Alten gewöhnlich ſofort und erbauen dann ein neues; ſie verlaſſen ſelbſt die bereits angebrüteten Eier, wenn

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 838. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/886>, abgerufen am 22.11.2024.