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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Sardischer und provencer Sänger.
einem Schatten vergleichbar; denn man gewahrt blos einen eilig sich bewegenden Gegenstand.
Nach einem Schusse oder einem andern Geräusch erscheint er regelmäßig auf der Spitze eines Busches,
doch nur um sich umzusehen: im nächsten Augenblick ist er verschwunden. Jn seinem Betragen hat
er mich oft an unsere Braunelle erinnert; er ist aber weit gewandter und behender als diese.

Besonders anmuthig erscheint der Sänger der Provence, wenn er seine Familie führt. Auch er
beginnt schon in den ersten Monaten des Jahres mit seinem Brutgeschäft, nistet aber zwei-, sogar drei-
mal im Laufe des Sommers und zieht jedesmal eine Gesellschaft von vier bis fünf Jungen heran.
Sobald diese nur einigermaßen flugfähig sind, verlassen sie das Nest, auf ihre, vom ersten Kindesalter
an bewegungsfähigen Füße sich verlassend. Den kleinen unbehilflichen Jungen wird es schwer,
sich in die Höhe zu schwingen, und sie laufen deshalb ganz wie Mäuse auf dem Boden dahin. Aber
die Alten fürchten, wie es scheint, gerade wegen ihres Aufenthalts da unten in Allem und Jedem
Gefahr und sind deshalb überaus besorgt. Abwechselnd steigt eines um das andere von den beiden
Eltern nach oben empor, und unablässig tönt der Warnungs- und Lockruf des Männchens, dem die
schwere Pflicht obliegt, die Familie zusammenzuhalten. Sind die Jungen etwas weiter, so folgen sie
den Alten auch in die Höhe, und es sieht dann köstlich aus, wenn erst das Männchen und hierauf eins
der Jungen nach dem andern auf den Buschspitzen erscheint und dann beim ersten Warnungsruf die
ganze Gesellschaft mit Eins sich wieder in die Tiefe hinabstürzt. Man gewahrt nur noch eilfertiges
Rennen, Laufen und Huschen, hört ab und zu das warnende "Zerr zerr" und endlich Nichts mehr;
denn bis das Männchen wieder nach oben kommt, scheint Alles verschwunden zu sein.

Der Sänger der Provence wandert nicht; seine Flucht vor dem Winter kann man kaum ein
Streichen nennen. Von den höheren Gebirgswänden zieht er sich mit dem ersten Schneefall in die
Tiefen herab; aber schon bei 3000 Fuß über dem Meere verweilt er -- in Spanien wenigstens --
jahraus, jahrein.



Laubsänger (Phylloscopi) hat man bezeichnend die Mitglieder einer Sängerfamilie genannt,
welche über die ganze Erde verbreitet oder doch in allen Erdtheilen vertreten ist. Mit Ausnahme
der Angehörigen einer Sippe sind alle Laubsänger kleine, schlank und zierlich gebaute Vögel mit ver-
hältnißmäßig langen Flügeln, in denen die dritte, vierte und fünfte Schwinge die längsten sind, mittel-
langem, gerade abgeschnittenen oder ein wenig ausgeschweiften Schwanze, mäßig hohen und dünnen
Füßen und einem schwachen, pfriemenförmigen, an der Wurzel aber abgeplatteten Schnabel, welcher
bei einzelnen auch seiner ganzen Länge nach breiter als hoch ist. Das weiche Gefieder ist sehr über-
einstimmend gefärbt und gezeichnet; man darf es, wenn man es kurz bezeichnen will, blattfarbig
nennen: auf der Oberseite pflegt es blaßgrün oder bräunlich, auf der Unterseite gilblich zu sein.
Alle Arten, welche man kennt, leben vorzugsweise in den Wipfeln der Bäume, kommen von ihrer
Höhe aber auch in die Tiefe herab und halten sich zuweilen tagelang im niederen Gebüsch oder unter
Umständen auch im Getreide der Felder, so namentlich auf Maispflanzen auf. Sie sind rege, lebendig,
behend, hüpfen gewandt durch das Gezweig, wissen sich aber auch auf dem Boden geschickt zu bewegen
und sind, wenn auch nicht ausgezeichnete, so doch recht gute Flieger. Alle ohne Ausnahme singen
angenehm, einige sogar vorzüglich. Jhre geistigen Fähigkeiten sind wohl entwickelt und ihre Sitten
sehr ansprechend.

Allerlei Kerbthiere, welche auf den Blättern leben oder die Bäume umfliegen, werden von den
Laubvögeln aufgelesen, aus Blüthen und Ritzen hervorgezogen und im Fluge weggefangen.
Beerennahrung scheint ihnen weit weniger zu behagen, als den Grasmücken; sie nehmen höchstens dann
und wann mit solcher Koft vorlieb. Bei uns sind sie nur Sommergäste, aber solche, welche ziemlich
früh im Jahre erscheinen und uns erst später wieder verlassen; schon im Süden Europas hingegen,
und ebenso in den warmen oder gemäßigten Ländern Asiens und Afrikas verweilen sie jahraus, jahr-

Sardiſcher und provencer Sänger.
einem Schatten vergleichbar; denn man gewahrt blos einen eilig ſich bewegenden Gegenſtand.
Nach einem Schuſſe oder einem andern Geräuſch erſcheint er regelmäßig auf der Spitze eines Buſches,
doch nur um ſich umzuſehen: im nächſten Augenblick iſt er verſchwunden. Jn ſeinem Betragen hat
er mich oft an unſere Braunelle erinnert; er iſt aber weit gewandter und behender als dieſe.

Beſonders anmuthig erſcheint der Sänger der Provence, wenn er ſeine Familie führt. Auch er
beginnt ſchon in den erſten Monaten des Jahres mit ſeinem Brutgeſchäft, niſtet aber zwei-, ſogar drei-
mal im Laufe des Sommers und zieht jedesmal eine Geſellſchaft von vier bis fünf Jungen heran.
Sobald dieſe nur einigermaßen flugfähig ſind, verlaſſen ſie das Neſt, auf ihre, vom erſten Kindesalter
an bewegungsfähigen Füße ſich verlaſſend. Den kleinen unbehilflichen Jungen wird es ſchwer,
ſich in die Höhe zu ſchwingen, und ſie laufen deshalb ganz wie Mäuſe auf dem Boden dahin. Aber
die Alten fürchten, wie es ſcheint, gerade wegen ihres Aufenthalts da unten in Allem und Jedem
Gefahr und ſind deshalb überaus beſorgt. Abwechſelnd ſteigt eines um das andere von den beiden
Eltern nach oben empor, und unabläſſig tönt der Warnungs- und Lockruf des Männchens, dem die
ſchwere Pflicht obliegt, die Familie zuſammenzuhalten. Sind die Jungen etwas weiter, ſo folgen ſie
den Alten auch in die Höhe, und es ſieht dann köſtlich aus, wenn erſt das Männchen und hierauf eins
der Jungen nach dem andern auf den Buſchſpitzen erſcheint und dann beim erſten Warnungsruf die
ganze Geſellſchaft mit Eins ſich wieder in die Tiefe hinabſtürzt. Man gewahrt nur noch eilfertiges
Rennen, Laufen und Huſchen, hört ab und zu das warnende „Zerr zerr‟ und endlich Nichts mehr;
denn bis das Männchen wieder nach oben kommt, ſcheint Alles verſchwunden zu ſein.

Der Sänger der Provence wandert nicht; ſeine Flucht vor dem Winter kann man kaum ein
Streichen nennen. Von den höheren Gebirgswänden zieht er ſich mit dem erſten Schneefall in die
Tiefen herab; aber ſchon bei 3000 Fuß über dem Meere verweilt er — in Spanien wenigſtens —
jahraus, jahrein.



Laubſänger (Phylloscopi) hat man bezeichnend die Mitglieder einer Sängerfamilie genannt,
welche über die ganze Erde verbreitet oder doch in allen Erdtheilen vertreten iſt. Mit Ausnahme
der Angehörigen einer Sippe ſind alle Laubſänger kleine, ſchlank und zierlich gebaute Vögel mit ver-
hältnißmäßig langen Flügeln, in denen die dritte, vierte und fünfte Schwinge die längſten ſind, mittel-
langem, gerade abgeſchnittenen oder ein wenig ausgeſchweiften Schwanze, mäßig hohen und dünnen
Füßen und einem ſchwachen, pfriemenförmigen, an der Wurzel aber abgeplatteten Schnabel, welcher
bei einzelnen auch ſeiner ganzen Länge nach breiter als hoch iſt. Das weiche Gefieder iſt ſehr über-
einſtimmend gefärbt und gezeichnet; man darf es, wenn man es kurz bezeichnen will, blattfarbig
nennen: auf der Oberſeite pflegt es blaßgrün oder bräunlich, auf der Unterſeite gilblich zu ſein.
Alle Arten, welche man kennt, leben vorzugsweiſe in den Wipfeln der Bäume, kommen von ihrer
Höhe aber auch in die Tiefe herab und halten ſich zuweilen tagelang im niederen Gebüſch oder unter
Umſtänden auch im Getreide der Felder, ſo namentlich auf Maispflanzen auf. Sie ſind rege, lebendig,
behend, hüpfen gewandt durch das Gezweig, wiſſen ſich aber auch auf dem Boden geſchickt zu bewegen
und ſind, wenn auch nicht ausgezeichnete, ſo doch recht gute Flieger. Alle ohne Ausnahme ſingen
angenehm, einige ſogar vorzüglich. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind wohl entwickelt und ihre Sitten
ſehr anſprechend.

Allerlei Kerbthiere, welche auf den Blättern leben oder die Bäume umfliegen, werden von den
Laubvögeln aufgeleſen, aus Blüthen und Ritzen hervorgezogen und im Fluge weggefangen.
Beerennahrung ſcheint ihnen weit weniger zu behagen, als den Grasmücken; ſie nehmen höchſtens dann
und wann mit ſolcher Koft vorlieb. Bei uns ſind ſie nur Sommergäſte, aber ſolche, welche ziemlich
früh im Jahre erſcheinen und uns erſt ſpäter wieder verlaſſen; ſchon im Süden Europas hingegen,
und ebenſo in den warmen oder gemäßigten Ländern Aſiens und Afrikas verweilen ſie jahraus, jahr-

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[857/0905] Sardiſcher und provencer Sänger. einem Schatten vergleichbar; denn man gewahrt blos einen eilig ſich bewegenden Gegenſtand. Nach einem Schuſſe oder einem andern Geräuſch erſcheint er regelmäßig auf der Spitze eines Buſches, doch nur um ſich umzuſehen: im nächſten Augenblick iſt er verſchwunden. Jn ſeinem Betragen hat er mich oft an unſere Braunelle erinnert; er iſt aber weit gewandter und behender als dieſe. Beſonders anmuthig erſcheint der Sänger der Provence, wenn er ſeine Familie führt. Auch er beginnt ſchon in den erſten Monaten des Jahres mit ſeinem Brutgeſchäft, niſtet aber zwei-, ſogar drei- mal im Laufe des Sommers und zieht jedesmal eine Geſellſchaft von vier bis fünf Jungen heran. Sobald dieſe nur einigermaßen flugfähig ſind, verlaſſen ſie das Neſt, auf ihre, vom erſten Kindesalter an bewegungsfähigen Füße ſich verlaſſend. Den kleinen unbehilflichen Jungen wird es ſchwer, ſich in die Höhe zu ſchwingen, und ſie laufen deshalb ganz wie Mäuſe auf dem Boden dahin. Aber die Alten fürchten, wie es ſcheint, gerade wegen ihres Aufenthalts da unten in Allem und Jedem Gefahr und ſind deshalb überaus beſorgt. Abwechſelnd ſteigt eines um das andere von den beiden Eltern nach oben empor, und unabläſſig tönt der Warnungs- und Lockruf des Männchens, dem die ſchwere Pflicht obliegt, die Familie zuſammenzuhalten. Sind die Jungen etwas weiter, ſo folgen ſie den Alten auch in die Höhe, und es ſieht dann köſtlich aus, wenn erſt das Männchen und hierauf eins der Jungen nach dem andern auf den Buſchſpitzen erſcheint und dann beim erſten Warnungsruf die ganze Geſellſchaft mit Eins ſich wieder in die Tiefe hinabſtürzt. Man gewahrt nur noch eilfertiges Rennen, Laufen und Huſchen, hört ab und zu das warnende „Zerr zerr‟ und endlich Nichts mehr; denn bis das Männchen wieder nach oben kommt, ſcheint Alles verſchwunden zu ſein. Der Sänger der Provence wandert nicht; ſeine Flucht vor dem Winter kann man kaum ein Streichen nennen. Von den höheren Gebirgswänden zieht er ſich mit dem erſten Schneefall in die Tiefen herab; aber ſchon bei 3000 Fuß über dem Meere verweilt er — in Spanien wenigſtens — jahraus, jahrein. Laubſänger (Phylloscopi) hat man bezeichnend die Mitglieder einer Sängerfamilie genannt, welche über die ganze Erde verbreitet oder doch in allen Erdtheilen vertreten iſt. Mit Ausnahme der Angehörigen einer Sippe ſind alle Laubſänger kleine, ſchlank und zierlich gebaute Vögel mit ver- hältnißmäßig langen Flügeln, in denen die dritte, vierte und fünfte Schwinge die längſten ſind, mittel- langem, gerade abgeſchnittenen oder ein wenig ausgeſchweiften Schwanze, mäßig hohen und dünnen Füßen und einem ſchwachen, pfriemenförmigen, an der Wurzel aber abgeplatteten Schnabel, welcher bei einzelnen auch ſeiner ganzen Länge nach breiter als hoch iſt. Das weiche Gefieder iſt ſehr über- einſtimmend gefärbt und gezeichnet; man darf es, wenn man es kurz bezeichnen will, blattfarbig nennen: auf der Oberſeite pflegt es blaßgrün oder bräunlich, auf der Unterſeite gilblich zu ſein. Alle Arten, welche man kennt, leben vorzugsweiſe in den Wipfeln der Bäume, kommen von ihrer Höhe aber auch in die Tiefe herab und halten ſich zuweilen tagelang im niederen Gebüſch oder unter Umſtänden auch im Getreide der Felder, ſo namentlich auf Maispflanzen auf. Sie ſind rege, lebendig, behend, hüpfen gewandt durch das Gezweig, wiſſen ſich aber auch auf dem Boden geſchickt zu bewegen und ſind, wenn auch nicht ausgezeichnete, ſo doch recht gute Flieger. Alle ohne Ausnahme ſingen angenehm, einige ſogar vorzüglich. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind wohl entwickelt und ihre Sitten ſehr anſprechend. Allerlei Kerbthiere, welche auf den Blättern leben oder die Bäume umfliegen, werden von den Laubvögeln aufgeleſen, aus Blüthen und Ritzen hervorgezogen und im Fluge weggefangen. Beerennahrung ſcheint ihnen weit weniger zu behagen, als den Grasmücken; ſie nehmen höchſtens dann und wann mit ſolcher Koft vorlieb. Bei uns ſind ſie nur Sommergäſte, aber ſolche, welche ziemlich früh im Jahre erſcheinen und uns erſt ſpäter wieder verlaſſen; ſchon im Süden Europas hingegen, und ebenſo in den warmen oder gemäßigten Ländern Aſiens und Afrikas verweilen ſie jahraus, jahr-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 857. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/905>, abgerufen am 22.11.2024.