Weise Gegenden, in welchen man sonst kaum Klang und Sang vernimmt. Je eifriger er wird, umsomehr ändert er sein Betragen. Wenn er recht im Feuer ist, geberdet er sich so, daß ihn der Ungeübte kaum für einen Rohrsänger halten kann; denn er fliegt jetzt mit langsamen Flügelschlägen sehr häufig von seinem Sitzpunkte aus in schiefer Richtung singend in die Höhe und schwebt, die Schwingen so hoch gehalten, daß die Spitzen sich oben berühren, langsam wieder herab oder stürzt sich, wie ein fallender Stein, gerade von oben hernieder, dabei aber immer aus voller Kehle singend und sich noch außerdem ballartig aufblähend. Bei schönem Wetter wiederholt er dieses sonderbare Spiel sehr häufig, nament- lich um die Mittagszeit. Er scheint dann alle Scheu abgelegt zu haben und sich in einem förmlichen Liebesrausch zu befinden, welcher ihn das Sonst gänzlich vergessen läßt.
Ungefähr dieselben Kerbthiere, welche andern Rohrsängern zur Speise dienen, bilden auch die Nahrung des Schilfsängers. Er liest sie von Stengeln und Blättern ab, erhascht sie, indem er nach ihnen springt oder fängt sie auch fliegend weg. Beeren frißt er ebenfalls.
Das Nest steht regelmäßig im Seggengrase, immer tief im Sumpfe, an Orten, welche schwer zugänglich sind, stets über sumpfigem Boden und Morast, nicht über dem Wasser, höchstens 11/2 Fuß hoch über der Erde, zwischen Halmen und Zweigen der Pflanzen befestigt und an ihnen angehängt. Es besteht aus dürrem Gras, aus Stoppeln, Hälmchen, feinen Wurzeln, grünem Laubmos und dergl. und ist innen mit zarten Hälmchen, Pferdehaaren, Federn u. s. w. gepolstert und ausgelegt. Die Wandungen sind ziemlich dick und die einzelnen Stoffe gut mit einander verbunden. Die vier bis sechs Eier, welche man Anfangs Juni findet, sind an einem Ende stark abgerundet, an dem andern auffallend spitz, ändern aber in der Form merklich ab. Jhre Grundfarbe ist ein schmuziges Weiß, welches mehr oder weniger in das Grüne spielt; die Zeichnung besteht aus matten und undeut- lichen Flecken, Kritzeln und Punkten von braungrauer oder grauer Farbe. Gewöhnlich sind die Eier gleichmäßig gezeichnet, zuweilen aber so, daß sie wie marmorirt aussehen. Beide Alten brüten etwa dreizehn Tage lang und zeigen sich ängstlich besorgt auch um die Eier. Doch lassen sie diese, wenn sie gestört wurden, nicht selten im Stich und schreiten dann zum Bau eines neuen Nestes. Nähert man sich dem brütenden Weibchen mit Vorsicht, so kann man bis unmittelbar zum Neste gelangen, bevor es dieses verläßt. Endlich entschlüpft es, verkriecht sich aber sofort in dem dichten Gestrüpp, ohne sich eigentlich zu entfernen. Das Männchen scheint sich um das Nest mit den Eiern wenig zu bekümmern. Es singt, wie Naumann sagt, "sein Lied und treibt seine Gaukeleien im Fluge ununterbrochen fort, wenn auch dem Neste Gefahr droht oder dieses gar sammt dem Weibchen vor seinen Augen zu Grunde geht". Ganz anders geberdet es sich, wenn die Jungen ausgeschlüpft sind, dann fliegt es ängstlich in einem engen Umkreis von einem Halme zum andern, läßt einzelne Strophen seines Gesanges verneh- men und stößt dazwischen sein laut warnendes "Err" unablässig aus. Auch das Weibchen verliert dann seine Scheu und zeigt sich frei auf Zweigen und Pflanzenstengeln. Die Jungen verlassen das Nest, wenn sie vollkommen flügge sind, gebrauchen aber ihre Schwingen in der ersten Zeit gar nicht, sondern kriechen wie Mäuse durch die dichtesten Wasserpflanzen dahin.
Gefangene Uferschilfsänger gehören zu den Seltenheiten, nicht, weil sie sich schwer halten, sondern weil sie schwer zu erlangen sind. Auch sie geberden sich anfänglich wild und ungestüm, gewöhnen sich übrigens bald an ihre neue Lage und sind nicht so zärtlich und weichlich wie andere Familienverwandte. Ein Freund meines Vaters besaß einen solchen Gefangenen jahrelang und liebte ihn wegen seiner Munterkeit, Gewandtheit, wegen seiner schlanken Haltung und seines lieblichen Gesanges.
Einer der ausgezeichnetsten und anziehendsten aller Rohrsänger ist der Heuschrecken- oder Grillensänger, der Grashüpfer oder Schwirl (Locustella certhiola oder Locustella Rayii), der Vertreter einer eigenen Sippe, welche sich durch folgende Merkmale kennzeichnet. Der Leib ist schlank und viel höher als breit, der Schnabel an der Wurzel breit, gegen die Spitze hin pfriemenförmig, der
Die Fänger. Singvögel. Schilffänger.
Weiſe Gegenden, in welchen man ſonſt kaum Klang und Sang vernimmt. Je eifriger er wird, umſomehr ändert er ſein Betragen. Wenn er recht im Feuer iſt, geberdet er ſich ſo, daß ihn der Ungeübte kaum für einen Rohrſänger halten kann; denn er fliegt jetzt mit langſamen Flügelſchlägen ſehr häufig von ſeinem Sitzpunkte aus in ſchiefer Richtung ſingend in die Höhe und ſchwebt, die Schwingen ſo hoch gehalten, daß die Spitzen ſich oben berühren, langſam wieder herab oder ſtürzt ſich, wie ein fallender Stein, gerade von oben hernieder, dabei aber immer aus voller Kehle ſingend und ſich noch außerdem ballartig aufblähend. Bei ſchönem Wetter wiederholt er dieſes ſonderbare Spiel ſehr häufig, nament- lich um die Mittagszeit. Er ſcheint dann alle Scheu abgelegt zu haben und ſich in einem förmlichen Liebesrauſch zu befinden, welcher ihn das Sonſt gänzlich vergeſſen läßt.
Ungefähr dieſelben Kerbthiere, welche andern Rohrſängern zur Speiſe dienen, bilden auch die Nahrung des Schilfſängers. Er lieſt ſie von Stengeln und Blättern ab, erhaſcht ſie, indem er nach ihnen ſpringt oder fängt ſie auch fliegend weg. Beeren frißt er ebenfalls.
Das Neſt ſteht regelmäßig im Seggengraſe, immer tief im Sumpfe, an Orten, welche ſchwer zugänglich ſind, ſtets über ſumpfigem Boden und Moraſt, nicht über dem Waſſer, höchſtens 1½ Fuß hoch über der Erde, zwiſchen Halmen und Zweigen der Pflanzen befeſtigt und an ihnen angehängt. Es beſteht aus dürrem Gras, aus Stoppeln, Hälmchen, feinen Wurzeln, grünem Laubmos und dergl. und iſt innen mit zarten Hälmchen, Pferdehaaren, Federn u. ſ. w. gepolſtert und ausgelegt. Die Wandungen ſind ziemlich dick und die einzelnen Stoffe gut mit einander verbunden. Die vier bis ſechs Eier, welche man Anfangs Juni findet, ſind an einem Ende ſtark abgerundet, an dem andern auffallend ſpitz, ändern aber in der Form merklich ab. Jhre Grundfarbe iſt ein ſchmuziges Weiß, welches mehr oder weniger in das Grüne ſpielt; die Zeichnung beſteht aus matten und undeut- lichen Flecken, Kritzeln und Punkten von braungrauer oder grauer Farbe. Gewöhnlich ſind die Eier gleichmäßig gezeichnet, zuweilen aber ſo, daß ſie wie marmorirt ausſehen. Beide Alten brüten etwa dreizehn Tage lang und zeigen ſich ängſtlich beſorgt auch um die Eier. Doch laſſen ſie dieſe, wenn ſie geſtört wurden, nicht ſelten im Stich und ſchreiten dann zum Bau eines neuen Neſtes. Nähert man ſich dem brütenden Weibchen mit Vorſicht, ſo kann man bis unmittelbar zum Neſte gelangen, bevor es dieſes verläßt. Endlich entſchlüpft es, verkriecht ſich aber ſofort in dem dichten Geſtrüpp, ohne ſich eigentlich zu entfernen. Das Männchen ſcheint ſich um das Neſt mit den Eiern wenig zu bekümmern. Es ſingt, wie Naumann ſagt, „ſein Lied und treibt ſeine Gaukeleien im Fluge ununterbrochen fort, wenn auch dem Neſte Gefahr droht oder dieſes gar ſammt dem Weibchen vor ſeinen Augen zu Grunde geht‟. Ganz anders geberdet es ſich, wenn die Jungen ausgeſchlüpft ſind, dann fliegt es ängſtlich in einem engen Umkreis von einem Halme zum andern, läßt einzelne Strophen ſeines Geſanges verneh- men und ſtößt dazwiſchen ſein laut warnendes „Err‟ unabläſſig aus. Auch das Weibchen verliert dann ſeine Scheu und zeigt ſich frei auf Zweigen und Pflanzenſtengeln. Die Jungen verlaſſen das Neſt, wenn ſie vollkommen flügge ſind, gebrauchen aber ihre Schwingen in der erſten Zeit gar nicht, ſondern kriechen wie Mäuſe durch die dichteſten Waſſerpflanzen dahin.
Gefangene Uferſchilfſänger gehören zu den Seltenheiten, nicht, weil ſie ſich ſchwer halten, ſondern weil ſie ſchwer zu erlangen ſind. Auch ſie geberden ſich anfänglich wild und ungeſtüm, gewöhnen ſich übrigens bald an ihre neue Lage und ſind nicht ſo zärtlich und weichlich wie andere Familienverwandte. Ein Freund meines Vaters beſaß einen ſolchen Gefangenen jahrelang und liebte ihn wegen ſeiner Munterkeit, Gewandtheit, wegen ſeiner ſchlanken Haltung und ſeines lieblichen Geſanges.
Einer der ausgezeichnetſten und anziehendſten aller Rohrſänger iſt der Heuſchrecken- oder Grillenſänger, der Grashüpfer oder Schwirl (Locustella certhiola oder Locustella Rayii), der Vertreter einer eigenen Sippe, welche ſich durch folgende Merkmale kennzeichnet. Der Leib iſt ſchlank und viel höher als breit, der Schnabel an der Wurzel breit, gegen die Spitze hin pfriemenförmig, der
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Die Fänger. Singvögel. Schilffänger.
Weiſe Gegenden, in welchen man ſonſt kaum Klang und Sang vernimmt. Je eifriger er wird, umſomehr
ändert er ſein Betragen. Wenn er recht im Feuer iſt, geberdet er ſich ſo, daß ihn der Ungeübte kaum
für einen Rohrſänger halten kann; denn er fliegt jetzt mit langſamen Flügelſchlägen ſehr häufig von
ſeinem Sitzpunkte aus in ſchiefer Richtung ſingend in die Höhe und ſchwebt, die Schwingen ſo hoch
gehalten, daß die Spitzen ſich oben berühren, langſam wieder herab oder ſtürzt ſich, wie ein fallender
Stein, gerade von oben hernieder, dabei aber immer aus voller Kehle ſingend und ſich noch außerdem
ballartig aufblähend. Bei ſchönem Wetter wiederholt er dieſes ſonderbare Spiel ſehr häufig, nament-
lich um die Mittagszeit. Er ſcheint dann alle Scheu abgelegt zu haben und ſich in einem förmlichen
Liebesrauſch zu befinden, welcher ihn das Sonſt gänzlich vergeſſen läßt.
Ungefähr dieſelben Kerbthiere, welche andern Rohrſängern zur Speiſe dienen, bilden auch die
Nahrung des Schilfſängers. Er lieſt ſie von Stengeln und Blättern ab, erhaſcht ſie, indem er nach
ihnen ſpringt oder fängt ſie auch fliegend weg. Beeren frißt er ebenfalls.
Das Neſt ſteht regelmäßig im Seggengraſe, immer tief im Sumpfe, an Orten, welche ſchwer
zugänglich ſind, ſtets über ſumpfigem Boden und Moraſt, nicht über dem Waſſer, höchſtens 1½ Fuß
hoch über der Erde, zwiſchen Halmen und Zweigen der Pflanzen befeſtigt und an ihnen angehängt.
Es beſteht aus dürrem Gras, aus Stoppeln, Hälmchen, feinen Wurzeln, grünem Laubmos und dergl.
und iſt innen mit zarten Hälmchen, Pferdehaaren, Federn u. ſ. w. gepolſtert und ausgelegt. Die
Wandungen ſind ziemlich dick und die einzelnen Stoffe gut mit einander verbunden. Die vier bis
ſechs Eier, welche man Anfangs Juni findet, ſind an einem Ende ſtark abgerundet, an dem andern
auffallend ſpitz, ändern aber in der Form merklich ab. Jhre Grundfarbe iſt ein ſchmuziges Weiß,
welches mehr oder weniger in das Grüne ſpielt; die Zeichnung beſteht aus matten und undeut-
lichen Flecken, Kritzeln und Punkten von braungrauer oder grauer Farbe. Gewöhnlich ſind die Eier
gleichmäßig gezeichnet, zuweilen aber ſo, daß ſie wie marmorirt ausſehen. Beide Alten brüten etwa
dreizehn Tage lang und zeigen ſich ängſtlich beſorgt auch um die Eier. Doch laſſen ſie dieſe, wenn ſie
geſtört wurden, nicht ſelten im Stich und ſchreiten dann zum Bau eines neuen Neſtes. Nähert man
ſich dem brütenden Weibchen mit Vorſicht, ſo kann man bis unmittelbar zum Neſte gelangen, bevor
es dieſes verläßt. Endlich entſchlüpft es, verkriecht ſich aber ſofort in dem dichten Geſtrüpp, ohne ſich
eigentlich zu entfernen. Das Männchen ſcheint ſich um das Neſt mit den Eiern wenig zu bekümmern.
Es ſingt, wie Naumann ſagt, „ſein Lied und treibt ſeine Gaukeleien im Fluge ununterbrochen fort,
wenn auch dem Neſte Gefahr droht oder dieſes gar ſammt dem Weibchen vor ſeinen Augen zu Grunde
geht‟. Ganz anders geberdet es ſich, wenn die Jungen ausgeſchlüpft ſind, dann fliegt es ängſtlich in
einem engen Umkreis von einem Halme zum andern, läßt einzelne Strophen ſeines Geſanges verneh-
men und ſtößt dazwiſchen ſein laut warnendes „Err‟ unabläſſig aus. Auch das Weibchen verliert
dann ſeine Scheu und zeigt ſich frei auf Zweigen und Pflanzenſtengeln. Die Jungen verlaſſen das
Neſt, wenn ſie vollkommen flügge ſind, gebrauchen aber ihre Schwingen in der erſten Zeit gar nicht,
ſondern kriechen wie Mäuſe durch die dichteſten Waſſerpflanzen dahin.
Gefangene Uferſchilfſänger gehören zu den Seltenheiten, nicht, weil ſie ſich ſchwer halten, ſondern
weil ſie ſchwer zu erlangen ſind. Auch ſie geberden ſich anfänglich wild und ungeſtüm, gewöhnen ſich
übrigens bald an ihre neue Lage und ſind nicht ſo zärtlich und weichlich wie andere Familienverwandte.
Ein Freund meines Vaters beſaß einen ſolchen Gefangenen jahrelang und liebte ihn wegen ſeiner
Munterkeit, Gewandtheit, wegen ſeiner ſchlanken Haltung und ſeines lieblichen Geſanges.
Einer der ausgezeichnetſten und anziehendſten aller Rohrſänger iſt der Heuſchrecken- oder
Grillenſänger, der Grashüpfer oder Schwirl (Locustella certhiola oder Locustella Rayii), der
Vertreter einer eigenen Sippe, welche ſich durch folgende Merkmale kennzeichnet. Der Leib iſt ſchlank
und viel höher als breit, der Schnabel an der Wurzel breit, gegen die Spitze hin pfriemenförmig, der
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 872. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/920>, abgerufen am 22.11.2024.
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