Wolle und Haare die innere Auskleidung. Unter allen Umständen wählt das Schwanzmeisenpaar Mose und Flechten von demselben Baume, auf welchem es sein Nest gründet, und immer ordnet es diese Stoffe ähnlich an, wie sie auf der Baumrinde selbst sitzen. Hierdurch erhält das Nest eine Gleichmäßigkeit mit der Umgebung, welche bewunderungswürdig ist und es selbstverständlich auch dem geübten Auge verbirgt. Da es schwer hält, die nöthigen Stoffe herbeizuschaffen, nimmt das Paar, welches gezwungen wurde, ein zweites Nest zu errichten, zuweilen gleich die bereits zusammen- getragenen Stoffe wieder auf und verwebt sie von Neuem. Der Bau selbst währt zwei, oft auch drei Wochen, obgleich beide Gatten sehr eifrig beschäftigt sind, das Männchen wenigstens als Handlanger.
Mitte oder Ende April ist das erste Gelege vollzählig. Es ist sehr zahlreich; denn die Schwanzmeise legt neun bis zwölf, zuweilen auch funfzehn Eier. Diese sind sehr klein, äußerst zart- schalig und auf weißem Grunde mehr oder weniger mit blaßrostrothen Pünktchen gezeichnet. Manche Weibchen legen nur weiße Eier. Nach dreizehn Tagen sind sie gezeitigt, und nunmehr beginnen Tage ununterbrochener Arbeit; denn es will Etwas besagen, die zahlreiche Kinderschar groß zu füttern. Während des Brütens erhält das Weibchen ein eigenthümliches Aussehen. Der lange Schwanz stört das in dem engen Raume sitzende Vögelchen ganz ungemein, und es ist überhaupt nur dann im Stande, zu brüten, wenn es den Schwanz seitlich herumbiegt. Dies geschieht; die Federn nehmen die Krüm- mung an und behalten sie während der ganzen Brutzeit bei. Aber nicht blos die Mutter, sondern auch die Jungen haben ihre Noth, in dem engen Neste Platz zu finden. So lange sie klein sind, geht es wohl; aber sie wachsen heran, und wenn auch eins auf dem andern hockt -- der Raum ist für die Masse denn doch viel zu eng. Es arbeitet also jedes einzelne der Kinderchen, um sich Platz zu schaffen, und so geschieht es, daß das filzige Gewebe der Nestwand weit ausgedehnt wird, ja stellenweise zerreißt. Bekommt das Nest Bodenlöcher, so sieht es recht sonderbar aus; denn wenn die Jungen größer werden, stecken sie fast sämmtlich die unbequemen Schwänze unten durch. Später benutzen sie dieselbe Oeffnung auch anderweitig, und die Mutter hat dann weniger für Reinlichkeit zu sorgen.
Jn der Gefangenschaft sind die Schwanzmeisen allerliebst. Sie verlangen allerdings eine sehr sorgfältige Behandlung, und demungeachtet erliegen anfangs viele von ihnen. Haben sie aber die ersten Tage einmal überstanden und sich an das Stubenfutter gewöhnt, so halten sie sich jahre- lang, und dann gewähren sie dem Liebhaber viel Freude. "Unter allen Meisen", sagt Graf Gourcy, "wird die Schwanzmeise am zahmsten und ist deshalb, wie durch ihr Betragen überhaupt, die ange- nehmste von allen. Jch halte immer zwei von ihnen, ein Männchen und ein Weibchen, in ein und demselben Käfige, weil sie wegen der ihnen angeborenen Geselligkeit paarweise eher am Leben bleiben und durch ihr gegenseitiges, liebreiches Betragen noch mehr Freude gewähren, als eine einzelne. Sie schlafen immer fest aneinander gedrückt, gewöhnlich so, daß die eine die andere mit dem Flügel zur Hälfte bedeckt. Dann sehen sie wie ein Federball aus, und dieser nimmt sich besonders drollig aus, wenn die Schwänze auf entgegengesetzter Seite hinausragen. Oft überschlägt sich die eine unter der Sitzstange und äzt die andere, welche oben drauf sitzt. Wenn sie mit einander spielen, lassen sie einen zarten, wie "zick zick" klingenden Lockton hören. Bei bevorstehendem Regenwetter stoßen sie einen ziemlich unangenehmen, aber schwer zu beschreibenden Laut aus. Jhr gewöhnlicher Ruf "Zi zi zi" ist so stark und durchdringend, daß er im Zimmer oft lästig wird. Das Männchen läßt seinen leisen, unbedeutenden, jedoch gar nicht unangenehmen Gesang fleißig hören. Jch besitze ein Pärchen seit sechs Jahren."
Auch die Haubenmeise ist zum Vertreter einer eigenen Sippe (Lophophanes) erhoben worden, weil ihr Schnabel noch ziemlich schlank und ihr Kopfgefieder zu einer spitzen, aufrecht stehenden Haube verlängert ist. Verwandte Arten leben in Jndien und Amerika.
Brehm, Thierleben. III. 59
Schwanzmeiſe.
Wolle und Haare die innere Auskleidung. Unter allen Umſtänden wählt das Schwanzmeiſenpaar Moſe und Flechten von demſelben Baume, auf welchem es ſein Neſt gründet, und immer ordnet es dieſe Stoffe ähnlich an, wie ſie auf der Baumrinde ſelbſt ſitzen. Hierdurch erhält das Neſt eine Gleichmäßigkeit mit der Umgebung, welche bewunderungswürdig iſt und es ſelbſtverſtändlich auch dem geübten Auge verbirgt. Da es ſchwer hält, die nöthigen Stoffe herbeizuſchaffen, nimmt das Paar, welches gezwungen wurde, ein zweites Neſt zu errichten, zuweilen gleich die bereits zuſammen- getragenen Stoffe wieder auf und verwebt ſie von Neuem. Der Bau ſelbſt währt zwei, oft auch drei Wochen, obgleich beide Gatten ſehr eifrig beſchäftigt ſind, das Männchen wenigſtens als Handlanger.
Mitte oder Ende April iſt das erſte Gelege vollzählig. Es iſt ſehr zahlreich; denn die Schwanzmeiſe legt neun bis zwölf, zuweilen auch funfzehn Eier. Dieſe ſind ſehr klein, äußerſt zart- ſchalig und auf weißem Grunde mehr oder weniger mit blaßroſtrothen Pünktchen gezeichnet. Manche Weibchen legen nur weiße Eier. Nach dreizehn Tagen ſind ſie gezeitigt, und nunmehr beginnen Tage ununterbrochener Arbeit; denn es will Etwas beſagen, die zahlreiche Kinderſchar groß zu füttern. Während des Brütens erhält das Weibchen ein eigenthümliches Ausſehen. Der lange Schwanz ſtört das in dem engen Raume ſitzende Vögelchen ganz ungemein, und es iſt überhaupt nur dann im Stande, zu brüten, wenn es den Schwanz ſeitlich herumbiegt. Dies geſchieht; die Federn nehmen die Krüm- mung an und behalten ſie während der ganzen Brutzeit bei. Aber nicht blos die Mutter, ſondern auch die Jungen haben ihre Noth, in dem engen Neſte Platz zu finden. So lange ſie klein ſind, geht es wohl; aber ſie wachſen heran, und wenn auch eins auf dem andern hockt — der Raum iſt für die Maſſe denn doch viel zu eng. Es arbeitet alſo jedes einzelne der Kinderchen, um ſich Platz zu ſchaffen, und ſo geſchieht es, daß das filzige Gewebe der Neſtwand weit ausgedehnt wird, ja ſtellenweiſe zerreißt. Bekommt das Neſt Bodenlöcher, ſo ſieht es recht ſonderbar aus; denn wenn die Jungen größer werden, ſtecken ſie faſt ſämmtlich die unbequemen Schwänze unten durch. Später benutzen ſie dieſelbe Oeffnung auch anderweitig, und die Mutter hat dann weniger für Reinlichkeit zu ſorgen.
Jn der Gefangenſchaft ſind die Schwanzmeiſen allerliebſt. Sie verlangen allerdings eine ſehr ſorgfältige Behandlung, und demungeachtet erliegen anfangs viele von ihnen. Haben ſie aber die erſten Tage einmal überſtanden und ſich an das Stubenfutter gewöhnt, ſo halten ſie ſich jahre- lang, und dann gewähren ſie dem Liebhaber viel Freude. „Unter allen Meiſen‟, ſagt Graf Gourcy, „wird die Schwanzmeiſe am zahmſten und iſt deshalb, wie durch ihr Betragen überhaupt, die ange- nehmſte von allen. Jch halte immer zwei von ihnen, ein Männchen und ein Weibchen, in ein und demſelben Käfige, weil ſie wegen der ihnen angeborenen Geſelligkeit paarweiſe eher am Leben bleiben und durch ihr gegenſeitiges, liebreiches Betragen noch mehr Freude gewähren, als eine einzelne. Sie ſchlafen immer feſt aneinander gedrückt, gewöhnlich ſo, daß die eine die andere mit dem Flügel zur Hälfte bedeckt. Dann ſehen ſie wie ein Federball aus, und dieſer nimmt ſich beſonders drollig aus, wenn die Schwänze auf entgegengeſetzter Seite hinausragen. Oft überſchlägt ſich die eine unter der Sitzſtange und äzt die andere, welche oben drauf ſitzt. Wenn ſie mit einander ſpielen, laſſen ſie einen zarten, wie „zick zick‟ klingenden Lockton hören. Bei bevorſtehendem Regenwetter ſtoßen ſie einen ziemlich unangenehmen, aber ſchwer zu beſchreibenden Laut aus. Jhr gewöhnlicher Ruf „Zi zi zi‟ iſt ſo ſtark und durchdringend, daß er im Zimmer oft läſtig wird. Das Männchen läßt ſeinen leiſen, unbedeutenden, jedoch gar nicht unangenehmen Geſang fleißig hören. Jch beſitze ein Pärchen ſeit ſechs Jahren.‟
Auch die Haubenmeiſe iſt zum Vertreter einer eigenen Sippe (Lophophanes) erhoben worden, weil ihr Schnabel noch ziemlich ſchlank und ihr Kopfgefieder zu einer ſpitzen, aufrecht ſtehenden Haube verlängert iſt. Verwandte Arten leben in Jndien und Amerika.
Brehm, Thierleben. III. 59
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Schwanzmeiſe.
Wolle und Haare die innere Auskleidung. Unter allen Umſtänden wählt das Schwanzmeiſenpaar
Moſe und Flechten von demſelben Baume, auf welchem es ſein Neſt gründet, und immer
ordnet es dieſe Stoffe ähnlich an, wie ſie auf der Baumrinde ſelbſt ſitzen. Hierdurch erhält das Neſt
eine Gleichmäßigkeit mit der Umgebung, welche bewunderungswürdig iſt und es ſelbſtverſtändlich auch
dem geübten Auge verbirgt. Da es ſchwer hält, die nöthigen Stoffe herbeizuſchaffen, nimmt das
Paar, welches gezwungen wurde, ein zweites Neſt zu errichten, zuweilen gleich die bereits zuſammen-
getragenen Stoffe wieder auf und verwebt ſie von Neuem. Der Bau ſelbſt währt zwei, oft auch
drei Wochen, obgleich beide Gatten ſehr eifrig beſchäftigt ſind, das Männchen wenigſtens als
Handlanger.
Mitte oder Ende April iſt das erſte Gelege vollzählig. Es iſt ſehr zahlreich; denn die
Schwanzmeiſe legt neun bis zwölf, zuweilen auch funfzehn Eier. Dieſe ſind ſehr klein, äußerſt zart-
ſchalig und auf weißem Grunde mehr oder weniger mit blaßroſtrothen Pünktchen gezeichnet. Manche
Weibchen legen nur weiße Eier. Nach dreizehn Tagen ſind ſie gezeitigt, und nunmehr beginnen Tage
ununterbrochener Arbeit; denn es will Etwas beſagen, die zahlreiche Kinderſchar groß zu füttern.
Während des Brütens erhält das Weibchen ein eigenthümliches Ausſehen. Der lange Schwanz ſtört
das in dem engen Raume ſitzende Vögelchen ganz ungemein, und es iſt überhaupt nur dann im Stande,
zu brüten, wenn es den Schwanz ſeitlich herumbiegt. Dies geſchieht; die Federn nehmen die Krüm-
mung an und behalten ſie während der ganzen Brutzeit bei. Aber nicht blos die Mutter, ſondern
auch die Jungen haben ihre Noth, in dem engen Neſte Platz zu finden. So lange ſie klein ſind, geht
es wohl; aber ſie wachſen heran, und wenn auch eins auf dem andern hockt — der Raum iſt
für die Maſſe denn doch viel zu eng. Es arbeitet alſo jedes einzelne der Kinderchen, um ſich Platz zu
ſchaffen, und ſo geſchieht es, daß das filzige Gewebe der Neſtwand weit ausgedehnt wird, ja ſtellenweiſe
zerreißt. Bekommt das Neſt Bodenlöcher, ſo ſieht es recht ſonderbar aus; denn wenn die Jungen
größer werden, ſtecken ſie faſt ſämmtlich die unbequemen Schwänze unten durch. Später benutzen
ſie dieſelbe Oeffnung auch anderweitig, und die Mutter hat dann weniger für Reinlichkeit zu ſorgen.
Jn der Gefangenſchaft ſind die Schwanzmeiſen allerliebſt. Sie verlangen allerdings eine ſehr
ſorgfältige Behandlung, und demungeachtet erliegen anfangs viele von ihnen. Haben ſie aber die
erſten Tage einmal überſtanden und ſich an das Stubenfutter gewöhnt, ſo halten ſie ſich jahre-
lang, und dann gewähren ſie dem Liebhaber viel Freude. „Unter allen Meiſen‟, ſagt Graf Gourcy,
„wird die Schwanzmeiſe am zahmſten und iſt deshalb, wie durch ihr Betragen überhaupt, die ange-
nehmſte von allen. Jch halte immer zwei von ihnen, ein Männchen und ein Weibchen, in ein und
demſelben Käfige, weil ſie wegen der ihnen angeborenen Geſelligkeit paarweiſe eher am Leben bleiben
und durch ihr gegenſeitiges, liebreiches Betragen noch mehr Freude gewähren, als eine einzelne. Sie
ſchlafen immer feſt aneinander gedrückt, gewöhnlich ſo, daß die eine die andere mit dem Flügel zur
Hälfte bedeckt. Dann ſehen ſie wie ein Federball aus, und dieſer nimmt ſich beſonders drollig aus,
wenn die Schwänze auf entgegengeſetzter Seite hinausragen. Oft überſchlägt ſich die eine unter der
Sitzſtange und äzt die andere, welche oben drauf ſitzt. Wenn ſie mit einander ſpielen, laſſen ſie
einen zarten, wie „zick zick‟ klingenden Lockton hören. Bei bevorſtehendem Regenwetter ſtoßen ſie
einen ziemlich unangenehmen, aber ſchwer zu beſchreibenden Laut aus. Jhr gewöhnlicher Ruf „Zi
zi zi‟ iſt ſo ſtark und durchdringend, daß er im Zimmer oft läſtig wird. Das Männchen läßt ſeinen
leiſen, unbedeutenden, jedoch gar nicht unangenehmen Geſang fleißig hören. Jch beſitze ein Pärchen
ſeit ſechs Jahren.‟
Auch die Haubenmeiſe iſt zum Vertreter einer eigenen Sippe (Lophophanes) erhoben worden,
weil ihr Schnabel noch ziemlich ſchlank und ihr Kopfgefieder zu einer ſpitzen, aufrecht ſtehenden Haube
verlängert iſt. Verwandte Arten leben in Jndien und Amerika.
Brehm, Thierleben. III. 59
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 929. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/979>, abgerufen am 22.11.2024.
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