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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Charaktervögel. Aufenthalt. Gewerbe.
inmitten der Wüste, auf Sandflächen, welche unserer Meinung nach kaum ein Geschöpf ernähren
können, finden sie noch ihr tägliches Brot. Doch ist die größere Menge ebenso an Pflanzen gebunden
wie die Säugethiere, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar. Erst im Walde entfaltet unsere
Klasse ihren vollen Reichthum und ihre Manchfaltigkeit. Das reiche Meer ernährt Millionen von
Einzelwesen derselben Art, und die Brutzeit versammelt sie auf einzelnen Felsenwänden, Jnseln,
Schären; wie zahlreich aber auch die Gesellschaft sein möge: auf dem Lande und selbst im Walde
gibt es Schwärme von ähnlicher Stärke, und während dort die Einförmigkeit vorherrscht, bekundet
sich hier nebenbei die größte Manchfaltigkeit. Je mehr man sich dem Gleicher nähert, um so arten-
reicher zeigt sich die Klasse der Vögel, weil in den Wendekreisländern das Land selbst wechselvoller ist
als irgendwo anders und mit dieser Vielseitigkeit der Erde eine Vermehrung verschiedener Lebens-
bedingungen im Einklange stehen muß. Dem entspricht, daß es nicht die großen Waldungen sind,
welche die größte Manchfaltigkeit zeigen, sondern vielmehr Gegenden, in welchen Wald und Steppe,
Berg und Thal, trockenes Land und Sumpf und Wasser mit einander abwechseln. Ein durch Wälder
fließender Strom, ein von Bäumen umgebener Sumpf, ein überschwemmter Waldestheil versammelt
stets mehr Vogelarten, als man sie sonst zusammen sieht, weil da, wo die Erzeugnisse des Wassers
und des Landes sich vereinigen, nothwendigerweise auch ein größerer Reichthum an Nahrungsmitteln
vorhanden sein wird als da, wo das eine oder das andere Gebiet vorherrscht. Die größere oder
geringere Leichtigkeit, sich zu ernähren, bindet die Vögel wie alle übrigen Geschöpfe an eine gewisse
Stelle; Mangel an Nahrung zwingt sie, zeitweilig oder für immer Gegenden zu verlassen.

Die Vögel verstehen es meisterhaft, ein bestimmtes Gebiet auszubeuten. Sie durchspähen jeden
Schlupfwinkel, jede Ritze, jedes Versteck der Thiere und lesen alles Genießbare auf. Wenn man die
Art und Weise der Ernährung in Betracht zieht, kann man auch bei ihnen von Beruf oder Handwerk
reden. Einzelne, wie viele Körnerfresser und die Tauben, lesen offen zu Tage liegende Nahrungs-
mittel einfach auf; andere Körnerfresser ziehen Sämereien aus Hülsen heraus, die Hühner legen sie,
Wurzeln, Knollen und ähnliche Stoffe durch Scharren blos. Die Fruchtfresser pflücken Beeren oder
Früchte mit dem Schnabel ab, einzelne von ihnen, indem sie sich im Fluge fliegend auf die erspähte
Nahrung stürzen. Die Kerbthierfresser lesen ihre Beute in allen Lebenszuständen derselben vom
Boden ab, nehmen sie von Zweigen und Blättern weg, ziehen sie aus Blüthen, Spalten und Ritzen
hervor, legen sie oft erst nach längerer und harter Arbeit blos oder verfolgen sie mit der Zunge bis
in das Jnnerste ihrer Schlupfwinkel. Die Raben betreiben alle diese Gewerbe gemeinschaftlich,
pfuschen aber auch schon den echten Räubern ins Handwerk. Unter diesen beutet jeder Einzelne seinen
Nahrungszweig selbständig aus. Es gibt unter ihnen Bettler oder Schmarotzer, Gassenkehrer und
Abfallsammler, solche, welche nur Aas, andere, welche hauptsächlich Knochen fressen, viele, welche Aas
nicht verschmähen, nebenbei jedoch auch schon auf lebende Thiere jagen; es gibt unter ihnen einzelne,
welche hauptsächlich größeren Kerfen nachstreben und höchstens ein kleines Wirbelthier anfallen, andere,
deren Jagd blos diesen gilt; es gibt Raubvögel, welche nur auf sitzendes oder laufendes, andere,
welche blos auf fliegendes Wild stoßen, einzelne, welche die verschiedenartigsten Gewerbe betreiben.
Unter den Sumpf- und Wasservögeln ist es ähnlich. Viele von ihnen lesen Das auf, was sich offen
findet, andere durchsuchen Versteckplätze der Thiere; einige fressen pflanzliche und thierische Stoffe,
andere letztere ausschließlich; diese seihen sich aus flüssigem Schlamme ihre Nahrung ab; jene holen sie
tauchend aus bedeutenden Tiefen empor; die einen suchen ihre Beute unter dem Wasser; die anderen
stürzen sich auf bereits erspähte von oben herab. Es gibt keine Gegend, kein einziges Plätzchen auf
der ganzen Erde, welches von ihnen nicht ausgebeutet würde. Ein jeder versucht seine Ausrüstung
in der besten Weise zu verwerthen, jeder sich schlecht und recht durch das Leben zu schlagen. Die
Ausrüstung, also die Gestaltung und Bewaffnung des Vogels ist es, welche das Gewerbe oder den
Beruf bestimmt.



Charaktervögel. Aufenthalt. Gewerbe.
inmitten der Wüſte, auf Sandflächen, welche unſerer Meinung nach kaum ein Geſchöpf ernähren
können, finden ſie noch ihr tägliches Brot. Doch iſt die größere Menge ebenſo an Pflanzen gebunden
wie die Säugethiere, wenn nicht unmittelbar, ſo doch mittelbar. Erſt im Walde entfaltet unſere
Klaſſe ihren vollen Reichthum und ihre Manchfaltigkeit. Das reiche Meer ernährt Millionen von
Einzelweſen derſelben Art, und die Brutzeit verſammelt ſie auf einzelnen Felſenwänden, Jnſeln,
Schären; wie zahlreich aber auch die Geſellſchaft ſein möge: auf dem Lande und ſelbſt im Walde
gibt es Schwärme von ähnlicher Stärke, und während dort die Einförmigkeit vorherrſcht, bekundet
ſich hier nebenbei die größte Manchfaltigkeit. Je mehr man ſich dem Gleicher nähert, um ſo arten-
reicher zeigt ſich die Klaſſe der Vögel, weil in den Wendekreisländern das Land ſelbſt wechſelvoller iſt
als irgendwo anders und mit dieſer Vielſeitigkeit der Erde eine Vermehrung verſchiedener Lebens-
bedingungen im Einklange ſtehen muß. Dem entſpricht, daß es nicht die großen Waldungen ſind,
welche die größte Manchfaltigkeit zeigen, ſondern vielmehr Gegenden, in welchen Wald und Steppe,
Berg und Thal, trockenes Land und Sumpf und Waſſer mit einander abwechſeln. Ein durch Wälder
fließender Strom, ein von Bäumen umgebener Sumpf, ein überſchwemmter Waldestheil verſammelt
ſtets mehr Vogelarten, als man ſie ſonſt zuſammen ſieht, weil da, wo die Erzeugniſſe des Waſſers
und des Landes ſich vereinigen, nothwendigerweiſe auch ein größerer Reichthum an Nahrungsmitteln
vorhanden ſein wird als da, wo das eine oder das andere Gebiet vorherrſcht. Die größere oder
geringere Leichtigkeit, ſich zu ernähren, bindet die Vögel wie alle übrigen Geſchöpfe an eine gewiſſe
Stelle; Mangel an Nahrung zwingt ſie, zeitweilig oder für immer Gegenden zu verlaſſen.

Die Vögel verſtehen es meiſterhaft, ein beſtimmtes Gebiet auszubeuten. Sie durchſpähen jeden
Schlupfwinkel, jede Ritze, jedes Verſteck der Thiere und leſen alles Genießbare auf. Wenn man die
Art und Weiſe der Ernährung in Betracht zieht, kann man auch bei ihnen von Beruf oder Handwerk
reden. Einzelne, wie viele Körnerfreſſer und die Tauben, leſen offen zu Tage liegende Nahrungs-
mittel einfach auf; andere Körnerfreſſer ziehen Sämereien aus Hülſen heraus, die Hühner legen ſie,
Wurzeln, Knollen und ähnliche Stoffe durch Scharren blos. Die Fruchtfreſſer pflücken Beeren oder
Früchte mit dem Schnabel ab, einzelne von ihnen, indem ſie ſich im Fluge fliegend auf die erſpähte
Nahrung ſtürzen. Die Kerbthierfreſſer leſen ihre Beute in allen Lebenszuſtänden derſelben vom
Boden ab, nehmen ſie von Zweigen und Blättern weg, ziehen ſie aus Blüthen, Spalten und Ritzen
hervor, legen ſie oft erſt nach längerer und harter Arbeit blos oder verfolgen ſie mit der Zunge bis
in das Jnnerſte ihrer Schlupfwinkel. Die Raben betreiben alle dieſe Gewerbe gemeinſchaftlich,
pfuſchen aber auch ſchon den echten Räubern ins Handwerk. Unter dieſen beutet jeder Einzelne ſeinen
Nahrungszweig ſelbſtändig aus. Es gibt unter ihnen Bettler oder Schmarotzer, Gaſſenkehrer und
Abfallſammler, ſolche, welche nur Aas, andere, welche hauptſächlich Knochen freſſen, viele, welche Aas
nicht verſchmähen, nebenbei jedoch auch ſchon auf lebende Thiere jagen; es gibt unter ihnen einzelne,
welche hauptſächlich größeren Kerfen nachſtreben und höchſtens ein kleines Wirbelthier anfallen, andere,
deren Jagd blos dieſen gilt; es gibt Raubvögel, welche nur auf ſitzendes oder laufendes, andere,
welche blos auf fliegendes Wild ſtoßen, einzelne, welche die verſchiedenartigſten Gewerbe betreiben.
Unter den Sumpf- und Waſſervögeln iſt es ähnlich. Viele von ihnen leſen Das auf, was ſich offen
findet, andere durchſuchen Verſteckplätze der Thiere; einige freſſen pflanzliche und thieriſche Stoffe,
andere letztere ausſchließlich; dieſe ſeihen ſich aus flüſſigem Schlamme ihre Nahrung ab; jene holen ſie
tauchend aus bedeutenden Tiefen empor; die einen ſuchen ihre Beute unter dem Waſſer; die anderen
ſtürzen ſich auf bereits erſpähte von oben herab. Es gibt keine Gegend, kein einziges Plätzchen auf
der ganzen Erde, welches von ihnen nicht ausgebeutet würde. Ein jeder verſucht ſeine Ausrüſtung
in der beſten Weiſe zu verwerthen, jeder ſich ſchlecht und recht durch das Leben zu ſchlagen. Die
Ausrüſtung, alſo die Geſtaltung und Bewaffnung des Vogels iſt es, welche das Gewerbe oder den
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[985/1039] Charaktervögel. Aufenthalt. Gewerbe. inmitten der Wüſte, auf Sandflächen, welche unſerer Meinung nach kaum ein Geſchöpf ernähren können, finden ſie noch ihr tägliches Brot. Doch iſt die größere Menge ebenſo an Pflanzen gebunden wie die Säugethiere, wenn nicht unmittelbar, ſo doch mittelbar. Erſt im Walde entfaltet unſere Klaſſe ihren vollen Reichthum und ihre Manchfaltigkeit. Das reiche Meer ernährt Millionen von Einzelweſen derſelben Art, und die Brutzeit verſammelt ſie auf einzelnen Felſenwänden, Jnſeln, Schären; wie zahlreich aber auch die Geſellſchaft ſein möge: auf dem Lande und ſelbſt im Walde gibt es Schwärme von ähnlicher Stärke, und während dort die Einförmigkeit vorherrſcht, bekundet ſich hier nebenbei die größte Manchfaltigkeit. Je mehr man ſich dem Gleicher nähert, um ſo arten- reicher zeigt ſich die Klaſſe der Vögel, weil in den Wendekreisländern das Land ſelbſt wechſelvoller iſt als irgendwo anders und mit dieſer Vielſeitigkeit der Erde eine Vermehrung verſchiedener Lebens- bedingungen im Einklange ſtehen muß. Dem entſpricht, daß es nicht die großen Waldungen ſind, welche die größte Manchfaltigkeit zeigen, ſondern vielmehr Gegenden, in welchen Wald und Steppe, Berg und Thal, trockenes Land und Sumpf und Waſſer mit einander abwechſeln. Ein durch Wälder fließender Strom, ein von Bäumen umgebener Sumpf, ein überſchwemmter Waldestheil verſammelt ſtets mehr Vogelarten, als man ſie ſonſt zuſammen ſieht, weil da, wo die Erzeugniſſe des Waſſers und des Landes ſich vereinigen, nothwendigerweiſe auch ein größerer Reichthum an Nahrungsmitteln vorhanden ſein wird als da, wo das eine oder das andere Gebiet vorherrſcht. Die größere oder geringere Leichtigkeit, ſich zu ernähren, bindet die Vögel wie alle übrigen Geſchöpfe an eine gewiſſe Stelle; Mangel an Nahrung zwingt ſie, zeitweilig oder für immer Gegenden zu verlaſſen. Die Vögel verſtehen es meiſterhaft, ein beſtimmtes Gebiet auszubeuten. Sie durchſpähen jeden Schlupfwinkel, jede Ritze, jedes Verſteck der Thiere und leſen alles Genießbare auf. Wenn man die Art und Weiſe der Ernährung in Betracht zieht, kann man auch bei ihnen von Beruf oder Handwerk reden. Einzelne, wie viele Körnerfreſſer und die Tauben, leſen offen zu Tage liegende Nahrungs- mittel einfach auf; andere Körnerfreſſer ziehen Sämereien aus Hülſen heraus, die Hühner legen ſie, Wurzeln, Knollen und ähnliche Stoffe durch Scharren blos. Die Fruchtfreſſer pflücken Beeren oder Früchte mit dem Schnabel ab, einzelne von ihnen, indem ſie ſich im Fluge fliegend auf die erſpähte Nahrung ſtürzen. Die Kerbthierfreſſer leſen ihre Beute in allen Lebenszuſtänden derſelben vom Boden ab, nehmen ſie von Zweigen und Blättern weg, ziehen ſie aus Blüthen, Spalten und Ritzen hervor, legen ſie oft erſt nach längerer und harter Arbeit blos oder verfolgen ſie mit der Zunge bis in das Jnnerſte ihrer Schlupfwinkel. Die Raben betreiben alle dieſe Gewerbe gemeinſchaftlich, pfuſchen aber auch ſchon den echten Räubern ins Handwerk. Unter dieſen beutet jeder Einzelne ſeinen Nahrungszweig ſelbſtändig aus. Es gibt unter ihnen Bettler oder Schmarotzer, Gaſſenkehrer und Abfallſammler, ſolche, welche nur Aas, andere, welche hauptſächlich Knochen freſſen, viele, welche Aas nicht verſchmähen, nebenbei jedoch auch ſchon auf lebende Thiere jagen; es gibt unter ihnen einzelne, welche hauptſächlich größeren Kerfen nachſtreben und höchſtens ein kleines Wirbelthier anfallen, andere, deren Jagd blos dieſen gilt; es gibt Raubvögel, welche nur auf ſitzendes oder laufendes, andere, welche blos auf fliegendes Wild ſtoßen, einzelne, welche die verſchiedenartigſten Gewerbe betreiben. Unter den Sumpf- und Waſſervögeln iſt es ähnlich. Viele von ihnen leſen Das auf, was ſich offen findet, andere durchſuchen Verſteckplätze der Thiere; einige freſſen pflanzliche und thieriſche Stoffe, andere letztere ausſchließlich; dieſe ſeihen ſich aus flüſſigem Schlamme ihre Nahrung ab; jene holen ſie tauchend aus bedeutenden Tiefen empor; die einen ſuchen ihre Beute unter dem Waſſer; die anderen ſtürzen ſich auf bereits erſpähte von oben herab. Es gibt keine Gegend, kein einziges Plätzchen auf der ganzen Erde, welches von ihnen nicht ausgebeutet würde. Ein jeder verſucht ſeine Ausrüſtung in der beſten Weiſe zu verwerthen, jeder ſich ſchlecht und recht durch das Leben zu ſchlagen. Die Ausrüſtung, alſo die Geſtaltung und Bewaffnung des Vogels iſt es, welche das Gewerbe oder den Beruf beſtimmt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 985. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1039>, abgerufen am 22.11.2024.