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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lebensweise der Schwirrvögel.
nach einander versuchte der durstige Vogel, sich diesem Glase zu nähern; aber sobald er vor demselben
schwebte und seine Zunge ausstreckte, stürzte sich der andere mit unvergleichlicher Schnelligkeit auf
ihn herab und jagte ihn von hinnen. Er durfte zu jeder andern Stelle des Raumes fliegen, sowie
er sich aber dem Gefäße näherte, gab er das Zeichen zum Kampfe. Der Neider hingegen nahm sich
nach Belieben seinen Trunk. Mit dem Zurückkehren seines Muthes hatte er auch seine Stimme
wieder erlangt, und nunmehr schrieen beide laut und schrill ihr "Skrip" fast ohne Unterbrechung."

"Nachdem die Gefangenen einmal in dem Zimmer eingewöhnt waren, zeigten sie eine Lebhaftig-
keit ohne Gleichen. Sie nahmen die verschiedensten Stellungen an, drehten sich auch im Sitzen hin
und her, sodaß ihr reiches Gefieder bei der verschiedenen Beleuchtung wundervoll flimmerte. Sie
flogen hier und da hin, schwenkten und bewegten sich auf das anmuthigste in der Luft, und dies
Alles geschah so rasch und jählings, daß das Auge ihren Bewegungen oft nicht folgen konnte. Jetzt
war das glänzende Geschöpf in der einen Ecke, unmittelbar darauf hörte man das Schwirren der
unsichtbaren Schwingen in einer andern hinter uns oder nahm es selbst, vor dem Gesichte schwebend,
wahr, ohne daß man wußte, wie es hierher gekommen sein konnte."

"Von dieser Zeit an bis zu Ende des Mai erhielt ich ungefähr fünfundzwanzig Kolibris mehr,
fast nur Männchen. Einige von ihnen waren mit dem Netz, andere mit dem Vogelleim gefangen
worden; aber nicht wenige von ihnen starben, obgleich sie sofort nach dem Fang in einen Korb
gesteckt worden waren. Dieses plötzliche Verenden konnte ich mir nie vollständig erklären. Die
Gefangenen beschädigten sich nicht an den Seiten des Korbes, obgleich sie sich hier oft aufhingen, es
schien mir vielmehr, als ob es das Entsetzen über ihre Gefangenschaft wäre, welches so großen Ein-
fluß auf sie ausübt. Viele von denen, welche noch lebend in das Haus kamen, lagen doch schon im
Sterben, und von denen, welche glücklich in den Raum gebracht wurden, starben die meisten in den
ersten vierundzwanzig Stunden, gewöhnlich weil sie die Leinen, auf denen ihre bereits eingewohnten
Gefährten saßen, nicht beachteten, sondern gegen die Wände flogen. Hier erhielten sie sich flatternd
lange Zeit; dann sanken sie langsam niederwärts, die Schwingen bewegend, entschieden kraftlos, bis
sie auf Etwas auffielen. Wenn Dies der Boden war, erhoben sie sich wieder, aber nur, um von
neuem gegen die Wände zu fliegen. Oft geschah es, daß sie hinter den verschiedenen Kasten und
Büchsen niederfielen, welche im Zimmer standen; dann hatten sie nicht mehr Raum genug, um sich
zu erheben und starben unbeachtet. Dies war das Geschick von vielen, sodaß von fünfundzwanzig
nur sieben sich eingewöhnten. Sie freilich waren bald ganz zu Hause."

"Jch muß hier bemerken, daß ihr Wesen sehr verschieden war. Einige zeigten sich mürrisch,
verdrießlich und trotzig, andere sehr furchtsam, andere wieder liebenswürdig, fromm, zahm und
zutraulich, vom ersten Augenblick an."

"Mein gewöhnlicher Plan, um sie an den Raum und an das Zuckergefäß zu gewöhnen, war
sehr einfach. Wenn das Körbchen, in welchem man die Neulinge mir brachte, geöffnet wurde,
flogen sie aus und gewöhnlich gegen die Decke, seltener gegen die Fenster. Nach einem Weilchen
schwebten sie in der angegebenen Weise an den Wänden, ab und zu diese mit der Spitze ihres
Schnabels oder mit der Brust berührend. Bei scharfer Beobachtung konnte man wahrnehmen, wenn
sie erschöpft waren und zu sinken begannen. Dann ließen sie es sich in der Regel gefallen, daß man
sie aufnahm und auf den Finger setzte. Hatte ich sie hier, so nahm ich ein wenig Zucker in den
Mund und brachte ihre Schnäbel zwischen meine Lippen. Zuweilen begannen sie sofort zu saugen,
manchmal war es nothwendig, sie wiederholt dazu einzuladen; doch lernten sie es schließlich regel-
mäßig, und wenn einer von ihnen einmal aus meinem Munde genommen hatte, war er zu späterem
Saugen immer bereit. Nach dieser ersten Lehre setzte ich den Gefangenen vorsichtig auf eine der Leinen,
und wenn das Wesen des Vogels ein sanftes war, blieb er hier auch sitzen. Später reichte ich ihm
anstatt meiner Lippen ein Glas mit Syrup, und hatte er von diesem ein- oder zweimal geleckt, so
fand er es auch auf, wenn es auf dem Tische stand, und nunmehr konnte ich ihn als gezähmt ansehen.
Seine Zeit wurde jetzt getheilt zwischen kurzen Flügen im Raume und zeitweiligen Ruhepausen auf der

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Lebensweiſe der Schwirrvögel.
nach einander verſuchte der durſtige Vogel, ſich dieſem Glaſe zu nähern; aber ſobald er vor demſelben
ſchwebte und ſeine Zunge ausſtreckte, ſtürzte ſich der andere mit unvergleichlicher Schnelligkeit auf
ihn herab und jagte ihn von hinnen. Er durfte zu jeder andern Stelle des Raumes fliegen, ſowie
er ſich aber dem Gefäße näherte, gab er das Zeichen zum Kampfe. Der Neider hingegen nahm ſich
nach Belieben ſeinen Trunk. Mit dem Zurückkehren ſeines Muthes hatte er auch ſeine Stimme
wieder erlangt, und nunmehr ſchrieen beide laut und ſchrill ihr „Skrip“ faſt ohne Unterbrechung.“

„Nachdem die Gefangenen einmal in dem Zimmer eingewöhnt waren, zeigten ſie eine Lebhaftig-
keit ohne Gleichen. Sie nahmen die verſchiedenſten Stellungen an, drehten ſich auch im Sitzen hin
und her, ſodaß ihr reiches Gefieder bei der verſchiedenen Beleuchtung wundervoll flimmerte. Sie
flogen hier und da hin, ſchwenkten und bewegten ſich auf das anmuthigſte in der Luft, und dies
Alles geſchah ſo raſch und jählings, daß das Auge ihren Bewegungen oft nicht folgen konnte. Jetzt
war das glänzende Geſchöpf in der einen Ecke, unmittelbar darauf hörte man das Schwirren der
unſichtbaren Schwingen in einer andern hinter uns oder nahm es ſelbſt, vor dem Geſichte ſchwebend,
wahr, ohne daß man wußte, wie es hierher gekommen ſein konnte.“

„Von dieſer Zeit an bis zu Ende des Mai erhielt ich ungefähr fünfundzwanzig Kolibris mehr,
faſt nur Männchen. Einige von ihnen waren mit dem Netz, andere mit dem Vogelleim gefangen
worden; aber nicht wenige von ihnen ſtarben, obgleich ſie ſofort nach dem Fang in einen Korb
geſteckt worden waren. Dieſes plötzliche Verenden konnte ich mir nie vollſtändig erklären. Die
Gefangenen beſchädigten ſich nicht an den Seiten des Korbes, obgleich ſie ſich hier oft aufhingen, es
ſchien mir vielmehr, als ob es das Entſetzen über ihre Gefangenſchaft wäre, welches ſo großen Ein-
fluß auf ſie ausübt. Viele von denen, welche noch lebend in das Haus kamen, lagen doch ſchon im
Sterben, und von denen, welche glücklich in den Raum gebracht wurden, ſtarben die meiſten in den
erſten vierundzwanzig Stunden, gewöhnlich weil ſie die Leinen, auf denen ihre bereits eingewohnten
Gefährten ſaßen, nicht beachteten, ſondern gegen die Wände flogen. Hier erhielten ſie ſich flatternd
lange Zeit; dann ſanken ſie langſam niederwärts, die Schwingen bewegend, entſchieden kraftlos, bis
ſie auf Etwas auffielen. Wenn Dies der Boden war, erhoben ſie ſich wieder, aber nur, um von
neuem gegen die Wände zu fliegen. Oft geſchah es, daß ſie hinter den verſchiedenen Kaſten und
Büchſen niederfielen, welche im Zimmer ſtanden; dann hatten ſie nicht mehr Raum genug, um ſich
zu erheben und ſtarben unbeachtet. Dies war das Geſchick von vielen, ſodaß von fünfundzwanzig
nur ſieben ſich eingewöhnten. Sie freilich waren bald ganz zu Hauſe.“

„Jch muß hier bemerken, daß ihr Weſen ſehr verſchieden war. Einige zeigten ſich mürriſch,
verdrießlich und trotzig, andere ſehr furchtſam, andere wieder liebenswürdig, fromm, zahm und
zutraulich, vom erſten Augenblick an.“

„Mein gewöhnlicher Plan, um ſie an den Raum und an das Zuckergefäß zu gewöhnen, war
ſehr einfach. Wenn das Körbchen, in welchem man die Neulinge mir brachte, geöffnet wurde,
flogen ſie aus und gewöhnlich gegen die Decke, ſeltener gegen die Fenſter. Nach einem Weilchen
ſchwebten ſie in der angegebenen Weiſe an den Wänden, ab und zu dieſe mit der Spitze ihres
Schnabels oder mit der Bruſt berührend. Bei ſcharfer Beobachtung konnte man wahrnehmen, wenn
ſie erſchöpft waren und zu ſinken begannen. Dann ließen ſie es ſich in der Regel gefallen, daß man
ſie aufnahm und auf den Finger ſetzte. Hatte ich ſie hier, ſo nahm ich ein wenig Zucker in den
Mund und brachte ihre Schnäbel zwiſchen meine Lippen. Zuweilen begannen ſie ſofort zu ſaugen,
manchmal war es nothwendig, ſie wiederholt dazu einzuladen; doch lernten ſie es ſchließlich regel-
mäßig, und wenn einer von ihnen einmal aus meinem Munde genommen hatte, war er zu ſpäterem
Saugen immer bereit. Nach dieſer erſten Lehre ſetzte ich den Gefangenen vorſichtig auf eine der Leinen,
und wenn das Weſen des Vogels ein ſanftes war, blieb er hier auch ſitzen. Später reichte ich ihm
anſtatt meiner Lippen ein Glas mit Syrup, und hatte er von dieſem ein- oder zweimal geleckt, ſo
fand er es auch auf, wenn es auf dem Tiſche ſtand, und nunmehr konnte ich ihn als gezähmt anſehen.
Seine Zeit wurde jetzt getheilt zwiſchen kurzen Flügen im Raume und zeitweiligen Ruhepauſen auf der

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[131/0145] Lebensweiſe der Schwirrvögel. nach einander verſuchte der durſtige Vogel, ſich dieſem Glaſe zu nähern; aber ſobald er vor demſelben ſchwebte und ſeine Zunge ausſtreckte, ſtürzte ſich der andere mit unvergleichlicher Schnelligkeit auf ihn herab und jagte ihn von hinnen. Er durfte zu jeder andern Stelle des Raumes fliegen, ſowie er ſich aber dem Gefäße näherte, gab er das Zeichen zum Kampfe. Der Neider hingegen nahm ſich nach Belieben ſeinen Trunk. Mit dem Zurückkehren ſeines Muthes hatte er auch ſeine Stimme wieder erlangt, und nunmehr ſchrieen beide laut und ſchrill ihr „Skrip“ faſt ohne Unterbrechung.“ „Nachdem die Gefangenen einmal in dem Zimmer eingewöhnt waren, zeigten ſie eine Lebhaftig- keit ohne Gleichen. Sie nahmen die verſchiedenſten Stellungen an, drehten ſich auch im Sitzen hin und her, ſodaß ihr reiches Gefieder bei der verſchiedenen Beleuchtung wundervoll flimmerte. Sie flogen hier und da hin, ſchwenkten und bewegten ſich auf das anmuthigſte in der Luft, und dies Alles geſchah ſo raſch und jählings, daß das Auge ihren Bewegungen oft nicht folgen konnte. Jetzt war das glänzende Geſchöpf in der einen Ecke, unmittelbar darauf hörte man das Schwirren der unſichtbaren Schwingen in einer andern hinter uns oder nahm es ſelbſt, vor dem Geſichte ſchwebend, wahr, ohne daß man wußte, wie es hierher gekommen ſein konnte.“ „Von dieſer Zeit an bis zu Ende des Mai erhielt ich ungefähr fünfundzwanzig Kolibris mehr, faſt nur Männchen. Einige von ihnen waren mit dem Netz, andere mit dem Vogelleim gefangen worden; aber nicht wenige von ihnen ſtarben, obgleich ſie ſofort nach dem Fang in einen Korb geſteckt worden waren. Dieſes plötzliche Verenden konnte ich mir nie vollſtändig erklären. Die Gefangenen beſchädigten ſich nicht an den Seiten des Korbes, obgleich ſie ſich hier oft aufhingen, es ſchien mir vielmehr, als ob es das Entſetzen über ihre Gefangenſchaft wäre, welches ſo großen Ein- fluß auf ſie ausübt. Viele von denen, welche noch lebend in das Haus kamen, lagen doch ſchon im Sterben, und von denen, welche glücklich in den Raum gebracht wurden, ſtarben die meiſten in den erſten vierundzwanzig Stunden, gewöhnlich weil ſie die Leinen, auf denen ihre bereits eingewohnten Gefährten ſaßen, nicht beachteten, ſondern gegen die Wände flogen. Hier erhielten ſie ſich flatternd lange Zeit; dann ſanken ſie langſam niederwärts, die Schwingen bewegend, entſchieden kraftlos, bis ſie auf Etwas auffielen. Wenn Dies der Boden war, erhoben ſie ſich wieder, aber nur, um von neuem gegen die Wände zu fliegen. Oft geſchah es, daß ſie hinter den verſchiedenen Kaſten und Büchſen niederfielen, welche im Zimmer ſtanden; dann hatten ſie nicht mehr Raum genug, um ſich zu erheben und ſtarben unbeachtet. Dies war das Geſchick von vielen, ſodaß von fünfundzwanzig nur ſieben ſich eingewöhnten. Sie freilich waren bald ganz zu Hauſe.“ „Jch muß hier bemerken, daß ihr Weſen ſehr verſchieden war. Einige zeigten ſich mürriſch, verdrießlich und trotzig, andere ſehr furchtſam, andere wieder liebenswürdig, fromm, zahm und zutraulich, vom erſten Augenblick an.“ „Mein gewöhnlicher Plan, um ſie an den Raum und an das Zuckergefäß zu gewöhnen, war ſehr einfach. Wenn das Körbchen, in welchem man die Neulinge mir brachte, geöffnet wurde, flogen ſie aus und gewöhnlich gegen die Decke, ſeltener gegen die Fenſter. Nach einem Weilchen ſchwebten ſie in der angegebenen Weiſe an den Wänden, ab und zu dieſe mit der Spitze ihres Schnabels oder mit der Bruſt berührend. Bei ſcharfer Beobachtung konnte man wahrnehmen, wenn ſie erſchöpft waren und zu ſinken begannen. Dann ließen ſie es ſich in der Regel gefallen, daß man ſie aufnahm und auf den Finger ſetzte. Hatte ich ſie hier, ſo nahm ich ein wenig Zucker in den Mund und brachte ihre Schnäbel zwiſchen meine Lippen. Zuweilen begannen ſie ſofort zu ſaugen, manchmal war es nothwendig, ſie wiederholt dazu einzuladen; doch lernten ſie es ſchließlich regel- mäßig, und wenn einer von ihnen einmal aus meinem Munde genommen hatte, war er zu ſpäterem Saugen immer bereit. Nach dieſer erſten Lehre ſetzte ich den Gefangenen vorſichtig auf eine der Leinen, und wenn das Weſen des Vogels ein ſanftes war, blieb er hier auch ſitzen. Später reichte ich ihm anſtatt meiner Lippen ein Glas mit Syrup, und hatte er von dieſem ein- oder zweimal geleckt, ſo fand er es auch auf, wenn es auf dem Tiſche ſtand, und nunmehr konnte ich ihn als gezähmt anſehen. Seine Zeit wurde jetzt getheilt zwiſchen kurzen Flügen im Raume und zeitweiligen Ruhepauſen auf der 9*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/145>, abgerufen am 09.05.2024.