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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Kukuk.
meinem Dache herab und trug ihn hinaus in ein Thal, wo es in dem Gebüsch viele Sänger gibt.
Hier setzte ich ihn auf einen Baumast, ohne ihn anzubinden; denn er konnte nur wenig fliegen.
Jch wartete lange, während der Kukuk aus vollem Halse schrie. Endlich kam ein Laubsänger,
welcher nicht weit davon Junge hatte, mit einem Kerbthier im Schnabel, flog auf den Kukuk zu,
besah ihn -- und brachte das Futter seinen Jungen. Ein anderer Sänger näherte sich ihm nicht."
Schade um die hübsche Geschichte von Bechstein!

Dieser Naturforscher nennt den jungen Kukuk auch boshaft; aber er thut ihm wiederum
Unrecht. "Er sperrt freilich den Schnabel auf", sagt mein Vater, "und schnellt den Kopf vor,
Dies thut er aber nur, um den Feind zurückzuscheuchen oder auch, wenn er hungrig ist, und Das ist
er immer." Jch meinestheils muß behaupten, daß diejenigen Kukuke, welche ich gefangen hielt, und
ich habe, während ich diese Zeilen schreibe, einen zur Beobachtung vor mir, nicht im geringsten bos-
haft waren; ja, ich muß hier ausdrücklich wiederholen, daß ich auch von der Unverträglichkeit
anderen Vögeln gegenüber, von der Naumann spricht, Nichts beobachten konnte. Mein Gefangener
lebt mit Papageien, Kernbeißern, Kardinälen, Alpen- und Kalanderlerchen, Wiedehopfen, Helm-
vögeln, Flaumfußtauben u. s. w. zusammen, war auch eine Zeit lang in ein und demselben Käfig
mit kleinen westafrikanischen Finken; er hat aber, soweit wir erfahren konnten, nicht einen einzigen
von ihnen behelligt. Selbst alt eingefangene Kukuke werden zuweilen sehr rasch zahm. Ein
Weibchen, welches Dehne fing, kam schon am dritten Tage seinem Pfleger entgegen, wenn dieser
ihm Nahrung reichte.

Der erwachsene Kukuk hat wenig Feinde. Seine Fluggewandtheit sichert ihn vor der Nach-
stellung der meisten Falken, und den kletternden Raubthieren entgeht er wahrscheinlich immer. Zu
leiden hat er von den Neckereien des Kleingeflügels, auch plagen ihn verschiedene Schmarotzer.
Vor dem Menschen nimmt er sich in der Regel wohl in Acht; und für Den, welcher seine Stimme
nicht genau nachzuahmen versteht, ist es schwer, einen Kukuk zu berücken. Noch schwieriger ist es,
einen lebenden Kukuk in seine Gewalt zu bekommen. Mir ist keine einzige Fangart bekannt,
welche sicher zum Ziele führt.

Jch glaube, daß ich recht thue, wenn ich den Kukuk der allgemeinsten Schonung empfehle.
Er darf dem Walde nicht fehlen; denn er trägt nicht blos zu seiner Belebung, sondern auch zu
seiner Erhaltung bei. Das Gefühl will uns glauben machen, daß der Frühling erst mit dem
Kukuksrufe im Walde einzieht. Der Verstand sagt uns, daß dieser klangvolle Ruf noch eine ganz
andere, wichtigere Bedeutung hat. Der Kukuksruf bezeichnet den Einzug eines der treuesten unserer
Waldhüter. Kerbthiere aller Art und nur ausnahmsweise Beeren bilden die Nahrung des Kukuks;
derselbe vertilgt aber vorzugsweise solche, welche gegen andere Feinde gewappnet sind: haarige
Raupen! Daß es unter diesen abscheuliche Waldverderber gibt, ist bekannt genug, daß sie sich oft in
entsetzlicher Weise vermehren, ebenfalls. Jhnen gegenüber leistet der verschriene Gauch Großes,
Unerreichbares. Sein unersättlicher Magen gereicht dem Walde zur Wohlthat, seine Gefräßigkeit
ihm selbst zur größten Zierde, mindestens in den Augen des verständigen Forstmanns. Der Kukuk
leistet in der Vertilgung des schädlichen Gewürms mehr, als der Mensch vermag. Eine
Beobachtung E. von Homeyer's mag Dies beweisen.

Zu Anfang Juli des Jahres 1848 zeigten sich in einem etwa dreißig magdeburger Morgen
großen Kieferngehölz mehrere Kukuke. Als von Homeyer nach einigen Tagen wieder nachsah,
hatte sich die Zahl der Vögel so auffallend vermehrt, daß dieses Ereigniß seine lebhafteste Theilnahme
in Anspruch nahm. Es mochten, einer ungefähren Schätzung nach, etwa hundert Kukuke durch das
Gehölz vertheilt sein. Der Grund dieser ungewöhnlichen Anhäufung wurde alsbald klar, da die
kleine Kiefernraupe (Liparis monacha) in großer Anzahl das Wäldchen heimsuchte. Die Kukuke
fanden Ueberfluß an Nahrung und unterbrachen ihren Zug, welcher eben begonnen hatte, um die
versprechende Oertlichkeit auszunutzen. Jeder einzelne war eifrig bemüht, sein Futter zu suchen: ein
Vogel mochte oft in der Minute mehr als zehn Ranpen verschlingen. "Rechnet man nun", sagt von

Kukuk.
meinem Dache herab und trug ihn hinaus in ein Thal, wo es in dem Gebüſch viele Sänger gibt.
Hier ſetzte ich ihn auf einen Baumaſt, ohne ihn anzubinden; denn er konnte nur wenig fliegen.
Jch wartete lange, während der Kukuk aus vollem Halſe ſchrie. Endlich kam ein Laubſänger,
welcher nicht weit davon Junge hatte, mit einem Kerbthier im Schnabel, flog auf den Kukuk zu,
beſah ihn — und brachte das Futter ſeinen Jungen. Ein anderer Sänger näherte ſich ihm nicht.“
Schade um die hübſche Geſchichte von Bechſtein!

Dieſer Naturforſcher nennt den jungen Kukuk auch boshaft; aber er thut ihm wiederum
Unrecht. „Er ſperrt freilich den Schnabel auf“, ſagt mein Vater, „und ſchnellt den Kopf vor,
Dies thut er aber nur, um den Feind zurückzuſcheuchen oder auch, wenn er hungrig iſt, und Das iſt
er immer.“ Jch meinestheils muß behaupten, daß diejenigen Kukuke, welche ich gefangen hielt, und
ich habe, während ich dieſe Zeilen ſchreibe, einen zur Beobachtung vor mir, nicht im geringſten bos-
haft waren; ja, ich muß hier ausdrücklich wiederholen, daß ich auch von der Unverträglichkeit
anderen Vögeln gegenüber, von der Naumann ſpricht, Nichts beobachten konnte. Mein Gefangener
lebt mit Papageien, Kernbeißern, Kardinälen, Alpen- und Kalanderlerchen, Wiedehopfen, Helm-
vögeln, Flaumfußtauben u. ſ. w. zuſammen, war auch eine Zeit lang in ein und demſelben Käfig
mit kleinen weſtafrikaniſchen Finken; er hat aber, ſoweit wir erfahren konnten, nicht einen einzigen
von ihnen behelligt. Selbſt alt eingefangene Kukuke werden zuweilen ſehr raſch zahm. Ein
Weibchen, welches Dehne fing, kam ſchon am dritten Tage ſeinem Pfleger entgegen, wenn dieſer
ihm Nahrung reichte.

Der erwachſene Kukuk hat wenig Feinde. Seine Fluggewandtheit ſichert ihn vor der Nach-
ſtellung der meiſten Falken, und den kletternden Raubthieren entgeht er wahrſcheinlich immer. Zu
leiden hat er von den Neckereien des Kleingeflügels, auch plagen ihn verſchiedene Schmarotzer.
Vor dem Menſchen nimmt er ſich in der Regel wohl in Acht; und für Den, welcher ſeine Stimme
nicht genau nachzuahmen verſteht, iſt es ſchwer, einen Kukuk zu berücken. Noch ſchwieriger iſt es,
einen lebenden Kukuk in ſeine Gewalt zu bekommen. Mir iſt keine einzige Fangart bekannt,
welche ſicher zum Ziele führt.

Jch glaube, daß ich recht thue, wenn ich den Kukuk der allgemeinſten Schonung empfehle.
Er darf dem Walde nicht fehlen; denn er trägt nicht blos zu ſeiner Belebung, ſondern auch zu
ſeiner Erhaltung bei. Das Gefühl will uns glauben machen, daß der Frühling erſt mit dem
Kukuksrufe im Walde einzieht. Der Verſtand ſagt uns, daß dieſer klangvolle Ruf noch eine ganz
andere, wichtigere Bedeutung hat. Der Kukuksruf bezeichnet den Einzug eines der treueſten unſerer
Waldhüter. Kerbthiere aller Art und nur ausnahmsweiſe Beeren bilden die Nahrung des Kukuks;
derſelbe vertilgt aber vorzugsweiſe ſolche, welche gegen andere Feinde gewappnet ſind: haarige
Raupen! Daß es unter dieſen abſcheuliche Waldverderber gibt, iſt bekannt genug, daß ſie ſich oft in
entſetzlicher Weiſe vermehren, ebenfalls. Jhnen gegenüber leiſtet der verſchriene Gauch Großes,
Unerreichbares. Sein unerſättlicher Magen gereicht dem Walde zur Wohlthat, ſeine Gefräßigkeit
ihm ſelbſt zur größten Zierde, mindeſtens in den Augen des verſtändigen Forſtmanns. Der Kukuk
leiſtet in der Vertilgung des ſchädlichen Gewürms mehr, als der Menſch vermag. Eine
Beobachtung E. von Homeyer’s mag Dies beweiſen.

Zu Anfang Juli des Jahres 1848 zeigten ſich in einem etwa dreißig magdeburger Morgen
großen Kieferngehölz mehrere Kukuke. Als von Homeyer nach einigen Tagen wieder nachſah,
hatte ſich die Zahl der Vögel ſo auffallend vermehrt, daß dieſes Ereigniß ſeine lebhafteſte Theilnahme
in Anſpruch nahm. Es mochten, einer ungefähren Schätzung nach, etwa hundert Kukuke durch das
Gehölz vertheilt ſein. Der Grund dieſer ungewöhnlichen Anhäufung wurde alsbald klar, da die
kleine Kiefernraupe (Liparis monacha) in großer Anzahl das Wäldchen heimſuchte. Die Kukuke
fanden Ueberfluß an Nahrung und unterbrachen ihren Zug, welcher eben begonnen hatte, um die
verſprechende Oertlichkeit auszunutzen. Jeder einzelne war eifrig bemüht, ſein Futter zu ſuchen: ein
Vogel mochte oft in der Minute mehr als zehn Ranpen verſchlingen. „Rechnet man nun“, ſagt von

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[199/0221] Kukuk. meinem Dache herab und trug ihn hinaus in ein Thal, wo es in dem Gebüſch viele Sänger gibt. Hier ſetzte ich ihn auf einen Baumaſt, ohne ihn anzubinden; denn er konnte nur wenig fliegen. Jch wartete lange, während der Kukuk aus vollem Halſe ſchrie. Endlich kam ein Laubſänger, welcher nicht weit davon Junge hatte, mit einem Kerbthier im Schnabel, flog auf den Kukuk zu, beſah ihn — und brachte das Futter ſeinen Jungen. Ein anderer Sänger näherte ſich ihm nicht.“ Schade um die hübſche Geſchichte von Bechſtein! Dieſer Naturforſcher nennt den jungen Kukuk auch boshaft; aber er thut ihm wiederum Unrecht. „Er ſperrt freilich den Schnabel auf“, ſagt mein Vater, „und ſchnellt den Kopf vor, Dies thut er aber nur, um den Feind zurückzuſcheuchen oder auch, wenn er hungrig iſt, und Das iſt er immer.“ Jch meinestheils muß behaupten, daß diejenigen Kukuke, welche ich gefangen hielt, und ich habe, während ich dieſe Zeilen ſchreibe, einen zur Beobachtung vor mir, nicht im geringſten bos- haft waren; ja, ich muß hier ausdrücklich wiederholen, daß ich auch von der Unverträglichkeit anderen Vögeln gegenüber, von der Naumann ſpricht, Nichts beobachten konnte. Mein Gefangener lebt mit Papageien, Kernbeißern, Kardinälen, Alpen- und Kalanderlerchen, Wiedehopfen, Helm- vögeln, Flaumfußtauben u. ſ. w. zuſammen, war auch eine Zeit lang in ein und demſelben Käfig mit kleinen weſtafrikaniſchen Finken; er hat aber, ſoweit wir erfahren konnten, nicht einen einzigen von ihnen behelligt. Selbſt alt eingefangene Kukuke werden zuweilen ſehr raſch zahm. Ein Weibchen, welches Dehne fing, kam ſchon am dritten Tage ſeinem Pfleger entgegen, wenn dieſer ihm Nahrung reichte. Der erwachſene Kukuk hat wenig Feinde. Seine Fluggewandtheit ſichert ihn vor der Nach- ſtellung der meiſten Falken, und den kletternden Raubthieren entgeht er wahrſcheinlich immer. Zu leiden hat er von den Neckereien des Kleingeflügels, auch plagen ihn verſchiedene Schmarotzer. Vor dem Menſchen nimmt er ſich in der Regel wohl in Acht; und für Den, welcher ſeine Stimme nicht genau nachzuahmen verſteht, iſt es ſchwer, einen Kukuk zu berücken. Noch ſchwieriger iſt es, einen lebenden Kukuk in ſeine Gewalt zu bekommen. Mir iſt keine einzige Fangart bekannt, welche ſicher zum Ziele führt. Jch glaube, daß ich recht thue, wenn ich den Kukuk der allgemeinſten Schonung empfehle. Er darf dem Walde nicht fehlen; denn er trägt nicht blos zu ſeiner Belebung, ſondern auch zu ſeiner Erhaltung bei. Das Gefühl will uns glauben machen, daß der Frühling erſt mit dem Kukuksrufe im Walde einzieht. Der Verſtand ſagt uns, daß dieſer klangvolle Ruf noch eine ganz andere, wichtigere Bedeutung hat. Der Kukuksruf bezeichnet den Einzug eines der treueſten unſerer Waldhüter. Kerbthiere aller Art und nur ausnahmsweiſe Beeren bilden die Nahrung des Kukuks; derſelbe vertilgt aber vorzugsweiſe ſolche, welche gegen andere Feinde gewappnet ſind: haarige Raupen! Daß es unter dieſen abſcheuliche Waldverderber gibt, iſt bekannt genug, daß ſie ſich oft in entſetzlicher Weiſe vermehren, ebenfalls. Jhnen gegenüber leiſtet der verſchriene Gauch Großes, Unerreichbares. Sein unerſättlicher Magen gereicht dem Walde zur Wohlthat, ſeine Gefräßigkeit ihm ſelbſt zur größten Zierde, mindeſtens in den Augen des verſtändigen Forſtmanns. Der Kukuk leiſtet in der Vertilgung des ſchädlichen Gewürms mehr, als der Menſch vermag. Eine Beobachtung E. von Homeyer’s mag Dies beweiſen. Zu Anfang Juli des Jahres 1848 zeigten ſich in einem etwa dreißig magdeburger Morgen großen Kieferngehölz mehrere Kukuke. Als von Homeyer nach einigen Tagen wieder nachſah, hatte ſich die Zahl der Vögel ſo auffallend vermehrt, daß dieſes Ereigniß ſeine lebhafteſte Theilnahme in Anſpruch nahm. Es mochten, einer ungefähren Schätzung nach, etwa hundert Kukuke durch das Gehölz vertheilt ſein. Der Grund dieſer ungewöhnlichen Anhäufung wurde alsbald klar, da die kleine Kiefernraupe (Liparis monacha) in großer Anzahl das Wäldchen heimſuchte. Die Kukuke fanden Ueberfluß an Nahrung und unterbrachen ihren Zug, welcher eben begonnen hatte, um die verſprechende Oertlichkeit auszunutzen. Jeder einzelne war eifrig bemüht, ſein Futter zu ſuchen: ein Vogel mochte oft in der Minute mehr als zehn Ranpen verſchlingen. „Rechnet man nun“, ſagt von

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/221>, abgerufen am 24.11.2024.