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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Turteltaube.
vor der Paarung hören. Er beginnt schon vor Sonnenaufgang, fährt damit fort, bis der Magen ihn
ans Futtersuchen mahnt, läßt sich in den Vormittagsstunden nochmals vernehmen und girrt gegen
Abend wieder stärker. Wind und rauhes Wetter bringen ihn zum Schweigen; an schönen Morgen
aber girrt er halbe Stunden lang fast ununterbrochen. Jst ein Gebiet reich an diesen Tauben, so
wetteifern die Männchen mit einander, und dann beleben sie allerdings den Wald in einer höchst
anziehenden Weise. Während der eigentlichen Paarungszeit steigt das Männchen nach dem Girren
in schiefer Richtung nach oben, klatscht dabei mit den Flügeln, senkt sich langsam hernieder und kehrt
meist zu demselben Orte zurück; hierauf beginnt das Girren von neuem, anhaltender als je. Der
hitzige Tauber nähert sich dabei liebkosend der Taube, die Liebkosung wird erwidert, und die Begattung
beschließt das Spiel. So lange die Brutzeit dauert, halten beide Gatten eines Paares ungemein
treu zusammen, und wenn eins von ihnen zu Grunde geht, ist der Schmerz des andern groß.
"Jch erlegte", erzählt mein Vater, "das Weibchen eines Pärchens. Das Männchen flog nach dem
Walde zu, kehrte aber, da das Weibchen nicht folgte, um und begann zu girren, um es zu sich zu
rufen. Das arme Thier dauerte mich, und ich wollte es auch tödten, um seinem Kummer ein Ende
zu machen; doch hielt es nicht schußgerecht aus, floh aber auch nicht in den schützenden Wald, sondern
hielt sich mehrere Stunden lang in den Feldbäumen auf, weil es ohne sein verlornes Weibchen nicht
zurückkehren wollte." Viele Jäger glauben, daß der Gatte eines Turteltaubenpaares aus Kummer zu
Grunde geht, wenn ihm sein Ehegespons geraubt wird: der Glaube macht dem Jägerherzen Ehre,
ist aber unbegründet. Doch hat er sein Gutes; denn es gilt, in Erwägung dieser Ansicht, unter
den zünstigen Waidmännern für eine Sünde, auf Turteltauben zu schießen.

Getreide mancherlei Art, Sämereien der verschiedensten Pflanzen, auch Fichten- und Kiefern-
faat und im Herbst Wolfsmilchsamen bilden die Nahrung der Turteltaube; nebenbei werden auch
kleine Schnecken mit ausgenommen. Den Feldern nützt sie durch Aufzehren der Unkrautsamen; der
Schaden aber, welchen sie durch Aufnehmen von Hanf, Lein, Hirse, Raps oder Rübsen, Erbsen,
Linsen und Wicken verursacht, kommt nicht in Betracht. Elf Uhr vormittags und gegen Abend fliegt
sie zur Tränke und zwar, da sie gutes Quellwasser bevorzugt, oft Viertelmeilen weit.

Die Fortpflanzung beginnt bald nach der Ankunft im April und währt bis zum August; denn
auch die Turteltaube brütet zwei-, vielleicht dreimal im Jahre. Das Nest, ein erbärmlicher Bau,
wird von beiden Gatten gemeinschaftlich in geringer Höhe auf Laub- oder Nadelbäumen errichtet,
ohne jede Kunst aus dürren Reisern, Haidekraut, Würzelchen zusammengefügt, ist platt, da,
wo die Eier liegen, etwas vertieft, im ganzen aber so liederlich gearbeitet, daß man die beiden
Eier und die brütende Taube von unten deutlich erkennen kann. Doch schützt es sein Standort
so ziemlich gegen die verheerenden Wirkungen des Sturmes, welcher es, stünde es freier, unzweifelhaft
herunterwerfen würde. Die Eier werden wechselsweise bebrütet und warm geliebt, die Jungen selbst
bei augenscheinlicher Lebensgefahr nicht verlassen. Jhre Ernährung geschieht in derselben Weise, wie
bei andern Tauben. Sie lassen sich ohne jegliche Mühe groß ziehen und werden, wenn man sich mit
ihnen beschäftigt, bald sehr zahm. "Die gezähmte Turteltaube", sagt mein Vater mit vollem Rechte, "ist
ein allerliebster Vogel; nicht nur ihre Schönheit, sondern auch ihr angenehmes Wesen und das sanfte
Girren des Taubers sichern ihr den Vorzug vor allen ähnlichen Vögeln. Sie ist leicht zur Paarung
und Fortpflanzung zu bringen. Jch habe ein Paar in einem engen Gitter gesehen, welches hier baute
und brütete, auch selbst mehrere gehabt, welche Brot, Weizen und Fichtensamen aus der Hand fraßen."

Die Fluggewandtheit und Schnelligkeit sichern die Turteltaube vor vielen Feinden. Sie ent-
geht den meisten unserer Raubvögel, und nur die Brut hat von dem gesammten Raubgesindel
Manches zu leiden. Der Mensch behelligt sie wenig, der Waidmann schützt sie, und der Sonntags-
jäger bemüht sich gewöhnlich vergeblich, sich ihr schußgerecht zu nahen; denn sie ist immer höchst vor-
sichtig und läßt sich so leicht nicht berücken. Jn der Winterherberge freilich ergeht es ihr schlimm:
hier gereicht ihr ihre Geselligkeit zum Verderben.



Turteltaube.
vor der Paarung hören. Er beginnt ſchon vor Sonnenaufgang, fährt damit fort, bis der Magen ihn
ans Futterſuchen mahnt, läßt ſich in den Vormittagsſtunden nochmals vernehmen und girrt gegen
Abend wieder ſtärker. Wind und rauhes Wetter bringen ihn zum Schweigen; an ſchönen Morgen
aber girrt er halbe Stunden lang faſt ununterbrochen. Jſt ein Gebiet reich an dieſen Tauben, ſo
wetteifern die Männchen mit einander, und dann beleben ſie allerdings den Wald in einer höchſt
anziehenden Weiſe. Während der eigentlichen Paarungszeit ſteigt das Männchen nach dem Girren
in ſchiefer Richtung nach oben, klatſcht dabei mit den Flügeln, ſenkt ſich langſam hernieder und kehrt
meiſt zu demſelben Orte zurück; hierauf beginnt das Girren von neuem, anhaltender als je. Der
hitzige Tauber nähert ſich dabei liebkoſend der Taube, die Liebkoſung wird erwidert, und die Begattung
beſchließt das Spiel. So lange die Brutzeit dauert, halten beide Gatten eines Paares ungemein
treu zuſammen, und wenn eins von ihnen zu Grunde geht, iſt der Schmerz des andern groß.
„Jch erlegte“, erzählt mein Vater, „das Weibchen eines Pärchens. Das Männchen flog nach dem
Walde zu, kehrte aber, da das Weibchen nicht folgte, um und begann zu girren, um es zu ſich zu
rufen. Das arme Thier dauerte mich, und ich wollte es auch tödten, um ſeinem Kummer ein Ende
zu machen; doch hielt es nicht ſchußgerecht aus, floh aber auch nicht in den ſchützenden Wald, ſondern
hielt ſich mehrere Stunden lang in den Feldbäumen auf, weil es ohne ſein verlornes Weibchen nicht
zurückkehren wollte.“ Viele Jäger glauben, daß der Gatte eines Turteltaubenpaares aus Kummer zu
Grunde geht, wenn ihm ſein Ehegeſpons geraubt wird: der Glaube macht dem Jägerherzen Ehre,
iſt aber unbegründet. Doch hat er ſein Gutes; denn es gilt, in Erwägung dieſer Anſicht, unter
den zünſtigen Waidmännern für eine Sünde, auf Turteltauben zu ſchießen.

Getreide mancherlei Art, Sämereien der verſchiedenſten Pflanzen, auch Fichten- und Kiefern-
faat und im Herbſt Wolfsmilchſamen bilden die Nahrung der Turteltaube; nebenbei werden auch
kleine Schnecken mit ausgenommen. Den Feldern nützt ſie durch Aufzehren der Unkrautſamen; der
Schaden aber, welchen ſie durch Aufnehmen von Hanf, Lein, Hirſe, Raps oder Rübſen, Erbſen,
Linſen und Wicken verurſacht, kommt nicht in Betracht. Elf Uhr vormittags und gegen Abend fliegt
ſie zur Tränke und zwar, da ſie gutes Quellwaſſer bevorzugt, oft Viertelmeilen weit.

Die Fortpflanzung beginnt bald nach der Ankunft im April und währt bis zum Auguſt; denn
auch die Turteltaube brütet zwei-, vielleicht dreimal im Jahre. Das Neſt, ein erbärmlicher Bau,
wird von beiden Gatten gemeinſchaftlich in geringer Höhe auf Laub- oder Nadelbäumen errichtet,
ohne jede Kunſt aus dürren Reiſern, Haidekraut, Würzelchen zuſammengefügt, iſt platt, da,
wo die Eier liegen, etwas vertieft, im ganzen aber ſo liederlich gearbeitet, daß man die beiden
Eier und die brütende Taube von unten deutlich erkennen kann. Doch ſchützt es ſein Standort
ſo ziemlich gegen die verheerenden Wirkungen des Sturmes, welcher es, ſtünde es freier, unzweifelhaft
herunterwerfen würde. Die Eier werden wechſelsweiſe bebrütet und warm geliebt, die Jungen ſelbſt
bei augenſcheinlicher Lebensgefahr nicht verlaſſen. Jhre Ernährung geſchieht in derſelben Weiſe, wie
bei andern Tauben. Sie laſſen ſich ohne jegliche Mühe groß ziehen und werden, wenn man ſich mit
ihnen beſchäftigt, bald ſehr zahm. „Die gezähmte Turteltaube“, ſagt mein Vater mit vollem Rechte, „iſt
ein allerliebſter Vogel; nicht nur ihre Schönheit, ſondern auch ihr angenehmes Weſen und das ſanfte
Girren des Taubers ſichern ihr den Vorzug vor allen ähnlichen Vögeln. Sie iſt leicht zur Paarung
und Fortpflanzung zu bringen. Jch habe ein Paar in einem engen Gitter geſehen, welches hier baute
und brütete, auch ſelbſt mehrere gehabt, welche Brot, Weizen und Fichtenſamen aus der Hand fraßen.“

Die Fluggewandtheit und Schnelligkeit ſichern die Turteltaube vor vielen Feinden. Sie ent-
geht den meiſten unſerer Raubvögel, und nur die Brut hat von dem geſammten Raubgeſindel
Manches zu leiden. Der Menſch behelligt ſie wenig, der Waidmann ſchützt ſie, und der Sonntags-
jäger bemüht ſich gewöhnlich vergeblich, ſich ihr ſchußgerecht zu nahen; denn ſie iſt immer höchſt vor-
ſichtig und läßt ſich ſo leicht nicht berücken. Jn der Winterherberge freilich ergeht es ihr ſchlimm:
hier gereicht ihr ihre Geſelligkeit zum Verderben.



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[281/0303] Turteltaube. vor der Paarung hören. Er beginnt ſchon vor Sonnenaufgang, fährt damit fort, bis der Magen ihn ans Futterſuchen mahnt, läßt ſich in den Vormittagsſtunden nochmals vernehmen und girrt gegen Abend wieder ſtärker. Wind und rauhes Wetter bringen ihn zum Schweigen; an ſchönen Morgen aber girrt er halbe Stunden lang faſt ununterbrochen. Jſt ein Gebiet reich an dieſen Tauben, ſo wetteifern die Männchen mit einander, und dann beleben ſie allerdings den Wald in einer höchſt anziehenden Weiſe. Während der eigentlichen Paarungszeit ſteigt das Männchen nach dem Girren in ſchiefer Richtung nach oben, klatſcht dabei mit den Flügeln, ſenkt ſich langſam hernieder und kehrt meiſt zu demſelben Orte zurück; hierauf beginnt das Girren von neuem, anhaltender als je. Der hitzige Tauber nähert ſich dabei liebkoſend der Taube, die Liebkoſung wird erwidert, und die Begattung beſchließt das Spiel. So lange die Brutzeit dauert, halten beide Gatten eines Paares ungemein treu zuſammen, und wenn eins von ihnen zu Grunde geht, iſt der Schmerz des andern groß. „Jch erlegte“, erzählt mein Vater, „das Weibchen eines Pärchens. Das Männchen flog nach dem Walde zu, kehrte aber, da das Weibchen nicht folgte, um und begann zu girren, um es zu ſich zu rufen. Das arme Thier dauerte mich, und ich wollte es auch tödten, um ſeinem Kummer ein Ende zu machen; doch hielt es nicht ſchußgerecht aus, floh aber auch nicht in den ſchützenden Wald, ſondern hielt ſich mehrere Stunden lang in den Feldbäumen auf, weil es ohne ſein verlornes Weibchen nicht zurückkehren wollte.“ Viele Jäger glauben, daß der Gatte eines Turteltaubenpaares aus Kummer zu Grunde geht, wenn ihm ſein Ehegeſpons geraubt wird: der Glaube macht dem Jägerherzen Ehre, iſt aber unbegründet. Doch hat er ſein Gutes; denn es gilt, in Erwägung dieſer Anſicht, unter den zünſtigen Waidmännern für eine Sünde, auf Turteltauben zu ſchießen. Getreide mancherlei Art, Sämereien der verſchiedenſten Pflanzen, auch Fichten- und Kiefern- faat und im Herbſt Wolfsmilchſamen bilden die Nahrung der Turteltaube; nebenbei werden auch kleine Schnecken mit ausgenommen. Den Feldern nützt ſie durch Aufzehren der Unkrautſamen; der Schaden aber, welchen ſie durch Aufnehmen von Hanf, Lein, Hirſe, Raps oder Rübſen, Erbſen, Linſen und Wicken verurſacht, kommt nicht in Betracht. Elf Uhr vormittags und gegen Abend fliegt ſie zur Tränke und zwar, da ſie gutes Quellwaſſer bevorzugt, oft Viertelmeilen weit. Die Fortpflanzung beginnt bald nach der Ankunft im April und währt bis zum Auguſt; denn auch die Turteltaube brütet zwei-, vielleicht dreimal im Jahre. Das Neſt, ein erbärmlicher Bau, wird von beiden Gatten gemeinſchaftlich in geringer Höhe auf Laub- oder Nadelbäumen errichtet, ohne jede Kunſt aus dürren Reiſern, Haidekraut, Würzelchen zuſammengefügt, iſt platt, da, wo die Eier liegen, etwas vertieft, im ganzen aber ſo liederlich gearbeitet, daß man die beiden Eier und die brütende Taube von unten deutlich erkennen kann. Doch ſchützt es ſein Standort ſo ziemlich gegen die verheerenden Wirkungen des Sturmes, welcher es, ſtünde es freier, unzweifelhaft herunterwerfen würde. Die Eier werden wechſelsweiſe bebrütet und warm geliebt, die Jungen ſelbſt bei augenſcheinlicher Lebensgefahr nicht verlaſſen. Jhre Ernährung geſchieht in derſelben Weiſe, wie bei andern Tauben. Sie laſſen ſich ohne jegliche Mühe groß ziehen und werden, wenn man ſich mit ihnen beſchäftigt, bald ſehr zahm. „Die gezähmte Turteltaube“, ſagt mein Vater mit vollem Rechte, „iſt ein allerliebſter Vogel; nicht nur ihre Schönheit, ſondern auch ihr angenehmes Weſen und das ſanfte Girren des Taubers ſichern ihr den Vorzug vor allen ähnlichen Vögeln. Sie iſt leicht zur Paarung und Fortpflanzung zu bringen. Jch habe ein Paar in einem engen Gitter geſehen, welches hier baute und brütete, auch ſelbſt mehrere gehabt, welche Brot, Weizen und Fichtenſamen aus der Hand fraßen.“ Die Fluggewandtheit und Schnelligkeit ſichern die Turteltaube vor vielen Feinden. Sie ent- geht den meiſten unſerer Raubvögel, und nur die Brut hat von dem geſammten Raubgeſindel Manches zu leiden. Der Menſch behelligt ſie wenig, der Waidmann ſchützt ſie, und der Sonntags- jäger bemüht ſich gewöhnlich vergeblich, ſich ihr ſchußgerecht zu nahen; denn ſie iſt immer höchſt vor- ſichtig und läßt ſich ſo leicht nicht berücken. Jn der Winterherberge freilich ergeht es ihr ſchlimm: hier gereicht ihr ihre Geſelligkeit zum Verderben.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/303>, abgerufen am 18.12.2024.