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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Allgemeines.
"Harehm", d. h. des "Unantastbaren" zu übertreten, fehlt es den irdischen Huris ebenso wenig als
den Hennen; diese aber führen aus, was jene nur wünschen. Jeder andere Hahn ist ihnen ebenso
willkommen, wie der, welcher meint, der Rechtmäßige zu sein. Vielweiberei gibt es nicht unter den
Thieren: es gibt blos Ein- oder Vielehelichkeit; wenn gesündigt wird gegen die Gesetze, welche wir
heilige nennen, geschieht es von beiden Seiten. Der Hahn der Scharrvögel erscheint uns nur als der
schlimmere, begehrlichere Theil; streng genommen treibt er es nicht ärger, als die Henne: funfzehn
bis zwanzig Eier im Jahre, welche befruchtet sein wollen, sind genug für einen weiblichen Vogel! Der
Hahn aber bleibt, während die Henne brütet, sich selbst überlassen, und die Versuchung tritt oft an ihn
heran in Gestalt anderer Hennen, welche noch unbemannt sind; sein Gemüth ist empfänglich für
jeden Vorzug des anderen Geschlechts; er vergißt die eifrig brütende Mutter, und damit ist alles
Uebrige erklärt.

Es wird später ersichtlich werden, daß diese Schilderung für den Kern der Ordnung gilt.
Alle Scharrvögel, welche zu Zweifeln hinsichtlich ihrer Verwandtschaft mit den Hühnern veranlassen,
beweisen durch ihre Lebensweise, daß diese Bedenken gerechtfertigt sind. Jhr Wesen während der
Paarung und ihr Fortpflanzungsgeschäft ist durchaus verschieden von dem soeben geschilderten; ich
würde mich aber wiederholen müssen, wenn ich hierauf eingehen wollte.

Bei den eigentlichen Hühnern bekümmert sich der Hahn wenig um das Schicksal seiner Brut.
Bei vielen Arten überläßt es der Vater der Mutter, die Eier zu bebrüten und die Jungen zu führen;
bei anderen stellt er sich wenigstens dann wieder bei der Familie ein, wenn das langweilige Geschäft
des Bebrütens glücklich beendet ist. Einzelne dienen nunmehr als Warner und Leiter der jetzt
zusammengehörigen Schar; andere hingegen gesellen sich erst dann zu den Jungen, wenn diese
erwachsen sind.

Alle eigentlichen Hühner brüten auf dem Boden, nicht auf Bäumen, wie Hokkos und Pene-
lopehühner es thun. Das Nest kann verschieden sein; es wird jedoch niemals künstlerisch angelegt.
Die Mutter beweist ihre Sorgfalt in der Auswahl des Platzes, scheint es aber für unnöthig zu halten,
das Nest selbst auszubauen. Da, wo die Gegend buschreich ist, wird die seichte Vertiefung, welche die
Eier aufnehmen soll, unter einem Busche angelegt, da, wo Gebüsch mangelt, wenigstens zwischen
höherem Grase oder im Getreide, jedenfalls an einem möglichst versteckten Orte, sodaß es immer
schwer aufzufinden ist. Viele Arten verwenden einige Reiserchen und auch wohl Federn zur Aus-
kleidung, andere füttern die Mulde gar nicht aus. Das Gelege pflegt vielzählig zu sein. Die
Eier sind verschieden, aber doch übereinstimmend gezeichnet. Viele Hühner legen einfarbige, rein-
weiße, grauliche, braungilbliche, bläuliche Eier, andere solche, welche auf ebenso gefärbtem oder
röthlichem Grunde entweder mit feinen Pünktchen und Tüpfelchen oder mit größeren Flecken und
Punkten von dunkler, oft lebhafter Färbung gezeichnet sind. Die Brutzeit ist verschieden: sie beträgt
im Mittel etwa drei Wochen.

Es will scheinen, als ob die Hühnermutter durch ihre treue Hingebung der Brut auch die Liebe
des Vaters ersetzen wolle; denn es gibt keinen Vogel, welcher sich mit größerem Eifer seiner Nach-
kommenschaft widmet, als eine Henne, und das schöne Bild der Bibel ist also ein in jeder Hinsicht
wohlgewähltes. Die brütende Henne läßt sich kaum Zeit, ihre Nahrung zu suchen; sie vergißt ihre
frühere Scheu und gibt sich bei Gefahr ohne Bedenken preis, in der Absicht, dadurch ihre Jungen
zu schützen.

Die jungen Scharrvögel verlassen das Ei als sehr bewegungsfähige und überhaupt begabte
Wesen. Sie nehmen vom ersten Tage ihres Lebens an Futter auf, welches die Alte ihnen bloslegt,
folgen deren Rufe und werden von ihr gehudert, wenn sie ermüdet sind oder gegen rauhe Witterung
geschützt werden sollen. Jhr Wachsthum geht ungemein rasch vor sich. Schon wenige Tage, nachdem
sie das Ei verlassen, sind sie im Stande zu fliegen, mindestens zu flattern. Jn verhältnißmäßig sehr
kurzer Zeit erhalten sie auch an anderen Stellen des Leibes Federn, anstatt der ersten buntfarbigen,
immer aber dem Boden entsprechend gefärbte Dunen. Die Schwingen erweisen sich bald als unge-

Allgemeines.
„Harehm“, d. h. des „Unantaſtbaren“ zu übertreten, fehlt es den irdiſchen Huris ebenſo wenig als
den Hennen; dieſe aber führen aus, was jene nur wünſchen. Jeder andere Hahn iſt ihnen ebenſo
willkommen, wie der, welcher meint, der Rechtmäßige zu ſein. Vielweiberei gibt es nicht unter den
Thieren: es gibt blos Ein- oder Vielehelichkeit; wenn geſündigt wird gegen die Geſetze, welche wir
heilige nennen, geſchieht es von beiden Seiten. Der Hahn der Scharrvögel erſcheint uns nur als der
ſchlimmere, begehrlichere Theil; ſtreng genommen treibt er es nicht ärger, als die Henne: funfzehn
bis zwanzig Eier im Jahre, welche befruchtet ſein wollen, ſind genug für einen weiblichen Vogel! Der
Hahn aber bleibt, während die Henne brütet, ſich ſelbſt überlaſſen, und die Verſuchung tritt oft an ihn
heran in Geſtalt anderer Hennen, welche noch unbemannt ſind; ſein Gemüth iſt empfänglich für
jeden Vorzug des anderen Geſchlechts; er vergißt die eifrig brütende Mutter, und damit iſt alles
Uebrige erklärt.

Es wird ſpäter erſichtlich werden, daß dieſe Schilderung für den Kern der Ordnung gilt.
Alle Scharrvögel, welche zu Zweifeln hinſichtlich ihrer Verwandtſchaft mit den Hühnern veranlaſſen,
beweiſen durch ihre Lebensweiſe, daß dieſe Bedenken gerechtfertigt ſind. Jhr Weſen während der
Paarung und ihr Fortpflanzungsgeſchäft iſt durchaus verſchieden von dem ſoeben geſchilderten; ich
würde mich aber wiederholen müſſen, wenn ich hierauf eingehen wollte.

Bei den eigentlichen Hühnern bekümmert ſich der Hahn wenig um das Schickſal ſeiner Brut.
Bei vielen Arten überläßt es der Vater der Mutter, die Eier zu bebrüten und die Jungen zu führen;
bei anderen ſtellt er ſich wenigſtens dann wieder bei der Familie ein, wenn das langweilige Geſchäft
des Bebrütens glücklich beendet iſt. Einzelne dienen nunmehr als Warner und Leiter der jetzt
zuſammengehörigen Schar; andere hingegen geſellen ſich erſt dann zu den Jungen, wenn dieſe
erwachſen ſind.

Alle eigentlichen Hühner brüten auf dem Boden, nicht auf Bäumen, wie Hokkos und Pene-
lopehühner es thun. Das Neſt kann verſchieden ſein; es wird jedoch niemals künſtleriſch angelegt.
Die Mutter beweiſt ihre Sorgfalt in der Auswahl des Platzes, ſcheint es aber für unnöthig zu halten,
das Neſt ſelbſt auszubauen. Da, wo die Gegend buſchreich iſt, wird die ſeichte Vertiefung, welche die
Eier aufnehmen ſoll, unter einem Buſche angelegt, da, wo Gebüſch mangelt, wenigſtens zwiſchen
höherem Graſe oder im Getreide, jedenfalls an einem möglichſt verſteckten Orte, ſodaß es immer
ſchwer aufzufinden iſt. Viele Arten verwenden einige Reiſerchen und auch wohl Federn zur Aus-
kleidung, andere füttern die Mulde gar nicht aus. Das Gelege pflegt vielzählig zu ſein. Die
Eier ſind verſchieden, aber doch übereinſtimmend gezeichnet. Viele Hühner legen einfarbige, rein-
weiße, grauliche, braungilbliche, bläuliche Eier, andere ſolche, welche auf ebenſo gefärbtem oder
röthlichem Grunde entweder mit feinen Pünktchen und Tüpfelchen oder mit größeren Flecken und
Punkten von dunkler, oft lebhafter Färbung gezeichnet ſind. Die Brutzeit iſt verſchieden: ſie beträgt
im Mittel etwa drei Wochen.

Es will ſcheinen, als ob die Hühnermutter durch ihre treue Hingebung der Brut auch die Liebe
des Vaters erſetzen wolle; denn es gibt keinen Vogel, welcher ſich mit größerem Eifer ſeiner Nach-
kommenſchaft widmet, als eine Henne, und das ſchöne Bild der Bibel iſt alſo ein in jeder Hinſicht
wohlgewähltes. Die brütende Henne läßt ſich kaum Zeit, ihre Nahrung zu ſuchen; ſie vergißt ihre
frühere Scheu und gibt ſich bei Gefahr ohne Bedenken preis, in der Abſicht, dadurch ihre Jungen
zu ſchützen.

Die jungen Scharrvögel verlaſſen das Ei als ſehr bewegungsfähige und überhaupt begabte
Weſen. Sie nehmen vom erſten Tage ihres Lebens an Futter auf, welches die Alte ihnen bloslegt,
folgen deren Rufe und werden von ihr gehudert, wenn ſie ermüdet ſind oder gegen rauhe Witterung
geſchützt werden ſollen. Jhr Wachsthum geht ungemein raſch vor ſich. Schon wenige Tage, nachdem
ſie das Ei verlaſſen, ſind ſie im Stande zu fliegen, mindeſtens zu flattern. Jn verhältnißmäßig ſehr
kurzer Zeit erhalten ſie auch an anderen Stellen des Leibes Federn, anſtatt der erſten buntfarbigen,
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[309/0333] Allgemeines. „Harehm“, d. h. des „Unantaſtbaren“ zu übertreten, fehlt es den irdiſchen Huris ebenſo wenig als den Hennen; dieſe aber führen aus, was jene nur wünſchen. Jeder andere Hahn iſt ihnen ebenſo willkommen, wie der, welcher meint, der Rechtmäßige zu ſein. Vielweiberei gibt es nicht unter den Thieren: es gibt blos Ein- oder Vielehelichkeit; wenn geſündigt wird gegen die Geſetze, welche wir heilige nennen, geſchieht es von beiden Seiten. Der Hahn der Scharrvögel erſcheint uns nur als der ſchlimmere, begehrlichere Theil; ſtreng genommen treibt er es nicht ärger, als die Henne: funfzehn bis zwanzig Eier im Jahre, welche befruchtet ſein wollen, ſind genug für einen weiblichen Vogel! Der Hahn aber bleibt, während die Henne brütet, ſich ſelbſt überlaſſen, und die Verſuchung tritt oft an ihn heran in Geſtalt anderer Hennen, welche noch unbemannt ſind; ſein Gemüth iſt empfänglich für jeden Vorzug des anderen Geſchlechts; er vergißt die eifrig brütende Mutter, und damit iſt alles Uebrige erklärt. Es wird ſpäter erſichtlich werden, daß dieſe Schilderung für den Kern der Ordnung gilt. Alle Scharrvögel, welche zu Zweifeln hinſichtlich ihrer Verwandtſchaft mit den Hühnern veranlaſſen, beweiſen durch ihre Lebensweiſe, daß dieſe Bedenken gerechtfertigt ſind. Jhr Weſen während der Paarung und ihr Fortpflanzungsgeſchäft iſt durchaus verſchieden von dem ſoeben geſchilderten; ich würde mich aber wiederholen müſſen, wenn ich hierauf eingehen wollte. Bei den eigentlichen Hühnern bekümmert ſich der Hahn wenig um das Schickſal ſeiner Brut. Bei vielen Arten überläßt es der Vater der Mutter, die Eier zu bebrüten und die Jungen zu führen; bei anderen ſtellt er ſich wenigſtens dann wieder bei der Familie ein, wenn das langweilige Geſchäft des Bebrütens glücklich beendet iſt. Einzelne dienen nunmehr als Warner und Leiter der jetzt zuſammengehörigen Schar; andere hingegen geſellen ſich erſt dann zu den Jungen, wenn dieſe erwachſen ſind. Alle eigentlichen Hühner brüten auf dem Boden, nicht auf Bäumen, wie Hokkos und Pene- lopehühner es thun. Das Neſt kann verſchieden ſein; es wird jedoch niemals künſtleriſch angelegt. Die Mutter beweiſt ihre Sorgfalt in der Auswahl des Platzes, ſcheint es aber für unnöthig zu halten, das Neſt ſelbſt auszubauen. Da, wo die Gegend buſchreich iſt, wird die ſeichte Vertiefung, welche die Eier aufnehmen ſoll, unter einem Buſche angelegt, da, wo Gebüſch mangelt, wenigſtens zwiſchen höherem Graſe oder im Getreide, jedenfalls an einem möglichſt verſteckten Orte, ſodaß es immer ſchwer aufzufinden iſt. Viele Arten verwenden einige Reiſerchen und auch wohl Federn zur Aus- kleidung, andere füttern die Mulde gar nicht aus. Das Gelege pflegt vielzählig zu ſein. Die Eier ſind verſchieden, aber doch übereinſtimmend gezeichnet. Viele Hühner legen einfarbige, rein- weiße, grauliche, braungilbliche, bläuliche Eier, andere ſolche, welche auf ebenſo gefärbtem oder röthlichem Grunde entweder mit feinen Pünktchen und Tüpfelchen oder mit größeren Flecken und Punkten von dunkler, oft lebhafter Färbung gezeichnet ſind. Die Brutzeit iſt verſchieden: ſie beträgt im Mittel etwa drei Wochen. Es will ſcheinen, als ob die Hühnermutter durch ihre treue Hingebung der Brut auch die Liebe des Vaters erſetzen wolle; denn es gibt keinen Vogel, welcher ſich mit größerem Eifer ſeiner Nach- kommenſchaft widmet, als eine Henne, und das ſchöne Bild der Bibel iſt alſo ein in jeder Hinſicht wohlgewähltes. Die brütende Henne läßt ſich kaum Zeit, ihre Nahrung zu ſuchen; ſie vergißt ihre frühere Scheu und gibt ſich bei Gefahr ohne Bedenken preis, in der Abſicht, dadurch ihre Jungen zu ſchützen. Die jungen Scharrvögel verlaſſen das Ei als ſehr bewegungsfähige und überhaupt begabte Weſen. Sie nehmen vom erſten Tage ihres Lebens an Futter auf, welches die Alte ihnen bloslegt, folgen deren Rufe und werden von ihr gehudert, wenn ſie ermüdet ſind oder gegen rauhe Witterung geſchützt werden ſollen. Jhr Wachsthum geht ungemein raſch vor ſich. Schon wenige Tage, nachdem ſie das Ei verlaſſen, ſind ſie im Stande zu fliegen, mindeſtens zu flattern. Jn verhältnißmäßig ſehr kurzer Zeit erhalten ſie auch an anderen Stellen des Leibes Federn, anſtatt der erſten buntfarbigen, immer aber dem Boden entſprechend gefärbte Dunen. Die Schwingen erweiſen ſich bald als unge-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/333>, abgerufen am 28.11.2024.