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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Nandu.
den Umständen zu richten. Um die Wohnungen friedlicher Ansiedler, welche ihm Ruhe lassen, wird
er so vertraut, daß er sich unter die angebundenen Pferde und Milchkühe mengt und Menschen und
Hunden eben nur aus dem Wege geht. Er weidet da mitten unter den Herden, unbekümmert und
sorglos, selbst ein halbes Hausthier. So sehr er den Reiter meidet, so wenig flieht er den Weißen,
falls derselbe nicht von Hunden begleitet wird; er geht höchstens ein paar hundert Schritt weit und
blickt demselben neugierig nach. Den Gaucho hingegen, welcher ihn jagt, flieht er ängstlich und
wendet alle ihm zu Gebote stehende List an, um der Aufmerksamkeit seines Feindes zu entgehen.
Niemals sieht man ihn um die Ranchos eines Eingebornen und unter dessen Vieh nur in angemessener
Entfernung, häufiger bemerkt man ihn zwischen den Rudeln des scheuen Steppenhirsches, und man
kann dann beobachten, wie bald ein Strauß, bald ein Hirsch sichernd den Kopf emporhebt, und wie
beide zusammen beim leisesten Anscheine von Gefahr nach ein und derselben Richtung hin entfliehen.
Eine Horde Jndianer versetzt den Nandu in namenlose Angst. Vor ihr flüchtet er, stundenlang
eiligst laufend, theilt seine Bestürzung anderen Trupps mit, welche an der Flucht theilnehmen und
bringt selbst Pferde und Rinderherden in Bewegung. Jn entfernten Gegenden, wo er selten
Menschen zu sehen bekommt, zeigt er vor dem Reiter, nicht aber vor dem Fußgänger, Scheu, und es
scheint fast, als ob er den letzteren gar nicht zu schätzen weiß. Der Jäger, welcher auf Händen und
Füßen unter dem Winde möglichst nah an eine Nanduherde herankriecht, sodann, auf dem
Bauche liegend, mit einem Tuche hin- und herschwenkt, erregt bald die Aufmerksamkeit der Vögel;
denn diese sind höchst neugierig und können der Verlockung nicht widerstehen, sich von der ihnen
unbekannten Erscheinung zu vergewissern. Jhr Mißtrauen bleibt allerdings stets wach; aber die
Neugierde überwiegt, und bald sieht der Jäger die ganze Gesellschaft, den Hahn voran, mit langen
Hälsen und vorsichtig auftretend, als fürchteten sie Geräusch zu machen, sich nähern. Dabei gehen sie
hin und her, bleiben kurze Zeit lang stehen, weiden selbst; wenn aber der Jäger die Geduld nicht
verliert, nahen sie sich schließlich doch bis auf wenige Schritte.

Während der Regenzeit äßt sich der Nandu vorzugsweise von Klee und Kerbthieren; später sucht
er jene schon erwähnten Stellen auf, welche das Vieh düngte; denn das hier wachsende Gras, welches
vom Wilde oder von dem Herdenvieh verschmäht wird, zieht er allem übrigen vor. Für die aus Europa
eingeführten Nutzgewächse zeigt er eine seinen Geschmack ehrende Vorliebe, und wenn ein Trupp die
Alfalfafelder oder den Gemüsegarten eines Ansiedlers entdeckt, "so gibt es zu hüten, wenn noch ein
grünes Blatt übrig bleiben soll." Dagegen bringt er auch wieder Nutzen, indem er klettenartige
Samen, solange dieselben noch grün sind, sehr gern verzehrt. Diese Kletten werden durch ihre
Häufigkeit in manchen Gegenden für die Viehzüchter zum Fluche. Sie setzen sich in die Mähnen
und Schweife der Pferde, oder ins Flies der Schafe, filzen sich darin fest und machen die Wolle
gänzlich unbrauchbar, führen aber auch nicht selten den Tod des Thieres herbei, weil der Reiz des
Stachelsamens auf die Haut dasselbe veranlaßt, sich zu scheuern und zu verwunden; eine Wunde
aber, welche bald von Maden wimmelt, hat den Tod des Thieres regelmäßig zur Folge. "Wer einen
einzigen Nandumagen im Dezember untersucht hat", sagt Böcking, "weiß, in welchen Massen der
"Strauß" diesen Samen verzehrt, und schon deshalb allein verdient er die Schonung allgemein,
welche ihm der denkende Landbesitzer bereits angedeihen läßt." Zu jeder Zeit und in jedem Alter frißt
der Vogel Kerbthiere der verschiedensten Art, nach Versicherung der Gauchos auch Schlangen und andere
kleine Lurche, und behufs der Verdauung nimmt er, wie die Hühner, Steinchen zu sich. Er trinkt
selten; es scheint also, als ob der Thau und Regen ihm längere Zeit genügen könne; wenn er aber
an ein Wasser kommt, schöpft er mit dem Schnabel und läßt das Wasser durch Emporhalten des
Kopfes in den Schlund hinabfließen, wie die Hühner es thun. Die Gefangenen trinken regelmäßig.

Mit Beginn des Frühlings, auf der südlichen Halbkugel also im Oktober, sammelt das
Männchen, welches nach Ablauf des zweiten Jahres fortpflanzungsfähig wird, drei bis sieben, in
seltenen Fällen mehr Hennen um sich und vertreibt andere Hähne durch Schnabelhiebe und Flügel-
schläge aus seinem Bereiche. Vor dem Weibchen führt er, wie wir an unsern Gefangenen beobachten

Nandu.
den Umſtänden zu richten. Um die Wohnungen friedlicher Anſiedler, welche ihm Ruhe laſſen, wird
er ſo vertraut, daß er ſich unter die angebundenen Pferde und Milchkühe mengt und Menſchen und
Hunden eben nur aus dem Wege geht. Er weidet da mitten unter den Herden, unbekümmert und
ſorglos, ſelbſt ein halbes Hausthier. So ſehr er den Reiter meidet, ſo wenig flieht er den Weißen,
falls derſelbe nicht von Hunden begleitet wird; er geht höchſtens ein paar hundert Schritt weit und
blickt demſelben neugierig nach. Den Gaucho hingegen, welcher ihn jagt, flieht er ängſtlich und
wendet alle ihm zu Gebote ſtehende Liſt an, um der Aufmerkſamkeit ſeines Feindes zu entgehen.
Niemals ſieht man ihn um die Ranchos eines Eingebornen und unter deſſen Vieh nur in angemeſſener
Entfernung, häufiger bemerkt man ihn zwiſchen den Rudeln des ſcheuen Steppenhirſches, und man
kann dann beobachten, wie bald ein Strauß, bald ein Hirſch ſichernd den Kopf emporhebt, und wie
beide zuſammen beim leiſeſten Anſcheine von Gefahr nach ein und derſelben Richtung hin entfliehen.
Eine Horde Jndianer verſetzt den Nandu in namenloſe Angſt. Vor ihr flüchtet er, ſtundenlang
eiligſt laufend, theilt ſeine Beſtürzung anderen Trupps mit, welche an der Flucht theilnehmen und
bringt ſelbſt Pferde und Rinderherden in Bewegung. Jn entfernten Gegenden, wo er ſelten
Menſchen zu ſehen bekommt, zeigt er vor dem Reiter, nicht aber vor dem Fußgänger, Scheu, und es
ſcheint faſt, als ob er den letzteren gar nicht zu ſchätzen weiß. Der Jäger, welcher auf Händen und
Füßen unter dem Winde möglichſt nah an eine Nanduherde herankriecht, ſodann, auf dem
Bauche liegend, mit einem Tuche hin- und herſchwenkt, erregt bald die Aufmerkſamkeit der Vögel;
denn dieſe ſind höchſt neugierig und können der Verlockung nicht widerſtehen, ſich von der ihnen
unbekannten Erſcheinung zu vergewiſſern. Jhr Mißtrauen bleibt allerdings ſtets wach; aber die
Neugierde überwiegt, und bald ſieht der Jäger die ganze Geſellſchaft, den Hahn voran, mit langen
Hälſen und vorſichtig auftretend, als fürchteten ſie Geräuſch zu machen, ſich nähern. Dabei gehen ſie
hin und her, bleiben kurze Zeit lang ſtehen, weiden ſelbſt; wenn aber der Jäger die Geduld nicht
verliert, nahen ſie ſich ſchließlich doch bis auf wenige Schritte.

Während der Regenzeit äßt ſich der Nandu vorzugsweiſe von Klee und Kerbthieren; ſpäter ſucht
er jene ſchon erwähnten Stellen auf, welche das Vieh düngte; denn das hier wachſende Gras, welches
vom Wilde oder von dem Herdenvieh verſchmäht wird, zieht er allem übrigen vor. Für die aus Europa
eingeführten Nutzgewächſe zeigt er eine ſeinen Geſchmack ehrende Vorliebe, und wenn ein Trupp die
Alfalfafelder oder den Gemüſegarten eines Anſiedlers entdeckt, „ſo gibt es zu hüten, wenn noch ein
grünes Blatt übrig bleiben ſoll.“ Dagegen bringt er auch wieder Nutzen, indem er klettenartige
Samen, ſolange dieſelben noch grün ſind, ſehr gern verzehrt. Dieſe Kletten werden durch ihre
Häufigkeit in manchen Gegenden für die Viehzüchter zum Fluche. Sie ſetzen ſich in die Mähnen
und Schweife der Pferde, oder ins Flies der Schafe, filzen ſich darin feſt und machen die Wolle
gänzlich unbrauchbar, führen aber auch nicht ſelten den Tod des Thieres herbei, weil der Reiz des
Stachelſamens auf die Haut daſſelbe veranlaßt, ſich zu ſcheuern und zu verwunden; eine Wunde
aber, welche bald von Maden wimmelt, hat den Tod des Thieres regelmäßig zur Folge. „Wer einen
einzigen Nandumagen im Dezember unterſucht hat“, ſagt Böcking, „weiß, in welchen Maſſen der
„Strauß“ dieſen Samen verzehrt, und ſchon deshalb allein verdient er die Schonung allgemein,
welche ihm der denkende Landbeſitzer bereits angedeihen läßt.“ Zu jeder Zeit und in jedem Alter frißt
der Vogel Kerbthiere der verſchiedenſten Art, nach Verſicherung der Gauchos auch Schlangen und andere
kleine Lurche, und behufs der Verdauung nimmt er, wie die Hühner, Steinchen zu ſich. Er trinkt
ſelten; es ſcheint alſo, als ob der Thau und Regen ihm längere Zeit genügen könne; wenn er aber
an ein Waſſer kommt, ſchöpft er mit dem Schnabel und läßt das Waſſer durch Emporhalten des
Kopfes in den Schlund hinabfließen, wie die Hühner es thun. Die Gefangenen trinken regelmäßig.

Mit Beginn des Frühlings, auf der ſüdlichen Halbkugel alſo im Oktober, ſammelt das
Männchen, welches nach Ablauf des zweiten Jahres fortpflanzungsfähig wird, drei bis ſieben, in
ſeltenen Fällen mehr Hennen um ſich und vertreibt andere Hähne durch Schnabelhiebe und Flügel-
ſchläge aus ſeinem Bereiche. Vor dem Weibchen führt er, wie wir an unſern Gefangenen beobachten

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[537/0569] Nandu. den Umſtänden zu richten. Um die Wohnungen friedlicher Anſiedler, welche ihm Ruhe laſſen, wird er ſo vertraut, daß er ſich unter die angebundenen Pferde und Milchkühe mengt und Menſchen und Hunden eben nur aus dem Wege geht. Er weidet da mitten unter den Herden, unbekümmert und ſorglos, ſelbſt ein halbes Hausthier. So ſehr er den Reiter meidet, ſo wenig flieht er den Weißen, falls derſelbe nicht von Hunden begleitet wird; er geht höchſtens ein paar hundert Schritt weit und blickt demſelben neugierig nach. Den Gaucho hingegen, welcher ihn jagt, flieht er ängſtlich und wendet alle ihm zu Gebote ſtehende Liſt an, um der Aufmerkſamkeit ſeines Feindes zu entgehen. Niemals ſieht man ihn um die Ranchos eines Eingebornen und unter deſſen Vieh nur in angemeſſener Entfernung, häufiger bemerkt man ihn zwiſchen den Rudeln des ſcheuen Steppenhirſches, und man kann dann beobachten, wie bald ein Strauß, bald ein Hirſch ſichernd den Kopf emporhebt, und wie beide zuſammen beim leiſeſten Anſcheine von Gefahr nach ein und derſelben Richtung hin entfliehen. Eine Horde Jndianer verſetzt den Nandu in namenloſe Angſt. Vor ihr flüchtet er, ſtundenlang eiligſt laufend, theilt ſeine Beſtürzung anderen Trupps mit, welche an der Flucht theilnehmen und bringt ſelbſt Pferde und Rinderherden in Bewegung. Jn entfernten Gegenden, wo er ſelten Menſchen zu ſehen bekommt, zeigt er vor dem Reiter, nicht aber vor dem Fußgänger, Scheu, und es ſcheint faſt, als ob er den letzteren gar nicht zu ſchätzen weiß. Der Jäger, welcher auf Händen und Füßen unter dem Winde möglichſt nah an eine Nanduherde herankriecht, ſodann, auf dem Bauche liegend, mit einem Tuche hin- und herſchwenkt, erregt bald die Aufmerkſamkeit der Vögel; denn dieſe ſind höchſt neugierig und können der Verlockung nicht widerſtehen, ſich von der ihnen unbekannten Erſcheinung zu vergewiſſern. Jhr Mißtrauen bleibt allerdings ſtets wach; aber die Neugierde überwiegt, und bald ſieht der Jäger die ganze Geſellſchaft, den Hahn voran, mit langen Hälſen und vorſichtig auftretend, als fürchteten ſie Geräuſch zu machen, ſich nähern. Dabei gehen ſie hin und her, bleiben kurze Zeit lang ſtehen, weiden ſelbſt; wenn aber der Jäger die Geduld nicht verliert, nahen ſie ſich ſchließlich doch bis auf wenige Schritte. Während der Regenzeit äßt ſich der Nandu vorzugsweiſe von Klee und Kerbthieren; ſpäter ſucht er jene ſchon erwähnten Stellen auf, welche das Vieh düngte; denn das hier wachſende Gras, welches vom Wilde oder von dem Herdenvieh verſchmäht wird, zieht er allem übrigen vor. Für die aus Europa eingeführten Nutzgewächſe zeigt er eine ſeinen Geſchmack ehrende Vorliebe, und wenn ein Trupp die Alfalfafelder oder den Gemüſegarten eines Anſiedlers entdeckt, „ſo gibt es zu hüten, wenn noch ein grünes Blatt übrig bleiben ſoll.“ Dagegen bringt er auch wieder Nutzen, indem er klettenartige Samen, ſolange dieſelben noch grün ſind, ſehr gern verzehrt. Dieſe Kletten werden durch ihre Häufigkeit in manchen Gegenden für die Viehzüchter zum Fluche. Sie ſetzen ſich in die Mähnen und Schweife der Pferde, oder ins Flies der Schafe, filzen ſich darin feſt und machen die Wolle gänzlich unbrauchbar, führen aber auch nicht ſelten den Tod des Thieres herbei, weil der Reiz des Stachelſamens auf die Haut daſſelbe veranlaßt, ſich zu ſcheuern und zu verwunden; eine Wunde aber, welche bald von Maden wimmelt, hat den Tod des Thieres regelmäßig zur Folge. „Wer einen einzigen Nandumagen im Dezember unterſucht hat“, ſagt Böcking, „weiß, in welchen Maſſen der „Strauß“ dieſen Samen verzehrt, und ſchon deshalb allein verdient er die Schonung allgemein, welche ihm der denkende Landbeſitzer bereits angedeihen läßt.“ Zu jeder Zeit und in jedem Alter frißt der Vogel Kerbthiere der verſchiedenſten Art, nach Verſicherung der Gauchos auch Schlangen und andere kleine Lurche, und behufs der Verdauung nimmt er, wie die Hühner, Steinchen zu ſich. Er trinkt ſelten; es ſcheint alſo, als ob der Thau und Regen ihm längere Zeit genügen könne; wenn er aber an ein Waſſer kommt, ſchöpft er mit dem Schnabel und läßt das Waſſer durch Emporhalten des Kopfes in den Schlund hinabfließen, wie die Hühner es thun. Die Gefangenen trinken regelmäßig. Mit Beginn des Frühlings, auf der ſüdlichen Halbkugel alſo im Oktober, ſammelt das Männchen, welches nach Ablauf des zweiten Jahres fortpflanzungsfähig wird, drei bis ſieben, in ſeltenen Fällen mehr Hennen um ſich und vertreibt andere Hähne durch Schnabelhiebe und Flügel- ſchläge aus ſeinem Bereiche. Vor dem Weibchen führt er, wie wir an unſern Gefangenen beobachten

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/569>, abgerufen am 22.11.2024.