berichtet, daß die beiden Mooruks, welche er zuerst erhielt, von den Eingebornen Neubritanniens an Bord des Schiffes "Oberon" gebracht und dem Kapitän Davlin zu Kauf angeboten wurden. Die Leute erzählten, daß es unmöglich sei, alte Kasuare zu fangen, weil sie ungemein scheu wären, bei dem geringsten Geräusche davon eilten und vermöge ihrer Rennfertigkeit und Ausdauer sehr rasch eines jener Dickichte erreichten, welche kein Mensch zu durchdringen vermöge. Die Jungen würden bald nach dem Ausschlüpfen gefangen und wie Küchlein großgezogen. Bennett's Gefangene waren sehr zahm, liefen im Hause und Hofe überall umher und ohne Besorgniß auf Jeden zu, welchen sie sahen, weil man sie durch Füttern verwöhnt hatte. Mit der Zeit wurden sie so zudringlich, daß sie die Dienerschaft in ihren Arbeiten störten; denn sie drangen durch alle Thüren ein, welche offen standen, folgten den Leuten auf Schritt und Tritt, durchstöberten in der Küche alle Winkel, sprangen auf Tisch und Stühle und beunruhigten den Koch aufs Höchste. Wenn man versuchte, sie zu fangen, liefen sie äußerst schnell umher oder verkrochen sich unter die Geräthschaften, wehrten sich auch wohl muthig mit Schnabel und Füßen. Ließ man sie frei, so gingen sie von selbst wieder nach ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte zurück. Wollte die Magd sie wegtreiben, so schlugen sie nach ihr oder zerrissen ihr die Kleider. Sie liefen in den Stall zwischen die Pferde und fraßen mit diesen aus der Krippe. Nicht selten kamen sie in Bennett's Studirzimmer, nachdem sie selbst die klaffende Thüre geöffnet, liefen ruhig in demselben umher, besahen Alles und gingen wieder ihres Weges. Jedes ungewohnte Ereigniß fesselte sie, ein Geräusch, welches sie vernahmen, zog sie herbei. --
Jn ihrem Gange unterscheiden sich die Kasuare auffallend genug von anderen Straußen. Sie laufen nicht, sondern traben und zwar mit einer wagrechten Haltung des Leibes, lüften dabei auch gewöhnlich die verlängerten Bürzelfedern etwas und erscheinen so hinten höher als vorn. Die einzelnen Schritte folgen nicht besonders schnell auf einander, und der Trab fördert demgemäß verhältnißmäßig wenig; wenn aber der Kasuar wirklich flüchten will, läuft er mit einer erstaunlichen Eilfertigkeit dahin. Wendungen aller Art führt er mit bewunderungswürdiger Fertigkeit aus; auch ist er im Stande, senkrecht vier bis fünf Fuß hoch emporzuspringen. Seine Stimme läßt sich mit einem schwachen, tief aus der Kehle kommenden "Huh, huh, huh" vergleichen. Dieser Laut drückt stets eine behag- liche Stimmung aus; denn der gereizte Kasuar faucht nach Art einer Katze oder Eule. Unter den Sinnen steht das Gesicht unzweifelhaft oben an; das Gehör dürfte nächstdem als am meisten entwickelt betrachtet werden; aber auch der Geruch scheint ziemlich scharf zu sein. Ob der Kasuar einen aus- gebildeten Geschmack besitzt, läßt sich schwer entscheiden, auch hinsichtlich des Gefühls, bezüglich des Empfindungsvermögens, nur annehmen, daß es nicht verkümmert ist. Das geistige Wesen zeichnet den Kasuar nach meinen Beobachtungen nicht eben zu seinem Vortheile vor den Verwandten aus. Jch halte ihn für viel klüger, aber auch für entschieden boshafter als die übrigen Strauße. Jedes ungewohnte Ereigniß bringt ihn, wenn nicht in Furcht, in eine Erregung, welche in förmlichen Jähzorn ausartet. Dann fällt der Vogel rücksichtslos den Gegner an, welcher ihn reizt, gleichviel ob derselbe ein Mensch oder ein Thier, springt wüthend an ihm empor und versucht ebensowohl mit dem Schnabel wie mit den scharf bekrallten Füßen zu schädigen. Genau ebenso geberdet er sich während der Brunstzeit. Die Wärter des londoner Thiergartens erfuhren, daß man mit den Kasuaren nicht vorsichtig genug sein kann, da das Weibchen nach geschehener Begattung oft wüthend auf das Männchen losstürzt und mehr als eins dieser boshaften Geschöpfe seinen Ehegemahl getödtet hat. Einzelne werden mit der Zeit so unbändig, daß sie sich über Alles ärgern, was ihnen vor die Augen kommt, daß sie auf Leute in buntfarbigen Kleidern losstürzen oder Kinder ernstlich bedrohen, ja selbst in blinder Wuth Bäume zerkratzen und entschälen. Die Wärter aller Thiergärten, in denen sich Kasuare finden, fürchten letztere mehr als die großen. Katzenarten, weil man deren Stimmung stets im Aus- drucke des Gesichts erkennt, vor dem Kasuar aber sich gar nicht genug in Acht nehmen kann und auf irgend einen boshaften Streich jederzeit gefaßt sein muß.
Obgleich man annehmen darf, daß die Kasuare thierische Nahrung nicht ganz verschmähen, muß man sie doch den eigentlichen Pflanzenfressern unter den Vögeln beizählen. Man nimmt an, daß sie
Die Läufer. Kurzflügler. Kaſuare.
berichtet, daß die beiden Mooruks, welche er zuerſt erhielt, von den Eingebornen Neubritanniens an Bord des Schiffes „Oberon“ gebracht und dem Kapitän Davlin zu Kauf angeboten wurden. Die Leute erzählten, daß es unmöglich ſei, alte Kaſuare zu fangen, weil ſie ungemein ſcheu wären, bei dem geringſten Geräuſche davon eilten und vermöge ihrer Rennfertigkeit und Ausdauer ſehr raſch eines jener Dickichte erreichten, welche kein Menſch zu durchdringen vermöge. Die Jungen würden bald nach dem Ausſchlüpfen gefangen und wie Küchlein großgezogen. Bennett’s Gefangene waren ſehr zahm, liefen im Hauſe und Hofe überall umher und ohne Beſorgniß auf Jeden zu, welchen ſie ſahen, weil man ſie durch Füttern verwöhnt hatte. Mit der Zeit wurden ſie ſo zudringlich, daß ſie die Dienerſchaft in ihren Arbeiten ſtörten; denn ſie drangen durch alle Thüren ein, welche offen ſtanden, folgten den Leuten auf Schritt und Tritt, durchſtöberten in der Küche alle Winkel, ſprangen auf Tiſch und Stühle und beunruhigten den Koch aufs Höchſte. Wenn man verſuchte, ſie zu fangen, liefen ſie äußerſt ſchnell umher oder verkrochen ſich unter die Geräthſchaften, wehrten ſich auch wohl muthig mit Schnabel und Füßen. Ließ man ſie frei, ſo gingen ſie von ſelbſt wieder nach ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte zurück. Wollte die Magd ſie wegtreiben, ſo ſchlugen ſie nach ihr oder zerriſſen ihr die Kleider. Sie liefen in den Stall zwiſchen die Pferde und fraßen mit dieſen aus der Krippe. Nicht ſelten kamen ſie in Bennett’s Studirzimmer, nachdem ſie ſelbſt die klaffende Thüre geöffnet, liefen ruhig in demſelben umher, beſahen Alles und gingen wieder ihres Weges. Jedes ungewohnte Ereigniß feſſelte ſie, ein Geräuſch, welches ſie vernahmen, zog ſie herbei. —
Jn ihrem Gange unterſcheiden ſich die Kaſuare auffallend genug von anderen Straußen. Sie laufen nicht, ſondern traben und zwar mit einer wagrechten Haltung des Leibes, lüften dabei auch gewöhnlich die verlängerten Bürzelfedern etwas und erſcheinen ſo hinten höher als vorn. Die einzelnen Schritte folgen nicht beſonders ſchnell auf einander, und der Trab fördert demgemäß verhältnißmäßig wenig; wenn aber der Kaſuar wirklich flüchten will, läuft er mit einer erſtaunlichen Eilfertigkeit dahin. Wendungen aller Art führt er mit bewunderungswürdiger Fertigkeit aus; auch iſt er im Stande, ſenkrecht vier bis fünf Fuß hoch emporzuſpringen. Seine Stimme läßt ſich mit einem ſchwachen, tief aus der Kehle kommenden „Huh, huh, huh“ vergleichen. Dieſer Laut drückt ſtets eine behag- liche Stimmung aus; denn der gereizte Kaſuar faucht nach Art einer Katze oder Eule. Unter den Sinnen ſteht das Geſicht unzweifelhaft oben an; das Gehör dürfte nächſtdem als am meiſten entwickelt betrachtet werden; aber auch der Geruch ſcheint ziemlich ſcharf zu ſein. Ob der Kaſuar einen aus- gebildeten Geſchmack beſitzt, läßt ſich ſchwer entſcheiden, auch hinſichtlich des Gefühls, bezüglich des Empfindungsvermögens, nur annehmen, daß es nicht verkümmert iſt. Das geiſtige Weſen zeichnet den Kaſuar nach meinen Beobachtungen nicht eben zu ſeinem Vortheile vor den Verwandten aus. Jch halte ihn für viel klüger, aber auch für entſchieden boshafter als die übrigen Strauße. Jedes ungewohnte Ereigniß bringt ihn, wenn nicht in Furcht, in eine Erregung, welche in förmlichen Jähzorn ausartet. Dann fällt der Vogel rückſichtslos den Gegner an, welcher ihn reizt, gleichviel ob derſelbe ein Menſch oder ein Thier, ſpringt wüthend an ihm empor und verſucht ebenſowohl mit dem Schnabel wie mit den ſcharf bekrallten Füßen zu ſchädigen. Genau ebenſo geberdet er ſich während der Brunſtzeit. Die Wärter des londoner Thiergartens erfuhren, daß man mit den Kaſuaren nicht vorſichtig genug ſein kann, da das Weibchen nach geſchehener Begattung oft wüthend auf das Männchen losſtürzt und mehr als eins dieſer boshaften Geſchöpfe ſeinen Ehegemahl getödtet hat. Einzelne werden mit der Zeit ſo unbändig, daß ſie ſich über Alles ärgern, was ihnen vor die Augen kommt, daß ſie auf Leute in buntfarbigen Kleidern losſtürzen oder Kinder ernſtlich bedrohen, ja ſelbſt in blinder Wuth Bäume zerkratzen und entſchälen. Die Wärter aller Thiergärten, in denen ſich Kaſuare finden, fürchten letztere mehr als die großen. Katzenarten, weil man deren Stimmung ſtets im Aus- drucke des Geſichts erkennt, vor dem Kaſuar aber ſich gar nicht genug in Acht nehmen kann und auf irgend einen boshaften Streich jederzeit gefaßt ſein muß.
Obgleich man annehmen darf, daß die Kaſuare thieriſche Nahrung nicht ganz verſchmähen, muß man ſie doch den eigentlichen Pflanzenfreſſern unter den Vögeln beizählen. Man nimmt an, daß ſie
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[548/0580]
Die Läufer. Kurzflügler. Kaſuare.
berichtet, daß die beiden Mooruks, welche er zuerſt erhielt, von den Eingebornen Neubritanniens an
Bord des Schiffes „Oberon“ gebracht und dem Kapitän Davlin zu Kauf angeboten wurden. Die
Leute erzählten, daß es unmöglich ſei, alte Kaſuare zu fangen, weil ſie ungemein ſcheu wären, bei dem
geringſten Geräuſche davon eilten und vermöge ihrer Rennfertigkeit und Ausdauer ſehr raſch eines
jener Dickichte erreichten, welche kein Menſch zu durchdringen vermöge. Die Jungen würden bald
nach dem Ausſchlüpfen gefangen und wie Küchlein großgezogen. Bennett’s Gefangene waren ſehr
zahm, liefen im Hauſe und Hofe überall umher und ohne Beſorgniß auf Jeden zu, welchen ſie ſahen,
weil man ſie durch Füttern verwöhnt hatte. Mit der Zeit wurden ſie ſo zudringlich, daß ſie die
Dienerſchaft in ihren Arbeiten ſtörten; denn ſie drangen durch alle Thüren ein, welche offen ſtanden,
folgten den Leuten auf Schritt und Tritt, durchſtöberten in der Küche alle Winkel, ſprangen auf
Tiſch und Stühle und beunruhigten den Koch aufs Höchſte. Wenn man verſuchte, ſie zu fangen,
liefen ſie äußerſt ſchnell umher oder verkrochen ſich unter die Geräthſchaften, wehrten ſich auch wohl
muthig mit Schnabel und Füßen. Ließ man ſie frei, ſo gingen ſie von ſelbſt wieder nach ihrem
gewöhnlichen Aufenthaltsorte zurück. Wollte die Magd ſie wegtreiben, ſo ſchlugen ſie nach ihr oder
zerriſſen ihr die Kleider. Sie liefen in den Stall zwiſchen die Pferde und fraßen mit dieſen aus der
Krippe. Nicht ſelten kamen ſie in Bennett’s Studirzimmer, nachdem ſie ſelbſt die klaffende Thüre
geöffnet, liefen ruhig in demſelben umher, beſahen Alles und gingen wieder ihres Weges. Jedes
ungewohnte Ereigniß feſſelte ſie, ein Geräuſch, welches ſie vernahmen, zog ſie herbei. —
Jn ihrem Gange unterſcheiden ſich die Kaſuare auffallend genug von anderen Straußen. Sie
laufen nicht, ſondern traben und zwar mit einer wagrechten Haltung des Leibes, lüften dabei auch
gewöhnlich die verlängerten Bürzelfedern etwas und erſcheinen ſo hinten höher als vorn. Die einzelnen
Schritte folgen nicht beſonders ſchnell auf einander, und der Trab fördert demgemäß verhältnißmäßig
wenig; wenn aber der Kaſuar wirklich flüchten will, läuft er mit einer erſtaunlichen Eilfertigkeit dahin.
Wendungen aller Art führt er mit bewunderungswürdiger Fertigkeit aus; auch iſt er im Stande,
ſenkrecht vier bis fünf Fuß hoch emporzuſpringen. Seine Stimme läßt ſich mit einem ſchwachen, tief
aus der Kehle kommenden „Huh, huh, huh“ vergleichen. Dieſer Laut drückt ſtets eine behag-
liche Stimmung aus; denn der gereizte Kaſuar faucht nach Art einer Katze oder Eule. Unter den
Sinnen ſteht das Geſicht unzweifelhaft oben an; das Gehör dürfte nächſtdem als am meiſten entwickelt
betrachtet werden; aber auch der Geruch ſcheint ziemlich ſcharf zu ſein. Ob der Kaſuar einen aus-
gebildeten Geſchmack beſitzt, läßt ſich ſchwer entſcheiden, auch hinſichtlich des Gefühls, bezüglich
des Empfindungsvermögens, nur annehmen, daß es nicht verkümmert iſt. Das geiſtige Weſen
zeichnet den Kaſuar nach meinen Beobachtungen nicht eben zu ſeinem Vortheile vor den Verwandten
aus. Jch halte ihn für viel klüger, aber auch für entſchieden boshafter als die übrigen Strauße.
Jedes ungewohnte Ereigniß bringt ihn, wenn nicht in Furcht, in eine Erregung, welche in förmlichen
Jähzorn ausartet. Dann fällt der Vogel rückſichtslos den Gegner an, welcher ihn reizt, gleichviel ob
derſelbe ein Menſch oder ein Thier, ſpringt wüthend an ihm empor und verſucht ebenſowohl mit dem
Schnabel wie mit den ſcharf bekrallten Füßen zu ſchädigen. Genau ebenſo geberdet er ſich während
der Brunſtzeit. Die Wärter des londoner Thiergartens erfuhren, daß man mit den Kaſuaren nicht
vorſichtig genug ſein kann, da das Weibchen nach geſchehener Begattung oft wüthend auf das Männchen
losſtürzt und mehr als eins dieſer boshaften Geſchöpfe ſeinen Ehegemahl getödtet hat. Einzelne
werden mit der Zeit ſo unbändig, daß ſie ſich über Alles ärgern, was ihnen vor die Augen kommt,
daß ſie auf Leute in buntfarbigen Kleidern losſtürzen oder Kinder ernſtlich bedrohen, ja ſelbſt in
blinder Wuth Bäume zerkratzen und entſchälen. Die Wärter aller Thiergärten, in denen ſich Kaſuare
finden, fürchten letztere mehr als die großen. Katzenarten, weil man deren Stimmung ſtets im Aus-
drucke des Geſichts erkennt, vor dem Kaſuar aber ſich gar nicht genug in Acht nehmen kann und auf
irgend einen boshaften Streich jederzeit gefaßt ſein muß.
Obgleich man annehmen darf, daß die Kaſuare thieriſche Nahrung nicht ganz verſchmähen, muß
man ſie doch den eigentlichen Pflanzenfreſſern unter den Vögeln beizählen. Man nimmt an, daß ſie
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/580>, abgerufen am 22.11.2024.
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