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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Alpenmauerläufer.
Gefieder da und kletterte nur wenig und langsam, als ob er sich fürchte, ohne die zufällige Hilfe seiner
Windflügel die steilen Wege zu betreten."

"Zum Boden seines Käfigs herab kam er nur selten und blos dann, wenn ihm ein Thierchen zu
stark in die Augen stak, dem Freßgeschirr nahete er sich im Zickzack, am Felsen abwärts fliegend und
kletternd; das Fressen selbst besorgte er hängend."

"Von seinem Freileben her gewöhnt, sich bei Zeiten nach einer passenden Nachtherberge umzu-
sehen, stieg er gegen Abend fleißig in der Nähe der Felsritze umher, welche sein Schlafkämmerchen
bildete, flog aber sogleich nach einem andern Theil des Käfigs, sobald er sich beobachtet glaubte. Jn
das Jnnere des Gemachs schlüpfte er nie, so lange irgend Jemand in der Nähe war: -- eine Vorsicht,
welche in seinem Wohngebiet der Raubvögel wegen wohl angebracht sein wird. Näherte sich ein
Fremder dem Käfig, wenn er bereits im Neste lag, und glaubte er sich bedroht, so erhob er sich ganz
still, schlich sich, ohne durch Flügelschläge Geräusch zu verursachen, die Felsschrunde hinauf, bis oben
an die Käfigdecke, verließ dort die Spalte, ging noch eine kleine Strecke an dem Felsen oben hin und
flog nun plötzlich nach einer weit vom Schlafplatz entfernten Stelle, unzweifelhaft in der Absicht, den
Beobachter zu täuschen."

"Leider war meine Freude an dem lieben Gefangenen nur eine verhältnißmäßig kurze. Ende
Septembers wurde das Bataillon, zu dem ich als Arzt gehörte, nach Genf beordert. So gern ich
diesem Rufe folgte, so senkte sich doch ein Schatten düsterer Ahnung auf mein Herz in Beziehung auf
meinen Mauerläufer, obwohl ich ihn in durchaus sachkundigen Händen zurücklassen konnte. Plötzlich
bekam ich die Nachricht, daß er am 13. Oktober gestorben sei. Einer meiner Freunde stopfte den
armen Schelm daun sehr schön aus, sodaß ich ihn dann wenigstens in dieser Weise noch besitze. Den
Körper bewahrte er für mich in Weingeist, und als ich endlich aus friedlichem Kriege wieder nach
Hause zurückkehrte, wurde es mir sogleich klar, daß der Mauerläufer an einer Lungenentzündung
gestorben sei. Mein Vater berichtete, schon wenigstens eine Woche vor dem Tode beobachtet zu haben,
daß er mit mehr Anstrengung, langsamer und seltener kletterte, als früher; im übrigen war er noch
munter gewesen und hatte gefressen, wie gewöhnlich. Am Morgen nach einer kalten Nacht wurde er
am Boden des Käfigs zusammengeballt und mit Mühe athmend gefunden. Eine Stunde später war
er todt. Jch hatte ihm offenbar zu viel zugetraut; denn da ich ihn vor Wind und Kälte genügend
geschützt glaubte, gab ich Vefehl, den Käfig erst bei wirklich großer Kälte ins Haus zu nehmen. Er
scheint sich aber doch erkältet zu haben, und ich habe daraus wieder erfahren, daß Zug auch den abge-
härtetsten Vögeln verderblich werden kann."

"Die gefährlichsten Feinde des freilebenden Mauerläufers sind wohl die kleinen Falkenarten,
besonders der Sperber, welcher seine Raubzüge auch in die höchsten Gebirgsgürtel ausdehnt. Er
fängt manchen Alten weg und nimmt wohl auch manches Nest aus. Doch gelingt es dem Mauer-
läufer, Dank seiner Flugfertigkeit, zuweilen selbst diesem gewandten Räuber zu entfliehen. Das
habe ich einst selbst mit angesehen."

"Ein Sperber suchte vergebens erfolgreich auf einen Mauerläufer zu stoßen, welcher eine weite
Schlucht überflog. Je kühnere Wendungen der Verfolger ausführte, umsomehr entwickelte auch der
Verfolgte seine Kunstfertigkeit. Durch die Angriffe des Sperbers scheinbar vollauf beschäftigt, wußte
er sich doch, stets flink ausweichend, allmählich der gegenüber liegenden Felswand zuzuziehen. Vermag
er sie glücklich zu erreichen, so ist er in meinen Augen gerettet. Kaum in der Nähe derselben ange-
kommen, gibt er plötzlich die Vertheidigung auf, schießt pfeilschnell in gerader Richtung auf die Fels-
wand zu, erreicht sie unversehrt und ist im nächsten Augenblick schon in einer Spalte verschwunden.
Sogleich gibt nun auch der Sperber die vergebliche Jagd auf und zieht unter ärgerlichem Kreischen
von dannen."

"Von Schaden kann beim Mauerläufer, einem reinen Kerbthierfresser, nicht die Rede sein; jedoch
auch sein Nutzen fällt in Anbetracht der Gebiete, denen er seine Nahrung entnimmt, natürlich sehr
gering aus. Als eine der größten Zierden unserer Alpen aber ist er für den Freund der Gebirgswelt

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Alpenmauerläufer.
Gefieder da und kletterte nur wenig und langſam, als ob er ſich fürchte, ohne die zufällige Hilfe ſeiner
Windflügel die ſteilen Wege zu betreten.“

„Zum Boden ſeines Käfigs herab kam er nur ſelten und blos dann, wenn ihm ein Thierchen zu
ſtark in die Augen ſtak, dem Freßgeſchirr nahete er ſich im Zickzack, am Felſen abwärts fliegend und
kletternd; das Freſſen ſelbſt beſorgte er hängend.“

„Von ſeinem Freileben her gewöhnt, ſich bei Zeiten nach einer paſſenden Nachtherberge umzu-
ſehen, ſtieg er gegen Abend fleißig in der Nähe der Felsritze umher, welche ſein Schlafkämmerchen
bildete, flog aber ſogleich nach einem andern Theil des Käfigs, ſobald er ſich beobachtet glaubte. Jn
das Jnnere des Gemachs ſchlüpfte er nie, ſo lange irgend Jemand in der Nähe war: — eine Vorſicht,
welche in ſeinem Wohngebiet der Raubvögel wegen wohl angebracht ſein wird. Näherte ſich ein
Fremder dem Käfig, wenn er bereits im Neſte lag, und glaubte er ſich bedroht, ſo erhob er ſich ganz
ſtill, ſchlich ſich, ohne durch Flügelſchläge Geräuſch zu verurſachen, die Felsſchrunde hinauf, bis oben
an die Käfigdecke, verließ dort die Spalte, ging noch eine kleine Strecke an dem Felſen oben hin und
flog nun plötzlich nach einer weit vom Schlafplatz entfernten Stelle, unzweifelhaft in der Abſicht, den
Beobachter zu täuſchen.“

„Leider war meine Freude an dem lieben Gefangenen nur eine verhältnißmäßig kurze. Ende
Septembers wurde das Bataillon, zu dem ich als Arzt gehörte, nach Genf beordert. So gern ich
dieſem Rufe folgte, ſo ſenkte ſich doch ein Schatten düſterer Ahnung auf mein Herz in Beziehung auf
meinen Mauerläufer, obwohl ich ihn in durchaus ſachkundigen Händen zurücklaſſen konnte. Plötzlich
bekam ich die Nachricht, daß er am 13. Oktober geſtorben ſei. Einer meiner Freunde ſtopfte den
armen Schelm daun ſehr ſchön aus, ſodaß ich ihn dann wenigſtens in dieſer Weiſe noch beſitze. Den
Körper bewahrte er für mich in Weingeiſt, und als ich endlich aus friedlichem Kriege wieder nach
Hauſe zurückkehrte, wurde es mir ſogleich klar, daß der Mauerläufer an einer Lungenentzündung
geſtorben ſei. Mein Vater berichtete, ſchon wenigſtens eine Woche vor dem Tode beobachtet zu haben,
daß er mit mehr Anſtrengung, langſamer und ſeltener kletterte, als früher; im übrigen war er noch
munter geweſen und hatte gefreſſen, wie gewöhnlich. Am Morgen nach einer kalten Nacht wurde er
am Boden des Käfigs zuſammengeballt und mit Mühe athmend gefunden. Eine Stunde ſpäter war
er todt. Jch hatte ihm offenbar zu viel zugetraut; denn da ich ihn vor Wind und Kälte genügend
geſchützt glaubte, gab ich Vefehl, den Käfig erſt bei wirklich großer Kälte ins Haus zu nehmen. Er
ſcheint ſich aber doch erkältet zu haben, und ich habe daraus wieder erfahren, daß Zug auch den abge-
härtetſten Vögeln verderblich werden kann.“

„Die gefährlichſten Feinde des freilebenden Mauerläufers ſind wohl die kleinen Falkenarten,
beſonders der Sperber, welcher ſeine Raubzüge auch in die höchſten Gebirgsgürtel ausdehnt. Er
fängt manchen Alten weg und nimmt wohl auch manches Neſt aus. Doch gelingt es dem Mauer-
läufer, Dank ſeiner Flugfertigkeit, zuweilen ſelbſt dieſem gewandten Räuber zu entfliehen. Das
habe ich einſt ſelbſt mit angeſehen.“

„Ein Sperber ſuchte vergebens erfolgreich auf einen Mauerläufer zu ſtoßen, welcher eine weite
Schlucht überflog. Je kühnere Wendungen der Verfolger ausführte, umſomehr entwickelte auch der
Verfolgte ſeine Kunſtfertigkeit. Durch die Angriffe des Sperbers ſcheinbar vollauf beſchäftigt, wußte
er ſich doch, ſtets flink ausweichend, allmählich der gegenüber liegenden Felswand zuzuziehen. Vermag
er ſie glücklich zu erreichen, ſo iſt er in meinen Augen gerettet. Kaum in der Nähe derſelben ange-
kommen, gibt er plötzlich die Vertheidigung auf, ſchießt pfeilſchnell in gerader Richtung auf die Fels-
wand zu, erreicht ſie unverſehrt und iſt im nächſten Augenblick ſchon in einer Spalte verſchwunden.
Sogleich gibt nun auch der Sperber die vergebliche Jagd auf und zieht unter ärgerlichem Kreiſchen
von dannen.“

„Von Schaden kann beim Mauerläufer, einem reinen Kerbthierfreſſer, nicht die Rede ſein; jedoch
auch ſein Nutzen fällt in Anbetracht der Gebiete, denen er ſeine Nahrung entnimmt, natürlich ſehr
gering aus. Als eine der größten Zierden unſerer Alpen aber iſt er für den Freund der Gebirgswelt

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[51/0063] Alpenmauerläufer. Gefieder da und kletterte nur wenig und langſam, als ob er ſich fürchte, ohne die zufällige Hilfe ſeiner Windflügel die ſteilen Wege zu betreten.“ „Zum Boden ſeines Käfigs herab kam er nur ſelten und blos dann, wenn ihm ein Thierchen zu ſtark in die Augen ſtak, dem Freßgeſchirr nahete er ſich im Zickzack, am Felſen abwärts fliegend und kletternd; das Freſſen ſelbſt beſorgte er hängend.“ „Von ſeinem Freileben her gewöhnt, ſich bei Zeiten nach einer paſſenden Nachtherberge umzu- ſehen, ſtieg er gegen Abend fleißig in der Nähe der Felsritze umher, welche ſein Schlafkämmerchen bildete, flog aber ſogleich nach einem andern Theil des Käfigs, ſobald er ſich beobachtet glaubte. Jn das Jnnere des Gemachs ſchlüpfte er nie, ſo lange irgend Jemand in der Nähe war: — eine Vorſicht, welche in ſeinem Wohngebiet der Raubvögel wegen wohl angebracht ſein wird. Näherte ſich ein Fremder dem Käfig, wenn er bereits im Neſte lag, und glaubte er ſich bedroht, ſo erhob er ſich ganz ſtill, ſchlich ſich, ohne durch Flügelſchläge Geräuſch zu verurſachen, die Felsſchrunde hinauf, bis oben an die Käfigdecke, verließ dort die Spalte, ging noch eine kleine Strecke an dem Felſen oben hin und flog nun plötzlich nach einer weit vom Schlafplatz entfernten Stelle, unzweifelhaft in der Abſicht, den Beobachter zu täuſchen.“ „Leider war meine Freude an dem lieben Gefangenen nur eine verhältnißmäßig kurze. Ende Septembers wurde das Bataillon, zu dem ich als Arzt gehörte, nach Genf beordert. So gern ich dieſem Rufe folgte, ſo ſenkte ſich doch ein Schatten düſterer Ahnung auf mein Herz in Beziehung auf meinen Mauerläufer, obwohl ich ihn in durchaus ſachkundigen Händen zurücklaſſen konnte. Plötzlich bekam ich die Nachricht, daß er am 13. Oktober geſtorben ſei. Einer meiner Freunde ſtopfte den armen Schelm daun ſehr ſchön aus, ſodaß ich ihn dann wenigſtens in dieſer Weiſe noch beſitze. Den Körper bewahrte er für mich in Weingeiſt, und als ich endlich aus friedlichem Kriege wieder nach Hauſe zurückkehrte, wurde es mir ſogleich klar, daß der Mauerläufer an einer Lungenentzündung geſtorben ſei. Mein Vater berichtete, ſchon wenigſtens eine Woche vor dem Tode beobachtet zu haben, daß er mit mehr Anſtrengung, langſamer und ſeltener kletterte, als früher; im übrigen war er noch munter geweſen und hatte gefreſſen, wie gewöhnlich. Am Morgen nach einer kalten Nacht wurde er am Boden des Käfigs zuſammengeballt und mit Mühe athmend gefunden. Eine Stunde ſpäter war er todt. Jch hatte ihm offenbar zu viel zugetraut; denn da ich ihn vor Wind und Kälte genügend geſchützt glaubte, gab ich Vefehl, den Käfig erſt bei wirklich großer Kälte ins Haus zu nehmen. Er ſcheint ſich aber doch erkältet zu haben, und ich habe daraus wieder erfahren, daß Zug auch den abge- härtetſten Vögeln verderblich werden kann.“ „Die gefährlichſten Feinde des freilebenden Mauerläufers ſind wohl die kleinen Falkenarten, beſonders der Sperber, welcher ſeine Raubzüge auch in die höchſten Gebirgsgürtel ausdehnt. Er fängt manchen Alten weg und nimmt wohl auch manches Neſt aus. Doch gelingt es dem Mauer- läufer, Dank ſeiner Flugfertigkeit, zuweilen ſelbſt dieſem gewandten Räuber zu entfliehen. Das habe ich einſt ſelbſt mit angeſehen.“ „Ein Sperber ſuchte vergebens erfolgreich auf einen Mauerläufer zu ſtoßen, welcher eine weite Schlucht überflog. Je kühnere Wendungen der Verfolger ausführte, umſomehr entwickelte auch der Verfolgte ſeine Kunſtfertigkeit. Durch die Angriffe des Sperbers ſcheinbar vollauf beſchäftigt, wußte er ſich doch, ſtets flink ausweichend, allmählich der gegenüber liegenden Felswand zuzuziehen. Vermag er ſie glücklich zu erreichen, ſo iſt er in meinen Augen gerettet. Kaum in der Nähe derſelben ange- kommen, gibt er plötzlich die Vertheidigung auf, ſchießt pfeilſchnell in gerader Richtung auf die Fels- wand zu, erreicht ſie unverſehrt und iſt im nächſten Augenblick ſchon in einer Spalte verſchwunden. Sogleich gibt nun auch der Sperber die vergebliche Jagd auf und zieht unter ärgerlichem Kreiſchen von dannen.“ „Von Schaden kann beim Mauerläufer, einem reinen Kerbthierfreſſer, nicht die Rede ſein; jedoch auch ſein Nutzen fällt in Anbetracht der Gebiete, denen er ſeine Nahrung entnimmt, natürlich ſehr gering aus. Als eine der größten Zierden unſerer Alpen aber iſt er für den Freund der Gebirgswelt 4 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/63>, abgerufen am 27.11.2024.