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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Kiebitz.
Hausherrn selbst als der ihm tödtlich verhaßten Hunde und Katzen halber. Hauptbedingung des den
Neigungen unseres Vogels entsprechenden Brutplatzes ist die Nähe von Wasser oder wenigstens
feuchter Boden. Es kommt zwar auch, aber doch selten, vor, daß die Kiebitze hochgelegene
Bergebenen zum Nisten benutzen; wenn es geschieht, darf man mit ziemlicher Sicherheit darauf
rechnen, daß die sonst benutzten Nistplätze im Laufe des Sommers werden überschwemmt werden.
Auf diesen Nistplätzen nun sieht oder hört man die Kiebitze zu jeder Tageszeit, wenn man in ihre
Nähe kommt, gewiß. Ganz abgesehen von der Wachsamkeit, welche in jedem anderen Geschöpfe,
vielleicht mit Ausnahme der Rinder und Schafe, ein gefährliches Wesen erkennen will, gefällt sich
der Kiebitz in einer fast ununterbrochenen Beweglichkeit, und da er lieber fliegt als läuft, zur
Kundgabe seiner Liebesgefühle oder auch seines Aergers und mancher Tollheiten, deren Grund man
nicht recht begreift, hauptsächlich seine Schwingen benutzt, kann es nicht fehlen, daß man ihn
wahrnimmt. Am tollsten treibt es der Vogel selbstverständlich solange seine Eier im Neste liegen
oder seine Jungen noch unfähig sind, einer herannahenden Gefahr fliegend zu entrinnen. Um diese
Zeit wird jeder Mensch, welcher in die Nähe ihres Brutortes kommt, unter lautem "Kiwit"
umschwärmt, und zwar mit einer Kühnheit, welche wahrhaft in Erstaunen setzt; denn der um seine
Brut besorgte Vogel stößt oft so dicht an dem Kopfe des Menschen vorbei, daß dieser den durch
schnelle Bewegung erzeugten Luftzug deutlich verspüren kann. Der Flug ist vortrefflich und durch
die manchfaltigsten Wendungen ausgezeichnet. Nur wenn der Kiebitz über dem Wasser dahinstreicht,
fliegt er mit langsamen Schwingenschlägen seines Weges fort; sowie er dagegen sich in höheren
Luftschichten bewegt, beginnt er zu gaukeln, gleichsam als wolle er jedes Gefühl durch eine besondere
Bewegung ausdrücken. Wenn sich ihm oder seinen Jungen wirklich eine Gefahr naht, führt er die
kühnsten Schwenkungen aus, stürzt sich fast bis auf den Boden herab, steigt aber sofort steil wieder in
die Höhe, wirft sich bald auf diese, bald auf jene Seite, überschlägt sich förmlich, senkt sich zum Boden
herab, trippelt hier ein wenig umher, erhebt sich von neuem und beginnt das alte Spiel wieder.
Kein Vogel unseres Vaterlandes fliegt wie er, keiner versteht es, in derselben Weise alle nur
denkbaren Bewegungen mit den Fittigen auszuführen. Ein eigenthümliches Sausen und Wuchteln,
welches bei den schnellen Flügelschlägen entsteht, zeichnet diesen Flug noch außerdem so aus, daß man
in der Luft dahinziehende Kiebitze auch in finsterer Nacht von jedem anderen Vogel unterscheiden kann.
Der Gang ist zierlich und behend, dem der Regenpfeifer ähnlich; der Lauf kann zu großer Eile
gesteigert werden. Jm Fliegen wie im Gehen spielt der sonderbare Geselle dabei fortwährend mit
seiner Holle, welche er bald wagrecht niederlegt, bald hoch aufrichtet. Von seiner Stimme macht er
sehr oft Gebrauch und obgleich dieselbe nicht eben wechselvoll genannt werden kann, versteht er es, die
wenigen Töne, aus denen sie besteht, vielfach zu verbinden. Der Lockton ist das bereits erwähnte
"Kiwit", welches bald mehr, bald weniger gedehnt, überhaupt verschieden betont wird und dann auch
Verschiedenes ausdrückt; der Angstruf klingt wie "Chräit", der Paarungsruf besteht aus einer eng
verbundenen Reihe von Lauten, welche man durch die Silben "Chäh querkhoit kiwitkiwitkiwit kiuiht"
ungefähr ausdrücken kann. Daß dieser Ruf nur im Fluge ausgestoßen und von den allertollsten
Gaukeleien begleitet wird, braucht kaum erwähnt zu werden. Der Ruf und der Gaukelflug sind, wie
Naumann sagt, unzertrennlich und bilden zusammen ein Ganzes; sie drücken unverkennbar die hohe
Freude, das ganze Liebesglück des Vogels aus.

Jemehr man den Kiebitz beobachtet, umso fester wird man überzeugt, daß er sehr viele und vor-
treffliche Eigenschaften besitzt. Die Wachsamkeit, welche den Jäger ärgert, gereicht ihm zum höchsten
Ruhme, weil sie unzweifelhaft einen hohen Grad von Klugheit bekundet. Er weiß genau, welchen
Menschen er trauen darf und welche er meiden muß. Mit Hirten und Bauern tritt er unter
Umständen in ein gewisses Freundschaftsverhältniß; dem Jäger weicht er so ängstlich aus, daß man
meinen möchte, er kenne das Gewehr. Eine böse Erfahrung vergißt er nie und derjenige Ort, an
welchem einen seiner Art ein Unglück traf, bleibt den übrigen jahrelang im Gedächtniß. Allen
Raubthieren gegenüber legt er den tiefsten Haß an den Tag, zeigt zugleich aber hohen Muth, ja

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Kiebitz.
Hausherrn ſelbſt als der ihm tödtlich verhaßten Hunde und Katzen halber. Hauptbedingung des den
Neigungen unſeres Vogels entſprechenden Brutplatzes iſt die Nähe von Waſſer oder wenigſtens
feuchter Boden. Es kommt zwar auch, aber doch ſelten, vor, daß die Kiebitze hochgelegene
Bergebenen zum Niſten benutzen; wenn es geſchieht, darf man mit ziemlicher Sicherheit darauf
rechnen, daß die ſonſt benutzten Niſtplätze im Laufe des Sommers werden überſchwemmt werden.
Auf dieſen Niſtplätzen nun ſieht oder hört man die Kiebitze zu jeder Tageszeit, wenn man in ihre
Nähe kommt, gewiß. Ganz abgeſehen von der Wachſamkeit, welche in jedem anderen Geſchöpfe,
vielleicht mit Ausnahme der Rinder und Schafe, ein gefährliches Weſen erkennen will, gefällt ſich
der Kiebitz in einer faſt ununterbrochenen Beweglichkeit, und da er lieber fliegt als läuft, zur
Kundgabe ſeiner Liebesgefühle oder auch ſeines Aergers und mancher Tollheiten, deren Grund man
nicht recht begreift, hauptſächlich ſeine Schwingen benutzt, kann es nicht fehlen, daß man ihn
wahrnimmt. Am tollſten treibt es der Vogel ſelbſtverſtändlich ſolange ſeine Eier im Neſte liegen
oder ſeine Jungen noch unfähig ſind, einer herannahenden Gefahr fliegend zu entrinnen. Um dieſe
Zeit wird jeder Menſch, welcher in die Nähe ihres Brutortes kommt, unter lautem „Kiwit“
umſchwärmt, und zwar mit einer Kühnheit, welche wahrhaft in Erſtaunen ſetzt; denn der um ſeine
Brut beſorgte Vogel ſtößt oft ſo dicht an dem Kopfe des Menſchen vorbei, daß dieſer den durch
ſchnelle Bewegung erzeugten Luftzug deutlich verſpüren kann. Der Flug iſt vortrefflich und durch
die manchfaltigſten Wendungen ausgezeichnet. Nur wenn der Kiebitz über dem Waſſer dahinſtreicht,
fliegt er mit langſamen Schwingenſchlägen ſeines Weges fort; ſowie er dagegen ſich in höheren
Luftſchichten bewegt, beginnt er zu gaukeln, gleichſam als wolle er jedes Gefühl durch eine beſondere
Bewegung ausdrücken. Wenn ſich ihm oder ſeinen Jungen wirklich eine Gefahr naht, führt er die
kühnſten Schwenkungen aus, ſtürzt ſich faſt bis auf den Boden herab, ſteigt aber ſofort ſteil wieder in
die Höhe, wirft ſich bald auf dieſe, bald auf jene Seite, überſchlägt ſich förmlich, ſenkt ſich zum Boden
herab, trippelt hier ein wenig umher, erhebt ſich von neuem und beginnt das alte Spiel wieder.
Kein Vogel unſeres Vaterlandes fliegt wie er, keiner verſteht es, in derſelben Weiſe alle nur
denkbaren Bewegungen mit den Fittigen auszuführen. Ein eigenthümliches Sauſen und Wuchteln,
welches bei den ſchnellen Flügelſchlägen entſteht, zeichnet dieſen Flug noch außerdem ſo aus, daß man
in der Luft dahinziehende Kiebitze auch in finſterer Nacht von jedem anderen Vogel unterſcheiden kann.
Der Gang iſt zierlich und behend, dem der Regenpfeifer ähnlich; der Lauf kann zu großer Eile
geſteigert werden. Jm Fliegen wie im Gehen ſpielt der ſonderbare Geſelle dabei fortwährend mit
ſeiner Holle, welche er bald wagrecht niederlegt, bald hoch aufrichtet. Von ſeiner Stimme macht er
ſehr oft Gebrauch und obgleich dieſelbe nicht eben wechſelvoll genannt werden kann, verſteht er es, die
wenigen Töne, aus denen ſie beſteht, vielfach zu verbinden. Der Lockton iſt das bereits erwähnte
„Kiwit“, welches bald mehr, bald weniger gedehnt, überhaupt verſchieden betont wird und dann auch
Verſchiedenes ausdrückt; der Angſtruf klingt wie „Chräit“, der Paarungsruf beſteht aus einer eng
verbundenen Reihe von Lauten, welche man durch die Silben „Chäh querkhoit kiwitkiwitkiwit kiuiht“
ungefähr ausdrücken kann. Daß dieſer Ruf nur im Fluge ausgeſtoßen und von den allertollſten
Gaukeleien begleitet wird, braucht kaum erwähnt zu werden. Der Ruf und der Gaukelflug ſind, wie
Naumann ſagt, unzertrennlich und bilden zuſammen ein Ganzes; ſie drücken unverkennbar die hohe
Freude, das ganze Liebesglück des Vogels aus.

Jemehr man den Kiebitz beobachtet, umſo feſter wird man überzeugt, daß er ſehr viele und vor-
treffliche Eigenſchaften beſitzt. Die Wachſamkeit, welche den Jäger ärgert, gereicht ihm zum höchſten
Ruhme, weil ſie unzweifelhaft einen hohen Grad von Klugheit bekundet. Er weiß genau, welchen
Menſchen er trauen darf und welche er meiden muß. Mit Hirten und Bauern tritt er unter
Umſtänden in ein gewiſſes Freundſchaftsverhältniß; dem Jäger weicht er ſo ängſtlich aus, daß man
meinen möchte, er kenne das Gewehr. Eine böſe Erfahrung vergißt er nie und derjenige Ort, an
welchem einen ſeiner Art ein Unglück traf, bleibt den übrigen jahrelang im Gedächtniß. Allen
Raubthieren gegenüber legt er den tiefſten Haß an den Tag, zeigt zugleich aber hohen Muth, ja

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[595/0635] Kiebitz. Hausherrn ſelbſt als der ihm tödtlich verhaßten Hunde und Katzen halber. Hauptbedingung des den Neigungen unſeres Vogels entſprechenden Brutplatzes iſt die Nähe von Waſſer oder wenigſtens feuchter Boden. Es kommt zwar auch, aber doch ſelten, vor, daß die Kiebitze hochgelegene Bergebenen zum Niſten benutzen; wenn es geſchieht, darf man mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, daß die ſonſt benutzten Niſtplätze im Laufe des Sommers werden überſchwemmt werden. Auf dieſen Niſtplätzen nun ſieht oder hört man die Kiebitze zu jeder Tageszeit, wenn man in ihre Nähe kommt, gewiß. Ganz abgeſehen von der Wachſamkeit, welche in jedem anderen Geſchöpfe, vielleicht mit Ausnahme der Rinder und Schafe, ein gefährliches Weſen erkennen will, gefällt ſich der Kiebitz in einer faſt ununterbrochenen Beweglichkeit, und da er lieber fliegt als läuft, zur Kundgabe ſeiner Liebesgefühle oder auch ſeines Aergers und mancher Tollheiten, deren Grund man nicht recht begreift, hauptſächlich ſeine Schwingen benutzt, kann es nicht fehlen, daß man ihn wahrnimmt. Am tollſten treibt es der Vogel ſelbſtverſtändlich ſolange ſeine Eier im Neſte liegen oder ſeine Jungen noch unfähig ſind, einer herannahenden Gefahr fliegend zu entrinnen. Um dieſe Zeit wird jeder Menſch, welcher in die Nähe ihres Brutortes kommt, unter lautem „Kiwit“ umſchwärmt, und zwar mit einer Kühnheit, welche wahrhaft in Erſtaunen ſetzt; denn der um ſeine Brut beſorgte Vogel ſtößt oft ſo dicht an dem Kopfe des Menſchen vorbei, daß dieſer den durch ſchnelle Bewegung erzeugten Luftzug deutlich verſpüren kann. Der Flug iſt vortrefflich und durch die manchfaltigſten Wendungen ausgezeichnet. Nur wenn der Kiebitz über dem Waſſer dahinſtreicht, fliegt er mit langſamen Schwingenſchlägen ſeines Weges fort; ſowie er dagegen ſich in höheren Luftſchichten bewegt, beginnt er zu gaukeln, gleichſam als wolle er jedes Gefühl durch eine beſondere Bewegung ausdrücken. Wenn ſich ihm oder ſeinen Jungen wirklich eine Gefahr naht, führt er die kühnſten Schwenkungen aus, ſtürzt ſich faſt bis auf den Boden herab, ſteigt aber ſofort ſteil wieder in die Höhe, wirft ſich bald auf dieſe, bald auf jene Seite, überſchlägt ſich förmlich, ſenkt ſich zum Boden herab, trippelt hier ein wenig umher, erhebt ſich von neuem und beginnt das alte Spiel wieder. Kein Vogel unſeres Vaterlandes fliegt wie er, keiner verſteht es, in derſelben Weiſe alle nur denkbaren Bewegungen mit den Fittigen auszuführen. Ein eigenthümliches Sauſen und Wuchteln, welches bei den ſchnellen Flügelſchlägen entſteht, zeichnet dieſen Flug noch außerdem ſo aus, daß man in der Luft dahinziehende Kiebitze auch in finſterer Nacht von jedem anderen Vogel unterſcheiden kann. Der Gang iſt zierlich und behend, dem der Regenpfeifer ähnlich; der Lauf kann zu großer Eile geſteigert werden. Jm Fliegen wie im Gehen ſpielt der ſonderbare Geſelle dabei fortwährend mit ſeiner Holle, welche er bald wagrecht niederlegt, bald hoch aufrichtet. Von ſeiner Stimme macht er ſehr oft Gebrauch und obgleich dieſelbe nicht eben wechſelvoll genannt werden kann, verſteht er es, die wenigen Töne, aus denen ſie beſteht, vielfach zu verbinden. Der Lockton iſt das bereits erwähnte „Kiwit“, welches bald mehr, bald weniger gedehnt, überhaupt verſchieden betont wird und dann auch Verſchiedenes ausdrückt; der Angſtruf klingt wie „Chräit“, der Paarungsruf beſteht aus einer eng verbundenen Reihe von Lauten, welche man durch die Silben „Chäh querkhoit kiwitkiwitkiwit kiuiht“ ungefähr ausdrücken kann. Daß dieſer Ruf nur im Fluge ausgeſtoßen und von den allertollſten Gaukeleien begleitet wird, braucht kaum erwähnt zu werden. Der Ruf und der Gaukelflug ſind, wie Naumann ſagt, unzertrennlich und bilden zuſammen ein Ganzes; ſie drücken unverkennbar die hohe Freude, das ganze Liebesglück des Vogels aus. Jemehr man den Kiebitz beobachtet, umſo feſter wird man überzeugt, daß er ſehr viele und vor- treffliche Eigenſchaften beſitzt. Die Wachſamkeit, welche den Jäger ärgert, gereicht ihm zum höchſten Ruhme, weil ſie unzweifelhaft einen hohen Grad von Klugheit bekundet. Er weiß genau, welchen Menſchen er trauen darf und welche er meiden muß. Mit Hirten und Bauern tritt er unter Umſtänden in ein gewiſſes Freundſchaftsverhältniß; dem Jäger weicht er ſo ängſtlich aus, daß man meinen möchte, er kenne das Gewehr. Eine böſe Erfahrung vergißt er nie und derjenige Ort, an welchem einen ſeiner Art ein Unglück traf, bleibt den übrigen jahrelang im Gedächtniß. Allen Raubthieren gegenüber legt er den tiefſten Haß an den Tag, zeigt zugleich aber hohen Muth, ja 38*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/635>, abgerufen am 22.11.2024.