Die Schnepfe scheint keine Baumart zu bevorzugen; denn man findet sie in den Nadelwaldungen ebenso häufig wie im Laubwalde. Eine Hauptbedingung für ihr Leben ist feuchter, weicher Wald- boden, welcher ihr das Bohren gestattet. Die unermeßlichen Wälder des Nordens, welche meist nur aus Fichten bestehen, entsprechen ihren Anforderungen in jeder Hinsicht, während sie dagegen dürftige Kiefernwaldungen sandiger Gegenden fast ängstlich meidet.
Das tägliche oder, wie wir sagen können, häusliche Leben der Schnepfe läßt sich nicht eben leicht beobachten, weil sie höchst furchtsam, mißtrauisch und scheu ist. Uebertags zeigt sie sich niemals im Freien, und wenn sie wirklich einmal gezwungen wurde, hier sich niederzulassen, drückt sie sich augen- blicklich platt auf den Boden nieder, und ihr Gefieder geht dann, ebenso wie das eines Rebhuhnes, in der Färbung desselben auf. Wenn es recht ruhig im Walde ist, kann es vorkommen, daß sie auch bei Tage auf dem Boden umherläuft; immer aber wählt sie dann solche Stellen aus, welche sie möglichst ver- bergen, und sie auch vor dem ihr wahrscheinlich lästigen, grellen Lichte schützen. Erst mit der Dämmerung wird sie munter und beginnt umher zu laufen. Bei ruhiger Haltung zieht sie den Hals ein, trägt den Leib wagerecht und den Schnabel mit der Spitze gegen den Boden gesenkt. Der Gang ist geduckt, schleichend, trippelnd, wenig schnell und nicht anhaltend; größere Entfernungen durchmißt sie auch niemals zu Fuße, sondern immer fliegend. Den Flug hat sie ganz in ihrer Gewalt. Sie versteht es, sich durch das dichteste Gezweig hindurch zu schwenken, ohne irgendwo anzustoßen, überhaupt die Eile des Fluges gänzlich nach den Umständen einzurichten, bald zu beschleunigen und bald zu mäßigen, schwenkt sich gewandt in jede Richtung, steigt oder fällt nach Belieben, erhebt sich aber, bei Tage wenigstens, niemals in höhere Luftschichten und fliegt, solange sie es vermeiden kann, nicht über freie Stellen. Wenn sie erschreckt wurde, vernimmt man beim Aufstehen ein dumpfes Fuchteln, an welchem sie der Geübte jederzeit erkennt, auch wenn er sie nicht zu sehen bekam. Wurde sie während des Tages gejagt und in Angst gesetzt, so pflegt sie sich abends beim Weiterziehen fast senkrecht empor- zuheben und dann so eilig als möglich sich davon zu machen. Ganz anders fliegt sie, wenn sie streicht, d. h. einem Weibchen zu Gefallen Flugkünste übt. Sie bläht dabei ihr Gefieder auf, sodaß sie viel größer erscheint als sie wirklich ist, kommt höchst langsam einhergestrichen, bewegt ihre Flügel nur mit matten Schlägen und ähnelt einer Eule mehr als irgend einem Sumpf- oder Stelzvogel. Treffen zwei Schnepfenmännchen auf einander, so beginnen sie einen sonderbaren Zweikampf in der Luft, indem sie sich weidlich umhertummeln und mit den Schnäbeln nach einander stechen. Zuweilen packen sie sich wirklich und hindern sich gegenseitig im Fluge; ja es kommt vor, daß drei zusammen einen förmlichen Knäuel bilden und beim Herabwirbeln im dichten Gezweige sich verwickeln. Dieses Streichen ist der Balze zu vergleichen, insofern aber merkwürdig, als es schon während des Zuges beginnt, zu einer Zeit, in welcher noch keine Schnepfe ans Nisten denkt. Anfänglich währt es nur kurze Zeit, später und an den Brutplätzen dauert es länger; mit Einbruch der Dunkelheit aber pflegt es vorüber zu sein.
Wenn man eine lebende Waldschnepfe vor sich sieht, wird man geneigt, sie für einen der dümmsten Vögel zu halten, irrt sich hierin aber; denn sie ist nicht blos scharfsinnig, sondern auch über Erwarten klug, mindestens sehr listig. Sie weiß genau, welch vortrefflichen Schutz ihr das boden- oder rindenfarbene Kleid gewährt und versteht es meisterhaft, beim Niederdrücken stets eine Stelle auszuwählen, welche sie verbirgt. Eine Schnepfe, welche, ohne sich zu regen, zwischen dürrem Laube, Holzgebröckel, neben einem Stücke zu Boden gefallener Borke oder einer hervorragenden Wurzel liegt, wird selbst von dem schärfsten Auge, dem geübtesten und erfahrensten Jäger übersehen und günstigen Falls nur an den großen Augen erkannt. Jn dieser Lage verweilt sie so lange, als es ihr räthlich erscheint, und namentlich, wenn sie verfolgt worden war, läßt sie den Jäger oft bis auf wenige Schritte herankommen, bevor sie plötzlich aufsteht. Sodann fliegt sie nie anders, als auf der entgegen- gesetzten Seite des Gesträuches heraus und immer so, daß sie durch Gebüsch und Bäume vor dem Schützen gedeckt wird. Beim Einfallen beschreibt sie oft einen großen Bogen, streicht aber, wenn sie schon das Dickicht erreicht hat, noch weit in demselben fort, schlägt auch wohl einen Haken und täuscht
39*
Waldſchnepfe.
Die Schnepfe ſcheint keine Baumart zu bevorzugen; denn man findet ſie in den Nadelwaldungen ebenſo häufig wie im Laubwalde. Eine Hauptbedingung für ihr Leben iſt feuchter, weicher Wald- boden, welcher ihr das Bohren geſtattet. Die unermeßlichen Wälder des Nordens, welche meiſt nur aus Fichten beſtehen, entſprechen ihren Anforderungen in jeder Hinſicht, während ſie dagegen dürftige Kiefernwaldungen ſandiger Gegenden faſt ängſtlich meidet.
Das tägliche oder, wie wir ſagen können, häusliche Leben der Schnepfe läßt ſich nicht eben leicht beobachten, weil ſie höchſt furchtſam, mißtrauiſch und ſcheu iſt. Uebertags zeigt ſie ſich niemals im Freien, und wenn ſie wirklich einmal gezwungen wurde, hier ſich niederzulaſſen, drückt ſie ſich augen- blicklich platt auf den Boden nieder, und ihr Gefieder geht dann, ebenſo wie das eines Rebhuhnes, in der Färbung deſſelben auf. Wenn es recht ruhig im Walde iſt, kann es vorkommen, daß ſie auch bei Tage auf dem Boden umherläuft; immer aber wählt ſie dann ſolche Stellen aus, welche ſie möglichſt ver- bergen, und ſie auch vor dem ihr wahrſcheinlich läſtigen, grellen Lichte ſchützen. Erſt mit der Dämmerung wird ſie munter und beginnt umher zu laufen. Bei ruhiger Haltung zieht ſie den Hals ein, trägt den Leib wagerecht und den Schnabel mit der Spitze gegen den Boden geſenkt. Der Gang iſt geduckt, ſchleichend, trippelnd, wenig ſchnell und nicht anhaltend; größere Entfernungen durchmißt ſie auch niemals zu Fuße, ſondern immer fliegend. Den Flug hat ſie ganz in ihrer Gewalt. Sie verſteht es, ſich durch das dichteſte Gezweig hindurch zu ſchwenken, ohne irgendwo anzuſtoßen, überhaupt die Eile des Fluges gänzlich nach den Umſtänden einzurichten, bald zu beſchleunigen und bald zu mäßigen, ſchwenkt ſich gewandt in jede Richtung, ſteigt oder fällt nach Belieben, erhebt ſich aber, bei Tage wenigſtens, niemals in höhere Luftſchichten und fliegt, ſolange ſie es vermeiden kann, nicht über freie Stellen. Wenn ſie erſchreckt wurde, vernimmt man beim Aufſtehen ein dumpfes Fuchteln, an welchem ſie der Geübte jederzeit erkennt, auch wenn er ſie nicht zu ſehen bekam. Wurde ſie während des Tages gejagt und in Angſt geſetzt, ſo pflegt ſie ſich abends beim Weiterziehen faſt ſenkrecht empor- zuheben und dann ſo eilig als möglich ſich davon zu machen. Ganz anders fliegt ſie, wenn ſie ſtreicht, d. h. einem Weibchen zu Gefallen Flugkünſte übt. Sie bläht dabei ihr Gefieder auf, ſodaß ſie viel größer erſcheint als ſie wirklich iſt, kommt höchſt langſam einhergeſtrichen, bewegt ihre Flügel nur mit matten Schlägen und ähnelt einer Eule mehr als irgend einem Sumpf- oder Stelzvogel. Treffen zwei Schnepfenmännchen auf einander, ſo beginnen ſie einen ſonderbaren Zweikampf in der Luft, indem ſie ſich weidlich umhertummeln und mit den Schnäbeln nach einander ſtechen. Zuweilen packen ſie ſich wirklich und hindern ſich gegenſeitig im Fluge; ja es kommt vor, daß drei zuſammen einen förmlichen Knäuel bilden und beim Herabwirbeln im dichten Gezweige ſich verwickeln. Dieſes Streichen iſt der Balze zu vergleichen, inſofern aber merkwürdig, als es ſchon während des Zuges beginnt, zu einer Zeit, in welcher noch keine Schnepfe ans Niſten denkt. Anfänglich währt es nur kurze Zeit, ſpäter und an den Brutplätzen dauert es länger; mit Einbruch der Dunkelheit aber pflegt es vorüber zu ſein.
Wenn man eine lebende Waldſchnepfe vor ſich ſieht, wird man geneigt, ſie für einen der dümmſten Vögel zu halten, irrt ſich hierin aber; denn ſie iſt nicht blos ſcharfſinnig, ſondern auch über Erwarten klug, mindeſtens ſehr liſtig. Sie weiß genau, welch vortrefflichen Schutz ihr das boden- oder rindenfarbene Kleid gewährt und verſteht es meiſterhaft, beim Niederdrücken ſtets eine Stelle auszuwählen, welche ſie verbirgt. Eine Schnepfe, welche, ohne ſich zu regen, zwiſchen dürrem Laube, Holzgebröckel, neben einem Stücke zu Boden gefallener Borke oder einer hervorragenden Wurzel liegt, wird ſelbſt von dem ſchärfſten Auge, dem geübteſten und erfahrenſten Jäger überſehen und günſtigen Falls nur an den großen Augen erkannt. Jn dieſer Lage verweilt ſie ſo lange, als es ihr räthlich erſcheint, und namentlich, wenn ſie verfolgt worden war, läßt ſie den Jäger oft bis auf wenige Schritte herankommen, bevor ſie plötzlich aufſteht. Sodann fliegt ſie nie anders, als auf der entgegen- geſetzten Seite des Geſträuches heraus und immer ſo, daß ſie durch Gebüſch und Bäume vor dem Schützen gedeckt wird. Beim Einfallen beſchreibt ſie oft einen großen Bogen, ſtreicht aber, wenn ſie ſchon das Dickicht erreicht hat, noch weit in demſelben fort, ſchlägt auch wohl einen Haken und täuſcht
39*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0651"n="611"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Waldſchnepfe.</hi></fw><lb/><p>Die Schnepfe ſcheint keine Baumart zu bevorzugen; denn man findet ſie in den Nadelwaldungen<lb/>
ebenſo häufig wie im Laubwalde. Eine Hauptbedingung für ihr Leben iſt feuchter, weicher Wald-<lb/>
boden, welcher ihr das Bohren geſtattet. Die unermeßlichen Wälder des Nordens, welche meiſt nur<lb/>
aus Fichten beſtehen, entſprechen ihren Anforderungen in jeder Hinſicht, während ſie dagegen dürftige<lb/>
Kiefernwaldungen ſandiger Gegenden faſt ängſtlich meidet.</p><lb/><p>Das tägliche oder, wie wir ſagen können, häusliche Leben der Schnepfe läßt ſich nicht eben leicht<lb/>
beobachten, weil ſie höchſt furchtſam, mißtrauiſch und ſcheu iſt. Uebertags zeigt ſie ſich niemals im<lb/>
Freien, und wenn ſie wirklich einmal gezwungen wurde, hier ſich niederzulaſſen, drückt ſie ſich augen-<lb/>
blicklich platt auf den Boden nieder, und ihr Gefieder geht dann, ebenſo wie das eines Rebhuhnes, in<lb/>
der Färbung deſſelben auf. Wenn es recht ruhig im Walde iſt, kann es vorkommen, daß ſie auch bei<lb/>
Tage auf dem Boden umherläuft; immer aber wählt ſie dann ſolche Stellen aus, welche ſie möglichſt ver-<lb/>
bergen, und ſie auch vor dem ihr wahrſcheinlich läſtigen, grellen Lichte ſchützen. Erſt mit der Dämmerung<lb/>
wird ſie munter und beginnt umher zu laufen. Bei ruhiger Haltung zieht ſie den Hals ein, trägt den<lb/>
Leib wagerecht und den Schnabel mit der Spitze gegen den Boden geſenkt. Der Gang iſt geduckt,<lb/>ſchleichend, trippelnd, wenig ſchnell und nicht anhaltend; größere Entfernungen durchmißt ſie auch<lb/>
niemals zu Fuße, ſondern immer fliegend. Den Flug hat ſie ganz in ihrer Gewalt. Sie verſteht es,<lb/>ſich durch das dichteſte Gezweig hindurch zu ſchwenken, ohne irgendwo anzuſtoßen, überhaupt die Eile<lb/>
des Fluges gänzlich nach den Umſtänden einzurichten, bald zu beſchleunigen und bald zu mäßigen,<lb/>ſchwenkt ſich gewandt in jede Richtung, ſteigt oder fällt nach Belieben, erhebt ſich aber, bei Tage<lb/>
wenigſtens, niemals in höhere Luftſchichten und fliegt, ſolange ſie es vermeiden kann, nicht über freie<lb/>
Stellen. Wenn ſie erſchreckt wurde, vernimmt man beim Aufſtehen ein dumpfes Fuchteln, an<lb/>
welchem ſie der Geübte jederzeit erkennt, auch wenn er ſie nicht zu ſehen bekam. Wurde ſie während<lb/>
des Tages gejagt und in Angſt geſetzt, ſo pflegt ſie ſich abends beim Weiterziehen faſt ſenkrecht empor-<lb/>
zuheben und dann ſo eilig als möglich ſich davon zu machen. Ganz anders fliegt ſie, wenn ſie ſtreicht,<lb/>
d. h. einem Weibchen zu Gefallen Flugkünſte übt. Sie bläht dabei ihr Gefieder auf, ſodaß ſie<lb/>
viel größer erſcheint als ſie wirklich iſt, kommt höchſt langſam einhergeſtrichen, bewegt ihre Flügel<lb/>
nur mit matten Schlägen und ähnelt einer Eule mehr als irgend einem Sumpf- oder Stelzvogel.<lb/>
Treffen zwei Schnepfenmännchen auf einander, ſo beginnen ſie einen ſonderbaren Zweikampf in der<lb/>
Luft, indem ſie ſich weidlich umhertummeln und mit den Schnäbeln nach einander ſtechen. Zuweilen<lb/>
packen ſie ſich wirklich und hindern ſich gegenſeitig im Fluge; ja es kommt vor, daß drei zuſammen<lb/>
einen förmlichen Knäuel bilden und beim Herabwirbeln im dichten Gezweige ſich verwickeln. Dieſes<lb/>
Streichen iſt der Balze zu vergleichen, inſofern aber merkwürdig, als es ſchon während des Zuges<lb/>
beginnt, zu einer Zeit, in welcher noch keine Schnepfe ans Niſten denkt. Anfänglich währt es nur<lb/>
kurze Zeit, ſpäter und an den Brutplätzen dauert es länger; mit Einbruch der Dunkelheit aber pflegt<lb/>
es vorüber zu ſein.</p><lb/><p>Wenn man eine lebende Waldſchnepfe vor ſich ſieht, wird man geneigt, ſie für einen der<lb/>
dümmſten Vögel zu halten, irrt ſich hierin aber; denn ſie iſt nicht blos ſcharfſinnig, ſondern auch über<lb/>
Erwarten klug, mindeſtens ſehr liſtig. Sie weiß genau, welch vortrefflichen Schutz ihr das boden-<lb/>
oder rindenfarbene Kleid gewährt und verſteht es meiſterhaft, beim Niederdrücken ſtets eine Stelle<lb/>
auszuwählen, welche ſie verbirgt. Eine Schnepfe, welche, ohne ſich zu regen, zwiſchen dürrem Laube,<lb/>
Holzgebröckel, neben einem Stücke zu Boden gefallener Borke oder einer hervorragenden Wurzel liegt,<lb/>
wird ſelbſt von dem ſchärfſten Auge, dem geübteſten und erfahrenſten Jäger überſehen und günſtigen<lb/>
Falls nur an den großen Augen erkannt. Jn dieſer Lage verweilt ſie ſo lange, als es ihr räthlich<lb/>
erſcheint, und namentlich, wenn ſie verfolgt worden war, läßt ſie den Jäger oft bis auf wenige<lb/>
Schritte herankommen, bevor ſie plötzlich aufſteht. Sodann fliegt ſie nie anders, als auf der entgegen-<lb/>
geſetzten Seite des Geſträuches heraus und immer ſo, daß ſie durch Gebüſch und Bäume vor dem<lb/>
Schützen gedeckt wird. Beim Einfallen beſchreibt ſie oft einen großen Bogen, ſtreicht aber, wenn ſie<lb/>ſchon das Dickicht erreicht hat, noch weit in demſelben fort, ſchlägt auch wohl einen Haken und täuſcht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">39*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[611/0651]
Waldſchnepfe.
Die Schnepfe ſcheint keine Baumart zu bevorzugen; denn man findet ſie in den Nadelwaldungen
ebenſo häufig wie im Laubwalde. Eine Hauptbedingung für ihr Leben iſt feuchter, weicher Wald-
boden, welcher ihr das Bohren geſtattet. Die unermeßlichen Wälder des Nordens, welche meiſt nur
aus Fichten beſtehen, entſprechen ihren Anforderungen in jeder Hinſicht, während ſie dagegen dürftige
Kiefernwaldungen ſandiger Gegenden faſt ängſtlich meidet.
Das tägliche oder, wie wir ſagen können, häusliche Leben der Schnepfe läßt ſich nicht eben leicht
beobachten, weil ſie höchſt furchtſam, mißtrauiſch und ſcheu iſt. Uebertags zeigt ſie ſich niemals im
Freien, und wenn ſie wirklich einmal gezwungen wurde, hier ſich niederzulaſſen, drückt ſie ſich augen-
blicklich platt auf den Boden nieder, und ihr Gefieder geht dann, ebenſo wie das eines Rebhuhnes, in
der Färbung deſſelben auf. Wenn es recht ruhig im Walde iſt, kann es vorkommen, daß ſie auch bei
Tage auf dem Boden umherläuft; immer aber wählt ſie dann ſolche Stellen aus, welche ſie möglichſt ver-
bergen, und ſie auch vor dem ihr wahrſcheinlich läſtigen, grellen Lichte ſchützen. Erſt mit der Dämmerung
wird ſie munter und beginnt umher zu laufen. Bei ruhiger Haltung zieht ſie den Hals ein, trägt den
Leib wagerecht und den Schnabel mit der Spitze gegen den Boden geſenkt. Der Gang iſt geduckt,
ſchleichend, trippelnd, wenig ſchnell und nicht anhaltend; größere Entfernungen durchmißt ſie auch
niemals zu Fuße, ſondern immer fliegend. Den Flug hat ſie ganz in ihrer Gewalt. Sie verſteht es,
ſich durch das dichteſte Gezweig hindurch zu ſchwenken, ohne irgendwo anzuſtoßen, überhaupt die Eile
des Fluges gänzlich nach den Umſtänden einzurichten, bald zu beſchleunigen und bald zu mäßigen,
ſchwenkt ſich gewandt in jede Richtung, ſteigt oder fällt nach Belieben, erhebt ſich aber, bei Tage
wenigſtens, niemals in höhere Luftſchichten und fliegt, ſolange ſie es vermeiden kann, nicht über freie
Stellen. Wenn ſie erſchreckt wurde, vernimmt man beim Aufſtehen ein dumpfes Fuchteln, an
welchem ſie der Geübte jederzeit erkennt, auch wenn er ſie nicht zu ſehen bekam. Wurde ſie während
des Tages gejagt und in Angſt geſetzt, ſo pflegt ſie ſich abends beim Weiterziehen faſt ſenkrecht empor-
zuheben und dann ſo eilig als möglich ſich davon zu machen. Ganz anders fliegt ſie, wenn ſie ſtreicht,
d. h. einem Weibchen zu Gefallen Flugkünſte übt. Sie bläht dabei ihr Gefieder auf, ſodaß ſie
viel größer erſcheint als ſie wirklich iſt, kommt höchſt langſam einhergeſtrichen, bewegt ihre Flügel
nur mit matten Schlägen und ähnelt einer Eule mehr als irgend einem Sumpf- oder Stelzvogel.
Treffen zwei Schnepfenmännchen auf einander, ſo beginnen ſie einen ſonderbaren Zweikampf in der
Luft, indem ſie ſich weidlich umhertummeln und mit den Schnäbeln nach einander ſtechen. Zuweilen
packen ſie ſich wirklich und hindern ſich gegenſeitig im Fluge; ja es kommt vor, daß drei zuſammen
einen förmlichen Knäuel bilden und beim Herabwirbeln im dichten Gezweige ſich verwickeln. Dieſes
Streichen iſt der Balze zu vergleichen, inſofern aber merkwürdig, als es ſchon während des Zuges
beginnt, zu einer Zeit, in welcher noch keine Schnepfe ans Niſten denkt. Anfänglich währt es nur
kurze Zeit, ſpäter und an den Brutplätzen dauert es länger; mit Einbruch der Dunkelheit aber pflegt
es vorüber zu ſein.
Wenn man eine lebende Waldſchnepfe vor ſich ſieht, wird man geneigt, ſie für einen der
dümmſten Vögel zu halten, irrt ſich hierin aber; denn ſie iſt nicht blos ſcharfſinnig, ſondern auch über
Erwarten klug, mindeſtens ſehr liſtig. Sie weiß genau, welch vortrefflichen Schutz ihr das boden-
oder rindenfarbene Kleid gewährt und verſteht es meiſterhaft, beim Niederdrücken ſtets eine Stelle
auszuwählen, welche ſie verbirgt. Eine Schnepfe, welche, ohne ſich zu regen, zwiſchen dürrem Laube,
Holzgebröckel, neben einem Stücke zu Boden gefallener Borke oder einer hervorragenden Wurzel liegt,
wird ſelbſt von dem ſchärfſten Auge, dem geübteſten und erfahrenſten Jäger überſehen und günſtigen
Falls nur an den großen Augen erkannt. Jn dieſer Lage verweilt ſie ſo lange, als es ihr räthlich
erſcheint, und namentlich, wenn ſie verfolgt worden war, läßt ſie den Jäger oft bis auf wenige
Schritte herankommen, bevor ſie plötzlich aufſteht. Sodann fliegt ſie nie anders, als auf der entgegen-
geſetzten Seite des Geſträuches heraus und immer ſo, daß ſie durch Gebüſch und Bäume vor dem
Schützen gedeckt wird. Beim Einfallen beſchreibt ſie oft einen großen Bogen, ſtreicht aber, wenn ſie
ſchon das Dickicht erreicht hat, noch weit in demſelben fort, ſchlägt auch wohl einen Haken und täuſcht
39*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/651>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.