die Witterung einigermaßen günstig ist, beweist er durch sein ganzes Gebahren eine außerordentliche Fröhlichkeit; bei naßkalter Witterung aber oder im Winter bei Rauchfrost merkt man ihm die Unbe- haglichkeit deutlich genug an. Möglicher Weise behelligt ihn vor Allem die Beschmuzung des Gefieders, welche bei derartigem Wetter unvermeidlich ist; denn auch er hält sich reinlich, so lange er es vermag. Seine Nachtruhe pflegt er in Baumhöhlungen zu halten.
Das Nest steht in einer Höhle, Spalte oder Ritze, wie sich solche gerade findet; denn nicht immer brütet der Baumläufer in Baumhöhlen, sondern häufig auch in geeigneten Spalten, unter Haus- dächern oder zwischen den Brettern, welche im Gebirge die Wände der Gebäude schützen, oder auch in Holzstößen, zwischen dem Stamme und losgetrennter Vorke u. s. w. Je tiefer die Höhlung ist, um so angenehmer scheint sie ihm zu sein. Das Nest selbst richtet sich nach dem Standorte und ist dem- gemäß bald groß, bald klein. Es besteht aus dürren Reiserchen, Halmen, Grasblättern, Baumbast,
[Abbildung]
Der Baumläufer oder Baumrutscher(Certhia familiaris). 2/3 der nat. Größe.
Stroh und dergleichen, welches mit Raupengespinnst und Spinnenweben durchflochten ist, und wird innen mit feinen Fasern von Bast, Werg und einer Menge von Federn verschiedener Größe ausge- füttert. Die eigentliche Mulde ist nicht sehr tief, der Napf aber stets rund und sauber ausgearbeitet, sodaß das Nest immerhin zu den künstlicheren gezählt werden muß. Das Gelege besteht aus acht bis neun, auf weißem Grunde fein roth gepunkteten Eiern, welche denen der kleinen Meisen täuschend ähnlich sind. Beide Geschlechter brüten, und beide füttern ihre zahlreiche Brut mit unsäglicher Anstrengung heran. Die Jungen bleiben lange im Neste sitzen, verlassen dasselbe aber, wenn sie gestört werden, noch ehe sie fliegen können und suchen sich dann kletternd zu helfen, verbergen sich auch mit überraschender Schnelligkeit, so zu sagen, vor den Augen des Beobachters, und zwar so meisterhaft, daß sie schwer wieder aufzufinden sind. Die Alten führen sie nach dem Ausfliegen noch lange Zeit, und die Familie gewährt dann dem Beobachter ein höchst angenehmes Schauspiel. Sie ist, wie Naumann sagt, "ein lustiges Völkchen, die geschäftigen und äußerst besorgten Alten mit den
Die Späher. Klettervögel. Baumkletterer.
die Witterung einigermaßen günſtig iſt, beweiſt er durch ſein ganzes Gebahren eine außerordentliche Fröhlichkeit; bei naßkalter Witterung aber oder im Winter bei Rauchfroſt merkt man ihm die Unbe- haglichkeit deutlich genug an. Möglicher Weiſe behelligt ihn vor Allem die Beſchmuzung des Gefieders, welche bei derartigem Wetter unvermeidlich iſt; denn auch er hält ſich reinlich, ſo lange er es vermag. Seine Nachtruhe pflegt er in Baumhöhlungen zu halten.
Das Neſt ſteht in einer Höhle, Spalte oder Ritze, wie ſich ſolche gerade findet; denn nicht immer brütet der Baumläufer in Baumhöhlen, ſondern häufig auch in geeigneten Spalten, unter Haus- dächern oder zwiſchen den Brettern, welche im Gebirge die Wände der Gebäude ſchützen, oder auch in Holzſtößen, zwiſchen dem Stamme und losgetrennter Vorke u. ſ. w. Je tiefer die Höhlung iſt, um ſo angenehmer ſcheint ſie ihm zu ſein. Das Neſt ſelbſt richtet ſich nach dem Standorte und iſt dem- gemäß bald groß, bald klein. Es beſteht aus dürren Reiſerchen, Halmen, Grasblättern, Baumbaſt,
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Der Baumläufer oder Baumrutſcher(Certhia familiaris). ⅔ der nat. Größe.
Stroh und dergleichen, welches mit Raupengeſpinnſt und Spinnenweben durchflochten iſt, und wird innen mit feinen Faſern von Baſt, Werg und einer Menge von Federn verſchiedener Größe ausge- füttert. Die eigentliche Mulde iſt nicht ſehr tief, der Napf aber ſtets rund und ſauber ausgearbeitet, ſodaß das Neſt immerhin zu den künſtlicheren gezählt werden muß. Das Gelege beſteht aus acht bis neun, auf weißem Grunde fein roth gepunkteten Eiern, welche denen der kleinen Meiſen täuſchend ähnlich ſind. Beide Geſchlechter brüten, und beide füttern ihre zahlreiche Brut mit unſäglicher Anſtrengung heran. Die Jungen bleiben lange im Neſte ſitzen, verlaſſen daſſelbe aber, wenn ſie geſtört werden, noch ehe ſie fliegen können und ſuchen ſich dann kletternd zu helfen, verbergen ſich auch mit überraſchender Schnelligkeit, ſo zu ſagen, vor den Augen des Beobachters, und zwar ſo meiſterhaft, daß ſie ſchwer wieder aufzufinden ſind. Die Alten führen ſie nach dem Ausfliegen noch lange Zeit, und die Familie gewährt dann dem Beobachter ein höchſt angenehmes Schauſpiel. Sie iſt, wie Naumann ſagt, „ein luſtiges Völkchen, die geſchäftigen und äußerſt beſorgten Alten mit den
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Die Späher. Klettervögel. Baumkletterer.
die Witterung einigermaßen günſtig iſt, beweiſt er durch ſein ganzes Gebahren eine außerordentliche
Fröhlichkeit; bei naßkalter Witterung aber oder im Winter bei Rauchfroſt merkt man ihm die Unbe-
haglichkeit deutlich genug an. Möglicher Weiſe behelligt ihn vor Allem die Beſchmuzung des
Gefieders, welche bei derartigem Wetter unvermeidlich iſt; denn auch er hält ſich reinlich, ſo lange er
es vermag. Seine Nachtruhe pflegt er in Baumhöhlungen zu halten.
Das Neſt ſteht in einer Höhle, Spalte oder Ritze, wie ſich ſolche gerade findet; denn nicht immer
brütet der Baumläufer in Baumhöhlen, ſondern häufig auch in geeigneten Spalten, unter Haus-
dächern oder zwiſchen den Brettern, welche im Gebirge die Wände der Gebäude ſchützen, oder auch in
Holzſtößen, zwiſchen dem Stamme und losgetrennter Vorke u. ſ. w. Je tiefer die Höhlung iſt, um ſo
angenehmer ſcheint ſie ihm zu ſein. Das Neſt ſelbſt richtet ſich nach dem Standorte und iſt dem-
gemäß bald groß, bald klein. Es beſteht aus dürren Reiſerchen, Halmen, Grasblättern, Baumbaſt,
[Abbildung Der Baumläufer oder Baumrutſcher (Certhia familiaris). ⅔ der nat. Größe.]
Stroh und dergleichen, welches mit Raupengeſpinnſt und Spinnenweben durchflochten iſt, und wird
innen mit feinen Faſern von Baſt, Werg und einer Menge von Federn verſchiedener Größe ausge-
füttert. Die eigentliche Mulde iſt nicht ſehr tief, der Napf aber ſtets rund und ſauber ausgearbeitet,
ſodaß das Neſt immerhin zu den künſtlicheren gezählt werden muß. Das Gelege beſteht aus acht bis
neun, auf weißem Grunde fein roth gepunkteten Eiern, welche denen der kleinen Meiſen täuſchend
ähnlich ſind. Beide Geſchlechter brüten, und beide füttern ihre zahlreiche Brut mit unſäglicher
Anſtrengung heran. Die Jungen bleiben lange im Neſte ſitzen, verlaſſen daſſelbe aber, wenn ſie
geſtört werden, noch ehe ſie fliegen können und ſuchen ſich dann kletternd zu helfen, verbergen ſich
auch mit überraſchender Schnelligkeit, ſo zu ſagen, vor den Augen des Beobachters, und zwar ſo
meiſterhaft, daß ſie ſchwer wieder aufzufinden ſind. Die Alten führen ſie nach dem Ausfliegen noch
lange Zeit, und die Familie gewährt dann dem Beobachter ein höchſt angenehmes Schauſpiel. Sie iſt,
wie Naumann ſagt, „ein luſtiges Völkchen, die geſchäftigen und äußerſt beſorgten Alten mit den
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/66>, abgerufen am 26.11.2024.
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