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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Wassertreter.
achtzehn Tage hindurch während der Hinreise nach Grönland vom Eise eingeschlossen war, sah er stets
Wassertreter zwischen den Eisstücken umherschwimmen; später bemerkte er sie inmitten der tollsten
Brandung. Auf dem Meere verbringen sie den Winter, und das Meer bietet ihnen so reich-
liche Nahrung, daß sie von Fett strotzen, ja kaum abgebalgt werden können. Man sieht sie beständig
von den Wellen Etwas aufnehmen und verschlucken, hat aber die Thierchen, welche hier jetzt ihre
Nahrung bilden, noch nicht zu bestimmen vermocht. Audubon sagt, daß sie sich gern auf schwim-
mendem Seegras niederlassen und hier eifrig beschäftigen, unzweifelhaft um Nahrung zu suchen.
Jedenfalls steht soviel fest, daß sie sich auf dem Meere ganz wie echte Seevögel benehmen und im
Schwimmen mit jedem anderen wetteifern; wie aber hier ihr Leben eigentlich verfließen mag, Das
weiß man nicht; denn mit Ausnahme der wenigen bereits angegebenen Beobachtungen sind wir über
ihr Treiben zur See nicht unterrichtet. Dagegen haben wir sie glücklicherweise während ihres Land-
lebens kennen gelernt.

Jch bin mir vollkommen bewußt, daß die Ordnung der Stelzvögel sehr viele liebenswürdige und
anmuthige Mitglieder zählt, nehme aber doch keinen Anstand, die Wassertreter als die anmuthigsten
von allen zu erklären. Diese Vögel sind überaus lieblich, anziehend in ihrem Wesen und Betragen,
gewandt in jeder Bewegung, begabt wie nur irgend ein anderes Mitglied ihrer Zunft, auf dem festen
Lande wie im Riede, auf dem Wasser wie in der Luft zu Hause. Jhr Gang ähnelt dem der Strand-
läufer; sie stehen mit etwas eingezogenem Halse ruhig am Ufer, laufen, wenn sie in Bewegung
gekommen, trippelnd dahin, vermögen jedoch ihren Lauf zum Rennen zu beschleunigen und wissen sich
mit größtem Geschick im Riede zu bewegen, auch trefflich zu verbergen, fliegen ungemein rasch und
leicht, sodaß es selbst dem geübten Schützen schwer wird, sie im Fluge herab zu donnern, ähneln aber
in dieser wie in jener Bewegung den angegebenen Verwandten so sehr, daß man von etwas Absonder-
lichem nicht reden kann. Dagegen schwimmen sie mit einer Leichtigkeit, Zierlichkeit und Anmuth, welche
unwiderstehlich hinreißt. Sie liegen leichter als jeder andere mir bekannte Schwimmvogel auf dem
Wasser, so daß sie dessen Oberfläche kaum zu berühren scheinen, tragen dabei das Gefieder knapp und
bewegen sich, kräftig rudernd, mit außerordentlicher Behendigkeit. Zu tauchen vermögen sie nicht;
ihr Gefieder ist zu reich, als daß es ihrer Kraft möglich wäre, den leichten Leib unter die Oberfläche
zu zwingen: selbst Verwundete versuchen nicht, in der Tiefe sich zu bergen, sondern schwimmen so eilig
als möglich dem Riede zu, verstehen es auch meisterhaft, hier den Blicken sich zu entziehen. Vom
Wasser erheben sie sich ohne Weiteres in die Luft, und ebenso fallen sie aus hoher Luft unmittelbar
auf den Wasserspiegel herab. Schwimmend verrichten sie alle Geschäfte, nehmen von der Oberfläche
des Wassers Nahrung auf, jagen sich spielend hier umher und begatten sich sogar in dieser Stellung.
Dabei gilt es ihnen vollkommen gleich, ob das Wasser ruhig wie ein Spiegel oder bewegt, ob es kalt
oder warm ist: Faber sah sie auf den Teichen der heißen Quellen, in deren Wasser man kaum die
Hand halten kann, mit Wohlgefallen umherschwimmen. Jhre Sinne sind sehr scharf, ihre geistigen
Fähigkeiten wohl entwickelt. Harmlos und vertrauend, wie wenig andere Strandvögel, erlauben sie
dem Menschen eine Annäherung bis auf zehn Schritte, und wenn derselbe sie nicht behelligt, lassen
sie sich minutenlang beobachten, ohne sich dem Auge zu entziehen; aber jeder Versuch einer Ver-
folgung macht sie vorsichtig und ein einziger Fehlschuß sehr scheu. Um andere Geschöpfe scheinen sie sich,
während der Brutzeit wenigstens, nicht zu bekümmern, leben vielmehr nur sich selbst; die Liebe erregt
jedoch auch sie und ruft unter den Männchen der gleichen Art, welche sich sonst vortrefflich vertrugen,
lebhaften Streit und Kampf hervor. Jhre Streitereien werden auf dem Wasser begonnen und in der
Luft zum Austrage gebracht. Das Männchen, welches sich innerhalb des Gebietes eines seßhaften
Pärchens sehen läßt, ruft augenblicklich die Eifersucht des rechtmäßigen Besitzers hervor. Beide
schwimmen auf einander los, erheben sich vom Wasser und balgen sich nun im wirbelnden Fluge so
lange, bis der Eindringling in die Flucht geschlagen wurde. Um so größere Zärtlichkeit erweisen sich die
Gatten des Pärchens. Der eine hält sich beständig zu dem anderen und verläßt es nur selten.
Holböll behauptet, daß man das Weibchen in der Nähe des Nestes nicht oft bemerkt, weil er unter elf

Die Läufer. Stelzvögel. Waſſertreter.
achtzehn Tage hindurch während der Hinreiſe nach Grönland vom Eiſe eingeſchloſſen war, ſah er ſtets
Waſſertreter zwiſchen den Eisſtücken umherſchwimmen; ſpäter bemerkte er ſie inmitten der tollſten
Brandung. Auf dem Meere verbringen ſie den Winter, und das Meer bietet ihnen ſo reich-
liche Nahrung, daß ſie von Fett ſtrotzen, ja kaum abgebalgt werden können. Man ſieht ſie beſtändig
von den Wellen Etwas aufnehmen und verſchlucken, hat aber die Thierchen, welche hier jetzt ihre
Nahrung bilden, noch nicht zu beſtimmen vermocht. Audubon ſagt, daß ſie ſich gern auf ſchwim-
mendem Seegras niederlaſſen und hier eifrig beſchäftigen, unzweifelhaft um Nahrung zu ſuchen.
Jedenfalls ſteht ſoviel feſt, daß ſie ſich auf dem Meere ganz wie echte Seevögel benehmen und im
Schwimmen mit jedem anderen wetteifern; wie aber hier ihr Leben eigentlich verfließen mag, Das
weiß man nicht; denn mit Ausnahme der wenigen bereits angegebenen Beobachtungen ſind wir über
ihr Treiben zur See nicht unterrichtet. Dagegen haben wir ſie glücklicherweiſe während ihres Land-
lebens kennen gelernt.

Jch bin mir vollkommen bewußt, daß die Ordnung der Stelzvögel ſehr viele liebenswürdige und
anmuthige Mitglieder zählt, nehme aber doch keinen Anſtand, die Waſſertreter als die anmuthigſten
von allen zu erklären. Dieſe Vögel ſind überaus lieblich, anziehend in ihrem Weſen und Betragen,
gewandt in jeder Bewegung, begabt wie nur irgend ein anderes Mitglied ihrer Zunft, auf dem feſten
Lande wie im Riede, auf dem Waſſer wie in der Luft zu Hauſe. Jhr Gang ähnelt dem der Strand-
läufer; ſie ſtehen mit etwas eingezogenem Halſe ruhig am Ufer, laufen, wenn ſie in Bewegung
gekommen, trippelnd dahin, vermögen jedoch ihren Lauf zum Rennen zu beſchleunigen und wiſſen ſich
mit größtem Geſchick im Riede zu bewegen, auch trefflich zu verbergen, fliegen ungemein raſch und
leicht, ſodaß es ſelbſt dem geübten Schützen ſchwer wird, ſie im Fluge herab zu donnern, ähneln aber
in dieſer wie in jener Bewegung den angegebenen Verwandten ſo ſehr, daß man von etwas Abſonder-
lichem nicht reden kann. Dagegen ſchwimmen ſie mit einer Leichtigkeit, Zierlichkeit und Anmuth, welche
unwiderſtehlich hinreißt. Sie liegen leichter als jeder andere mir bekannte Schwimmvogel auf dem
Waſſer, ſo daß ſie deſſen Oberfläche kaum zu berühren ſcheinen, tragen dabei das Gefieder knapp und
bewegen ſich, kräftig rudernd, mit außerordentlicher Behendigkeit. Zu tauchen vermögen ſie nicht;
ihr Gefieder iſt zu reich, als daß es ihrer Kraft möglich wäre, den leichten Leib unter die Oberfläche
zu zwingen: ſelbſt Verwundete verſuchen nicht, in der Tiefe ſich zu bergen, ſondern ſchwimmen ſo eilig
als möglich dem Riede zu, verſtehen es auch meiſterhaft, hier den Blicken ſich zu entziehen. Vom
Waſſer erheben ſie ſich ohne Weiteres in die Luft, und ebenſo fallen ſie aus hoher Luft unmittelbar
auf den Waſſerſpiegel herab. Schwimmend verrichten ſie alle Geſchäfte, nehmen von der Oberfläche
des Waſſers Nahrung auf, jagen ſich ſpielend hier umher und begatten ſich ſogar in dieſer Stellung.
Dabei gilt es ihnen vollkommen gleich, ob das Waſſer ruhig wie ein Spiegel oder bewegt, ob es kalt
oder warm iſt: Faber ſah ſie auf den Teichen der heißen Quellen, in deren Waſſer man kaum die
Hand halten kann, mit Wohlgefallen umherſchwimmen. Jhre Sinne ſind ſehr ſcharf, ihre geiſtigen
Fähigkeiten wohl entwickelt. Harmlos und vertrauend, wie wenig andere Strandvögel, erlauben ſie
dem Menſchen eine Annäherung bis auf zehn Schritte, und wenn derſelbe ſie nicht behelligt, laſſen
ſie ſich minutenlang beobachten, ohne ſich dem Auge zu entziehen; aber jeder Verſuch einer Ver-
folgung macht ſie vorſichtig und ein einziger Fehlſchuß ſehr ſcheu. Um andere Geſchöpfe ſcheinen ſie ſich,
während der Brutzeit wenigſtens, nicht zu bekümmern, leben vielmehr nur ſich ſelbſt; die Liebe erregt
jedoch auch ſie und ruft unter den Männchen der gleichen Art, welche ſich ſonſt vortrefflich vertrugen,
lebhaften Streit und Kampf hervor. Jhre Streitereien werden auf dem Waſſer begonnen und in der
Luft zum Austrage gebracht. Das Männchen, welches ſich innerhalb des Gebietes eines ſeßhaften
Pärchens ſehen läßt, ruft augenblicklich die Eiferſucht des rechtmäßigen Beſitzers hervor. Beide
ſchwimmen auf einander los, erheben ſich vom Waſſer und balgen ſich nun im wirbelnden Fluge ſo
lange, bis der Eindringling in die Flucht geſchlagen wurde. Um ſo größere Zärtlichkeit erweiſen ſich die
Gatten des Pärchens. Der eine hält ſich beſtändig zu dem anderen und verläßt es nur ſelten.
Holböll behauptet, daß man das Weibchen in der Nähe des Neſtes nicht oft bemerkt, weil er unter elf

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[632/0672] Die Läufer. Stelzvögel. Waſſertreter. achtzehn Tage hindurch während der Hinreiſe nach Grönland vom Eiſe eingeſchloſſen war, ſah er ſtets Waſſertreter zwiſchen den Eisſtücken umherſchwimmen; ſpäter bemerkte er ſie inmitten der tollſten Brandung. Auf dem Meere verbringen ſie den Winter, und das Meer bietet ihnen ſo reich- liche Nahrung, daß ſie von Fett ſtrotzen, ja kaum abgebalgt werden können. Man ſieht ſie beſtändig von den Wellen Etwas aufnehmen und verſchlucken, hat aber die Thierchen, welche hier jetzt ihre Nahrung bilden, noch nicht zu beſtimmen vermocht. Audubon ſagt, daß ſie ſich gern auf ſchwim- mendem Seegras niederlaſſen und hier eifrig beſchäftigen, unzweifelhaft um Nahrung zu ſuchen. Jedenfalls ſteht ſoviel feſt, daß ſie ſich auf dem Meere ganz wie echte Seevögel benehmen und im Schwimmen mit jedem anderen wetteifern; wie aber hier ihr Leben eigentlich verfließen mag, Das weiß man nicht; denn mit Ausnahme der wenigen bereits angegebenen Beobachtungen ſind wir über ihr Treiben zur See nicht unterrichtet. Dagegen haben wir ſie glücklicherweiſe während ihres Land- lebens kennen gelernt. Jch bin mir vollkommen bewußt, daß die Ordnung der Stelzvögel ſehr viele liebenswürdige und anmuthige Mitglieder zählt, nehme aber doch keinen Anſtand, die Waſſertreter als die anmuthigſten von allen zu erklären. Dieſe Vögel ſind überaus lieblich, anziehend in ihrem Weſen und Betragen, gewandt in jeder Bewegung, begabt wie nur irgend ein anderes Mitglied ihrer Zunft, auf dem feſten Lande wie im Riede, auf dem Waſſer wie in der Luft zu Hauſe. Jhr Gang ähnelt dem der Strand- läufer; ſie ſtehen mit etwas eingezogenem Halſe ruhig am Ufer, laufen, wenn ſie in Bewegung gekommen, trippelnd dahin, vermögen jedoch ihren Lauf zum Rennen zu beſchleunigen und wiſſen ſich mit größtem Geſchick im Riede zu bewegen, auch trefflich zu verbergen, fliegen ungemein raſch und leicht, ſodaß es ſelbſt dem geübten Schützen ſchwer wird, ſie im Fluge herab zu donnern, ähneln aber in dieſer wie in jener Bewegung den angegebenen Verwandten ſo ſehr, daß man von etwas Abſonder- lichem nicht reden kann. Dagegen ſchwimmen ſie mit einer Leichtigkeit, Zierlichkeit und Anmuth, welche unwiderſtehlich hinreißt. Sie liegen leichter als jeder andere mir bekannte Schwimmvogel auf dem Waſſer, ſo daß ſie deſſen Oberfläche kaum zu berühren ſcheinen, tragen dabei das Gefieder knapp und bewegen ſich, kräftig rudernd, mit außerordentlicher Behendigkeit. Zu tauchen vermögen ſie nicht; ihr Gefieder iſt zu reich, als daß es ihrer Kraft möglich wäre, den leichten Leib unter die Oberfläche zu zwingen: ſelbſt Verwundete verſuchen nicht, in der Tiefe ſich zu bergen, ſondern ſchwimmen ſo eilig als möglich dem Riede zu, verſtehen es auch meiſterhaft, hier den Blicken ſich zu entziehen. Vom Waſſer erheben ſie ſich ohne Weiteres in die Luft, und ebenſo fallen ſie aus hoher Luft unmittelbar auf den Waſſerſpiegel herab. Schwimmend verrichten ſie alle Geſchäfte, nehmen von der Oberfläche des Waſſers Nahrung auf, jagen ſich ſpielend hier umher und begatten ſich ſogar in dieſer Stellung. Dabei gilt es ihnen vollkommen gleich, ob das Waſſer ruhig wie ein Spiegel oder bewegt, ob es kalt oder warm iſt: Faber ſah ſie auf den Teichen der heißen Quellen, in deren Waſſer man kaum die Hand halten kann, mit Wohlgefallen umherſchwimmen. Jhre Sinne ſind ſehr ſcharf, ihre geiſtigen Fähigkeiten wohl entwickelt. Harmlos und vertrauend, wie wenig andere Strandvögel, erlauben ſie dem Menſchen eine Annäherung bis auf zehn Schritte, und wenn derſelbe ſie nicht behelligt, laſſen ſie ſich minutenlang beobachten, ohne ſich dem Auge zu entziehen; aber jeder Verſuch einer Ver- folgung macht ſie vorſichtig und ein einziger Fehlſchuß ſehr ſcheu. Um andere Geſchöpfe ſcheinen ſie ſich, während der Brutzeit wenigſtens, nicht zu bekümmern, leben vielmehr nur ſich ſelbſt; die Liebe erregt jedoch auch ſie und ruft unter den Männchen der gleichen Art, welche ſich ſonſt vortrefflich vertrugen, lebhaften Streit und Kampf hervor. Jhre Streitereien werden auf dem Waſſer begonnen und in der Luft zum Austrage gebracht. Das Männchen, welches ſich innerhalb des Gebietes eines ſeßhaften Pärchens ſehen läßt, ruft augenblicklich die Eiferſucht des rechtmäßigen Beſitzers hervor. Beide ſchwimmen auf einander los, erheben ſich vom Waſſer und balgen ſich nun im wirbelnden Fluge ſo lange, bis der Eindringling in die Flucht geſchlagen wurde. Um ſo größere Zärtlichkeit erweiſen ſich die Gatten des Pärchens. Der eine hält ſich beſtändig zu dem anderen und verläßt es nur ſelten. Holböll behauptet, daß man das Weibchen in der Nähe des Neſtes nicht oft bemerkt, weil er unter elf

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/672>, abgerufen am 22.11.2024.