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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Sichler.
Rußland und das südliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Asien
kommt er in allen Ländern ums kaspische und schwarze Meer, in Anatolien, Persien und Syrien vor;
in Afrika nistet er an den nördlichen Strandseen. Gelegentlich seines Zuges besucht er das Jnnere
und den Westen Afrikas, dort dem Nile, hier der Küste des Meeres folgend; in Jndien dagegen
scheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Westen, als dem Osten angehört. Von Ungarn und
Polen aus haben sich einzelne nach Schlesien, Anhalt, Braunschweig und anderen deutschen Gauen
verflogen; ja es ist vorgekommen, daß solche Jrrlinge bis nach Jsland verschlagen wurden. Jn
Egypten hält sich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derselben Gegend auf; in
Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen
und im August, spätestens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich-
keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandseen und Teiche, welche
von jenen Flüssen aus zeitweilig überflutet werden. Strandseen und Brüche oder schlammige
Sümpfe, auch Moräste werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen selbst brütet er, in ihnen hält
er sich auf. Die Flüge, welche eine gewisse Gegend bewohnen, scheinen ihren Aufenthalt zu wechseln
und von einem Sumpfe zum anderen zu schweifen. Dasselbe gilt für die Winterzeit, während die
Fortpflanzung selbstverständlich an ein und denselben Ort bindet.

Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern gesehen, einem Brachvogel einiger-
maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zusammen-
gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang selbst geschieht
mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite sich unter allen Umständen gleich zu bleiben scheint.
Beim Nahrungsuchen watet er gern in tieferem Wasser umher, und wenn es ihm behagt, schwimmt
er, auch ohne eigentlich genöthigt zu sein, von einem Jnselchen nach dem anderen. Jm Fliegen streckt
er den Hals und die Füße geradeaus und schlägt die Flügel ziemlich schnell, in nicht weit ausholenden
Schwingen, schwebt hierauf mit stillgehaltenen gerade fort und gibt sich durch erneuerte Flügelschläge
wiederum einen Anstoß; höchst selten sieht man einen dieser Vögel allein, fast ausnahmslos vielmehr
eine ziemliche Anzahl gemeinsam dahinfliegen, stets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine
einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach so dicht neben einander fortzieht, daß sich
die Schwingenspitzen der einzelnen fast zu berühren scheinen, und welche, wie Naumann sehr richtig
sagt, in den anmuthigst schlängelnden Bewegungen fortrückt. "Es gewährt einen herrlichen Anblick,
eine lange Schnur solcher Vögel die Luft durchschneiden zu sehen. Wie ein fadenfliegender Sommer,
den ein leiser Lufthauch quer forttreibt, scheinen sie dahin zu schweben; nicht streng in gerader Linie,
sondern in anmuthigsten, manchfaltigsten, sanft auf- und absteigenden, alle Augenblicke veränderten
Bogen schlängelt sie sich durch die Lüfte fort, indem sich bald die Mitte, bald das eine, bald das
andere Ende oder die Räume zwischen diesen senken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben,
sodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechselt, dabei jedoch stets geschlossen und
jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derselben Richtung bleibt. Wenn ein solcher
Zug sich niederlassen und Halt machen will, dann erst zerreißt der lange Faden in Stücke, diese lösen
sich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu schweben, sich in Kreisen zu drehen
oder einzelne Schneckenlinien zu beschreiben, und stürzen sich nun mit sausendem Hin- und Her-
schwenken einzeln, oder doch nicht alle in demselben Augenblicke, aber rasch einander folgend und ein
jeder auf seine eigene Weise, hernieder.... Beim Bilden einer solchen Linie steigen die Sichler auf,
erheben sich in Kreisen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es sich versieht, wird
aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der sich zu beiden Seiten nach und nach,
aber sehr schnell, die übrigen Vögel anschließen, und sowie der Zug fortrückt, sieht man immer noch
bald an diesem, bald an jenem Ende andere Wanderungslustige sich anreihen und so die Schnur
verlängern." Naumann meint, daß diese Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt
werde; ich darf, auf meine Beobachtungen gestützt, versichern, daß die Sichler, wenn sie sich in
Massen bewegen, immer in derselben Weise dahinziehen.

Sichler.
Rußland und das ſüdliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Aſien
kommt er in allen Ländern ums kaſpiſche und ſchwarze Meer, in Anatolien, Perſien und Syrien vor;
in Afrika niſtet er an den nördlichen Strandſeen. Gelegentlich ſeines Zuges beſucht er das Jnnere
und den Weſten Afrikas, dort dem Nile, hier der Küſte des Meeres folgend; in Jndien dagegen
ſcheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Weſten, als dem Oſten angehört. Von Ungarn und
Polen aus haben ſich einzelne nach Schleſien, Anhalt, Braunſchweig und anderen deutſchen Gauen
verflogen; ja es iſt vorgekommen, daß ſolche Jrrlinge bis nach Jsland verſchlagen wurden. Jn
Egypten hält ſich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derſelben Gegend auf; in
Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen
und im Auguſt, ſpäteſtens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich-
keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandſeen und Teiche, welche
von jenen Flüſſen aus zeitweilig überflutet werden. Strandſeen und Brüche oder ſchlammige
Sümpfe, auch Moräſte werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen ſelbſt brütet er, in ihnen hält
er ſich auf. Die Flüge, welche eine gewiſſe Gegend bewohnen, ſcheinen ihren Aufenthalt zu wechſeln
und von einem Sumpfe zum anderen zu ſchweifen. Daſſelbe gilt für die Winterzeit, während die
Fortpflanzung ſelbſtverſtändlich an ein und denſelben Ort bindet.

Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern geſehen, einem Brachvogel einiger-
maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zuſammen-
gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang ſelbſt geſchieht
mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite ſich unter allen Umſtänden gleich zu bleiben ſcheint.
Beim Nahrungſuchen watet er gern in tieferem Waſſer umher, und wenn es ihm behagt, ſchwimmt
er, auch ohne eigentlich genöthigt zu ſein, von einem Jnſelchen nach dem anderen. Jm Fliegen ſtreckt
er den Hals und die Füße geradeaus und ſchlägt die Flügel ziemlich ſchnell, in nicht weit ausholenden
Schwingen, ſchwebt hierauf mit ſtillgehaltenen gerade fort und gibt ſich durch erneuerte Flügelſchläge
wiederum einen Anſtoß; höchſt ſelten ſieht man einen dieſer Vögel allein, faſt ausnahmslos vielmehr
eine ziemliche Anzahl gemeinſam dahinfliegen, ſtets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine
einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach ſo dicht neben einander fortzieht, daß ſich
die Schwingenſpitzen der einzelnen faſt zu berühren ſcheinen, und welche, wie Naumann ſehr richtig
ſagt, in den anmuthigſt ſchlängelnden Bewegungen fortrückt. „Es gewährt einen herrlichen Anblick,
eine lange Schnur ſolcher Vögel die Luft durchſchneiden zu ſehen. Wie ein fadenfliegender Sommer,
den ein leiſer Lufthauch quer forttreibt, ſcheinen ſie dahin zu ſchweben; nicht ſtreng in gerader Linie,
ſondern in anmuthigſten, manchfaltigſten, ſanft auf- und abſteigenden, alle Augenblicke veränderten
Bogen ſchlängelt ſie ſich durch die Lüfte fort, indem ſich bald die Mitte, bald das eine, bald das
andere Ende oder die Räume zwiſchen dieſen ſenken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben,
ſodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechſelt, dabei jedoch ſtets geſchloſſen und
jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derſelben Richtung bleibt. Wenn ein ſolcher
Zug ſich niederlaſſen und Halt machen will, dann erſt zerreißt der lange Faden in Stücke, dieſe löſen
ſich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu ſchweben, ſich in Kreiſen zu drehen
oder einzelne Schneckenlinien zu beſchreiben, und ſtürzen ſich nun mit ſauſendem Hin- und Her-
ſchwenken einzeln, oder doch nicht alle in demſelben Augenblicke, aber raſch einander folgend und ein
jeder auf ſeine eigene Weiſe, hernieder.... Beim Bilden einer ſolchen Linie ſteigen die Sichler auf,
erheben ſich in Kreiſen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es ſich verſieht, wird
aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der ſich zu beiden Seiten nach und nach,
aber ſehr ſchnell, die übrigen Vögel anſchließen, und ſowie der Zug fortrückt, ſieht man immer noch
bald an dieſem, bald an jenem Ende andere Wanderungsluſtige ſich anreihen und ſo die Schnur
verlängern.“ Naumann meint, daß dieſe Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt
werde; ich darf, auf meine Beobachtungen geſtützt, verſichern, daß die Sichler, wenn ſie ſich in
Maſſen bewegen, immer in derſelben Weiſe dahinziehen.

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[655/0695] Sichler. Rußland und das ſüdliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Aſien kommt er in allen Ländern ums kaſpiſche und ſchwarze Meer, in Anatolien, Perſien und Syrien vor; in Afrika niſtet er an den nördlichen Strandſeen. Gelegentlich ſeines Zuges beſucht er das Jnnere und den Weſten Afrikas, dort dem Nile, hier der Küſte des Meeres folgend; in Jndien dagegen ſcheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Weſten, als dem Oſten angehört. Von Ungarn und Polen aus haben ſich einzelne nach Schleſien, Anhalt, Braunſchweig und anderen deutſchen Gauen verflogen; ja es iſt vorgekommen, daß ſolche Jrrlinge bis nach Jsland verſchlagen wurden. Jn Egypten hält ſich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derſelben Gegend auf; in Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen und im Auguſt, ſpäteſtens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich- keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandſeen und Teiche, welche von jenen Flüſſen aus zeitweilig überflutet werden. Strandſeen und Brüche oder ſchlammige Sümpfe, auch Moräſte werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen ſelbſt brütet er, in ihnen hält er ſich auf. Die Flüge, welche eine gewiſſe Gegend bewohnen, ſcheinen ihren Aufenthalt zu wechſeln und von einem Sumpfe zum anderen zu ſchweifen. Daſſelbe gilt für die Winterzeit, während die Fortpflanzung ſelbſtverſtändlich an ein und denſelben Ort bindet. Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern geſehen, einem Brachvogel einiger- maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zuſammen- gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang ſelbſt geſchieht mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite ſich unter allen Umſtänden gleich zu bleiben ſcheint. Beim Nahrungſuchen watet er gern in tieferem Waſſer umher, und wenn es ihm behagt, ſchwimmt er, auch ohne eigentlich genöthigt zu ſein, von einem Jnſelchen nach dem anderen. Jm Fliegen ſtreckt er den Hals und die Füße geradeaus und ſchlägt die Flügel ziemlich ſchnell, in nicht weit ausholenden Schwingen, ſchwebt hierauf mit ſtillgehaltenen gerade fort und gibt ſich durch erneuerte Flügelſchläge wiederum einen Anſtoß; höchſt ſelten ſieht man einen dieſer Vögel allein, faſt ausnahmslos vielmehr eine ziemliche Anzahl gemeinſam dahinfliegen, ſtets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach ſo dicht neben einander fortzieht, daß ſich die Schwingenſpitzen der einzelnen faſt zu berühren ſcheinen, und welche, wie Naumann ſehr richtig ſagt, in den anmuthigſt ſchlängelnden Bewegungen fortrückt. „Es gewährt einen herrlichen Anblick, eine lange Schnur ſolcher Vögel die Luft durchſchneiden zu ſehen. Wie ein fadenfliegender Sommer, den ein leiſer Lufthauch quer forttreibt, ſcheinen ſie dahin zu ſchweben; nicht ſtreng in gerader Linie, ſondern in anmuthigſten, manchfaltigſten, ſanft auf- und abſteigenden, alle Augenblicke veränderten Bogen ſchlängelt ſie ſich durch die Lüfte fort, indem ſich bald die Mitte, bald das eine, bald das andere Ende oder die Räume zwiſchen dieſen ſenken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben, ſodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechſelt, dabei jedoch ſtets geſchloſſen und jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derſelben Richtung bleibt. Wenn ein ſolcher Zug ſich niederlaſſen und Halt machen will, dann erſt zerreißt der lange Faden in Stücke, dieſe löſen ſich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu ſchweben, ſich in Kreiſen zu drehen oder einzelne Schneckenlinien zu beſchreiben, und ſtürzen ſich nun mit ſauſendem Hin- und Her- ſchwenken einzeln, oder doch nicht alle in demſelben Augenblicke, aber raſch einander folgend und ein jeder auf ſeine eigene Weiſe, hernieder.... Beim Bilden einer ſolchen Linie ſteigen die Sichler auf, erheben ſich in Kreiſen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es ſich verſieht, wird aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der ſich zu beiden Seiten nach und nach, aber ſehr ſchnell, die übrigen Vögel anſchließen, und ſowie der Zug fortrückt, ſieht man immer noch bald an dieſem, bald an jenem Ende andere Wanderungsluſtige ſich anreihen und ſo die Schnur verlängern.“ Naumann meint, daß dieſe Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt werde; ich darf, auf meine Beobachtungen geſtützt, verſichern, daß die Sichler, wenn ſie ſich in Maſſen bewegen, immer in derſelben Weiſe dahinziehen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/695>, abgerufen am 16.07.2024.