Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Fischreiher.
kommen die kleinen Silberreiher im leisen Fluge, dieser ein trockenes Reis zum Neste tragend, jener
behend von Zweig zu Zweig nach seinem Horste steigend, dazwischen in leichtem, eulenartigen Fluge
die herrlichen gelben Gestalten der Schopfreiher; zuletzt nahen sich etwas vorsichtiger die Fischreiher.
Das ist ein Lärm, ein Schreien, Aechzen, Knarren und Knurren durcheinander, ein Gewimmel von
schneeweißen, gelben, grauen und schwarzen Jrrwischen auf dem lichtblauen Grunde, daß Ohr und Auge
verwirren und ermatten. Endlich wird es ruhiger, der Lärm nimmt ab. Die große Mehrzahl der
Vögel sitzt brütend auf oder wachend neben dem Neste, nur einzelne fliegen, Neststoffe herbeitragend,
ab und zu. Da fällt es plötzlich einem sich langweilenden Nachtreiher ein, irgend ein Reis von dem
Neste seines Nachbars für das seinige passend zu finden, und das Geschrei, welches eben etwas
verstummt war, beginnt von neuem. Wieder ein Piano; denn eigentliche Pausen gibt es da nicht.
Woher nun jetzt das schreckliche Fortissimo? Sieh da, ein Milan, welcher funfzig Schritte davon
seinen Horst hat, nimmt mit aller Ruhe in jeden seiner Fänge einen jungen Fischreiher. Der Alte
geht murrend und drohend vom Horste, läßt den Räuber aber ruhig mit seinem Kinde davonziehen,
während nur ein Versuch, seine gefährliche Waffe und seine Kraft anzuwenden, dieser und ähnlicher
Schmarotzer Tod werden müßte. Einige Nachtreiher begleiten schreiend den unberufenen Friedens-
störer; aber plötzlich ruft sie ein neues, stärkeres Geschrei zurück. Eine Elster hier, eine Nebelkrähe
dort, hat sich die Entfernung zu nutze gemacht, um einige Eier fortzutragen. Die Nachbarn der
Beraubten erheben sich unter entsetzlichem Geschrei, während andere desselben Diebsgefindels über die
eben verlassenen Nester herfallen, und blitzschnell mit ihrer Beute davoneilen. Noch tönt das
verworrene Angst- und Rachegeschrei, da rauscht es in der Luft und gebietet lautlose Stille. Der
gewaltige König der Lüfte, ein mächtiger Aar, zog vorbei, hinüber nach jenem unzugänglichen Rohr-
dickicht, wo das laute Geschnatter der Gänse und Enten ebenso plötzlich verstummt. Drüben am
Wiesenrande fällt ein Schuß, und die ganze Siedelung, bis auf die Nachtreiher, erhebt sich, und mischt
sich mit den Tausenden, welche dort, aus dem seichten Wasser aufgeschreckt, flüchtig umherkreisen und
sich endlich wieder niederlassen."

"Es gibt in der ganzen Vogelwelt nichts Wechselvolleres, Anziehenderes und Schöneres als
diese Reiheransiedelungen. Mögen die Vogelberge einen großartigeren Anblick gewähren, eine so
schöne Staffage zu so schönen und so abstechenden Farben und Gestalten bieten sie nicht."

Jn Deutschland verfolgt man die Reiher allerorten eifrig, da sie unserem Haushalte mehr
schaden als jeder andere Fischjäger, welcher unsere süßen Gewässer regelmäßig besucht. Da, wo sich
ein Reiherstand befindet, ist es üblich, alljährlich ein sogenanntes Reiherschießen anzustellen, eine
großartige und, wie bemerkt werden muß, abscheuliche Schlächterei, bei welcher soviele Reiher getödtet
werden, als man tödten kann. Die Jagd ist übrigens auch nur in der Nähe dieser Reiherstände
ergiebig, da die Scheu und Vorsicht der alten Reiher Nachstellungen gewöhnlich zu vereiteln weiß.

Hier und da fällt es einem eifrigen Liebhaber auch wohl ein, junge Reiher aufzuziehen und zu
zähmen. Er hat dann Gelegenheit, die sonderbaren Stellungen des Vogels zu beobachten, kann ihn
auch zum Aus- und Einfliegen gewöhnen und dahin bringen, daß er sich den größten Theil seines
Futters selbst sucht, wird aber schwerlich besondere Freude an ihm haben; denn diese gewähren nur
die kleinen und schön gefärbten Arten der Familie, nicht aber die bei uns vorkommenden Fisch- und
Purpurreiher. Jn den Thiergärten sieht man jetzt namentlich die südländischen Arten, insbesondere
die Silber- und Rallenreiher, welche durch ihr Gefieder allerdings zu fesseln wissen. Mehr als
einmal ist es gelungen, hier Reiher zur Fortpflanzung zu bringen.



Der Fischreiher oder Reigel (Ardea cinerea) gilt gegenwärtig als Vertreter einer besonderen
Sippe, als deren Merkmale anzusehen sind: schmächtiger Leib, langer Hals, langer, kräftiger Schnabel

Fiſchreiher.
kommen die kleinen Silberreiher im leiſen Fluge, dieſer ein trockenes Reis zum Neſte tragend, jener
behend von Zweig zu Zweig nach ſeinem Horſte ſteigend, dazwiſchen in leichtem, eulenartigen Fluge
die herrlichen gelben Geſtalten der Schopfreiher; zuletzt nahen ſich etwas vorſichtiger die Fiſchreiher.
Das iſt ein Lärm, ein Schreien, Aechzen, Knarren und Knurren durcheinander, ein Gewimmel von
ſchneeweißen, gelben, grauen und ſchwarzen Jrrwiſchen auf dem lichtblauen Grunde, daß Ohr und Auge
verwirren und ermatten. Endlich wird es ruhiger, der Lärm nimmt ab. Die große Mehrzahl der
Vögel ſitzt brütend auf oder wachend neben dem Neſte, nur einzelne fliegen, Neſtſtoffe herbeitragend,
ab und zu. Da fällt es plötzlich einem ſich langweilenden Nachtreiher ein, irgend ein Reis von dem
Neſte ſeines Nachbars für das ſeinige paſſend zu finden, und das Geſchrei, welches eben etwas
verſtummt war, beginnt von neuem. Wieder ein Piano; denn eigentliche Pauſen gibt es da nicht.
Woher nun jetzt das ſchreckliche Fortiſſimo? Sieh da, ein Milan, welcher funfzig Schritte davon
ſeinen Horſt hat, nimmt mit aller Ruhe in jeden ſeiner Fänge einen jungen Fiſchreiher. Der Alte
geht murrend und drohend vom Horſte, läßt den Räuber aber ruhig mit ſeinem Kinde davonziehen,
während nur ein Verſuch, ſeine gefährliche Waffe und ſeine Kraft anzuwenden, dieſer und ähnlicher
Schmarotzer Tod werden müßte. Einige Nachtreiher begleiten ſchreiend den unberufenen Friedens-
ſtörer; aber plötzlich ruft ſie ein neues, ſtärkeres Geſchrei zurück. Eine Elſter hier, eine Nebelkrähe
dort, hat ſich die Entfernung zu nutze gemacht, um einige Eier fortzutragen. Die Nachbarn der
Beraubten erheben ſich unter entſetzlichem Geſchrei, während andere deſſelben Diebsgefindels über die
eben verlaſſenen Neſter herfallen, und blitzſchnell mit ihrer Beute davoneilen. Noch tönt das
verworrene Angſt- und Rachegeſchrei, da rauſcht es in der Luft und gebietet lautloſe Stille. Der
gewaltige König der Lüfte, ein mächtiger Aar, zog vorbei, hinüber nach jenem unzugänglichen Rohr-
dickicht, wo das laute Geſchnatter der Gänſe und Enten ebenſo plötzlich verſtummt. Drüben am
Wieſenrande fällt ein Schuß, und die ganze Siedelung, bis auf die Nachtreiher, erhebt ſich, und miſcht
ſich mit den Tauſenden, welche dort, aus dem ſeichten Waſſer aufgeſchreckt, flüchtig umherkreiſen und
ſich endlich wieder niederlaſſen.“

„Es gibt in der ganzen Vogelwelt nichts Wechſelvolleres, Anziehenderes und Schöneres als
dieſe Reiheranſiedelungen. Mögen die Vogelberge einen großartigeren Anblick gewähren, eine ſo
ſchöne Staffage zu ſo ſchönen und ſo abſtechenden Farben und Geſtalten bieten ſie nicht.“

Jn Deutſchland verfolgt man die Reiher allerorten eifrig, da ſie unſerem Haushalte mehr
ſchaden als jeder andere Fiſchjäger, welcher unſere ſüßen Gewäſſer regelmäßig beſucht. Da, wo ſich
ein Reiherſtand befindet, iſt es üblich, alljährlich ein ſogenanntes Reiherſchießen anzuſtellen, eine
großartige und, wie bemerkt werden muß, abſcheuliche Schlächterei, bei welcher ſoviele Reiher getödtet
werden, als man tödten kann. Die Jagd iſt übrigens auch nur in der Nähe dieſer Reiherſtände
ergiebig, da die Scheu und Vorſicht der alten Reiher Nachſtellungen gewöhnlich zu vereiteln weiß.

Hier und da fällt es einem eifrigen Liebhaber auch wohl ein, junge Reiher aufzuziehen und zu
zähmen. Er hat dann Gelegenheit, die ſonderbaren Stellungen des Vogels zu beobachten, kann ihn
auch zum Aus- und Einfliegen gewöhnen und dahin bringen, daß er ſich den größten Theil ſeines
Futters ſelbſt ſucht, wird aber ſchwerlich beſondere Freude an ihm haben; denn dieſe gewähren nur
die kleinen und ſchön gefärbten Arten der Familie, nicht aber die bei uns vorkommenden Fiſch- und
Purpurreiher. Jn den Thiergärten ſieht man jetzt namentlich die ſüdländiſchen Arten, insbeſondere
die Silber- und Rallenreiher, welche durch ihr Gefieder allerdings zu feſſeln wiſſen. Mehr als
einmal iſt es gelungen, hier Reiher zur Fortpflanzung zu bringen.



Der Fiſchreiher oder Reigel (Ardea cinerea) gilt gegenwärtig als Vertreter einer beſonderen
Sippe, als deren Merkmale anzuſehen ſind: ſchmächtiger Leib, langer Hals, langer, kräftiger Schnabel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0739" n="697"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fi&#x017F;chreiher</hi>.</fw><lb/>
kommen die kleinen Silberreiher im lei&#x017F;en Fluge, die&#x017F;er ein trockenes Reis zum Ne&#x017F;te tragend, jener<lb/>
behend von Zweig zu Zweig nach &#x017F;einem Hor&#x017F;te &#x017F;teigend, dazwi&#x017F;chen in leichtem, eulenartigen Fluge<lb/>
die herrlichen gelben Ge&#x017F;talten der Schopfreiher; zuletzt nahen &#x017F;ich etwas vor&#x017F;ichtiger die Fi&#x017F;chreiher.<lb/>
Das i&#x017F;t ein Lärm, ein Schreien, Aechzen, Knarren und Knurren durcheinander, ein Gewimmel von<lb/>
&#x017F;chneeweißen, gelben, grauen und &#x017F;chwarzen Jrrwi&#x017F;chen auf dem lichtblauen Grunde, daß Ohr und Auge<lb/>
verwirren und ermatten. Endlich wird es ruhiger, der Lärm nimmt ab. Die große Mehrzahl der<lb/>
Vögel &#x017F;itzt brütend auf oder wachend neben dem Ne&#x017F;te, nur einzelne fliegen, Ne&#x017F;t&#x017F;toffe herbeitragend,<lb/>
ab und zu. Da fällt es plötzlich einem &#x017F;ich langweilenden Nachtreiher ein, irgend ein Reis von dem<lb/>
Ne&#x017F;te &#x017F;eines Nachbars für das &#x017F;einige pa&#x017F;&#x017F;end zu finden, und das Ge&#x017F;chrei, welches eben etwas<lb/>
ver&#x017F;tummt war, beginnt von neuem. Wieder ein Piano; denn eigentliche Pau&#x017F;en gibt es da nicht.<lb/>
Woher nun jetzt das &#x017F;chreckliche Forti&#x017F;&#x017F;imo? Sieh da, ein Milan, welcher funfzig Schritte davon<lb/>
&#x017F;einen Hor&#x017F;t hat, nimmt mit aller Ruhe in jeden &#x017F;einer Fänge einen jungen Fi&#x017F;chreiher. Der Alte<lb/>
geht murrend und drohend vom Hor&#x017F;te, läßt den Räuber aber ruhig mit &#x017F;einem Kinde davonziehen,<lb/>
während nur ein Ver&#x017F;uch, &#x017F;eine gefährliche Waffe und &#x017F;eine Kraft anzuwenden, die&#x017F;er und ähnlicher<lb/>
Schmarotzer Tod werden müßte. Einige Nachtreiher begleiten &#x017F;chreiend den unberufenen Friedens-<lb/>
&#x017F;törer; aber plötzlich ruft &#x017F;ie ein neues, &#x017F;tärkeres Ge&#x017F;chrei zurück. Eine El&#x017F;ter hier, eine Nebelkrähe<lb/>
dort, hat &#x017F;ich die Entfernung zu nutze gemacht, um einige Eier fortzutragen. Die Nachbarn der<lb/>
Beraubten erheben &#x017F;ich unter ent&#x017F;etzlichem Ge&#x017F;chrei, während andere de&#x017F;&#x017F;elben Diebsgefindels über die<lb/>
eben verla&#x017F;&#x017F;enen Ne&#x017F;ter herfallen, und blitz&#x017F;chnell mit ihrer Beute davoneilen. Noch tönt das<lb/>
verworrene Ang&#x017F;t- und Rachege&#x017F;chrei, da rau&#x017F;cht es in der Luft und gebietet lautlo&#x017F;e Stille. Der<lb/>
gewaltige König der Lüfte, ein mächtiger Aar, zog vorbei, hinüber nach jenem unzugänglichen Rohr-<lb/>
dickicht, wo das laute Ge&#x017F;chnatter der Gän&#x017F;e und Enten eben&#x017F;o plötzlich ver&#x017F;tummt. Drüben am<lb/>
Wie&#x017F;enrande fällt ein Schuß, und die ganze Siedelung, bis auf die Nachtreiher, erhebt &#x017F;ich, und mi&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ich mit den Tau&#x017F;enden, welche dort, aus dem &#x017F;eichten Wa&#x017F;&#x017F;er aufge&#x017F;chreckt, flüchtig umherkrei&#x017F;en und<lb/>
&#x017F;ich endlich wieder niederla&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es gibt in der ganzen Vogelwelt nichts Wech&#x017F;elvolleres, Anziehenderes und Schöneres als<lb/>
die&#x017F;e Reiheran&#x017F;iedelungen. Mögen die Vogelberge einen großartigeren Anblick gewähren, eine &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chöne Staffage zu &#x017F;o &#x017F;chönen und &#x017F;o ab&#x017F;techenden Farben und Ge&#x017F;talten bieten &#x017F;ie nicht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Jn Deut&#x017F;chland verfolgt man die Reiher allerorten eifrig, da &#x017F;ie un&#x017F;erem Haushalte mehr<lb/>
&#x017F;chaden als jeder andere Fi&#x017F;chjäger, welcher un&#x017F;ere &#x017F;üßen Gewä&#x017F;&#x017F;er regelmäßig be&#x017F;ucht. Da, wo &#x017F;ich<lb/>
ein Reiher&#x017F;tand befindet, i&#x017F;t es üblich, alljährlich ein &#x017F;ogenanntes Reiher&#x017F;chießen anzu&#x017F;tellen, eine<lb/>
großartige und, wie bemerkt werden muß, ab&#x017F;cheuliche Schlächterei, bei welcher &#x017F;oviele Reiher getödtet<lb/>
werden, als man tödten kann. Die Jagd i&#x017F;t übrigens auch nur in der Nähe die&#x017F;er Reiher&#x017F;tände<lb/>
ergiebig, da die Scheu und Vor&#x017F;icht der alten Reiher Nach&#x017F;tellungen gewöhnlich zu vereiteln weiß.</p><lb/>
          <p>Hier und da fällt es einem eifrigen Liebhaber auch wohl ein, junge Reiher aufzuziehen und zu<lb/>
zähmen. Er hat dann Gelegenheit, die &#x017F;onderbaren Stellungen des Vogels zu beobachten, kann ihn<lb/>
auch zum Aus- und Einfliegen gewöhnen und dahin bringen, daß er &#x017F;ich den größten Theil &#x017F;eines<lb/>
Futters &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ucht, wird aber &#x017F;chwerlich be&#x017F;ondere Freude an ihm haben; denn die&#x017F;e gewähren nur<lb/>
die kleinen und &#x017F;chön gefärbten Arten der Familie, nicht aber die bei uns vorkommenden Fi&#x017F;ch- und<lb/>
Purpurreiher. Jn den Thiergärten &#x017F;ieht man jetzt namentlich die &#x017F;üdländi&#x017F;chen Arten, insbe&#x017F;ondere<lb/>
die Silber- und Rallenreiher, welche durch ihr Gefieder allerdings zu fe&#x017F;&#x017F;eln wi&#x017F;&#x017F;en. Mehr als<lb/>
einmal i&#x017F;t es gelungen, hier Reiher zur Fortpflanzung zu bringen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Fi&#x017F;chreiher</hi> oder <hi rendition="#g">Reigel</hi> (<hi rendition="#aq">Ardea cinerea</hi>) gilt gegenwärtig als Vertreter einer be&#x017F;onderen<lb/>
Sippe, als deren Merkmale anzu&#x017F;ehen &#x017F;ind: &#x017F;chmächtiger Leib, langer Hals, langer, kräftiger Schnabel<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[697/0739] Fiſchreiher. kommen die kleinen Silberreiher im leiſen Fluge, dieſer ein trockenes Reis zum Neſte tragend, jener behend von Zweig zu Zweig nach ſeinem Horſte ſteigend, dazwiſchen in leichtem, eulenartigen Fluge die herrlichen gelben Geſtalten der Schopfreiher; zuletzt nahen ſich etwas vorſichtiger die Fiſchreiher. Das iſt ein Lärm, ein Schreien, Aechzen, Knarren und Knurren durcheinander, ein Gewimmel von ſchneeweißen, gelben, grauen und ſchwarzen Jrrwiſchen auf dem lichtblauen Grunde, daß Ohr und Auge verwirren und ermatten. Endlich wird es ruhiger, der Lärm nimmt ab. Die große Mehrzahl der Vögel ſitzt brütend auf oder wachend neben dem Neſte, nur einzelne fliegen, Neſtſtoffe herbeitragend, ab und zu. Da fällt es plötzlich einem ſich langweilenden Nachtreiher ein, irgend ein Reis von dem Neſte ſeines Nachbars für das ſeinige paſſend zu finden, und das Geſchrei, welches eben etwas verſtummt war, beginnt von neuem. Wieder ein Piano; denn eigentliche Pauſen gibt es da nicht. Woher nun jetzt das ſchreckliche Fortiſſimo? Sieh da, ein Milan, welcher funfzig Schritte davon ſeinen Horſt hat, nimmt mit aller Ruhe in jeden ſeiner Fänge einen jungen Fiſchreiher. Der Alte geht murrend und drohend vom Horſte, läßt den Räuber aber ruhig mit ſeinem Kinde davonziehen, während nur ein Verſuch, ſeine gefährliche Waffe und ſeine Kraft anzuwenden, dieſer und ähnlicher Schmarotzer Tod werden müßte. Einige Nachtreiher begleiten ſchreiend den unberufenen Friedens- ſtörer; aber plötzlich ruft ſie ein neues, ſtärkeres Geſchrei zurück. Eine Elſter hier, eine Nebelkrähe dort, hat ſich die Entfernung zu nutze gemacht, um einige Eier fortzutragen. Die Nachbarn der Beraubten erheben ſich unter entſetzlichem Geſchrei, während andere deſſelben Diebsgefindels über die eben verlaſſenen Neſter herfallen, und blitzſchnell mit ihrer Beute davoneilen. Noch tönt das verworrene Angſt- und Rachegeſchrei, da rauſcht es in der Luft und gebietet lautloſe Stille. Der gewaltige König der Lüfte, ein mächtiger Aar, zog vorbei, hinüber nach jenem unzugänglichen Rohr- dickicht, wo das laute Geſchnatter der Gänſe und Enten ebenſo plötzlich verſtummt. Drüben am Wieſenrande fällt ein Schuß, und die ganze Siedelung, bis auf die Nachtreiher, erhebt ſich, und miſcht ſich mit den Tauſenden, welche dort, aus dem ſeichten Waſſer aufgeſchreckt, flüchtig umherkreiſen und ſich endlich wieder niederlaſſen.“ „Es gibt in der ganzen Vogelwelt nichts Wechſelvolleres, Anziehenderes und Schöneres als dieſe Reiheranſiedelungen. Mögen die Vogelberge einen großartigeren Anblick gewähren, eine ſo ſchöne Staffage zu ſo ſchönen und ſo abſtechenden Farben und Geſtalten bieten ſie nicht.“ Jn Deutſchland verfolgt man die Reiher allerorten eifrig, da ſie unſerem Haushalte mehr ſchaden als jeder andere Fiſchjäger, welcher unſere ſüßen Gewäſſer regelmäßig beſucht. Da, wo ſich ein Reiherſtand befindet, iſt es üblich, alljährlich ein ſogenanntes Reiherſchießen anzuſtellen, eine großartige und, wie bemerkt werden muß, abſcheuliche Schlächterei, bei welcher ſoviele Reiher getödtet werden, als man tödten kann. Die Jagd iſt übrigens auch nur in der Nähe dieſer Reiherſtände ergiebig, da die Scheu und Vorſicht der alten Reiher Nachſtellungen gewöhnlich zu vereiteln weiß. Hier und da fällt es einem eifrigen Liebhaber auch wohl ein, junge Reiher aufzuziehen und zu zähmen. Er hat dann Gelegenheit, die ſonderbaren Stellungen des Vogels zu beobachten, kann ihn auch zum Aus- und Einfliegen gewöhnen und dahin bringen, daß er ſich den größten Theil ſeines Futters ſelbſt ſucht, wird aber ſchwerlich beſondere Freude an ihm haben; denn dieſe gewähren nur die kleinen und ſchön gefärbten Arten der Familie, nicht aber die bei uns vorkommenden Fiſch- und Purpurreiher. Jn den Thiergärten ſieht man jetzt namentlich die ſüdländiſchen Arten, insbeſondere die Silber- und Rallenreiher, welche durch ihr Gefieder allerdings zu feſſeln wiſſen. Mehr als einmal iſt es gelungen, hier Reiher zur Fortpflanzung zu bringen. Der Fiſchreiher oder Reigel (Ardea cinerea) gilt gegenwärtig als Vertreter einer beſonderen Sippe, als deren Merkmale anzuſehen ſind: ſchmächtiger Leib, langer Hals, langer, kräftiger Schnabel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/739
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/739>, abgerufen am 22.11.2024.