und alle Augenblicke schnellten sie den zusammengelegten Hals wie eine Schnellfeder vor, so daß bald nur der Schnabel allein, bald auch noch der ganze Kopf dazu unter die Wasserfläche und wieder zurückfuhr, wobei immer ein Fisch gefangen war, welcher sogleich verschluckt oder zuvor im Schnabel in eine verschluckbare Lage, den Kopf nach vorn gebracht und dann verschlungen wurde. Mochte der erzielte Fisch zu tief im Wasser gestanden haben, so fuhr der Reiher mit dem ganzen Halse hinunter, wobei er, um das Gleichgewicht zu behalten, jedesmal die Flügel etwas öffnete und mit deren Vordertheilen das Wasser so stark berührte, daß es plumpte. Es ist mir auch vorgekommen, daß ein solcher Schleicher plötzlich Halt machte, einige Augenblicke still stand und sogleich einen Fisch erwischte, wahrscheinlich weil er zwischen mehrere dieser flinken Wasserbewohner trat, welche nicht gleich wußten, wohin sie fliehen sollten und ihn in augenblickliche Verlegenheit brachten; denn er ist gewöhnt, sicher zu zielen und stößt selten fehl, wird auch nie einen zweiten Stoß auf den verfehlten Fisch anbringen können. Frösche, Froschlarven und Wasserkerfe sucht er ebenfalls schleichend auf. Die ersteren verursachen ihm, wenn sie etwas groß sind, viele Mühe; er sticht sie mit dem Schnabel, wirft sie weg, fängt sie wieder auf, gibt ihnen Kniffe u. s. w., bis sie halb todt mit dem Kopfe vorn hinabgeschlungen werden."
Der Fischreiher brütet auch in Deutschland gern in Gesellschaft und bildet hier und da Ansiedelungen oder Reiherstände, welche funfzehn bis hundert und mehr Nester zählen und unge- achtet aller Verfolgungen jährlich wieder bezogen werden, auch wenn die Brutvögel vom nächsten Wasser aus eine Meile weg und weiter fliegen müssen, um sie zu erreichen. Jn der Nähe der See- küsten gesellt sich die Scharbe regelmäßig zu den Reihern, wahrscheinlich weil es ihr bequem ist, deren Horst zu benutzen. Solche Siedelungen sind nur dann dem Besitzer erwünscht, wenn dieser ein eifriger Jäger ist, welcher dem edeln Waidwerk alles Andere nachstellt; denn im übrigen erregt der Reiherstand bei Jedermann Abscheu. Bäume und Boden werden vom Koth der Vögel weiß übertüncht, alles Laub verdorben; faulende Fische verpesten die Luft; kurz, es gibt hier, wie Nau- mann sagt, "der Unflätherei und des Gestankes viel". Jm April erscheinen die alten Reiher an den Nestern, bessern sie, soweit als nöthig, aus, und beginnen hierauf zu legen. Der Horst ist etwa zwei bis drei Fuß breit, flach und kunstlos aus dürren Stöcken, Reisern, Rohrstengeln, Schilfblättern, Stroh zusammengebaut, die seichte Mulde mit Borsten, Haaren, Wolle, Federn nachlässig ausgelegt. Die drei bis vier stark- und glattschaligen Eier sehen grün aus. Nach drei- wöchentlicher Bebrütung entschlüpfen die Jungen, unbehilfliche und häßliche Geschöpfe, welche von einem beständigen Heißhunger geplagt zu sein scheinen, unglaublich viel fressen, viele Nahrung vor lauter Gier über den Rand des Nestes herabwerfen, länger als vier Wochen im Horste verweilen, auf das warnende "Ka" ihrer Aeltern sich drücken, sonst oft aufrecht stehen und endlich, nachdem sie völlig flügge geworden sind, sich entfernen. Die Eltern unterrichten sie noch einige Tage und überlassen sie dann ihrem Schicksale; Alt und Jung zerstreut sich, und der Reiherstand verödet.
Edelfalken und große Eulen, auch wohl einzelne Adler, greifen die Alten an, schwächere Falken, Raben und Krähen plündern die Nester. "Auffallend", sagt Baldamus, "ist die große und wirklich lächerliche Furcht dieser mit so gefährlicher Waffe ausgerüsteten Reiher vor allen Raubvögeln, und selbst vor Krähen und Elstern. Die Räuber scheinen Das auch zu wissen; denn sie plündern jene Ansiedelungen mit einer großartigen Unverschämtheit, holen die Eier und Jungen mitten aus dem dichtesten Schwarme heraus, ohne daß sie mehr als ein gräßliches Schreien, ein furchtsames Zurückweichen, einen weit aufgesperrten Rachen und höchstens einen matten Flügelschlag zu gefahren haben. Wohl aber habe ich gesehen, daß ein ziemlich erwachsener junger Reiher mit gesträubtem Gefieder und aufgeblasener Kehle nach einer Elster stieß, die ein auf den Rand seines Nestes gestütztes Nachtreihernest plünderte. Auch gegen den Menschen setzen sich solche junge Reiher fauchend und stechend zur Wehre, aber nur dann, wenn sie, auf den äußersten Rand ihres Nestes gedrängt, zur Verzweiflung getrieben sind."
Fiſchreiher.
und alle Augenblicke ſchnellten ſie den zuſammengelegten Hals wie eine Schnellfeder vor, ſo daß bald nur der Schnabel allein, bald auch noch der ganze Kopf dazu unter die Waſſerfläche und wieder zurückfuhr, wobei immer ein Fiſch gefangen war, welcher ſogleich verſchluckt oder zuvor im Schnabel in eine verſchluckbare Lage, den Kopf nach vorn gebracht und dann verſchlungen wurde. Mochte der erzielte Fiſch zu tief im Waſſer geſtanden haben, ſo fuhr der Reiher mit dem ganzen Halſe hinunter, wobei er, um das Gleichgewicht zu behalten, jedesmal die Flügel etwas öffnete und mit deren Vordertheilen das Waſſer ſo ſtark berührte, daß es plumpte. Es iſt mir auch vorgekommen, daß ein ſolcher Schleicher plötzlich Halt machte, einige Augenblicke ſtill ſtand und ſogleich einen Fiſch erwiſchte, wahrſcheinlich weil er zwiſchen mehrere dieſer flinken Waſſerbewohner trat, welche nicht gleich wußten, wohin ſie fliehen ſollten und ihn in augenblickliche Verlegenheit brachten; denn er iſt gewöhnt, ſicher zu zielen und ſtößt ſelten fehl, wird auch nie einen zweiten Stoß auf den verfehlten Fiſch anbringen können. Fröſche, Froſchlarven und Waſſerkerfe ſucht er ebenfalls ſchleichend auf. Die erſteren verurſachen ihm, wenn ſie etwas groß ſind, viele Mühe; er ſticht ſie mit dem Schnabel, wirft ſie weg, fängt ſie wieder auf, gibt ihnen Kniffe u. ſ. w., bis ſie halb todt mit dem Kopfe vorn hinabgeſchlungen werden.“
Der Fiſchreiher brütet auch in Deutſchland gern in Geſellſchaft und bildet hier und da Anſiedelungen oder Reiherſtände, welche funfzehn bis hundert und mehr Neſter zählen und unge- achtet aller Verfolgungen jährlich wieder bezogen werden, auch wenn die Brutvögel vom nächſten Waſſer aus eine Meile weg und weiter fliegen müſſen, um ſie zu erreichen. Jn der Nähe der See- küſten geſellt ſich die Scharbe regelmäßig zu den Reihern, wahrſcheinlich weil es ihr bequem iſt, deren Horſt zu benutzen. Solche Siedelungen ſind nur dann dem Beſitzer erwünſcht, wenn dieſer ein eifriger Jäger iſt, welcher dem edeln Waidwerk alles Andere nachſtellt; denn im übrigen erregt der Reiherſtand bei Jedermann Abſcheu. Bäume und Boden werden vom Koth der Vögel weiß übertüncht, alles Laub verdorben; faulende Fiſche verpeſten die Luft; kurz, es gibt hier, wie Nau- mann ſagt, „der Unflätherei und des Geſtankes viel“. Jm April erſcheinen die alten Reiher an den Neſtern, beſſern ſie, ſoweit als nöthig, aus, und beginnen hierauf zu legen. Der Horſt iſt etwa zwei bis drei Fuß breit, flach und kunſtlos aus dürren Stöcken, Reiſern, Rohrſtengeln, Schilfblättern, Stroh zuſammengebaut, die ſeichte Mulde mit Borſten, Haaren, Wolle, Federn nachläſſig ausgelegt. Die drei bis vier ſtark- und glattſchaligen Eier ſehen grün aus. Nach drei- wöchentlicher Bebrütung entſchlüpfen die Jungen, unbehilfliche und häßliche Geſchöpfe, welche von einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu ſein ſcheinen, unglaublich viel freſſen, viele Nahrung vor lauter Gier über den Rand des Neſtes herabwerfen, länger als vier Wochen im Horſte verweilen, auf das warnende „Ka“ ihrer Aeltern ſich drücken, ſonſt oft aufrecht ſtehen und endlich, nachdem ſie völlig flügge geworden ſind, ſich entfernen. Die Eltern unterrichten ſie noch einige Tage und überlaſſen ſie dann ihrem Schickſale; Alt und Jung zerſtreut ſich, und der Reiherſtand verödet.
Edelfalken und große Eulen, auch wohl einzelne Adler, greifen die Alten an, ſchwächere Falken, Raben und Krähen plündern die Neſter. „Auffallend“, ſagt Baldamus, „iſt die große und wirklich lächerliche Furcht dieſer mit ſo gefährlicher Waffe ausgerüſteten Reiher vor allen Raubvögeln, und ſelbſt vor Krähen und Elſtern. Die Räuber ſcheinen Das auch zu wiſſen; denn ſie plündern jene Anſiedelungen mit einer großartigen Unverſchämtheit, holen die Eier und Jungen mitten aus dem dichteſten Schwarme heraus, ohne daß ſie mehr als ein gräßliches Schreien, ein furchtſames Zurückweichen, einen weit aufgeſperrten Rachen und höchſtens einen matten Flügelſchlag zu gefahren haben. Wohl aber habe ich geſehen, daß ein ziemlich erwachſener junger Reiher mit geſträubtem Gefieder und aufgeblaſener Kehle nach einer Elſter ſtieß, die ein auf den Rand ſeines Neſtes geſtütztes Nachtreiherneſt plünderte. Auch gegen den Menſchen ſetzen ſich ſolche junge Reiher fauchend und ſtechend zur Wehre, aber nur dann, wenn ſie, auf den äußerſten Rand ihres Neſtes gedrängt, zur Verzweiflung getrieben ſind.“
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[699/0741]
Fiſchreiher.
und alle Augenblicke ſchnellten ſie den zuſammengelegten Hals wie eine Schnellfeder vor, ſo daß
bald nur der Schnabel allein, bald auch noch der ganze Kopf dazu unter die Waſſerfläche und wieder
zurückfuhr, wobei immer ein Fiſch gefangen war, welcher ſogleich verſchluckt oder zuvor im Schnabel
in eine verſchluckbare Lage, den Kopf nach vorn gebracht und dann verſchlungen wurde. Mochte
der erzielte Fiſch zu tief im Waſſer geſtanden haben, ſo fuhr der Reiher mit dem ganzen Halſe
hinunter, wobei er, um das Gleichgewicht zu behalten, jedesmal die Flügel etwas öffnete und mit
deren Vordertheilen das Waſſer ſo ſtark berührte, daß es plumpte. Es iſt mir auch vorgekommen,
daß ein ſolcher Schleicher plötzlich Halt machte, einige Augenblicke ſtill ſtand und ſogleich einen Fiſch
erwiſchte, wahrſcheinlich weil er zwiſchen mehrere dieſer flinken Waſſerbewohner trat, welche nicht
gleich wußten, wohin ſie fliehen ſollten und ihn in augenblickliche Verlegenheit brachten; denn er iſt
gewöhnt, ſicher zu zielen und ſtößt ſelten fehl, wird auch nie einen zweiten Stoß auf den verfehlten
Fiſch anbringen können. Fröſche, Froſchlarven und Waſſerkerfe ſucht er ebenfalls ſchleichend auf.
Die erſteren verurſachen ihm, wenn ſie etwas groß ſind, viele Mühe; er ſticht ſie mit dem Schnabel,
wirft ſie weg, fängt ſie wieder auf, gibt ihnen Kniffe u. ſ. w., bis ſie halb todt mit dem Kopfe
vorn hinabgeſchlungen werden.“
Der Fiſchreiher brütet auch in Deutſchland gern in Geſellſchaft und bildet hier und da
Anſiedelungen oder Reiherſtände, welche funfzehn bis hundert und mehr Neſter zählen und unge-
achtet aller Verfolgungen jährlich wieder bezogen werden, auch wenn die Brutvögel vom nächſten
Waſſer aus eine Meile weg und weiter fliegen müſſen, um ſie zu erreichen. Jn der Nähe der See-
küſten geſellt ſich die Scharbe regelmäßig zu den Reihern, wahrſcheinlich weil es ihr bequem iſt,
deren Horſt zu benutzen. Solche Siedelungen ſind nur dann dem Beſitzer erwünſcht, wenn dieſer
ein eifriger Jäger iſt, welcher dem edeln Waidwerk alles Andere nachſtellt; denn im übrigen erregt
der Reiherſtand bei Jedermann Abſcheu. Bäume und Boden werden vom Koth der Vögel weiß
übertüncht, alles Laub verdorben; faulende Fiſche verpeſten die Luft; kurz, es gibt hier, wie Nau-
mann ſagt, „der Unflätherei und des Geſtankes viel“. Jm April erſcheinen die alten Reiher an
den Neſtern, beſſern ſie, ſoweit als nöthig, aus, und beginnen hierauf zu legen. Der Horſt iſt
etwa zwei bis drei Fuß breit, flach und kunſtlos aus dürren Stöcken, Reiſern, Rohrſtengeln,
Schilfblättern, Stroh zuſammengebaut, die ſeichte Mulde mit Borſten, Haaren, Wolle, Federn
nachläſſig ausgelegt. Die drei bis vier ſtark- und glattſchaligen Eier ſehen grün aus. Nach drei-
wöchentlicher Bebrütung entſchlüpfen die Jungen, unbehilfliche und häßliche Geſchöpfe, welche von
einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu ſein ſcheinen, unglaublich viel freſſen, viele Nahrung vor
lauter Gier über den Rand des Neſtes herabwerfen, länger als vier Wochen im Horſte verweilen,
auf das warnende „Ka“ ihrer Aeltern ſich drücken, ſonſt oft aufrecht ſtehen und endlich, nachdem
ſie völlig flügge geworden ſind, ſich entfernen. Die Eltern unterrichten ſie noch einige Tage und
überlaſſen ſie dann ihrem Schickſale; Alt und Jung zerſtreut ſich, und der Reiherſtand verödet.
Edelfalken und große Eulen, auch wohl einzelne Adler, greifen die Alten an, ſchwächere Falken,
Raben und Krähen plündern die Neſter. „Auffallend“, ſagt Baldamus, „iſt die große und
wirklich lächerliche Furcht dieſer mit ſo gefährlicher Waffe ausgerüſteten Reiher vor allen Raubvögeln,
und ſelbſt vor Krähen und Elſtern. Die Räuber ſcheinen Das auch zu wiſſen; denn ſie plündern
jene Anſiedelungen mit einer großartigen Unverſchämtheit, holen die Eier und Jungen mitten aus
dem dichteſten Schwarme heraus, ohne daß ſie mehr als ein gräßliches Schreien, ein furchtſames
Zurückweichen, einen weit aufgeſperrten Rachen und höchſtens einen matten Flügelſchlag zu gefahren
haben. Wohl aber habe ich geſehen, daß ein ziemlich erwachſener junger Reiher mit geſträubtem
Gefieder und aufgeblaſener Kehle nach einer Elſter ſtieß, die ein auf den Rand ſeines Neſtes
geſtütztes Nachtreiherneſt plünderte. Auch gegen den Menſchen ſetzen ſich ſolche junge Reiher
fauchend und ſtechend zur Wehre, aber nur dann, wenn ſie, auf den äußerſten Rand ihres Neſtes
gedrängt, zur Verzweiflung getrieben ſind.“
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/741>, abgerufen am 22.11.2024.
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