weise brechen sie auch auf und vereinigt noch kommen sie an in der Heimat; hier aber lösen sich die Heereshaufen bald in kleinere Trupps und diese in Paare auf, und jedes Paar bezieht nun eine zur Fortpflanzung geeignete Oertlichkeit, welche sich von der Winterherberge durchaus unterscheidet. Jn Jndien oder im Sudahn ist der Kranich Strandvogel, im Norden Europas oder Asiens wird er zum vollendeten Sumpfvogel. Er bezieht hier die großen Brüche oder Sümpfe der Ebene, bezüglich der Tundra, und sucht sich in den Morästen, welche ihm zum Brüten dienen sollen, diejenigen Stellen aus, welche mit niederem Seggengrase oder Riede bewachsen sind und ihm unter allen Umständen eine weite Aussicht ringsum gestatten, ihm also die sichersten zu dünken scheinen. Sie werden zu seinem Weidegebiete; von ihnen fliegt er hinaus auf die Felder, welche ihm auch während des Sommers zollen müssen. Brüche, Sümpfe oder Moräste, in denen viel Buschwerk oder hohes Röhricht wächst, liebt er nicht, es sei denn, daß ihre Ausdehnung die Annäherung eines Menschen erschwert und ihm die nöthige Sicherheit verbürgt.
Der Kranich ist nicht blos einer der stattlichsten, sondern auch einer der begabtesten und klügsten Vögel, ja eines der klügsten Thiere überhaupt, ein Geschöpf, dessen geistige Fähigkeiten an die des Menschen erinnern, dessen Verstand auch dem eingebildeten Tropfe, welcher meint, daß nur sein eigenes Hirn Gedanken erzeugen könne, einleuchten muß. Jede Bewegung des Kranichs ist schön, jede Aeußerung seiner höheren Begabung fesselnd. Der große, wohl gebaute, bewegungsfähige, scharf- sinnige und verständige Vogel ist sich seiner ausgezeichneten Fähigkeiten wohl bewußt und drückt Solches durch sein Betragen aus, so verschiedenartig Dieses auch sein mag. Mit leichten, zierlichen, aber doch abgemessenen Schritten geht er seines Weges dahin, gewöhnlich ruhig und würdig, nur im Fall der Noth eilend und rennend; ohne Mühe erhebt er sich nach einem oder nach zwei Sprüngen vom Boden, mit wenigen, weitausholenden Schlägen der kräftigen Flügel gewinnt er die nöthige Höhe, und nunmehr fliegt er, Hals und Beine gerade von sich gestreckt, ruhig und ohne Eile zu verrathen, aber doch schnell und eilig dahin, mit Entschiedenheit einem bestimmten Ziele zustrebend. Aber derselbe Vogel ergötzt sich auch, wenn ihm die Laune anwandelt, durch lustige Sprünge, übermüthige Geberden, sonderbare Stellungen, Verneigungen des Halses, Breiten der Flügel und ein förmliches Tanzen oder dreht sich fliegend in einem prachtvollen Reigen längere Zeit über einer und derselben Stelle umher. Der Altvater Linne sah in den Kranichen Reiher, andere Beobachter haben sie mit den Störchen verglichen: sie unterscheiden sich von beiden in jeder Bewegung, in jeder Aeußerung ihres Wesens. Am Reiher erscheinen uns viele Stellungen verzerrt und häßlich, im Gebahren des Storches Einzelnes lächerlich; beim Kranich ist jede Bewegung schön und das Betragen stets anziehend, selbst wenn sich der Vogel heiterer Lust hingibt. Wie im Uebermuthe nimmt der tanzende Kranich Steinchen oder Holzstückchen von der Erde auf, schleudert sie in die Luft, sucht sie wieder aufzufangen, bückt sich rasch nach einander, lüftet die Flügel, tanzt, springt, rennt eilig hin und her, drückt durch die verschiedensten Geberden eine unendliche Freudigkeit des Wesens aus: aber er bleibt immer anmuthig, immer schön. Wahrhaft bewunderungswürdig ist seine Klugheit. Früher, als jeder andere Stelzvogel lernt er die Verhältnisse beurtheilen oder würdigen und richtet nach ihnen seine Lebensweise ein. Er ist nicht scheu, aber im allerhöchsten Grade vorsichtig und läßt sich deshalb sehr schwer überlisten. Der Einzelne denkt stets an seine Sicherheit, eine Herde stellt regelmäßig Wachen aus, denen die Sorge für die Gesammtheit obliegt; die beunruhigte Schaar sendet Späher und Kund- schafter, bevor sie den Ort wieder besucht, auf welchem sie gestört wurde. Mit wahrem Vergnügen habe ich in Afrika beobachtet, wie vorsichtig die Kraniche zu Werke gehen, sobald sie auch dort die Tücke des Menschen kennen gelernt haben: -- wie sie zunächst einen Kundschafter aussenden, dann mehrere, wie diese sorgsam spähen und lauschen, ob sich etwas Verdächtiges noch zeige, wie sie sich erst nach den eingehendsten Untersuchungen beruhigen, zurückfliegen, die Gesammtheit benachrichtigen, dort noch immer nicht Glauben finden, durch Gehilfen unterstützt werden, nochmals auf Kundschaft ausziehen und nun endlich die Herde nach sich ziehen. Und doch lernt man den Kranich während seines Freilebens nie vollständig kennen; man muß ihn sich zum Gesellschafter erworben haben, wenn man
Die Läufer. Stelzvögel. Kraniche.
weiſe brechen ſie auch auf und vereinigt noch kommen ſie an in der Heimat; hier aber löſen ſich die Heereshaufen bald in kleinere Trupps und dieſe in Paare auf, und jedes Paar bezieht nun eine zur Fortpflanzung geeignete Oertlichkeit, welche ſich von der Winterherberge durchaus unterſcheidet. Jn Jndien oder im Sudahn iſt der Kranich Strandvogel, im Norden Europas oder Aſiens wird er zum vollendeten Sumpfvogel. Er bezieht hier die großen Brüche oder Sümpfe der Ebene, bezüglich der Tundra, und ſucht ſich in den Moräſten, welche ihm zum Brüten dienen ſollen, diejenigen Stellen aus, welche mit niederem Seggengraſe oder Riede bewachſen ſind und ihm unter allen Umſtänden eine weite Ausſicht ringsum geſtatten, ihm alſo die ſicherſten zu dünken ſcheinen. Sie werden zu ſeinem Weidegebiete; von ihnen fliegt er hinaus auf die Felder, welche ihm auch während des Sommers zollen müſſen. Brüche, Sümpfe oder Moräſte, in denen viel Buſchwerk oder hohes Röhricht wächſt, liebt er nicht, es ſei denn, daß ihre Ausdehnung die Annäherung eines Menſchen erſchwert und ihm die nöthige Sicherheit verbürgt.
Der Kranich iſt nicht blos einer der ſtattlichſten, ſondern auch einer der begabteſten und klügſten Vögel, ja eines der klügſten Thiere überhaupt, ein Geſchöpf, deſſen geiſtige Fähigkeiten an die des Menſchen erinnern, deſſen Verſtand auch dem eingebildeten Tropfe, welcher meint, daß nur ſein eigenes Hirn Gedanken erzeugen könne, einleuchten muß. Jede Bewegung des Kranichs iſt ſchön, jede Aeußerung ſeiner höheren Begabung feſſelnd. Der große, wohl gebaute, bewegungsfähige, ſcharf- ſinnige und verſtändige Vogel iſt ſich ſeiner ausgezeichneten Fähigkeiten wohl bewußt und drückt Solches durch ſein Betragen aus, ſo verſchiedenartig Dieſes auch ſein mag. Mit leichten, zierlichen, aber doch abgemeſſenen Schritten geht er ſeines Weges dahin, gewöhnlich ruhig und würdig, nur im Fall der Noth eilend und rennend; ohne Mühe erhebt er ſich nach einem oder nach zwei Sprüngen vom Boden, mit wenigen, weitausholenden Schlägen der kräftigen Flügel gewinnt er die nöthige Höhe, und nunmehr fliegt er, Hals und Beine gerade von ſich geſtreckt, ruhig und ohne Eile zu verrathen, aber doch ſchnell und eilig dahin, mit Entſchiedenheit einem beſtimmten Ziele zuſtrebend. Aber derſelbe Vogel ergötzt ſich auch, wenn ihm die Laune anwandelt, durch luſtige Sprünge, übermüthige Geberden, ſonderbare Stellungen, Verneigungen des Halſes, Breiten der Flügel und ein förmliches Tanzen oder dreht ſich fliegend in einem prachtvollen Reigen längere Zeit über einer und derſelben Stelle umher. Der Altvater Linné ſah in den Kranichen Reiher, andere Beobachter haben ſie mit den Störchen verglichen: ſie unterſcheiden ſich von beiden in jeder Bewegung, in jeder Aeußerung ihres Weſens. Am Reiher erſcheinen uns viele Stellungen verzerrt und häßlich, im Gebahren des Storches Einzelnes lächerlich; beim Kranich iſt jede Bewegung ſchön und das Betragen ſtets anziehend, ſelbſt wenn ſich der Vogel heiterer Luſt hingibt. Wie im Uebermuthe nimmt der tanzende Kranich Steinchen oder Holzſtückchen von der Erde auf, ſchleudert ſie in die Luft, ſucht ſie wieder aufzufangen, bückt ſich raſch nach einander, lüftet die Flügel, tanzt, ſpringt, rennt eilig hin und her, drückt durch die verſchiedenſten Geberden eine unendliche Freudigkeit des Weſens aus: aber er bleibt immer anmuthig, immer ſchön. Wahrhaft bewunderungswürdig iſt ſeine Klugheit. Früher, als jeder andere Stelzvogel lernt er die Verhältniſſe beurtheilen oder würdigen und richtet nach ihnen ſeine Lebensweiſe ein. Er iſt nicht ſcheu, aber im allerhöchſten Grade vorſichtig und läßt ſich deshalb ſehr ſchwer überliſten. Der Einzelne denkt ſtets an ſeine Sicherheit, eine Herde ſtellt regelmäßig Wachen aus, denen die Sorge für die Geſammtheit obliegt; die beunruhigte Schaar ſendet Späher und Kund- ſchafter, bevor ſie den Ort wieder beſucht, auf welchem ſie geſtört wurde. Mit wahrem Vergnügen habe ich in Afrika beobachtet, wie vorſichtig die Kraniche zu Werke gehen, ſobald ſie auch dort die Tücke des Menſchen kennen gelernt haben: — wie ſie zunächſt einen Kundſchafter ausſenden, dann mehrere, wie dieſe ſorgſam ſpähen und lauſchen, ob ſich etwas Verdächtiges noch zeige, wie ſie ſich erſt nach den eingehendſten Unterſuchungen beruhigen, zurückfliegen, die Geſammtheit benachrichtigen, dort noch immer nicht Glauben finden, durch Gehilfen unterſtützt werden, nochmals auf Kundſchaft ausziehen und nun endlich die Herde nach ſich ziehen. Und doch lernt man den Kranich während ſeines Freilebens nie vollſtändig kennen; man muß ihn ſich zum Geſellſchafter erworben haben, wenn man
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[724/0768]
Die Läufer. Stelzvögel. Kraniche.
weiſe brechen ſie auch auf und vereinigt noch kommen ſie an in der Heimat; hier aber löſen ſich die
Heereshaufen bald in kleinere Trupps und dieſe in Paare auf, und jedes Paar bezieht nun eine zur
Fortpflanzung geeignete Oertlichkeit, welche ſich von der Winterherberge durchaus unterſcheidet. Jn
Jndien oder im Sudahn iſt der Kranich Strandvogel, im Norden Europas oder Aſiens wird er zum
vollendeten Sumpfvogel. Er bezieht hier die großen Brüche oder Sümpfe der Ebene, bezüglich der
Tundra, und ſucht ſich in den Moräſten, welche ihm zum Brüten dienen ſollen, diejenigen Stellen
aus, welche mit niederem Seggengraſe oder Riede bewachſen ſind und ihm unter allen Umſtänden
eine weite Ausſicht ringsum geſtatten, ihm alſo die ſicherſten zu dünken ſcheinen. Sie werden zu
ſeinem Weidegebiete; von ihnen fliegt er hinaus auf die Felder, welche ihm auch während des
Sommers zollen müſſen. Brüche, Sümpfe oder Moräſte, in denen viel Buſchwerk oder hohes
Röhricht wächſt, liebt er nicht, es ſei denn, daß ihre Ausdehnung die Annäherung eines Menſchen
erſchwert und ihm die nöthige Sicherheit verbürgt.
Der Kranich iſt nicht blos einer der ſtattlichſten, ſondern auch einer der begabteſten und klügſten
Vögel, ja eines der klügſten Thiere überhaupt, ein Geſchöpf, deſſen geiſtige Fähigkeiten an die des
Menſchen erinnern, deſſen Verſtand auch dem eingebildeten Tropfe, welcher meint, daß nur ſein eigenes
Hirn Gedanken erzeugen könne, einleuchten muß. Jede Bewegung des Kranichs iſt ſchön, jede
Aeußerung ſeiner höheren Begabung feſſelnd. Der große, wohl gebaute, bewegungsfähige, ſcharf-
ſinnige und verſtändige Vogel iſt ſich ſeiner ausgezeichneten Fähigkeiten wohl bewußt und drückt
Solches durch ſein Betragen aus, ſo verſchiedenartig Dieſes auch ſein mag. Mit leichten, zierlichen,
aber doch abgemeſſenen Schritten geht er ſeines Weges dahin, gewöhnlich ruhig und würdig, nur im
Fall der Noth eilend und rennend; ohne Mühe erhebt er ſich nach einem oder nach zwei Sprüngen vom
Boden, mit wenigen, weitausholenden Schlägen der kräftigen Flügel gewinnt er die nöthige Höhe,
und nunmehr fliegt er, Hals und Beine gerade von ſich geſtreckt, ruhig und ohne Eile zu verrathen,
aber doch ſchnell und eilig dahin, mit Entſchiedenheit einem beſtimmten Ziele zuſtrebend. Aber
derſelbe Vogel ergötzt ſich auch, wenn ihm die Laune anwandelt, durch luſtige Sprünge, übermüthige
Geberden, ſonderbare Stellungen, Verneigungen des Halſes, Breiten der Flügel und ein förmliches
Tanzen oder dreht ſich fliegend in einem prachtvollen Reigen längere Zeit über einer und derſelben
Stelle umher. Der Altvater Linné ſah in den Kranichen Reiher, andere Beobachter haben ſie mit
den Störchen verglichen: ſie unterſcheiden ſich von beiden in jeder Bewegung, in jeder Aeußerung
ihres Weſens. Am Reiher erſcheinen uns viele Stellungen verzerrt und häßlich, im Gebahren des
Storches Einzelnes lächerlich; beim Kranich iſt jede Bewegung ſchön und das Betragen ſtets anziehend,
ſelbſt wenn ſich der Vogel heiterer Luſt hingibt. Wie im Uebermuthe nimmt der tanzende Kranich
Steinchen oder Holzſtückchen von der Erde auf, ſchleudert ſie in die Luft, ſucht ſie wieder aufzufangen,
bückt ſich raſch nach einander, lüftet die Flügel, tanzt, ſpringt, rennt eilig hin und her, drückt durch
die verſchiedenſten Geberden eine unendliche Freudigkeit des Weſens aus: aber er bleibt immer
anmuthig, immer ſchön. Wahrhaft bewunderungswürdig iſt ſeine Klugheit. Früher, als jeder
andere Stelzvogel lernt er die Verhältniſſe beurtheilen oder würdigen und richtet nach ihnen ſeine
Lebensweiſe ein. Er iſt nicht ſcheu, aber im allerhöchſten Grade vorſichtig und läßt ſich deshalb ſehr
ſchwer überliſten. Der Einzelne denkt ſtets an ſeine Sicherheit, eine Herde ſtellt regelmäßig Wachen
aus, denen die Sorge für die Geſammtheit obliegt; die beunruhigte Schaar ſendet Späher und Kund-
ſchafter, bevor ſie den Ort wieder beſucht, auf welchem ſie geſtört wurde. Mit wahrem Vergnügen
habe ich in Afrika beobachtet, wie vorſichtig die Kraniche zu Werke gehen, ſobald ſie auch dort die Tücke
des Menſchen kennen gelernt haben: — wie ſie zunächſt einen Kundſchafter ausſenden, dann mehrere,
wie dieſe ſorgſam ſpähen und lauſchen, ob ſich etwas Verdächtiges noch zeige, wie ſie ſich erſt nach den
eingehendſten Unterſuchungen beruhigen, zurückfliegen, die Geſammtheit benachrichtigen, dort noch
immer nicht Glauben finden, durch Gehilfen unterſtützt werden, nochmals auf Kundſchaft ausziehen
und nun endlich die Herde nach ſich ziehen. Und doch lernt man den Kranich während ſeines
Freilebens nie vollſtändig kennen; man muß ihn ſich zum Geſellſchafter erworben haben, wenn man
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/768>, abgerufen am 22.11.2024.
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