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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Kranich.
Deutschland ziehen, keinen Rost sehen." Sie haben bereits das Kleingefieder vermausert. Diese
Beobachtungen Homeyer's wurden durch chemische Untersuchung, welche Mewes anstellte,
durchaus bestätigt. Dem ungeachtet fand sich Gloger veranlaßt, in Abrede zu stellen, was
Homeyer gesehen, und auseinanderzusetzen, daß eine derartige Selbstbeschmierung, wie er es nennt,
unmöglich sein müsse. Hier das Studirzimmer, dort die Hütte im Sumpfe, hier ein Weltweiser,
welcher die Natur nach seinem Kopfe regelt, dort ein unbefangener Beobachter, welcher Thatsachen
sammelt: wer von diesen beiden Recht hat, braucht nicht bemerkt zu werden. Die Gelahrtheit
Gloger's löst sich in blauen Dunst auf, sowie man annimmt, daß die "Selbstbeschmierung" des
Kranichs nicht die Absicht, sondern nur das Mittel ist, eine Absicht zu erreichen, und letztere kann
unzweifelhaft nur darin bestehen, daß der kluge Vogel sein im grünen Sumpfe immerhin auffälliges
Federkleid unscheinbar, d. h. dem pflanzenlosen Moorboden selbst ähnlich zu machen sucht.

Wie lange die Brutzeit währt, weiß ich nicht; wohl aber sind wir über das Jugendleben der
ausgeschlüpften Kraniche einigermaßen unterrichtet. An gefangenen Geschwistern hat man beobachtet,
daß sie sich zuweilen wie Tauben schnäbeln und deshalb angenommen, daß die Jungen anfänglich
wohl von den Alten geäzt werden mögen; sehr junge Kraniche aber, welche ich erhielt, pickten mir
ohne Weiteres das ihnen vorgehaltene Futter aus der Hand; sie haben auch gar Nichts von der Unbehilf-
lichkeit der Störche oder Reiher, sondern benehmen sich so geschickt und selbständig, daß man sie
unbedingt für entschiedene Nestflüchter halten muß. Trotz ihrer dicken Beine laufen sie sehr gut und
wissen sich in dem dürren Riede oder Binsicht vortrefflich zu verstecken; ohne Hilfe eines Hundes ist es
kaum möglich, sie hier aufzufinden. Die Alten verrathen sie nicht, beschäftigen sich nur, wenn sie
sich ganz unbeachtet wähnen, mit ihnen und führen sie, falls sie Gefahr befürchten, oft weit weg,
beispielsweise auf Felder hinaus, um sie hier im Getreide zu verstecken. Aber sie behalten sie fort-
während im Auge und sehen auch dann noch nach ihnen, wenn sie gefangen und in einem der Brut-
stelle nicht sehr entlegenen Gehöfte untergebracht wurden. Unangenehm werden die niedlichen Thiere
durch das ununterbrochen wiederholte Ausstoßen der einzelnen Silbe "Piep"; diese Untugend legen
sie auch erst ab, wenn sie vollkommen erwachsen sind. Wer aber in dem Kraniche nicht blos einen
unterhaltenden Hofvogel, sondern einen wahren Freund, ich möchte sagen, einen gefiederten Menschen
erziehen will, muß wohl oder übel jene Unannehmlichkeiten ertragen; denn nur derjenige Vogel,
welcher von Jugend auf in der Gesellschaft des Menschen lebte, bekundet später die volle Bildungs-
fähigkeit seines Geistes.

Die erstaunliche Klugheit des Kranichs erschwert seine Jagd im höchsten Grade. Alte Kraniche
werden nur von einem früher verbreiteten, den Vögeln also nicht mehr auffallenden Verstecke aus mit
einiger Sicherheit erlegt, übrigens blos durch Zufall erbeutet, vorausgesetzt, daß nicht besondere
Umstände, beispielsweise große Hungersnoth, sie das ihnen sonst eigene Wesen vergessen lassen. Wie
vorsichtig sie sind, habe ich am besten in der Winterherberge erfahren, in welcher doch alle Vögel leichter
als sonst erlegt werden können. Nur wenn wir uns nachts auf jene Sandinseln begaben, dort ruhig
niederlegten, das Boot wieder wegfahren ließen und so den Vögeln glauben machten, daß die Störung
eine zufällige gewesen sei, durften wir auf ein günstiges Jagdergebniß rechnen. Sonst brachte blos
die weittragende Büchse einen oder den anderen in unsere Gewalt und Dies auch blos dann, wenn
wir uns von einem der Ufer aus im Walde bis auf Schußweite anschleichen konnten. Eine Störung,
und noch mehr der Verlust eines Gefährten, macht die übrigen dem Jäger geradezu unnahbar. Das
Fleisch der Erlegten haben wir gern gegessen, gewöhnlich aber zur Bereitung einer vortrefflichen
Suppe benutzt. Jn früheren Zeiten schätzte man es höher: Kranichwildpret durfte bei großen Gast-
mählern auf den Tafeln der reichen Jagdherren nicht fehlen.



Kranich.
Deutſchland ziehen, keinen Roſt ſehen.“ Sie haben bereits das Kleingefieder vermauſert. Dieſe
Beobachtungen Homeyer’s wurden durch chemiſche Unterſuchung, welche Mewes anſtellte,
durchaus beſtätigt. Dem ungeachtet fand ſich Gloger veranlaßt, in Abrede zu ſtellen, was
Homeyer geſehen, und auseinanderzuſetzen, daß eine derartige Selbſtbeſchmierung, wie er es nennt,
unmöglich ſein müſſe. Hier das Studirzimmer, dort die Hütte im Sumpfe, hier ein Weltweiſer,
welcher die Natur nach ſeinem Kopfe regelt, dort ein unbefangener Beobachter, welcher Thatſachen
ſammelt: wer von dieſen beiden Recht hat, braucht nicht bemerkt zu werden. Die Gelahrtheit
Gloger’s löſt ſich in blauen Dunſt auf, ſowie man annimmt, daß die „Selbſtbeſchmierung“ des
Kranichs nicht die Abſicht, ſondern nur das Mittel iſt, eine Abſicht zu erreichen, und letztere kann
unzweifelhaft nur darin beſtehen, daß der kluge Vogel ſein im grünen Sumpfe immerhin auffälliges
Federkleid unſcheinbar, d. h. dem pflanzenloſen Moorboden ſelbſt ähnlich zu machen ſucht.

Wie lange die Brutzeit währt, weiß ich nicht; wohl aber ſind wir über das Jugendleben der
ausgeſchlüpften Kraniche einigermaßen unterrichtet. An gefangenen Geſchwiſtern hat man beobachtet,
daß ſie ſich zuweilen wie Tauben ſchnäbeln und deshalb angenommen, daß die Jungen anfänglich
wohl von den Alten geäzt werden mögen; ſehr junge Kraniche aber, welche ich erhielt, pickten mir
ohne Weiteres das ihnen vorgehaltene Futter aus der Hand; ſie haben auch gar Nichts von der Unbehilf-
lichkeit der Störche oder Reiher, ſondern benehmen ſich ſo geſchickt und ſelbſtändig, daß man ſie
unbedingt für entſchiedene Neſtflüchter halten muß. Trotz ihrer dicken Beine laufen ſie ſehr gut und
wiſſen ſich in dem dürren Riede oder Binſicht vortrefflich zu verſtecken; ohne Hilfe eines Hundes iſt es
kaum möglich, ſie hier aufzufinden. Die Alten verrathen ſie nicht, beſchäftigen ſich nur, wenn ſie
ſich ganz unbeachtet wähnen, mit ihnen und führen ſie, falls ſie Gefahr befürchten, oft weit weg,
beiſpielsweiſe auf Felder hinaus, um ſie hier im Getreide zu verſtecken. Aber ſie behalten ſie fort-
während im Auge und ſehen auch dann noch nach ihnen, wenn ſie gefangen und in einem der Brut-
ſtelle nicht ſehr entlegenen Gehöfte untergebracht wurden. Unangenehm werden die niedlichen Thiere
durch das ununterbrochen wiederholte Ausſtoßen der einzelnen Silbe „Piep“; dieſe Untugend legen
ſie auch erſt ab, wenn ſie vollkommen erwachſen ſind. Wer aber in dem Kraniche nicht blos einen
unterhaltenden Hofvogel, ſondern einen wahren Freund, ich möchte ſagen, einen gefiederten Menſchen
erziehen will, muß wohl oder übel jene Unannehmlichkeiten ertragen; denn nur derjenige Vogel,
welcher von Jugend auf in der Geſellſchaft des Menſchen lebte, bekundet ſpäter die volle Bildungs-
fähigkeit ſeines Geiſtes.

Die erſtaunliche Klugheit des Kranichs erſchwert ſeine Jagd im höchſten Grade. Alte Kraniche
werden nur von einem früher verbreiteten, den Vögeln alſo nicht mehr auffallenden Verſtecke aus mit
einiger Sicherheit erlegt, übrigens blos durch Zufall erbeutet, vorausgeſetzt, daß nicht beſondere
Umſtände, beiſpielsweiſe große Hungersnoth, ſie das ihnen ſonſt eigene Weſen vergeſſen laſſen. Wie
vorſichtig ſie ſind, habe ich am beſten in der Winterherberge erfahren, in welcher doch alle Vögel leichter
als ſonſt erlegt werden können. Nur wenn wir uns nachts auf jene Sandinſeln begaben, dort ruhig
niederlegten, das Boot wieder wegfahren ließen und ſo den Vögeln glauben machten, daß die Störung
eine zufällige geweſen ſei, durften wir auf ein günſtiges Jagdergebniß rechnen. Sonſt brachte blos
die weittragende Büchſe einen oder den anderen in unſere Gewalt und Dies auch blos dann, wenn
wir uns von einem der Ufer aus im Walde bis auf Schußweite anſchleichen konnten. Eine Störung,
und noch mehr der Verluſt eines Gefährten, macht die übrigen dem Jäger geradezu unnahbar. Das
Fleiſch der Erlegten haben wir gern gegeſſen, gewöhnlich aber zur Bereitung einer vortrefflichen
Suppe benutzt. Jn früheren Zeiten ſchätzte man es höher: Kranichwildpret durfte bei großen Gaſt-
mählern auf den Tafeln der reichen Jagdherren nicht fehlen.



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[727/0771] Kranich. Deutſchland ziehen, keinen Roſt ſehen.“ Sie haben bereits das Kleingefieder vermauſert. Dieſe Beobachtungen Homeyer’s wurden durch chemiſche Unterſuchung, welche Mewes anſtellte, durchaus beſtätigt. Dem ungeachtet fand ſich Gloger veranlaßt, in Abrede zu ſtellen, was Homeyer geſehen, und auseinanderzuſetzen, daß eine derartige Selbſtbeſchmierung, wie er es nennt, unmöglich ſein müſſe. Hier das Studirzimmer, dort die Hütte im Sumpfe, hier ein Weltweiſer, welcher die Natur nach ſeinem Kopfe regelt, dort ein unbefangener Beobachter, welcher Thatſachen ſammelt: wer von dieſen beiden Recht hat, braucht nicht bemerkt zu werden. Die Gelahrtheit Gloger’s löſt ſich in blauen Dunſt auf, ſowie man annimmt, daß die „Selbſtbeſchmierung“ des Kranichs nicht die Abſicht, ſondern nur das Mittel iſt, eine Abſicht zu erreichen, und letztere kann unzweifelhaft nur darin beſtehen, daß der kluge Vogel ſein im grünen Sumpfe immerhin auffälliges Federkleid unſcheinbar, d. h. dem pflanzenloſen Moorboden ſelbſt ähnlich zu machen ſucht. Wie lange die Brutzeit währt, weiß ich nicht; wohl aber ſind wir über das Jugendleben der ausgeſchlüpften Kraniche einigermaßen unterrichtet. An gefangenen Geſchwiſtern hat man beobachtet, daß ſie ſich zuweilen wie Tauben ſchnäbeln und deshalb angenommen, daß die Jungen anfänglich wohl von den Alten geäzt werden mögen; ſehr junge Kraniche aber, welche ich erhielt, pickten mir ohne Weiteres das ihnen vorgehaltene Futter aus der Hand; ſie haben auch gar Nichts von der Unbehilf- lichkeit der Störche oder Reiher, ſondern benehmen ſich ſo geſchickt und ſelbſtändig, daß man ſie unbedingt für entſchiedene Neſtflüchter halten muß. Trotz ihrer dicken Beine laufen ſie ſehr gut und wiſſen ſich in dem dürren Riede oder Binſicht vortrefflich zu verſtecken; ohne Hilfe eines Hundes iſt es kaum möglich, ſie hier aufzufinden. Die Alten verrathen ſie nicht, beſchäftigen ſich nur, wenn ſie ſich ganz unbeachtet wähnen, mit ihnen und führen ſie, falls ſie Gefahr befürchten, oft weit weg, beiſpielsweiſe auf Felder hinaus, um ſie hier im Getreide zu verſtecken. Aber ſie behalten ſie fort- während im Auge und ſehen auch dann noch nach ihnen, wenn ſie gefangen und in einem der Brut- ſtelle nicht ſehr entlegenen Gehöfte untergebracht wurden. Unangenehm werden die niedlichen Thiere durch das ununterbrochen wiederholte Ausſtoßen der einzelnen Silbe „Piep“; dieſe Untugend legen ſie auch erſt ab, wenn ſie vollkommen erwachſen ſind. Wer aber in dem Kraniche nicht blos einen unterhaltenden Hofvogel, ſondern einen wahren Freund, ich möchte ſagen, einen gefiederten Menſchen erziehen will, muß wohl oder übel jene Unannehmlichkeiten ertragen; denn nur derjenige Vogel, welcher von Jugend auf in der Geſellſchaft des Menſchen lebte, bekundet ſpäter die volle Bildungs- fähigkeit ſeines Geiſtes. Die erſtaunliche Klugheit des Kranichs erſchwert ſeine Jagd im höchſten Grade. Alte Kraniche werden nur von einem früher verbreiteten, den Vögeln alſo nicht mehr auffallenden Verſtecke aus mit einiger Sicherheit erlegt, übrigens blos durch Zufall erbeutet, vorausgeſetzt, daß nicht beſondere Umſtände, beiſpielsweiſe große Hungersnoth, ſie das ihnen ſonſt eigene Weſen vergeſſen laſſen. Wie vorſichtig ſie ſind, habe ich am beſten in der Winterherberge erfahren, in welcher doch alle Vögel leichter als ſonſt erlegt werden können. Nur wenn wir uns nachts auf jene Sandinſeln begaben, dort ruhig niederlegten, das Boot wieder wegfahren ließen und ſo den Vögeln glauben machten, daß die Störung eine zufällige geweſen ſei, durften wir auf ein günſtiges Jagdergebniß rechnen. Sonſt brachte blos die weittragende Büchſe einen oder den anderen in unſere Gewalt und Dies auch blos dann, wenn wir uns von einem der Ufer aus im Walde bis auf Schußweite anſchleichen konnten. Eine Störung, und noch mehr der Verluſt eines Gefährten, macht die übrigen dem Jäger geradezu unnahbar. Das Fleiſch der Erlegten haben wir gern gegeſſen, gewöhnlich aber zur Bereitung einer vortrefflichen Suppe benutzt. Jn früheren Zeiten ſchätzte man es höher: Kranichwildpret durfte bei großen Gaſt- mählern auf den Tafeln der reichen Jagdherren nicht fehlen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/771>, abgerufen am 22.11.2024.