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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Allgemeines.
und Säger gehören zu den vorsichtigsten aller Vögel, bekunden auch unter Umständen eine List und
eine Verschlagenheit, welche billig unser Erstaunen hervorruft, beurtheilen die eben bestehenden Ver-
hältnisse sehr richtig und fügen sich rasch in veränderte Umstände, eignen sich deshalb auch in besonderem
Grade zu Hausthieren. Jn ihrem Wesen spricht sich im allgemeinen eine gewisse Gutmüthigkeit,
Verträglichkeit und Hang zur Geselligkeit aus; doch lieben die meisten und namentlich die großen
Zahnschnäbler nur den Umgang mit Jhresgleichen und dulden nicht immer schwächere Glieder ihrer
Ordnung in ihrer Nähe, weniger deshalb, weil sie sich durch diese beeinträchtigt wähnen, als vielmehr
im Gefühle eines hohen Selbstbewußtseins, welches sich auch anderen Geschöpfen gegenüber kundgeben
kann. Jhren Gatten und Kindern hängen die meisten mit warmer Liebe an; einige Männchen aber
kümmern sich mindestens um die Nachkommenschaft nur wenig oder nicht. Die Weibchen scheinen viel
gefühlvoller zu sein als die Männchen, insbesondere Hilflose oder Junge ihrer und einer verwandten
Art gern zu bemuttern. Rühmenswerth ist der Muth, mit welchem sie bei Gefahr für ihre Kinder
einstehen, wie sie denn überhaupt nicht zu den furchtsamen Vögeln gezählt werden dürfen. Gegen
fremdartige Thiere zeigen sie sich ziemlich gleichgiltig, solche, welche ihnen gefährlich werden können,
selbstverständlich ausgenommen: die Oertlichkeit vereinigt sie mit diesen, nicht ihre Absicht. Jhre
Selbständigkeit opfern sie höchstens Gesellschaften, welche aus ihrer eigenen Art gebildet werden, nicht
aber den allgemeinen Vereinigungen auf. Man sieht sie in buntem Gewimmel durcheinander sich
umhertreiben, bei jeder besonderen Veranlassung aber sofort sich je nach der Art sammeln und,
unbekümmert um die frühere Genossenschaft, das ihnen Gutdünkende ausführen.

Die Stimme der Zahnschnäbler hat vor der anderer Schwimmvögel mehrere Vorzüge. Sie ist
vielseitiger und wohllautender. Dies gilt allerdings nur im allgemeinen, da einzelne blos wenige
und mißtönende Laute hervorbringen können, hat aber in dieser Beschränkung vollste Richtigkeit.
Nicht ohne Grund nennt man einen Schwan "Singschwan" und einen anderen "Trompeter": man
muß aber auch die glockenhellen Laute der Bläßgans und die wohlklingenden Rufe mehrerer Enten
gebührend würdigen. Jedenfalls lassen sich die Stimmen anderer Schwimmvögel mit denen der
meisten Zahnschnäbler nicht vergleichen.

Thierische und pflanzliche Stoffe bilden die Nahrung der Mitglieder dieser Ordnung. Wirkliche
Raubthiere, also solche, welche pflanzliche Stoffe gänzlich verschmähen, sind nur wenige von ihnen,
ausschließliche Pflanzenfresser noch wenigere. Die Säger enthalten sich ungezwungen aller pflanz-
lichen Nahrung und nehmen solche nur zufällig mit auf; die Gänse fressen in ihrer Jugend sehr gern
verschiedenes Kleingethier, verschmähen dieses aber im späteren Alter: sie weiden, d. h. rupfen und
schneiden mit ihrem hartzahnigen Schnabel Pflanzentheile ab, entschälen oder zerstückeln solche, graben
aus und nehmen auf; die Tauchenten lesen hauptsächlich vom Grunde des Wassers ab, aber fast nur
verschiedene Thiere; alle übrigen gewinnen sich die Hauptmasse ihrer Mahlzeiten schnatternd, und bei
ihnen kommt der Seihschnabel zu seiner eigentlichen Geltung. Jndem sie ihn in flüssigen Schlamm
oder zwischen schwimmende Pflanzentheile einführen und abwechselnd öffnen und schließen, seihen
sie zunächst alle festeren Bestandtheile von den flüssigen ab und scheiden nunmehr mit Hilfe der
Zunge das Genießbare von dem Ungenießbaren. Kein anderer Vogel erwirbt sich in gleicher
Weise sein Brot.

Die Zahnschnäbler leben in geschlossener Ehe; ihre Treue ist jedoch nicht immer über
jeden Zweifel erhaben. Bei den meisten fällt die Sorge der Bebrütung und der Erziehung der
Jungen der Mutter anheim, und der nach der Begattung seinem Vergnügen lebende Vater vergißt
auch leicht der letzteren; andere hingegen widmen sich gemeinschaftlich, wenn auch nicht dem Brut-
geschäfte, sodoch der Pflege ihrer Kinder, versehen, während das Weibchen brütet, das Amt des
Wächters und lassen sich durch andere Schönen ihrer Art nicht verlocken. Das Nest wird sehr ver-
schieden angelegt, bald auf festeren Stellen des Sumpfes, bald auf trockenem Boden, bald in Baum-,
Erd- und Felsenhöhlen, aus verschiedenartigen Stoffen zusammengeschichtet, gewöhnlich kunstlos und
roh, innen aber sehr regelmäßig mit den Dunen der Mutter ausgekleidet. Die Glieder einer Familie

Brehm, Thierleben. IV. 49

Allgemeines.
und Säger gehören zu den vorſichtigſten aller Vögel, bekunden auch unter Umſtänden eine Liſt und
eine Verſchlagenheit, welche billig unſer Erſtaunen hervorruft, beurtheilen die eben beſtehenden Ver-
hältniſſe ſehr richtig und fügen ſich raſch in veränderte Umſtände, eignen ſich deshalb auch in beſonderem
Grade zu Hausthieren. Jn ihrem Weſen ſpricht ſich im allgemeinen eine gewiſſe Gutmüthigkeit,
Verträglichkeit und Hang zur Geſelligkeit aus; doch lieben die meiſten und namentlich die großen
Zahnſchnäbler nur den Umgang mit Jhresgleichen und dulden nicht immer ſchwächere Glieder ihrer
Ordnung in ihrer Nähe, weniger deshalb, weil ſie ſich durch dieſe beeinträchtigt wähnen, als vielmehr
im Gefühle eines hohen Selbſtbewußtſeins, welches ſich auch anderen Geſchöpfen gegenüber kundgeben
kann. Jhren Gatten und Kindern hängen die meiſten mit warmer Liebe an; einige Männchen aber
kümmern ſich mindeſtens um die Nachkommenſchaft nur wenig oder nicht. Die Weibchen ſcheinen viel
gefühlvoller zu ſein als die Männchen, insbeſondere Hilfloſe oder Junge ihrer und einer verwandten
Art gern zu bemuttern. Rühmenswerth iſt der Muth, mit welchem ſie bei Gefahr für ihre Kinder
einſtehen, wie ſie denn überhaupt nicht zu den furchtſamen Vögeln gezählt werden dürfen. Gegen
fremdartige Thiere zeigen ſie ſich ziemlich gleichgiltig, ſolche, welche ihnen gefährlich werden können,
ſelbſtverſtändlich ausgenommen: die Oertlichkeit vereinigt ſie mit dieſen, nicht ihre Abſicht. Jhre
Selbſtändigkeit opfern ſie höchſtens Geſellſchaften, welche aus ihrer eigenen Art gebildet werden, nicht
aber den allgemeinen Vereinigungen auf. Man ſieht ſie in buntem Gewimmel durcheinander ſich
umhertreiben, bei jeder beſonderen Veranlaſſung aber ſofort ſich je nach der Art ſammeln und,
unbekümmert um die frühere Genoſſenſchaft, das ihnen Gutdünkende ausführen.

Die Stimme der Zahnſchnäbler hat vor der anderer Schwimmvögel mehrere Vorzüge. Sie iſt
vielſeitiger und wohllautender. Dies gilt allerdings nur im allgemeinen, da einzelne blos wenige
und mißtönende Laute hervorbringen können, hat aber in dieſer Beſchränkung vollſte Richtigkeit.
Nicht ohne Grund nennt man einen Schwan „Singſchwan“ und einen anderen „Trompeter“: man
muß aber auch die glockenhellen Laute der Bläßgans und die wohlklingenden Rufe mehrerer Enten
gebührend würdigen. Jedenfalls laſſen ſich die Stimmen anderer Schwimmvögel mit denen der
meiſten Zahnſchnäbler nicht vergleichen.

Thieriſche und pflanzliche Stoffe bilden die Nahrung der Mitglieder dieſer Ordnung. Wirkliche
Raubthiere, alſo ſolche, welche pflanzliche Stoffe gänzlich verſchmähen, ſind nur wenige von ihnen,
ausſchließliche Pflanzenfreſſer noch wenigere. Die Säger enthalten ſich ungezwungen aller pflanz-
lichen Nahrung und nehmen ſolche nur zufällig mit auf; die Gänſe freſſen in ihrer Jugend ſehr gern
verſchiedenes Kleingethier, verſchmähen dieſes aber im ſpäteren Alter: ſie weiden, d. h. rupfen und
ſchneiden mit ihrem hartzahnigen Schnabel Pflanzentheile ab, entſchälen oder zerſtückeln ſolche, graben
aus und nehmen auf; die Tauchenten leſen hauptſächlich vom Grunde des Waſſers ab, aber faſt nur
verſchiedene Thiere; alle übrigen gewinnen ſich die Hauptmaſſe ihrer Mahlzeiten ſchnatternd, und bei
ihnen kommt der Seihſchnabel zu ſeiner eigentlichen Geltung. Jndem ſie ihn in flüſſigen Schlamm
oder zwiſchen ſchwimmende Pflanzentheile einführen und abwechſelnd öffnen und ſchließen, ſeihen
ſie zunächſt alle feſteren Beſtandtheile von den flüſſigen ab und ſcheiden nunmehr mit Hilfe der
Zunge das Genießbare von dem Ungenießbaren. Kein anderer Vogel erwirbt ſich in gleicher
Weiſe ſein Brot.

Die Zahnſchnäbler leben in geſchloſſener Ehe; ihre Treue iſt jedoch nicht immer über
jeden Zweifel erhaben. Bei den meiſten fällt die Sorge der Bebrütung und der Erziehung der
Jungen der Mutter anheim, und der nach der Begattung ſeinem Vergnügen lebende Vater vergißt
auch leicht der letzteren; andere hingegen widmen ſich gemeinſchaftlich, wenn auch nicht dem Brut-
geſchäfte, ſodoch der Pflege ihrer Kinder, verſehen, während das Weibchen brütet, das Amt des
Wächters und laſſen ſich durch andere Schönen ihrer Art nicht verlocken. Das Neſt wird ſehr ver-
ſchieden angelegt, bald auf feſteren Stellen des Sumpfes, bald auf trockenem Boden, bald in Baum-,
Erd- und Felſenhöhlen, aus verſchiedenartigen Stoffen zuſammengeſchichtet, gewöhnlich kunſtlos und
roh, innen aber ſehr regelmäßig mit den Dunen der Mutter ausgekleidet. Die Glieder einer Familie

Brehm, Thierleben. IV. 49
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[769/0815] Allgemeines. und Säger gehören zu den vorſichtigſten aller Vögel, bekunden auch unter Umſtänden eine Liſt und eine Verſchlagenheit, welche billig unſer Erſtaunen hervorruft, beurtheilen die eben beſtehenden Ver- hältniſſe ſehr richtig und fügen ſich raſch in veränderte Umſtände, eignen ſich deshalb auch in beſonderem Grade zu Hausthieren. Jn ihrem Weſen ſpricht ſich im allgemeinen eine gewiſſe Gutmüthigkeit, Verträglichkeit und Hang zur Geſelligkeit aus; doch lieben die meiſten und namentlich die großen Zahnſchnäbler nur den Umgang mit Jhresgleichen und dulden nicht immer ſchwächere Glieder ihrer Ordnung in ihrer Nähe, weniger deshalb, weil ſie ſich durch dieſe beeinträchtigt wähnen, als vielmehr im Gefühle eines hohen Selbſtbewußtſeins, welches ſich auch anderen Geſchöpfen gegenüber kundgeben kann. Jhren Gatten und Kindern hängen die meiſten mit warmer Liebe an; einige Männchen aber kümmern ſich mindeſtens um die Nachkommenſchaft nur wenig oder nicht. Die Weibchen ſcheinen viel gefühlvoller zu ſein als die Männchen, insbeſondere Hilfloſe oder Junge ihrer und einer verwandten Art gern zu bemuttern. Rühmenswerth iſt der Muth, mit welchem ſie bei Gefahr für ihre Kinder einſtehen, wie ſie denn überhaupt nicht zu den furchtſamen Vögeln gezählt werden dürfen. Gegen fremdartige Thiere zeigen ſie ſich ziemlich gleichgiltig, ſolche, welche ihnen gefährlich werden können, ſelbſtverſtändlich ausgenommen: die Oertlichkeit vereinigt ſie mit dieſen, nicht ihre Abſicht. Jhre Selbſtändigkeit opfern ſie höchſtens Geſellſchaften, welche aus ihrer eigenen Art gebildet werden, nicht aber den allgemeinen Vereinigungen auf. Man ſieht ſie in buntem Gewimmel durcheinander ſich umhertreiben, bei jeder beſonderen Veranlaſſung aber ſofort ſich je nach der Art ſammeln und, unbekümmert um die frühere Genoſſenſchaft, das ihnen Gutdünkende ausführen. Die Stimme der Zahnſchnäbler hat vor der anderer Schwimmvögel mehrere Vorzüge. Sie iſt vielſeitiger und wohllautender. Dies gilt allerdings nur im allgemeinen, da einzelne blos wenige und mißtönende Laute hervorbringen können, hat aber in dieſer Beſchränkung vollſte Richtigkeit. Nicht ohne Grund nennt man einen Schwan „Singſchwan“ und einen anderen „Trompeter“: man muß aber auch die glockenhellen Laute der Bläßgans und die wohlklingenden Rufe mehrerer Enten gebührend würdigen. Jedenfalls laſſen ſich die Stimmen anderer Schwimmvögel mit denen der meiſten Zahnſchnäbler nicht vergleichen. Thieriſche und pflanzliche Stoffe bilden die Nahrung der Mitglieder dieſer Ordnung. Wirkliche Raubthiere, alſo ſolche, welche pflanzliche Stoffe gänzlich verſchmähen, ſind nur wenige von ihnen, ausſchließliche Pflanzenfreſſer noch wenigere. Die Säger enthalten ſich ungezwungen aller pflanz- lichen Nahrung und nehmen ſolche nur zufällig mit auf; die Gänſe freſſen in ihrer Jugend ſehr gern verſchiedenes Kleingethier, verſchmähen dieſes aber im ſpäteren Alter: ſie weiden, d. h. rupfen und ſchneiden mit ihrem hartzahnigen Schnabel Pflanzentheile ab, entſchälen oder zerſtückeln ſolche, graben aus und nehmen auf; die Tauchenten leſen hauptſächlich vom Grunde des Waſſers ab, aber faſt nur verſchiedene Thiere; alle übrigen gewinnen ſich die Hauptmaſſe ihrer Mahlzeiten ſchnatternd, und bei ihnen kommt der Seihſchnabel zu ſeiner eigentlichen Geltung. Jndem ſie ihn in flüſſigen Schlamm oder zwiſchen ſchwimmende Pflanzentheile einführen und abwechſelnd öffnen und ſchließen, ſeihen ſie zunächſt alle feſteren Beſtandtheile von den flüſſigen ab und ſcheiden nunmehr mit Hilfe der Zunge das Genießbare von dem Ungenießbaren. Kein anderer Vogel erwirbt ſich in gleicher Weiſe ſein Brot. Die Zahnſchnäbler leben in geſchloſſener Ehe; ihre Treue iſt jedoch nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Bei den meiſten fällt die Sorge der Bebrütung und der Erziehung der Jungen der Mutter anheim, und der nach der Begattung ſeinem Vergnügen lebende Vater vergißt auch leicht der letzteren; andere hingegen widmen ſich gemeinſchaftlich, wenn auch nicht dem Brut- geſchäfte, ſodoch der Pflege ihrer Kinder, verſehen, während das Weibchen brütet, das Amt des Wächters und laſſen ſich durch andere Schönen ihrer Art nicht verlocken. Das Neſt wird ſehr ver- ſchieden angelegt, bald auf feſteren Stellen des Sumpfes, bald auf trockenem Boden, bald in Baum-, Erd- und Felſenhöhlen, aus verſchiedenartigen Stoffen zuſammengeſchichtet, gewöhnlich kunſtlos und roh, innen aber ſehr regelmäßig mit den Dunen der Mutter ausgekleidet. Die Glieder einer Familie Brehm, Thierleben. IV. 49

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/815>, abgerufen am 22.11.2024.